Herr Reichart, Sie arbeiten in der Doping Task Force des ZDF in Peking mit. Was ist das für eine Projektgruppe?
Die Doping Task Force ist eine ressort- und redaktionsübergreifende Angelegenheit, wo aus den verschiedensten Bereichen des ZDF Leute zusammenkommen, um gemeinsam am Thema Doping zu arbeiten. Insgesamt sind zehn bis elf Kollegen Teil des Teams.
Wie arbeitet denn die Doping Task Force?
Unsere Tätigkeit beginnt nicht erst mit einem Dopingskandal, sondern wir setzen uns kontinuierlich und nachhaltig mit dem Thema Doping auseinander. Dabei bauen wir ein redaktionsübergreifendes Fachwissen auf und nutzen gemeinsame Ressourcen.
Wir bündeln zum Beispiel das Wissen eines Reporters von Frontal 21 mit dem eines Sportkollegen. Das hilft uns dabei, eine gute Berichterstattung zu schaffen.
In Ihrer zweiteiligen Dokumentation „Mission Gold“ setzen Ihr Kollege Ralf Paniczek und Sie sich intensiv mit der Doping-Problematik in China, aber auch in anderen Ländern auseinander. Welche Rolle spielt Doping heute im chinesischen Sport?
Das ist schwer zu sagen. Die Ergebnisse unserer Recherchen zeigen, dass Chinas Athleten offensichtlich nicht sauber sind. Über die Anzahl derjenigen, die dopen, kann man aber nur spekulieren.
Es ist eine Tatsache, dass China eine dunkle Dopingvergangenheit hat, die das Land trotz aller Bemühungen noch nicht überwunden hat.
Ein positiver Dopingfall Chinas bei der Olympiade im eigenen Land dürfte für das Land eine große Schande darstellen. Ist deswegen nicht sogar von den saubersten olympischen Spielen seit langem auszugehen?
Es gibt sicherlich Fortschritte in der Dopingbekämpfung. Zum Beispiel werden während der Spiele strengere, umfangreichere und häufigere Dopingkontrollen als bisher zu erwarten sein.
Aber da auch diejenigen, die dopen, aufgerüstet haben und über neue Mittel verfügen, sind die Dopingjäger den Dopern nach wie vor zwei Schritte hinterher. Wir reden über ein ganz anderes Niveau als noch vor vier Jahren bei den Olympischen Spielen in Athen. Daher gehe ich nicht davon aus, dass die Spiele sauberer sein werden als in der Vergangenheit.
China wird oft systematisches Doping unterstellt.
Ich glaube nicht, dass systematisch gedopt wird. Aber China ist ein großes Land und je weiter man von Peking entfernt ist, desto weniger hört man den Ruf des Kaisers. Vieles, was in diesem Land passiert, wird von der Regierung in Peking gar nicht wahrgenommen. Es gibt mächtige Provinzfürsten und die Möglichkeiten, durch Doping und dem daraus oft resultierenden Erfolg gesellschaftlich aufzusteigen, sind gerade in China enorm.
Unser Film zeigt, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen dem, was man in China öffentlich verlautet und dem, was man in der täglichen Trainingspraxis macht. Wenn man in China dopingbelastete DDR-Trainer verpflichtet, ist das kein gutes Zeugnis für die eigene Dopingpolitik. Damit stellt man alle Bemühungen infrage.
In welcher Form ist das Dopingsystem in China denn mit dem in der DDR vergleichbar?
Es gibt in China zumindest keine Hinweise auf einen Staatsplan Doping, der vom Zentralkomitee der kommunistischen Partei verabschiedet worden wäre. Allerdings existieren auch große Ähnlichkeiten zum System in der DDR. Das beginnt damit, dass Kinder schon im Kindergartenalter ausgesucht werden, bei denen dann geguckt wird, für welche sportliche Disziplin sie geeignet sind. Und es ist gibt auch in China wie damals in der DDR massives Doping von minderjährigen Mädchen, weil man dort die größten Trainingseffekte erzielt.
Das ist natürlich die brutalste Form der Körperverletzung, die man sich vorstellen kann. Die Sportförderung ist somit sicher vergleichbar, aber es gibt nicht dieses Dopingsystem, das es in der DDR gab.
Was sind die Gründe für Doping bei chinesischen Athleten?
In jedem Land, auch hier in Deutschland, sind die Olympischen Spiele die Möglichkeit, zu Ruhm, Ehre und eben auch zu materiellem Wohlstand zu kommen. Von daher gibt es in jedem Land den Anreiz, dieses letzte Quäntchen zum Erfolg mit illegalen Mitteln zu erzielen.
In China sind aber die Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs durch den Sport von ganz weit unten bis ganz oben noch völlig andere. Das Land hat sich von seiner Dopingvergangenheit nur teilweise gelöst. Nach wie vor gibt es einen Dopinggeist. Viele Trainer und Funktionäre sind dazu bereit, auf Kosten ihrer Athleten für Eigenerfolge und das Prestige den illegalen Weg zu gehen und Dopingmittel einzusetzen. Dafür gibt es sehr viele Belege. Wir gehen daher davon aus, dass Chinas Staatsathleten nur zum Teil sauber sind.
Wie würden Sie den typischen chinesischen Leistungssportler beschreiben?
Das ist schwierig, da wir völlig verschiedene Menschen kennen gelernt haben. Eine Protagonistin aus unserem Film, eine Gewichtheberin, ist beispielsweise nur drei Jahre auf die Grundschule gegangen, bevor sie für den Leistungssport ausgewählt wurde. Sie ist eine einfache, aber auch sehr stolze und mutige Frau. Und die Sprinter, die wir bei unseren Dreharbeiten in der Sportschule getroffen haben, sitzen abends an ihrem Laptop und sind auf den ersten Blick Studenten, wie wir sie hier auch in Deutschland kennen.
Die einen kommen schon im Kindesalter zum Leistungssport und haben keine Möglichkeit, später noch einen Beruf zu erlernen, andere sind wiederum über die Universität zum Leistungssport gekommen und haben ein ganz anderes persönliches Standing.
In deutschen Medien wurde zuletzt über die Immunität asiatischer Sportler gegen die meisten Steroide-Kontrollen spekuliert und als Beleg eine schwedische Studie vorgelegt.
Das ist mir bekannt und wir haben darüber mit einem Kölner Antidopinglabor gesprochen.
Im Grunde genommen handelt es sich dabei um eine seit langem bekannte Problematik und die Dopingkontrolleure haben sich auch darauf eingestellt. Wenn man nun plötzlich davon spricht, dass die asiatischen Sportler bei den Olympischen Spielen einen Freibrief hätten und sowieso nicht richtig auf Doping getestet werden könnten, dann ergibt das ein falsches Bild.
Asiaten haben ein unterschiedliches genetisches Profil, das tatsächlich die Nachweisbarkeit von Steroiden erschwert, aber das bedeutet nicht, dass diese Sportler bei Dopingtests durchkommen.
Vieles, was in China passiert, wird von der Regierung in Peking gar nicht wahrgenommen.
Wie gestalteten sich die Dreharbeiten zu Ihrem Dokumentarfilm?
Der wesentliche Teil des Films ist in einer relativ kurzen Drehzeit von zwei Wochen in China entstanden. Dazu kamen noch Drehs in den USA und in Deutschland.
Die Dreharbeiten in Peking waren schwierig. Wir hatten das Glück, dass wir gedreht hatten, bevor die Unruhen in Tibet ausbrachen. Zu der Zeit war vieles leichter als jetzt.
Nichtsdestotrotz besaßen wir in Peking keine Erlaubnis, ein Sportgelände zu betreten. Den Leichtathletiktrainer aus dem Film durften wir zunächst nur in einem Hotel neben der Sportschule treffen. Im Süden des Landes, außerhalb von Pekings Reichweite, war alles wesentlich einfacher.
Sehr schwierig waren die Dreharbeiten in dem Antidopinglabor in Peking. Sowohl bei den Vorbereitungen als auch beim Dreh selbst brauchten wir viele Anläufe und Geduld. Wir wurden dann irgendwann freundlich, aber bestimmt hinausgeworfen.
Wie war der Umgang mit dem kommunistischen Regime? Wurde ihnen ein Begleiter zur Seite gestellt?
Nein, neue Regelungen der chinesischen Regierung im Umgang mit internationalen Medien ließen keinen offiziellen Aufpasser an unserer Seite zu. Wir wurden auch nicht von schwarzen Limousinen begleitet, hatten aber gleichwohl den Eindruck, dass unsere Telefone abgehört wurden. Insgesamt konnten wir uns aber relativ frei bewegen.
In dem Film kommen ehemalige chinesische Sportler zu Wort, die sich dem System in China gegenüber sehr kritisch äußern. Müssen diese Menschen nicht nach Ausstrahlung des Films Repressalien seitens des Regimes in Peking befürchten?
Wir hatten im Vorfeld der Dreharbeiten von offizieller Seite die Erlaubnis eingeholt, diese Interviews führen zu dürfen, von daher gehen wir davon aus, dass die Protagonisten nichts zu befürchten haben. Wir werden aber mit unseren Interviewpartnern auf jeden Fall in Kontakt bleiben.
Der Film ist interessant, aber in Hinblick auf die Doping-Problematik ist er nur Teil eines Kampfes gegen Windmühlen. Was war das Ziel des Films? Was wollten Sie erreichen?
Das Ziel des Films war einfach, die Wahrheit zu erzählen. Wir wollten hinter die Versprechen der Chinesen, dass ihre Athleten sauber seien, blicken und der Frage nachgehen, was wirklich in dem Land los ist. Dabei ist ein völlig widersprüchliches Bild entstanden. Es gibt einerseits ein erstaunliches Beharrungsvermögen des alten Dopinggeistes, was sehr beunruhigend ist. Andererseits haben wir Trainer und Sportler getroffen, denen man ehrlich abnehmen muss, ohne Doping Erfolg zu haben oder wiederum andere, die ein funktionierendes Dopingtestprogramm installieren wollten. Was den Kampf gegen Windmühlen angeht: das wird Doping immer sein, aber wenn man den Kampf nicht aufnimmt, dann lässt man Doping freie Bahn und hat von vornherein verloren.
Wenn man sich zum Beispiel die Bestzeiten im Sprint in den vergangenen zwanzig Jahren ansieht, dann ist doch davon auszugehen, dass keine einzige unter legalen Voraussetzungen entstanden ist. Warum sollte man Doping nicht generell freigeben?
Das wäre ein ganz fatales Signal, denn es würde letztlich alle Athleten zwingen zu dopen. Und zwar nicht nur die Weltklasseathleten, sondern auch alle Nachwuchsathleten, denn wie wollen sie sonst erfolgreich werden? Das hätte den Effekt, dass das Doping im extremen Maße auch im Amateur- und Jugendbereich verbreitet wird, falls das nicht ohnehin schon der Fall ist. Es gibt immer Verkehrssünder, die bei Rot über die Ampel fahren, aber deshalb ist es umso wichtiger, diejenigen zu erwischen und zu bestrafen. Ansonsten entsteht ein Chaos mit schwerwiegenden Folgen, die man nicht mehr überblicken kann.
Nun erzeugen speziell die kommerziellen Interessen im Sport bei den Athleten einen großen Druck. Sind Antidopingprogramme von daher nicht der falsche Ansatz? Müsste man nicht ganz woanders ansetzen?
Nein, Antidopingprogramme haben ja viel erreicht und bewirkt. Sie sind aber nur ein kleiner Schritt. Nachhaltigen Erfolg hat man nur, wenn man bei vielen Dingen ansetzt, angefangen mit der Aufklärung bei jugendlichen Sportlern, über eine Ausweitung der Dopingteste bis hin zu staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen Dopingsünder.
Der Sportjournalist Herbert Fischer-Solms vom Deutschlandfunk sagte in einem Interview: „Vom Deutschen Olympischen Sportbund oder dem Internationalen Olympischen Komitee ist eine Abrüstung an der Dopingfront nicht wirklich zu erwarten, solange ihre Statthalter als Wirtschafts-Lobbyisten im Gewand von Sportfunktionären daher kommen.“ Was halten Sie von dieser These?
In Frontal 21 haben wir mehrfach den DOSB kritisiert, dass er nicht entschieden genug gegen dopingbelastete Ärzte und Trainer in Deutschland vorgeht. Das ist noch immer ein Problem. Aber immerhin hat der DOSB strenge Auswahlkriterien, wer nach Peking darf und wer nicht. Dopingbelastete Trainer sind da ausgeschlossen. Das ist in Ordnung, aber man könnte sich noch mehr Engagement im Antidopingkampf wünschen.
Leistungssportler müssen jederzeit und überall dazu bereit sein, Dopingkontrollen durchführen zu lassen. Wann verstoßen Dopingkontrollen gegen die Menschenwürde?
Es ist ein fadenscheiniges Argument, dass Dopingkontrollen gegen die Menschenwürde verstoßen. Wer Leistungssport macht, der lässt sich auf bestimmte Spielregeln ein.
In Japan gab es Vorfälle, bei denen der Toilettengang von Athleten durchweg überwacht wurde, um manipulierte Urinproben zu vermeiden…
Ich glaube in der Tat, dass man mit dem Kontrollregime nicht mehr so viel weiter gehen kann.
Wenn die bestehenden Kontrollen flächendeckend auch in anderen Ländern ausgeweitet werden und wenn es überall wettbewerbsunabhängige Dopingkontrollen gibt, dann ist sehr viel erreicht. Wichtiger ist, dass die großen Dopingskandale durch staatsanwaltliche Ermittlungen aufgeflogen sind. Letztendlich ist es also Sache des Staates, diese kriminellen Dopingnetzwerke aufzudecken.