Thomas Reiter

Unsere Probleme hier unten können wir nur gemeinsam lösen.

Astronaut Thomas Reiter über Wissenschaft im TV, die Faszination fürs Fliegen, das CERN-Experiment und die Entwicklung des Weltraumtourismus

Thomas Reiter

© Michael Habermehl / ZDF

Herr Reiter, Sie präsentieren die mehrteilige Reihe "Expedition Erde", in der Sie ein Kamerateam zu abgelegenen Orten der Welt begleitet hat. Für diese Fernsehreihe hingen Sie in einer Eiswand, standen am Rande eines Vulkans oder auf der Spitze einer Pyramide. Was wollen Sie mit der Sendung erreichen?
Reiter: Wenn wir uns die Bewerberzahlen der letzten Jahrzehnte für naturwissenschaftliche Studienfächer oder den Ingenieurwissenschaften ansehen, dann lässt sich feststellen, dass in vielen Bereichen die Zahlen stagnieren oder sogar rückläufig sind. Im Moment steigt das Interesse an naturwissenschaftlichen Themen aber wieder. Und solche Sendungen können vielleicht mit dazu beitragen, dass sich noch mehr junge Menschen wieder für diese Fächer interessieren.

Denken Sie, das mit solchen Programmen eine anspruchsvolle Wissensvermittlung über das Fernsehen gelingen kann?
Reiter: Ganz bestimmt und ich denke, dass diese Serie ein gutes Beispiel dafür ist. Ich bin selbst ein großer Fan von Dokumentationen, ich würde mir ein ähnliches Programm mit großer Begeisterung anschauen. Solche Sendungen gibt es für meinen Geschmack zu wenig.

Woher kommt das wachsende Interesse an naturwissenschaftlichen Themen?
Reiter: Das hängt sicherlich mit den stark diskutierten Fragen zur Umwelt und zum Klimawandel zusammen. Man konnte in den vergangenen Jahren sehr viel zu diesen Themen lesen, hören und sehen. Heute haben wir verstanden, dass der Mensch einen Einfluss auf das Klima unseres Planeten hat. Wir haben keinen Anspruch darauf, dass sich von nun an auf der Erde nichts mehr verändert. Es ist ein Bestandteil unseres Planeten, dass hier ein stetiger Wechsel und Wandel stattfindet.

Sie waren Mitglied des europäischen Astronautenteams der ESA und waren für zwei Missionen im Weltraum. Wofür steht die Raumfahrt aus Ihrer Sicht heute?
Reiter: Ich bin ein sehr neugieriger Mensch. Neugierde ist eine menschliche Eigenschaft, die nicht nur Wissenschaftler dazu bewegt in abstrakter Form zu neuen Horizonten vorzustoßen. Die Neugier hat auch Entdecker in der Vergangenheit dazu bewogen, die Küsten Europas zu verlassen und alle Richtungen zu erkunden. Und das ist das, was die bemannte Raumfahrt heute tut.

Sie haben Ihr Leben riskiert bei den Weltraumflügen. Wofür? Aus Neugier?
Reiter: Es ist sicherlich riskanter, mit einer Rakete zu starten, als sich heute in ein Auto zu setzen oder in ein Flugzeug. Diese Gefahr ist mir und meinen Kollegen bei der Berufswahl bewusst. Für mich persönlich war es eine Abwägung zwischen dem, was wir an Wissen erlangen können durch solche Missionen. Die Raumfahrtforschung kann uns zu neuen Erkenntnissen für ganz konkrete Anwendungen verhelfen. Zum Beispiel über die Ursachen einer Krankheit. Wir können auch mehr in der Grundlagenforschung erfahren, um unser Wissen über die Welt zu erweitern. Diese Chance habe ich gegen das Risiko abgewogen. Ich finde, dass ist es wert.

Spielt auch der Drang nach persönlichen Erlebnissen eine Rolle für Ihre Berufswahl?
Reiter: Das spielt auch eine Rolle, ganz ohne Zweifel. Ich möchte das aber definitiv nur als einen Seitenaspekt sehen.
Ich habe mich in der Vergangenheit mit Leuten unterhalten, die meine Erlebnisse mit denen beim Bungee-Jumping vergleichen wollten. Ich halte davon gar nichts. Ich habe in meinem Leben Dinge gemacht, die nicht ganz unriskant waren. Angefangen von der Militärfliegerei bis hin zu den Einsätzen in der Raumfahrt. Und ich bin der Meinung, wenn man hier ein sehr hohes Gut riskiert, dann sollte dem etwas Adäquates gegenüberstehen.

Inwiefern spielt denn grundsätzlich Ihre Faszination für das Fliegen eine Rolle bei Ihrer Karriere?
Reiter: Die ist mir fast mit in die Wiege gelegt worden. Mein Vater war Zeit seines Lebens begeisterter Segelflieger, wir sind jedes Wochenende auf dem Flugplatz gewesen. Mit 14 Jahren habe ich selbst mit dem Segelfliegen angefangen.

Wie hat Ihre Familie reagiert, als Sie sich für das Raumfahrtprogramm beworben haben?
Reiter: Meine Frau hatte das schon sehr lange verfolgt und natürlich auch unterstützt. Wir waren verlobt und haben zusammengelebt, als Ende 1985 das Auswahlverfahren begann.
Schon damals ging ich einer nicht ganz alltäglichen Tätigkeit als Einsatzpilot nach, da passieren allgemein auch hin und wieder Flugunfälle. Sie hat dieses Szenario gekannt und mich immer unterstützt . Wenn meine Familie meine Berufswahl nicht akzeptiert hätte, wäre ich nicht so weit gekommen. Man braucht für solch eine anspruchsvolle Tätigkeit einen freien Kopf.

Sie haben durch die Raumfahrt und auch durch die Expeditionen für die Sendung extreme Erlebnisse erfahren und Ein- bzw. Ausblicke gehabt, die nur wenigen Menschen vorbehalten sind. Wie stehen Sie zum Themenbereich Religion?
Reiter: Das, was wir in der naturwissenschaftlichen Forschung tun, ist eine Dimension menschlichen Erlebens, Religion ist eine andere., Wissenschaft und Religion müssen sich nicht gegenseitig ausschließen. Ich für meine Person stehe der Wissenschaft natürlich etwas näher als der Religion, aber ich bin nicht unreligiös.

Glauben Sie als Wissenschafter und neugieriger Forscher, dass der Mensch viel über das Leben weiß?
Reiter: Jede Frage, die gelöst wird, wirft viele neue Fragen auf. Einstein hat das in seiner Schaffenszeit sehr gut formuliert: „Je mehr man gelernt hat, desto mehr weiß man, das man eigentlich nichts weiß“. Das soll uns aber nicht davon abhalten, sondern Ansporn sein, weiterhin unsere Umgebung zu erkunden und verstehen zu wollen. Es gibt noch viele ungelöste Fragen, die den menschlichen Körper betreffen, die Pflanzen, unsere Umwelt und natürlich das Universum.
Es ist eine menschliche Eigenschaft, die offenen Fragen ergründen zu wollen. Da muss nicht immer ein konkreter Nutzen dahinter stehen. Der Nutzen ist sekundär. Es ist sehr wichtig, Wissen als Bereicherung zu verstehen. In diesem Zusammenhang halte ich gerade die Raumfahrt als einen Teil einer Kulturaufgabe.

Zitiert

Es ist sicherlich riskanter, mit einer Rakete zu starten, als sich in ein Auto oder in ein Flugzeug zu setzen.

Thomas Reiter

Gibt es ethische und moralische Grenzen der Forschung?
Reiter: Es ist für mich außer Zweifel, dass Wissenschaftler generell eine große Verantwortung haben, gerade auch unter ethischen Gesichtspunkten. Eine Bewertung abzugeben, ob man diesen Wissenschaftlern Grenzen definieren sollte, wie beispielsweise bei der Genforschung, halte ich für falsch. Natürlich können wir in Deutschland entscheiden, beispielsweise keinerlei Genforschung zu betreiben. Wir können das aber nicht für die gesamte Erde entscheiden.
Ich denke, was erforschbar ist, wird früher oder später auch erforscht. Letztendlich lautet die Frage nicht, ob wir etwas erforschen sollten, sondern vielmehr was wir mit dem erlangten Wissen anfangen.

Wie meinen Sie das?
Reiter: Das Klonen von Organismen ist hier ein klassischer Fall. Ich halte es für ein Unding, wenn man heute Genforschung betreiben würde nur mit dem Ziel, Menschen zu klonen. Genforschung macht aber Sinn, wenn wir mit den Erkenntnissen Krankheiten behandeln können. Von daher ist jeder Forscher natürlich gefragt, sich selbst ethische Grenzen zu setzen und die „richtige“ Anwendung zu prüfen.
Ein weiteres, dramatisches Beispiel ist die Kernspaltung, die sowohl gut als auch böse eingesetzt werden kann. Die Kernspaltung selbst zu erforschen, ist sicherlich notwendig gewesen und es hat unser Verständnis über den Aufbau der Materie enorm weitergebracht.

Sie sagen, jeder Wissenschaftler muss die ethischen und moralischen Grenzen seiner Forschung selbst definieren. Die Forschung kann aber das Wohl und die Freiheit von nicht betroffenen Menschen gefährden. Sehen Sie diese Gefahr nicht?
Reiter: Doch, natürlich. Irgendwo auf der Welt können in Labors gefährliche Organismen untersucht werden. Wenn diese sich unkontrolliert ausbreiten kann das zu fatalen Folgen führen.
Die Forscher müssen mit größter Sorgsamkeit vorgehen. Aber diese Grenze ist schwer zu erkennen, wen man kein Experte in der jeweiligen Disziplin ist. Und selbst als Experte ist es schwer zu sagen, bis zu dem Punkt ist es richtig zu forschen und danach falsch.

Am Europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf wird mit dem Teilchenbeschleuniger LHC im Oktober das teuerste Experiment der Welt zur Enträtselung des Urknalls gestartet. Manche Experten fürchten aus diesem Experiment eine Gefahr für die Welt. Müssen wir solche Risiken als Menschheit eingehen?
Reiter: Es gibt Stimmen zu dem Experiment in CERN welche die Entstehung von sogenannten schwarzen Löchern befürchten. Diese schwarzen Löcher könnten dann letztendlich die Erde „auffressen“. Möglicherweise handelt es sich hierbei um solch einen Grenzbereich, den ich gerade angesprochen habe. Denn es stellt sich die Frage, ob durch dieses Experiment die Menschheit in ihrer Gesamtheit vielleicht ausgelöscht werden könnte.
Der Wissenschaftler kann nun die Entscheidung treffen, mit seiner Forschung an dieser Stelle aufzuhören – so weit – so gut. Aber wir müssen uns immer darüber im Klaren sein, dass irgendwo auf unserem Planeten diese Grenze möglicherweise gerade überschritten wird. Deshalb sind diese ethischen Fragen nicht begrenzt auf Deutschland oder Europa zu betrachten, sondern global für alle Menschen .

Die Programmreihe wurde von dem ZDF zusammen mit der BBC produziert. Inhaltlich unterscheiden sich die Sendungen durch eine unterschiedliche Weltsicht der Produzenten. Die BBC vertritt die Auffassung, das Leben auf der Erde sei einzigartig. Was glauben Sie?
Reiter: Ich bin da ganz pragmatisch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass – bei der Größe des Universums – nur auf der Erde Leben zu finden ist.
Wir versuchen mit immer neuen Teleskopen weiter in das Universum zu schauen und haben noch keine Grenze gefunden. Daher ist es für mich einfach nicht vorstellbar, dass nur hier auf unserer Erde Leben existieren soll und sonst nirgends. Ich glaube, es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir Beweise für Leben außerhalb unserer Erde finden werden.

Wie stehen Sie als Wissenschaftler zu den Entwicklungen, touristische Angebote für das All oder auf anderen Planeten zu entwickeln? Sehen Sie das skeptisch?
Reiter: Ganz im Gegenteil. Ich würde mir wünschen, dass es sehr viel mehr Menschen möglich ist, unseren wunderbaren Planeten aus dieser Perspektive zu sehen. Bei all den Problemen, die wir Menschen hauptsächlich miteinander haben, kann ein solcher Einblick helfen zu erkennen, dass wir im wahrsten Sinne des Wortes alle in einem Boot sitzen. Ich bin fest davon überzeugt, dass dann jedem klar wird: unsere Probleme hier unten können wir nur gemeinsam lösen.

Was glauben Sie, wann können Menschen ihren Urlaub auf dem Mond verbringen?
Reiter: Der Weg zu Weltraumtourismus ist noch sehr weit. Die Vorstöße, die zur Zeit zur Kommerzialisierung der Raumfahrt gemacht werden, sind wichtige, erste Schritte. Aber man darf sich da nicht vertun. Es wird manchmal der Eindruck erweckt, als müsste man den Raumtransport nur kommerzialisieren, und dann sei es nur noch eine Frage von wenigen Jahren, bis Menschen Urlaub auf dem Mond machen können. Leider ist das nicht ganz so einfach, denn ehrlich gesagt: die Entwicklung der Antriebstechnologien von Raketen macht man ja nicht absichtlich teuer. Man versucht sich keinesfalls gegen kommerzielle Tendenzen abzuschotten. Ganz im Gegenteil. Wir suchen nach günstigeren Methoden des Raumtransports. Auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, in dessen Vorstand ich für den Bereich Raumfahrtforschung und –Entwicklung tätig bin, forscht auf diesem Gebiet.

Wenn sie nach diesen Dreharbeiten erneut aus dem All die Erde sehen könnten, würden Sie unseren Planeten anders sehen?
Reiter: Ich würde nach diesen Einblicken viel intensiver nach den Orten schauen, die ich besucht habe. Bei den ersten beiden Missionen habe ich in erster Linie die unglaubliche Schönheit der Erde als Ganzes bewundert. Wir konnten in 24 Stunden 16 Sonnenauf- und Untergänge beobachten und es wurde nie langweilig – selbst nach einem halben Jahr nicht. Die Atmosphäre sieht man immer wieder anders, je nach meteorologischen Verhältnissen. Am Horizont erscheint immer wieder ein anderes Farbenspiel. Sie sehen die Atmosphäre als ganz dünne, zarte Schicht. Diese Anblicke kann man gar nicht mit Worten ausreichend beschreiben.

Was lernt man im Weltall über die Erde?
Reiter: Da gibt es sehr viel zu lernen. Zunächst einmal über den Weltraum, unsere Atmosphäre und über die Erdoberfläche. Gerade vor dem Hintergrund der Klimaproblematik, lässt sich sagen, dass viele unserer Erkenntnisse aus dem Weltraum stammen.

Und für Sie selbst? Welche Sicht auf die Erde war beeindruckend für Sie?
Reiter: Aus dem Erdorbit kann man ganze Kontinente überschauen. Von da aus sieht man gesellschaftliche und politische Prozesse in einem ganz anderen Licht.
Denken Sie an die Europäische Integration, das Zusammenwachsen der EU. Die Maastrichter Verträge sind sicher sehr dick und es stehen viele Worte drin. Ich habe den Wortlaut der Verträge nicht studiert. Aber wenn man von da oben runterschaut und Europa als einen Kontinent sieht, dann fühlt man sich als Teil dieses Prozesses und ist stolz auf die kulturelle Vielfalt, die unser Kontinent zu bieten hat.

Alle guten Dinge sind drei. Werden Sie noch einmal zu einer Mission in den Weltraum starten?
Reiter: Ich stehe jederzeit dafür zur Verfügung. Aber es ist sehr unwahrscheinlich.

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