Herr Vinterberg, der Film „Die Kommune“ basiert zum Teil auf Dingen, die Sie selbst erlebt haben…
Thomas Vinterberg: Ja, ich wohnte seit dem siebten Lebensjahr in einer Kommune und blieb dort, bis ich 19 war. Im Rückblick ist diese Zeit voller goldener Erinnerungen. Die meiste Zeit dachte ich, es ist ein wunderbarer Lebensstil: magnetisch, lebendig, chaotisch, auch schmerzhaft, aber sehr anregend. Und es hat mich als Mensch und Künstler definiert.
Was haben Sie aus der Zeit für Ihren Beruf mitgenommen?
Vinterberg: Als Kind wusste ich schnell, dass alle Menschen zwei Seiten haben: Die, die sie der Welt zeigen möchten und die, die sie vor der Welt verstecken wollen. Nach ein paar Wochen des Zusammenlebens bekommt man beide Seiten mit, aber ich dachte schon als Kind: „Wie ist jemand am Montagmorgen, nachdem er in der Nacht zuvor betrunken war? Was wird passieren?“ Ich begann das zu beobachten und machte das zu meinem Beruf.
Geht es in einer Kommune immer und immer wieder darum, Regeln auszudiskutieren?
Vinterberg: Nein, es geht auch darum, Essen zu machen, auf die Kinder von anderen aufzupassen, Geschichten aus dem Arbeitsleben einer anderen Person zu hören, die Tageszeitung gemeinsam zu lesen und meinen Geburtstag an jedem 19. Mai zu feiern. Alle Kommunen aus meiner Straße, insgesamt 60 Leute, gingen gemeinsam in den Wald und sangen. Natürlich gab es auch Hausmeetings, Demokratie und Konsens, was familiär, unterhaltsam und anregend war, aber manchmal waren die Meetings bedrückend lang. Alle wollten sich einig sein und bis zum Ende alles ausdiskutieren.
Ich glaube, ich war mit 14 reifer als heute.
Sie sagen, es sei auch schmerzhaft in einer Kommune zu leben…
Vinterberg: Es gab zu dieser Zeit den Trend, Kinder einfach machen zu lassen, sie viel allein zu lassen und ihnen als Teenager viel Verantwortung zu geben. Das passierte eigentlich aus Respekt vor uns, aber wir sehnten uns nach unseren Eltern. Wir hatten eine zu große Verantwortung.
In Ihrem Film bestimmt das Schicksal der Kinder über das der Erwachsenen. Geht das auf Ihre eigenen Erfahrungen zurück?
Vinterberg: Der Film ist Fiktion und basiert auf keiner wahren Geschichte, sondern auf einem wahren Gefühl. Wenn die anderen Personen im Raum 20 Jahre älter waren als ich, versuchte ich, die reife Person im Raum zu sein. Wir mussten sehr verantwortungsvoll sein, da die Erwachsenen herumexperimentierten. Ich glaube, ich war mit 14 reifer als ich jetzt bin.
Glauben Sie, dass es eine Chance für eine Beziehung sein kann, in einer Kommune zu leben?
Vinterberg: Ich habe das meinen Vater auch gefragt. Meine Mutter und er sind in eine Kommune gezogen als ich sieben war. Er sagte, sie hätten sich schon früher scheiden lassen, wenn wir nicht eingezogen wären. Sie befreiten sich von dem beklemmenden, unerotischem Gefühl von fehlender Neugierde und von der Falle der Mittelmäßigkeit, in die man in der Ehe fallen kann. Ihre Ehe gewann an Weite. Es kann natürlich genau andersrum sein: Man ist weniger beschützt und weniger fokussiert. Das ist eine Gefahr für eine Ehe.
Ist „Die Kommune“ auch ein Film über das Älterwerden?
Vinterberg: Ich habe wie so viele Angst davor, alt zu werden. Ich war in Los Angeles und da legt sich jeder unter’s Messer. Ich will unbedingt über dieses offensichtliche Problem reden. Ich will auf der Leinwand den Menschen, die Angst davor haben, alt zu werden, zeigen, dass es ein Teil des Lebens ist, alt und faltig zu werden.
In der westlichen Gesellschaft haben wir dem Älterwerden gegenüber ja keinen Respekt mehr und auch Angst davor. In asiatischen oder östlichen Ländern dagegen wächst deine Würde mit dem Alter, je älter du wirst, umso mehr respektieren dich deine Mitmenschen. Wir sollten alte Menschen nicht als Ballast sehen, sondern uns über ihr Wissen und ihre Erfahrung glücklich schätzen.
Ihre Film-Kommune sieht sehr bürgerlich aus. Die Bewohner experimentieren nicht mit Drogen, gehen normalen Berufen nach und abgesehen von der Bierkasse teilen sie nicht viel. Sie sind so brav…
Vinterberg: Nein, das denke ich nicht. Tobias Lindholm (Co-Drehbuchautor, Anm. d. Red.) versuchte, Klischees dieser Zeit zu vermeiden. Was würde man erwarten: politische Diskussionen, Fuck Rooms, nackte Menschen, Lagerfeuer, Cannabis usw. Wir wollten uns darüber hinwegsetzen und ein pures Portrait der Menschen zeichnen. Wir wollten beobachten, wie sie emotional interagieren.
In „Die Kommune“ wirkt es sehr natürlich, dass sie trinken…
Vinterberg: …weil sie in der Kommune keine Säufer waren. Sie torkelten nicht herum. Der konstante Fluss von Bier entspannte sie, sprach ihnen Mut zu und machte sie großzügig. Das war 1975. Jemand schlug vor: „Lasst uns die Miete dem Einkommen gemäß zahlen“. Es war der Mann, der das meiste Geld verdiente. Seine Miete verdreifachte sich.
Dieselben Leute Mitte der 80er: Die Hälfte hat aufgehört, zu trinken. Sie spielten Billard in einer Bar. Als sie die Rechnung bekamen, sagte einer von ihnen: „Ich hatte Mineralwasser, das kostet weniger. Lasst uns getrennt zahlen.“ Dinge haben sich geändert und ich mochte sie lieber, als sie tranken.
Sie verwenden sehr viel Alkohol, wenn Sie Ihre Geschichten erzählen…
Vinterberg: Ja, Alkohol interessiert mich sehr (lacht).
Es heißt, dass Sie im Moment auch an einem Film über Alkohol arbeiten.
Vinterberg: Kein Film über Alkohol, sondern ein Film, der den Alkohol feiert. Der zweite Weltkrieg wurde von einem sehr betrunkenen Mann gewonnen: Churchill. Einige der besten Werke der Literatur wurden unter Alkoholeinfluss verfasst. Wir wissen alle, dass ein Gespräch enorm wachsen kann und der Raum sich weiten kann – zumindest zu Beginn. Wenn man zu viel trinkt, dann redet man nur noch Müll. Ich finde es auch interessant, weil ich weiß, dass man dadurch sterben kann. Menschen in meinem Land sind sehr jung, wenn sie sterben, weil wir zu viel trinken.
Wie soll das aussehen, wenn Sie den Alkohol feiern? Wird es ein Film, in dem ständig getrunken wird?
Vinterberg: Es ist mein Beruf, Geschichten zu schreiben und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Menschen zwei Stunden lang nur betrinken. Da werden schon noch andere Dinge passieren.