Herr Hermanns, Sie haben 2012 den Comedy-Thriller „Mörder Quote“ geschrieben. Warum haben Sie für die Handlung eine Castingshow als Setting gewählt?
Thomas Hermanns: Ich hatte immer schon den Wunsch einen Krimi zu schreiben und habe lange überlegt, was das Setting sein könnte. Die Idee kam mir schließlich, als ich bei „Deutschland sucht den Superstar“ sah, wie ein Kandidat in Handschellen zum Set gebracht wurde und nach der Show direkt wieder in die Untersuchungshaft musste. Da dachte ich mir: Bei all dem Drama, was die da veranstalten, wäre Mord die nächste, logische Folge. Die Atmosphäre dieser Shows hat für mich einerseits etwas sehr Glamouröses, zugleich aber auch etwas Bedrohliches.
Sind Sie auch in die Fernsehstudios gegangen, um hinter den Kulissen recherchieren zu können?
Hermanns: Die Nähe zu Castingshows kam bei mir durch die Moderation der Vorentscheide zum Grand Prix. Da hatten wir bis zu fünf Kandidaten, da wurde auch abgestimmt, da flossen Tränen und man hat gemerkt, wie sehr die Nerven der Sänger blank lagen.
Als meine Geschichte dann eigentlich schon fertig war, bin ich nochmal zu „The Voice of Germany“ gegangen und habe gecheckt, ob das, was ich in dem Buch beschreibe, immer noch zutrifft.
War Ihre Castingshow-Recherche überwiegend spaßig oder gab es auch erschütternde Momente?
Hermanns: Das Buch ist in bestimmten Zeilen ein bisschen bitter und beschreibt ein klassisches Castingshow-Format wie „Deutschland sucht den Superstar“, wo eben ein Herr Bohlen irgendwelche Leute anpflaumt, die noch keine 20 sind, zitternd dastehen und gleichzeitig in die Dramaturgie der Show eingeordnet werden. Auch wenn ich das Fernsehen sehr liebe – das ist schon eine unangenehme Seite. Und in diesem Bereich hat sich in den letzten Jahren sehr viel ausgebreitet, was für einen Thriller die perfekte Grundlage ist: der Jury-Tisch, das Urteil der Richter, das gebrachte Opfer, der Mensch, der wieder von der Bühne verschwindet – das sind theatralische Angelegenheiten wie in einem antiken Drama. Mein Gedanke war dann: In diesem inszenierten Drama der Castingshows ist Blut die letztendliche Konsequenz.
Kandidaten einer Castingshow haben oft nicht die Möglichkeit zu bestimmen, wie sie am Ende in der Sendung dargestellt werden, sie sind vielmehr Teil einer festgelegten Dramaturgie…
Hermanns: Das ist dieses Kräftemessen, zwischen einem jungen Menschen, der viele Seiten hat, und der Produktionsseite, die mit ihm bestimmte Dramaturgien durchzieht und ihm bestimmte Labels gibt. Bei „Star Search“ gab es damals den Rocksänger Martin Kesici, der hatte einen komischen Bart und wurde deshalb „Der Kinnteufel“ genannt. Ich glaube, wenn der heute in den Supermarkt geht, sagen die Leute immer noch: „Da kommt der Kinnteufel“. Diese Labels bleiben unglaublich lange an einem kleben, sind aber wichtig für die Dramaturgie. Ein Duett zwischen der „Schlampe“ und dem „Engel“ ist halt interessanter als zwischen Veronika und Brigitte.
Und trotz derlei Inszenierung gibt es bei den Shows keinen Bewerbermangel.
Hermanns: Die jungen Leute wissen eigentlich wie das Spiel läuft, trotzdem glauben sie, dass sie mit dem Gewinn einer Sendung wie „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Das Supertalent“ ihrer Karriere entscheidende Impulse geben können. Und das obwohl sie sehen, dass kein Gewinner der letzten Jahre – außer dem einen großen Hit kurz nach der Sendung – eine lange Karriere hingekriegt hat, sondern eigentlich alle auf dem Weg ins Dschungelcamp sind. Es ist immer wieder eine Generation da, die sagt: „Ich schaffe das, ich werde eine Mariah Carey und kein Mark Medlock.“
Juliette Schoppmann sagte uns im Interview, dass die Kandidaten der ersten „DSDS“-Staffel damals vom Produktionsteam nach schwarzen Flecken in ihren Biografien befragt wurden, damit ihnen diese nicht zum Verhängnis würden. Schoppmann erzählte der Produktion von einer Brustvergrößerung – und am nächsten Tag stand genau das in der „Bild“-Zeitung.
Hermanns: Ja, das ist die Hässlichkeit. Juliette Schoppmann bekam ja damals das Label der Diva. Und die Bezeichnung Diva ruft in Deutschland ja nicht unbedingt nur Sympathien hervor, vermutlich hat ihr dieses Label letztendlich auch den Sieg gekostet. Weil man dann den netten Alexander Klaws lieber genommen hat, als eine vermeintliche Diva. Diese Labellierung führt ganz schnell zu einer Publikumsmeinung – und wenn man diese Labellierung selber nicht steuern kann, dann ist das sehr anstrengend.
Anfang 2012 trat bei „DSDS“ ein Kandidat auf, der an Multiple Sklerose erkrankt war. RTL stellte seine Krankheit schließlich in einem verfälschten Kontext dar, zwecks Show-Dramaturgie. Gibt es innerhalb solch einer Produktion keinerlei moralische Instanz?
Hermanns: Moral ist da nicht das ausschlaggebende Kriterium, Moral ist nicht der Ausgangspunkt einer Fernsehshow, sondern es geht erstmal um Unterhaltung. Wie nah das dann an Gladiatorenspiele herankommt, hängt von der jeweiligen Auffassung der Produktion, des Senders und auch des Publikums ab, dass diese Sendungen anguckt und goutiert. Interessant ist ja, dass bei „Deutschland sucht den Superstar“ die eigentlichen Castings, wo Leute auftreten, die wirklich gar nichts können und angebrüllt werden, oftmals viel erfolgreicher sind, als die eigentlichen Shows, wo dann gesungen wird. Diese Schadenfreude fängt natürlich auch beim Zuschauer an.
Sie sprechen von der Nähe zu Gladiatorenspielen, Filme wie „Rollerball“ oder „Das Millionenspiel“ haben bereits Szenarien durchgespielt, bei denen Kandidaten sterben. Sind das nur Horrorvisionen oder entwickelt sich das Fernsehen immer mehr in diese Richtung?
Hermanns: Ich denke, dass sich die geschmacklichen Grenzen schon verschieben werden, das geschieht graduell. Wenn man sich Szenen von „Das Supertalent“ ansieht, wo sich das Publikum demonstrativ umdreht, mit dem Rücken zum Performer steht und den Daumen senkt – das wäre vor zehn Jahren noch nicht gegangen. Das ist so ziemlich das Schlimmste, was du einem Bühnenkünstler antun kannst, das ist so respektlos. Im Buch habe ich das mit dem Morden natürlich leicht überspitzt, aber wichtig war für mich die Frage: Wenn ein Mord passieren würde, wann würde der Sender die Sendung absetzen? Würde er sie überhaupt absetzen?
Zu welchem Schluss sind Sie gekommen?
Hermanns: Ich habe leider die Befürchtung, dass ein Privatsender – wenn die Quote in die Höhe schießt – sagen würde: „Wir machen weiter!“ Man begründet es dann damit, dass die Kandidaten so hart gearbeitet haben und jetzt nicht aufhören wollen, außerdem gibt es dann Trauersendungen usw. Ich bin eigentlich ein optimistischer Mensch, doch bei dieser Frage bin ich Pessimist.
Der Sender würde also über Leichen gehen?
Hermanns: Ich habe die Befürchtung, dass bestimmte Sender Leichen vor der Kamera riskieren würden, wenn die Quote über 70 Prozent Marktanteil geht. Aber das muss dann schon ein ‚Mörder-Erfolg‘ sein, sozusagen doppeltes „Wetten, dass…?“. Dann ist die Moral zumindest diskutierbar.
Es gab ja in Amerika den Fall, dass Nicole Scherzinger von den „Pussycat Dolls“ als Jurymitglied bei „X-Factor“ Morddrohungen bekam, in England hat ein Kandidat einer Castingshow auch Morddrohungen bekommen. Das ist alles nicht so unrealistisch, wie man vielleicht denkt.
„Wetten, dass…?“ hatte mit Samuel Koch bereits einen Unglücksfall vor der Kamera. Wie beurteilen Sie die Entscheidung von Thomas Gottschalk, nach diesem Unfall die Moderation der Show aufzugeben?
Hermanns: Völlig richtig und moralisch integer. Wenn in einer meiner Sendungen so etwas passieren würde, könnte ich auch nicht beim nächsten Mal fröhlich herausspazieren. Man erkennt daran die moralische Integrität des Moderators und des Senders. Die größte Show Deutschlands ist ja in Gefahr, wenn der Moderator sagt: „Ich will nicht mehr.“ Aber dass die das mitgemacht haben, zeigt, dass in dem Segment Moral vorhanden ist.
Wenn man sich dauerhaft in TV-Studios aufhält, lebt man dann eigentlich in einer Art Parallelwelt? Und was sind die sonderbarsten Eigenschaften dieser Studiowelt?
Hermanns: Es entsteht auf jeden Fall eine Parallelwelt. Eine sonderbare Eigenschaft ist zum Beispiel, dass das Publikum immer in Ekstase ist, bei jeder Kleinigkeit, die man macht. Das Verhalten eines durch Warm-up und Klatschzeichen entfesselten Publikums entspricht nicht der Realität. Besonders Live-Performer dürfen sich an so etwas nicht gewöhnen, weil man sonst denkt, dass alles lustig ist, was man sagt – weil ja alle applaudieren.
Auch das Licht ist eine sehr künstliche Sache. Und Künstlerauftritte können sehr lustig sein: Wenn du siehst, wie vorne ein sexy Weltstar richtig Gas gibt, umringt von Kameras und hinten eine freundlich bekiffte Kabelhilfe das Kabel wegzieht, dann hat das auch etwas Absurdes.
Ist die Zusammenarbeit bei TV-Produktionen eher oberflächlich?
Hermanns: Nein, es ist arbeitsam. Gutes Entertainment besteht aus sehr vielen gut arbeitenden Leuten, die ihren Job ernst nehmen. Es ist eine Arbeitsatmosphäre, in der aber manchmal so getan wird, als wäre das alles eine große Party. Darin liegt auch eine Gefahr, dass man das verwechselt.
In Ihrem Buch wird gekokst, auch der Regisseur Hans Weingartner hat in seinem Film „Free Rainer“ gezeigt, wie im Fernsehen hinter den Kulissen…
Hermanns: (unterbricht)…ja, aber das war wirklich völlig unrealistisch. Das hat mich auch geärgert. Wenn Leute Satiren über das Fernsehen machen, die nicht regelmäßig im Fernsehen arbeiten, dann entstehen solche Szenen, wie mit dem koksenden TV-Produzenten, der mit seinem Sportwagen durch Berlin donnert. Ich bin nach zehn Minuten aus dem Film gegangen.
Hans Weingartner sagt dazu: „Das ist vielleicht für einen Otto Normalverbraucher übertrieben – aber es wird nun mal extrem viel gekokst beim Fernsehen. Gehen Sie doch mal bei einer Fernsehparty auf’s Klo, da kriegen Sie keine freie Kabine.“
Hermanns: Ich glaube, dass Hans Weingartner noch nicht viele Fernsehshows gedreht hat. Auch im Film „Late Show“ von Helmut Dietl stimmte es hinten und vorne nicht. In meinem Buch habe ich mich bemüht, es so zu schreiben, wie es ist. Die Menschen, die in diesem Buch vorkommen, kenne ich persönlich, und ich weiß, wie die ticken. Die machen beim Fernsehen einen schwierigen Job, daraus ergeben sich vielleicht auch bestimmte Abhängigkeiten. Aber so wie diese Koksgeschichten in Satiren dargestellt werden, ist es wirklich nicht.
Der Kokskonsum in der Fernsehwelt ist heute also nicht mehr so massiv?
Hermanns: Ich weiß gar nicht, ob der jemals so massiv in der Fernsehwelt ausgeprägt war, oder doch eher in der Filmbranche oder im Musikbusiness. Ich glaube bei den heutigen Produktionsabläufen kannst du dir gar keine Drogen leisten, weil immer schneller gedreht werden muss, bei immer niedrigeren Budgets. Da ist keine Zeit für Exzesse. Die Zeiten, als Redakteure noch fröhlich mit den Stars nach der Sendung was trinken gegangen sind, sind vorbei. Ich erlebe das Fernsehen heute als sehr diszipliniert und sehr arbeitshaft, manchmal sogar als etwas zu ernst. Es ist nicht das hedonistische Paradies, wo irgendwelche Starlets in Whirlpools Gas geben.
Es ist ja auch lustig, wenn junge Menschen in Castingshows gehen, dann denken immer noch viele, dass das Leben als Popstar so wahnsinnig toll ist. Das ist eine Illusion, die nach vorne verkauft wird, hinten aber überhaupt nicht mehr stattfindet.
Kommen wir mal zu Ihrer ‚Sucht‘. Sie haben einmal gesagt: „Das Thema Fernsehen lässt mich nicht los.“ Sind Sie fernsehsüchtig?
Hermanns: Na ja, ’süchtig‘ klingt ja so, als hätte man kein echtes Leben mehr. Ich habe immer schon viel Fernsehen geguckt und gucke es auch jetzt noch, im Moment aber eher amerikanisches und englisches Fernsehen.
Wie viel Fremdschämen ist dabei, wenn Sie Fernsehen gucken?
Hermanns: Also, ich gucke tagsüber weder RTL noch SAT.1, Reality und Scripted-Reality ist schon ein Segment, das an die Grenzen geht. Es gibt aber auch Temperaturen, die ich aushalten kann, die Vox-Temperatur zum Beispiel – da erwische ich mich schon mal, dass ich auf dem Laufband trainiere und mir dabei eine Folge „Mieten, kaufen, wohnen“ oder „Shopping-Queen“ ansehe. Aber „Mitten im Leben“ oder „Familien im Brennpunkt“, wo irgendwelche armen, dicken und schwitzenden Menschen vor die Kamera gezerrt werden, halte ich nicht aus. Das ist ein großer Trend in den letzten Jahren gewesen, dass gerade im Daytime-Bereich hemmungslose Sachen gesendet werden. Die Moralfrage stellt sich heute mehr in der Daytime als in der Primetime.
Im Bereich der Castingshows hat sich in den letzten Jahren sehr viel ausgebreitet, was für einen Thriller die perfekte Grundlage ist.
Wie erklären Sie sich diesen Trend? Die Macher sagen, es sei schnell und leicht zu produzieren, die guten Quoten weisen aber auch auf einen Bedarf hin.
Hermanns: Ich glaube, das ist erstmal immer dieser Autounfall-Effekt: Die Leute sind fassungslos darüber, was sie sehen, können aber nicht wegschauen. Wenn irgendwelche Proll-Kinder im Kongobusch lernen, eine Suppe zu kochen, dann guckt man denen auf jeden Fall fünf Minuten zu, bis die Suppe fertig ist. Das heißt noch gar nicht, dass man es gerne guckt oder toll findet. Man fragt sich: „Was sind das für Leute? Was macht dieser Harald Glööckler?Guck mal, der hat wieder einen neuen Nasenring.“
Diese fünf Minuten von allen Zuschauern addiert, ergeben zum Teil schon eine solide Quote. Natürlich ist der Zuschauer mit verantwortlich. Aber es ist auch menschlich, dass man Freaks erstmal eine Weile anguckt. Wie auf dem Jahrmarkt.
Und dass diese ‚Freaks‘ nur noch gescripted sind, also nach fiktivem Drehbuch agieren, scheint die Zuschauer nicht zu stören.
Hermanns: Genau, es sind nicht mal mehr Original-Freaks! (lacht) Das ist dann wieder die perfide Mischung, dass man die Leute noch freakiger macht, als sie per se schon sind. Man ordnet ihnen Plots zuordnet, die sie durcharbeiten müssen, und stellt sie dazu noch in den Porzellanladen.
Es klappt aber nicht jedes gescriptete Format. Der Versuch, eine Daytime-Talkshow nachzuspielen – was vor ein paar Jahren bei „TV Kaiser“ noch als Persiflage gemacht wurde – ist in diesem Jahr ja gescheitert, weil das Publikum wieder abgeschaltet hat.
Ich behaupte nicht, dass es keine gute Reality-Show geben kann, aber in Deutschland ist das in den letzten Jahren sehr in die unterste Schublade gegangen, besonders am Tag. Ich zappe tagsüber schneller als abends.
Im bereits erwähnten Film „Free Rainer“ werden die Einschaltquoten von einer Guerilla-Truppe manipuliert, wodurch die Quoten für wertvolle TV-Formate in die Höhe schießen…
Hermanns: … der Traum des Feuilletons.
Im Film gewöhnen sich die Leute irgendwann an das Qualitätsprogramm, so dass am Ende anspruchsvolle Sendungen auch ohne Manipulation die besten Quoten bekommen.
Hermanns: Das ist ein sozialpädagogischer feuchter Traum, würde ich mal sagen. (lacht) Die Erziehung des Zuschauers durch Guerilla – das wird nie klappen.
Der Umkehrschluss wäre, dass das Niveau weiter sinkt, die Menschen damit aber zufrieden sind.
Hermanns: Nein, ich glaube, wenn man gutes Fernsehen macht, hat man auch gute Einschaltquoten, Qualität und Quote widersprechen sich nicht. Nur, was gutes und unterhaltsames Fernsehen ist, das zeigen im Moment eher die Amerikaner und die Engländer. Besonders im Bereich der Serien hinkt Deutschland dem Weltmarkt extrem hinterher. Wir haben ja Gott sei dank noch „Stromberg“ und „Pastweka“, aber Serien wie „Breaking Bad“ oder „30 Rock“ schaffen wir zur Zeit nicht. Da müssen wir uns anstrengen und besseres Fernsehen machen. Ich denke, das wäre der bessere Weg, als eine Guerilla-Taktik und Quotenmanipulation.
Woran liegt es, dass Deutschland in diesem Bereich hinterherhinkt?
Hermanns: Die Amerikaner und die Engländer haben natürlich einen globalen Markt, den sie bearbeiten, und im Erfolgsfall werden die Produktionen international weiterverkauft. Der deutsche Markt hat den Vorteil, dass er groß genug ist, um davon leben zu können, aber gleichzeitig muss man aufpassen, dass man sich nicht auf den deutschen Geschmack beschränkt. Man muss auch mal was wagen. Wir dürfen uns nicht immer selber runterziehen mit dem Argument „Das geht in Deutschland nicht“, sondern wir müssen uns global messen. Die „heute show“ oder der Film „Mutter muss weg“ mit Bastian Pastewka und Judy Winter können qualitätsmäßig mithalten. Auch Stefan Raab macht Formate, die sich international verkaufen lassen und ‚State of the Art‘ sind. „Schlag den Raab“ war neu und innovativ, auch die „Schillerstraße“ oder „Genial daneben“. Da sollten wir selber ehrgeizig bleiben.
Sind da auch besonders die öffentlich-rechtlichen Sender gefragt?
Hermanns: Am ehesten sogar, weil sie nicht werbefinanziert sind. Die ARD kann am ehesten die BBC werden, weil sie durch unsere Gebühren die Töpfe voll haben. Eigentlich erwarte ich von denen am meisten, dass sie Geld für Qualität ausgeben und nicht immer wieder Filme produzieren, in denen sich eine Frau in Südafrika in den Gärtner verliebt.
ARD und ZDF orientieren sich auch an der Quote – ist das falsch?
Hermanns: Sie sollten die Quote nicht so ernst nehmen wie die Privatsender, das ist nicht ihr Auftrag. Ich würde natürlich auch nichts senden wollen, was kein Mensch guckt, aber ich muss nicht die Quote als Erfolgsentscheider sehen. Die Quote muss nicht das sein, was am Ende übrig bleibt. Es muss auch nicht immer im Teletext verkündet werden, dass der „Tatort“ wieder die größte Quote hatte.
Seit dem 1. Januar 2013 müssen alle Haushalte GEZ-Gebühren, unabhängig davon, ob sie einen Fernseher haben. Wie finden Sie das?
Hermanns: Es vereinfacht dieses Gebührensystem, aber ich erwarte schon, dass diese Gelder dann nicht nur für Volksmusiksendungen und Melodramen ausgegeben werden.
Hätten Sie eine Wunschsendung?
Hermanns: Eine schöne neue Samstagabend-Show auf der ARD. Der Sendeplatz um 20:15 Uhr ist im Moment ein bisschen verwaist. Da gibt es sicher neue Möglichkeiten jenseits von Quiz und Volksmusik, mal wieder ein klassisches öffentlich-rechtliches Format, nämlich die große Show, zu platzieren.
Gibt es eine TV-Show, in der Sie selbst gerne mal Kandidat gewesen wären?
Hermanns: Gott sei Dank habe ich die Klassiker fast alle gemacht. Alle Kinderträume, von „Stars in der Manege“ bis zum „Grand Prix“, habe ich mir erfüllt. Bei „Dalli Dalli“ wäre ich gerne noch dabei, aber sonst habe ich als Kandidat wirklich alles gespielt. Außer Turmspringen, das überlasse ich gerne den sportlicheren Kollegen.
In „Mörder Quote“ geht es auch um Homosexualität. Wie wird mit diesem Thema heute im Fernsehen umgegangen? Ist es inzwischen ganz normal, oder wird Homosexualität immer noch als etwas Exotisches dargestellt, wie Sie es in Ihrem Buch beschreiben?
Hermanns: Die Schwulen, die normal, also nicht klassisch exzentrisch wirken, sind im Fernsehen immer noch in der Minderheit. Man sieht im Moment ein bisschen zu viel Paradiesvögel, die werden dann auch eingesetzt, um langweilige Reportage aufzuhübschen. Wenn nichts passiert, wird kurz ein Schwuler mit übertriebener Gestik und wahnsinnigen Manierismen eingesetzt, und die Leute denken sich: „Vielleicht sind Schwule ja tatsächlich so?“
Mir fehlen ein bisschen die normalen schwulen Männer, die ich kenne, die nicht die ganze Zeit „Huch“ und „Hach“ schreien, sondern einfach ihr normales Leben leben.
Hape Kerkeling sagte mal über sein Zwangsouting: „Wenn ich damals etwas sensibler gewesen wäre, hätte ich mich mit dem Fön in die Badewanne gelegt“…
Hermanns: Diese Zeiten sind vorbei. Man kann als offen lebender Schwuler im Fernsehen arbeiten, das ist alles kein Problem mehr. Ich glaube, heute ist es eher die Frage, ob man das Schwulsein an sich zum Thema macht, oder nicht.
Wie sehen Sie die Situation in der Politik?
Hermanns: Da gibt es riesige Fortschritte. Herr Wowereit und Herr Westerwelle laufen eben nicht gepierced, tätowiert und schreiend in Lackshorts auf Ibiza herum, sondern das sind normale schwule Männer. Die sieht man in Deutschland interessanterweise hauptsächlich in der Politik, und nicht im Entertainment. Dort wird dann doch mehr auf Klischee gemacht wird.
Und die die rechtliche Situation, zum Beispiel im Bezug auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften…
Hermanns: Da robben wir uns ran, das wird immer besser, bei den Steuern sind wir uns doch langsam mal einig. Ich glaube, es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Ehe und die Verpartnerung endgültig gleichgestellt werden. Ich glaube auch, dass es gesellschaftlicher Konsens ist, dass die Leute das so haben wollen.
Im Oktober 2010 und im Juli 2012 sind Anträge von den Grünen zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare im Parlament an der FDP gescheitert sind. Einer, der 2010 dagegen gestimmt hat, war Guido Westerwelle.
Hermanns: Er hat das Recht, seine persönliche Meinung zu diesem Thema zu haben. Vielleicht hat er aber auch einfach nur mit der Partei gestimmt. Ich glaube, dass der Fortschritt generell schon sehr groß ist. Die Geschichte zeigt allerdings, dass diese Fortschritte eher mit einer grünen Regierung kommen, als mit einer FDP-Regierung.
Right Said Fred sagten uns in einem Interview, dass es noch sehr lange dauern wird, bis es in Großbritannien ein homosexuelles Staatsoberhaupt geben wird und es in Deutschland eher der Fall sein könnte. Wäre es momentan schon vorstellbar, dass jemand wie Klaus Wowereit Kanzler wird?
Hermanns: Ich glaube, dass da alles vorstellbar ist. Wir sind in Deutschland wirklich sehr aufgeschlossen, ein schwuler Außenminister ist ja schon ein relativ hohes Amt.
Und auch die Engländer hatten in der Vergangenheit schwule Staatsoberhäupter, aber natürlich im royalen Bereich. Insofern muss ich Right Said Fred korrigieren – die hatten schon schwule Könige, zum Beispiel Edward II. Es wurde nur damals noch nicht so thematisiert.
Was ist beim Karaoke der Song, den Sie am besten singen?
Hermanns: „Great Balls of Fire“ ist immer mein Einstiegssong, den kriege ich gut hin. Und dann beginne ich jeden Karaoke-Abend damit, dass ich allen erkläre, dass die Männer Männerlieder und die Frauen Frauenlieder singen sollen – weil es andere Tonarten sind und man das nicht mischen sollte. Nach dem vierten Bier bin ich dann aber doch bei den Carpenters und merke wieder einmal, dass ich „Close to you“ nicht hinkriege, obwohl ich es doch vor einer halben Stunde noch allen erklärt habe.
Das klingt nach strikten Karaoke-Regeln.
Hermanns: Natürlich. Erstmal muss man ja reinkommen und sich war machen. Am Schluss darf man dann alles singen, auch „We are the World“, das ist dann völlig egal.
Sie singen regelmäßig Karaoke?
Hermanns: Nicht mehr so oft wie früher, aber immer wieder sehr gerne. Ich habe das ja nach Deutschland gebracht, ich bin quasi schuld daran. Das war – noch vor der Stand-up-Comedy – mein erster Import. Damals musste ich dem „Spiegel“ erstmal erklären, was Karaoke überhaupt ist. Ich hatte das 1988 in New York zum ersten Mal gesehen und habe es dann nach Deutschland gebracht. Am Anfang haben wir das noch mit Kassetten und Textzetteln in der Hand gemacht (lacht). Und unser Motto war immer: „When it’s good it’s good, when it’s bad it’s better“. Karaoke ist ja keine Castingshow. Es geht auch nicht darum, „I will always love you“ besonders schön zu singen, sondern es geht darum, Spaß zu haben.
Nun werden Sie am 05. März 50 Jahre alt. Hilft Ihnen der Beruf in der Comedy-Branche beim jung bleiben?
Hermanns: Humor hilft immer beim jung bleiben, Geld aber auch.
Wie werden Sie Ihren 50. Geburtstag begehen?
Hermann: Ich feiere ganz romantisch, alleine mit meinem Mann in Venedig.
Letzte Frage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Hermanns: Die Opernsängerin bei Tim und Struppi. Die taucht im Comic „Die Juwelen der Sängerin“ auf, so eine schmuckbehangene Walküre, die immer so vor sich hin trällert. Die fand ich als Kind schon immer super sympathisch, obwohl sie im Comic gar nicht so sympathisch rüberkommt. (lacht)
Ich hatte auch Sympathien für die zwei Jungs mit den Bowler Hats, Schulze und Schultze. Die waren ja auch irgendwie ein schwules Paar (lacht): Sie waren immer zusammen und viele Frauen haben die in den Comics auch nicht kennengelernt.