Tilo, die Merkel-Jahre begannen unter anderem damit, dass du 2005 die CDU gewählt hast.
Schön, dass ihr mich nochmal daran erinnert. (lacht)
Könnte das wieder geschehen, sagen wir, in den nächsten vier Legislaturperioden?
Ich würde es nicht ausschließen. Es könnte ja sein, dass man eines Tages, falls die AfD eine Mehrheit bekommt, nur die Wahl zwischen Faschismus und einer demokratischen Partei hat. Wenn es am Ende darum geht, dass die demokratischen Parteien jede Stimme brauchen und die beste wählbare die CDU ist, dann muss es halt so sein.
Oder ein anderes Szenario: die Union fliegt aus der Regierung, erneuert sich in der Opposition rundum, wird grüner als die Grünen und sozialer als die Sozialdemokraten. Es kann ja sein, dass es mal eine progressive, christliche Partei gibt.
Das schließt du nach 16 Jahren Merkel also nicht aus.
Nein. In den USA könnten die Demokraten bald von Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez übernommen werden, warum sollte das in Deutschland unmöglich sein? Es gibt in der CDU auch progressive Leute – progressiv für CDU-Verhältnisse – wie zum Beispiel Bianca Praetorius, die bei der „Klima Union“ mitmacht.
Außer durch Wahlergebnisse ist die beste Möglichkeit, die CDU zu verändern, von innen heraus, indem massig Leute eintreten, die sie verändern wollen. In absehbarer Zeit kann ich mir das nicht vorstellen, aber in vier Legislaturperioden – wer weiß?
Merkels Regierungsstil wurde oft als moderierend bezeichnet. Hat das Deutschland in aufgeregten Zeiten gut getan, dass sie eher versöhnend Politik machte?
Moderierend trifft es sicher, aber dass ihre Politik versöhnend war, würde ich infrage stellen – außer es geht um Versöhnung mit der Wirtschaft. Auf der sozialen Ebene dagegen haben wir so viel Ungleichheit wie nie zuvor. Drei Familien in Deutschland besitzen mittlerweile so viel Vermögen wie die unteren 42 Millionen. Als Merkel angetreten ist, gab es zwei Millionen Sozialwohnungen, was damals schon zu wenig war, bis heute wurde die Anzahl auf eine Million halbiert.
Und dass sie Politik eher moderierte…
Ich glaube, das ist keine typische Merkel-Strategie, sondern eine typisch konservative Art, zu regieren. Denn im Grunde wollen die ja nichts verändern, sondern dass alles so bleibt, wie es ist, dass die Machtverhältnisse erhalten bleiben. Vielleicht macht man hier mal ein bisschen mehr für die Wirtschaft, da ein bisschen mehr für den Mittelstand, damit sich niemand aufregt und die Zustimmung bleibt – ja, da moderiert Merkel. Doch das hat auch Kohl schon so gemacht.
Die Pandemie hat uns Merkels Schwächen gezeigt.
Waren die Merkel-Jahre schlechte Jahre?
So pauschal kann man das nicht sagen. Für die deutsche Wirtschaft waren es gute Jahre. Wobei Merkel von den wirtschaftsfreundlichen Reformen ihres Vorgängers profitiert hat, sie musste nicht mehr so viel neoliberale Politik machen, wie sie es vorhatte. Schaut ins Leipziger Programm! In ihrer Regierungszeit hat sie vor allem Vorstöße von der linken Seite, von der progressive Seite abgewehrt. Das haben wir bei der Mietpreisbremse erlebt, beim Mietendeckel, natürlich so lang es ging beim Mindestlohn. Sobald ihr die Sozialdemokraten in der Groko etwas abgerungen haben, hat die Union es wieder verwässert.
Hätte es etwas genützt, wenn die Amtszeit des Kanzlers auf zwei Legislaturperioden begrenzt wäre?
Das weiß ich nicht. Aber wenn die Frage ist, den Status Quo zu erhalten, oder es auf zwei Perioden zu begrenzen, wäre ich für Letzteres. Denn dann könnte es sein, dass sich eine Kanzlerin sagt: ‚Zur nächsten Wahl kann ich ohnehin nicht kandidieren, ich habe nichts zu verlieren, also tue ich jetzt das, was nötig ist, womit ich in die Geschichtsbücher eingehe.‘ Ich hoffe, Merkel hatte das sogar vor, aber dann kam ihr die Pandemie dazwischen, die uns wiederum ihre Schwächen gezeigt hat. Während Corona haben wir gemerkt, dass sie nicht die starke Kanzlerin ist, wie sie uns immer präsentiert wurde: die Landesfürsten haben die Pandemie-Politik bestimmt und Merkel hat in den Seilen gehangen.
Hat dein Respekt gegenüber Merkel mit den Jahren zu- oder abgenommen?
In den letzten Jahren hat er zugenommen, weil ich ihre Konkurrenten, ihre Mitbewerber und Mitbewerberinnen erlebt habe. Da wurde mir klar, dass sie schon ziemlich schlau ist.
Weil sie weiß, wie sie die Konkurrenz in Schach hält?
Nein, weil ich die anderen ziemlich dämlich finde.
Zum Beispiel?
Ich will keine Namen nennen, beziehe das aber nicht nur auf die CDU. Merkel und ihre Beraterinnen wie Eva Christiansen wissen sehr genau, wie Machtpolitik funktioniert. Im Gegensatz zu vielen anderen Politikern kann Merkel zwei Ecken weiterdenken, dafür muss man ihr Respekt zollen. Und am Ende bin ich froh, dass wir sie als Kanzlerin hatten und nicht manch andere Person aus der der Union.
Nun sah es zwischenzeitlich so aus, als wenn die nächste Kanzlerin grün wird…
Ich finde, die Grünen haben sich dieses Jahr entblößt und denen angenähert, die sie jahrzehntelang abgelehnt haben: Anstatt über die Spitzenkandidatur basisdemokratisch zu entscheiden, wie all die Jahre zuvor, haben die Vorsitzenden es ganz konservativ im Hinterzimmer unter sich ausgemacht – das ist die Antithese zu den Grünen. Es war ein großer Fehler, auf einen Vorwahlkampf zu verzichten, in dem sich die Kandidaten sachlich auseinandersetzen hätten können. Noch besser wäre gewesen, sie hätten gar keinen Kanzlerkandidaten aufgestellt, um zu zeigen: ‚Es geht uns um die Sache – und falls wir die Mehrheit bekommen sollten, lassen wir unsere Partei entscheiden.‘
Ich glaube, der Weg, den sie gewählt haben, fällt ihnen jetzt auf die Füße. Selbst wenn es Habeck geworden wäre: Auch er hat seine Schwächen, zudem haben wir eine konservative Medienlandschaft und die konservativen Parteien hätten sich auch auf ihn gestürzt.
Wird Merkel in den letzten Tagen ihrer Amtszeit noch zu dir ins Studio kommen?
Das bezweifle ich stark. Nein, sie kommt nicht mehr.
Seit wann hast du ein Interview angefragt?
Seitdem ich ihren Sprecher Steffen Seibert getroffen habe, 2013. Damals war die Chance vermutlich größer, denn unsere Interviews waren noch kürzer, ich war auch noch ein anderer Typ, habe etwas andere Fragen gestellt, es wäre für sie ungefährlicher gewesen.
Muss man bei Anfragen an die Kanzlerin einen bestimmten formalen Weg beschreiten?
Nein. Man fragt Steffen Seibert ‚Wie sieht’s aus?‘ – und dann sagt er, wenn du keine Chance hast: Schreiben Sie bitte eine Mail.
Das machst du dann auch noch?
Ja.
Glaubst du, dass sie persönlich kein Interview mit dir will oder dass Seibert ihr abrät?
Sie selbst. Seibert ist nicht Teil ihres engsten Zirkels und dieser Zirkel und Merkel sagen dann: Ich gehe zum Beispiel lieber zu Anne Will.
Oder, wie 2015, zum Youtuber LeFloid…
Das war für sie ein Geschenk, denn sie konnte sagen: ‚Ich hab doch Youtube gemacht‘. Nur halt mit jemandem, der noch nie ein Interview geführt hat.
Ihr Team sucht sich bei so etwas lieber jemanden aus, der wenig Ahnung von Politikjournalismus hat. Insofern war es superschlau, das Interview mit LeFloid zu machen. Er hat auch deutlich mehr Reichweite als ich.
Aber du bist im Feld der Politik-Interviewer mittlerweile eine Instanz. Warum kommt sie nicht?
Es hat vermutlich viele Gründe. Erstens hätte ich gerne mindestens 90 Minuten.
Darunter hättest du abgelehnt?
Ja. Mein Ziel ist immer, ein anderes Gespräch zu führen. Von meinen Gästen gibt es meistens schon eine Menge Interviews, daher versuche ich, einen Unterschied zu machen. Mit Merkel ginge das nur, wenn sie mehr Zeit mitbringt – was für eine Regierungschefin schon ein Problem ist. Hinzu kommt, dass ich öfter salzige Finger in Wunden lege, dass ich in vielen Themen drinstecke, entsprechend nachfragen kann und mich nicht mit ein paar Talking-Points abspeisen lasse. Das ist für Merkel politisch risikoreicher, als wenn sie einen Journalisten vor sich hat, der seine Frage abliest, zuhört und dann zur nächsten Frage übergeht. Außerdem duze ich. Ob die Kanzlerin sich duzen lassen würde, weiß ich nicht.
Was konkret machst du anders als Anne Will, die Merkel zwei Mal interviewen konnte?
Ich würde beispielsweise viele Fragen zur Außenpolitik stellen. Auch weil da viele meiner Kolleginnen und Kollegen einen anderen Blick drauf haben. Gerade in den öffentlich-rechtlichen Medien ist man bei dem Thema schon sehr staatstragend, da wird dann bis zum Schluss eher weggeguckt.
Merkel hat den Afghanistan-Krieg damals im Bundestag unterstützt, in ihrer Amtszeit aber immer sehr stiefmütterlich behandelt. Die Katastrophe, die jetzt passiert ist, war im Kanzleramt natürlich vollends abzusehen, da haben nicht nur die Ministerien versagt, sondern auch das Kanzleramt. Generell hat sich Merkel für die Bundeswehreinsätze kaum interessiert.
Auch zu Waffenexporten würde ich in die Tiefe gehen, das Thema kommt in Interviews mit ihr fast nie vor. Und natürlich, wie krass sich die Ungleichheit in Deutschland unter ihrer Kanzlerschaft entwickelt hat.
Hattest du mit Merkel Momente jenseits von Pressekonferenzen, sozusagen ‚off the record‘?
Nein.
Du warst aber mal dabei, als sie ein Flüchtlingsheim besucht hat.
Ich war bei einem Termin mit Geflüchteten dabei vor einigen Jahren, ob das in einer Flüchtlingsunterkunft gewesen ist, weiß ich leider nicht mehr. Ich hätte sie auch gerne mal bei einer Auslandsreise im Regierungsflieger begleitet, aber dazu ist es nie gekommen.
Du hast inzwischen schon sehr viele Spitzenpolitiker und Minister interviewt. Hast du das Gefühl, dass die Akzeptanz deiner Plattform gewachsen ist?
Ja! Olaf Scholz hatte uns vor der Wahl zugesagt, ich hätte ihn auch gerne interviewt. Ebenso haben viele von den Grünen zugesagt, aber in den letzten Monaten haben es sich einige anders überlegt und dann irgendwelche Gründe gefunden, warum sie uns doch kein Interview geben.
Ich war da Anfang des Jahres etwas naiv, ich dachte, wir sind mittlerweile so groß, haben eine gewisse Relevanz in der Öffentlichkeit, so dass vielleicht sogar der CDU-Kanzlerkandidat nicht an uns vorbeikommt. Aber da habe ich mich grandios geirrt, weder Laschet noch Baerbock noch Scholz sind am Ende gekommen. Früher, als wir noch kleiner und irrelevanter waren, kamen die Spitzenkandidat*innen eher zu uns, als jetzt. Das ist schon etwas ernüchternd. Ich dachte, sie kommen nicht mehr an uns vorbei, aber es wollen alle an uns vorbeikommen.
Warum?
Ich glaube, es liegt zum Teil am politischen Status Quo, dass keine der relevanten Parteien von den eigenen Ideen überzeugt ist, sprich sie können sie nicht problemlos verteidigen, wenn ich diese Ideen hinterfrage. Da ist es übrigens egal, ob es Linke, Grüne, Liberale, Konservative oder Sozialdemokraten sind, ich bin zu allen gleich fair und fordernd.
Es kann auch sein, dass uns die Interviews mit Robert Habeck und Susanne Hennig-Wellsow Anfang 2021 ein paar Interview-Zusagen gekostet haben.
Vielleicht war es das ja wert?
Natürlich ist es das wert! Es ist ja auch ein Kompliment an unsere Arbeit, wenn uns der Ruf vorauseilt, ‚gefährlich‘ zu sein. Und ein Interview bei Jung & Naiv bedeutet für die Kandidaten im Wahlkampf, ins Risiko zu gehen, in ein unberechenbares Format. Das muss man sich trauen, man muss selbstbewusst genug sein, wissen, wovon man redet und imstande sein, politische Entscheidungen, die man gefällt hat, erklären zu können.
Aus den Interviews mit Habeck und Hennig-Wellsow gingen kurze Clips vielfach durch die Sozialen Medien. Interessiert dich als Macher Viralität?
Ich kriege das am Rande mit. Bei Hennig-Wellsow hatte zuerst jemand anderes einen Ausschnitt auf Twitter geteilt, in schlechter Qualität und ohne meine Einblendungen. Weil ich weiß, dass virale Clips eine viel größere Masse erreichen, als die langen Interviews, habe ich mich entschieden, selbst einen Ausschnitt hochzuladen, in guter Qualität und mit dem Hinweis, wie man uns unterstützen kann. Das ist mir wichtig, wenn ein Clip potentiell von Millionen Menschen gesehen wird.
Versuchst du in Interviews bewusst thematisch in Bereiche zu gehen, die so ein Viralitäts-Potential haben?
Blut lecken kann ich ganz gut. Ich weiß in der Regel, wo die Schwachstellen sind, die kommen eigentlich in jedem Gespräch vor, ich denke, wir könnten aus jedem Interview der letzten Monate virale Clips herausschneiden – aber wir entscheiden uns meistens dagegen. Dann würde der Eindruck entstehen, dass ich diese Interviews nur führe, um am Ende diese eine Minute hervorzuheben.
Manchmal verstehe ich die Viralität auch nicht: Der Ausschnitt, in dem Habeck über den Fall Assange spricht, ging erst einen Monat nach Veröffentlichung viral. Und im Gegensatz zu Hennig-Wellsow, die in der betreffenden Interview-Passage nicht über eine Kernforderung der eigenen Partei Bescheid wusste, war es bei Habeck kein Moment der Schwäche sondern der Stärke: Ein Parteivorsitzender überlegt zehn Sekunden lang, zweifelt, wägt politisch ab – und sagt dann das Richtige. Für mich war das kein viraler Moment, sondern ein ehrlicher, wo man auch sagen könnte: Das ist Kanzler-fähig, diesem Mann kann man Macht anvertrauen.
Dass die Rechten dann in sozialen Netzwerken daraus einen Schwäche-Moment fabrizieren, sagt eher etwas über deren Verständnis von Politik aus. Für die sollte offenbar ein Politiker nie die Meinung ändern, egal welche Informationen hinzugekommen sind.
In den Kommentaren zu deinen Videos wird hin und wieder die Kritik geäußert, dass du mit konservativen Politikern wie Kai Wegner oder auch mit jemandem wie Hendrik Streeck kritischer umgehst, manche Fragen fünfmal stellst, wozu es bei progressiveren Personen seltener kommt.
Der Vorwurf ist wahrscheinlich berechtigt, aber in der Regel haben Konservative weniger haltbare Positionen als progressive Politikerinnen und Politiker. Die Realität stimmt bei progressiven Parteien mit der Politik, die sie fordern, eher überein als die dystopischen oder utopischen Sachen, die die Konservativen und Reaktionären von sich geben. Und dann ist es als Interviewer meine Aufgabe, klar zu machen: Was hier gerade gesagt wird, ist so nicht haltbar. Wenn der Gast mir dabei hilft und meine Nachfrage dazu beantwortet, lass ich es auch sein – aber in der Regel sind es Profis, die ganz genau wissen, wie sie eine unhaltbare Position, die sie aber politisch vertreten müssen, verschleiern können. Und das führt dazu, dass ich dann mehrmals nachhake. Ich versuche, so explizit wie möglich, dem Publikum klar zu machen, was der Interview-Partner gerade sagt. Bei manchen Themen kann ich aber nicht mit der Tür ins Haus fallen, sondern muss eine Fragen-Eskalations-Kaskade aufbauen. Das ist insbesondere bei gut geschulten Konservativen schwierig – aber notwendig.
In der Pandemie hast du mit Befürwortern der ‚No-Covid‘-Strategie Interviews geführt. Hast du auch überlegt, einen Wissenschaftler wie Klaus Stöhr an den Tisch zu holen, der diese Strategie für „illusorisch“ hält?
Klaus Stöhr hat mich kontaktiert, dass er für ein Interview bereitstünde – und auf Gäste, die sich bei mir bewerben, habe ich erstmal grundsätzlich keine Lust. Wir haben mit Hendrik Streeck gesprochen, mit ihm hätte ich auch gerne noch ein zweites Interview geführt. Ich würde nicht sagen, dass wir die ‚NoCovid‘-Fraktion sehr gepusht haben.
Nein? Lothar Wieler war bei dir, Karl Lauterbach, Elvira Rosert, die Politikwissenschaftlerin hinter ‚NoCovid’…
Lothar Wieler habe ich eingeladen, weil er sonst keine Interviews gibt und ich die Chance hatte, eines seiner seltenen Interviews zu bekommen. Und bei Karl Lauterbach, wo ich bestreiten würde, dass er im Team ‚NoCovid‘ war, ging es im Interview eher um seine Biografie – weil ihm ja immer wieder vorgeworfen wird, er sei kein Epidemiologe. Da war es meine Aufgabe, den Menschen hinter dem Experten im Fernsehen aufzuzeigen, für mich war das kein ‚Team-Vorsicht‘-Interview.
Ich habe einerseits die Durchseuchungs-Strategie der Bundesregierung gesehen und ständig hinterfragt und andererseits das Gefühl gehabt, dass alternativen Strategien zu wenig Beachtung geschenkt wird. Ich habe auch Dirk Brockmann vom RKI eingeladen, weil ich die Art und Weise interessant fand, wie er arbeitet und dass seine Modellierung für 2020 tatsächlich eingetreten ist.
Guckst du auch darauf, wer medial gerade zu wenig repräsentiert ist? Suchst du die Lücke, um sie dann zu füllen?
Seitdem ich den „Aufwachen“-Podcast nicht mehr mache, achte ich nicht mehr so drauf, was in anderen Nachrichten-Sendungen passiert. Aber natürlich kriegt man auch Dinge mit, wie Gäste von Markus Lanz zum Beispiel, wo ich auch Dirk Brockmann gesehen hatte.
Was war denn mit Corona-Skeptikern wie Wolfgang Wodarg oder Michael Ballweg – haben die dich nicht interessiert?
Am Anfang schon, da habe ich mich intensiv mit diesen Personen beschäftigt, musste dann aber feststellen, dass ihre Äußerungen keinen Bezug zu der Pandemie-Realität hatten, die ich selbst erlebt habe. Ich habe mich dazu auch mit einigen Menschen ausgetauscht, denen ich bei so etwas vertraue. Am Ende haben wir uns entschieden, ihnen keine Plattform zu geben.
Wenn ich mit ‚politisch schwierigen‘ Gästen spreche, muss ich in der Lage sein, sie thematisch zu stellen und explizit zu machen, wofür sie stehen. Das hätte ich bei Wodarg vor einem Jahr nicht gekonnt.
Das war dir zu heikel?
Ich war in dem Thema noch nicht genug drin. Am Ende hätte so ein Interview nur dazu gedient, dass Leute sagen: ‚Der war doch bei Jung & Naiv, der muss seriös sein.‘
Wir gehen in der Bundespressekonferenz kritisch mit den Beschlüssen der Regierung um, wir gehen im Interview kritisch mit den Ministern um und wir zeigen Alternativen auf, die keine Corona-skeptischen sind, sondern Positionen, die wissenschaftlich begründet sind und die die Pandemie als Pandemie ernst nehmen. Und die nicht in erster Linie das Wohl der Wirtschaft im Sinn haben.
Wir haben ja gesehen, dass die Politik im Großen und Ganzen das Privatleben eingeschränkt hat, aber nicht das Wirtschaftsleben. Bis heute ist sie dazu nicht bereit. Es gibt eine Testpflicht an Schulen, als Arbeitgeber hast du dagegen nur eine Test-Angebotspflicht. Ich finde, es ist in der Corona-Zeit erneut deutlich geworden, in was für einem kapitalistischen System wir hier leben.
Du hast mal gesagt, dass ihr bei „Jung & Naiv“ anstrebt, möglichst genauso viel Männer wie Frauen zu interviewen. Gibt es noch ähnliche Leitlinien, etwa, dass ihr auch den verschiedenen Parteien gleich viel Raum gebt?
Die 50:50 Quote bei Frauen und Männern streben wir an, ich finde auch, dass wir noch mehr POC-Gäste einladen müssen, bei denen liegen wir noch deutlich zurück, wie generell bei marginalisierten Gruppen.
Und was die Parteien betrifft: Es ist nicht so, dass ich mit keinem AfDler reden will. Nur, seit ich mit Andreas Kalbitz geredet habe, kommt keiner mehr. Wir haben Alice Weidel zur Bundestagswahl mehrfach angefragt, wir hatten in Mecklenburg-Vorpommern die Zusage des AfD-Spitzenkandidaten Nikolaus Kramer, der dann aber plötzlich keinen Termin mehr gefunden hat.
Ich will AfDler nicht oft in der Sendung haben, aber vor der Wahl hätte ich es wichtig gefunden, zum Beispiel Alice Weidel Rede und Antwort stehen zu lassen.
Du bist viel auf Twitter. Wenn du dort eine politische Forderung formulierst, wie „Nord Stream 2 stoppen” – wie ist das einzuordnen?
Es ist belegt, dass Nord Stream 2 nicht gebraucht wird, alle Argumente für diese Pipeline basieren auf einer Studie, die von Nord Stream 2 finanziert wurde.
Bist du mit so einer Forderung noch Journalist oder schon Aktivist?
So ein Tweet ist meine persönliche Meinung und kann meinetwegen auch aktivistisch wirken. Ich plädiere ja genauso dafür, dass in Deutschland keine Atombomben stationiert werden sollten. Macht mich das zum Aktivisten oder ist es eine logische, politische Forderung anhand meines politischen Weltbildes?
Wenn wir das Paris-Abkommen und die Klimaschutzziele unserer eigenen Regierung oder die der europäischen Union ernst nehmen, macht es keinen Sinn, Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen. Der einzige Profiteur ist Gazprom, eine zu hundert Prozent staatliche Firma. Die Pipeline ist eine geopolitische Waffe, die wir uns freiwillig auf die Brust setzen. Das sollten wir nicht tun.
Bei meinen Interviews bleibt meine entschiedene Haltung aber außen vor. Wenn ich Politiker treffe, die die Pipeline stoppen wollen, frage ich genau nach, wie sie das anstellen wollen und wenn Interview-Gäste für die Inbetriebnahme sind, checke ich, was ihre Argumente sind und ob diese gute sind.
Gibt es bestimmte Themen, für die du dich besonders einsetzt, was dann die Interviewpartner-Wahl beeinflusst?
Sicher ist meine Arbeit durch meine Biografie beeinflusst: Da ich in Amerika gelebt habe, interessiere ich mich viel für amerikanische Politik, kenne mich mit der US-Außenpolitik aus, dementsprechend auch mit europäischer Außenpolitik. Und natürlich stecke ich in einem außenpolitischen Thema mehr drin, wenn wir schon in das Land gereist sind und uns vor Ort intensiv mit den Geschichten befasst haben. Wir waren mehrere Wochen in Afghanistan, in Israel und Palästina. Wir waren auch in den USA, wodurch ich zum Beispiel eher absehen konnte, dass Trump 2016 die Wahl gewinnen würde, als wenn ich mich nur in der Medien-Hauptstadtblase aufgehalten hätte.
Der Journalist Hans Leyendecker sagte mal zu dir, seine Mission sei es, Menschen Inhalte zu vermitteln, die man selbst für wichtig hält.
Ja, das ist auch mein Ansatz. Dass wir Interviews führen über Themen, die unser Publikum interessieren sollten. Wenn du dem Publikum gibst, was es hören und sehen will, ist das nicht Journalismus sondern Boulevard.
Das Gute an unserem Finanzierungsmodell ist: Ich muss nicht danach gehen, wie viele Klicks ein Beitrag von uns hat, denn am Ende finanziert uns das Publikum freiwillig. Und die Einnahmen korrelieren nicht mit den Abrufen auf Youtube. Insofern kann ich es mir leisten, zum Beispiel mit der Architektin Annette Hillebrandt über nachhaltiges Bauen zu reden, was in der Öffentlichkeit überhaupt kein Thema, aber super interessant ist. Das Interview hatte nicht viele Abrufe, aber es war wichtig, das gemacht zu haben. Wir haben lieber ein paar Tausend kleine, finanzielle Unterstützer*innen als einen Mäzen.
In welcher Größenordnung bewegt sich denn eigentlich euer Umsatz?
Es ist eine sehr niedrige fünfstellige Summe jeden Monat.
Hast du schon mal ein Interview gelöscht?
Nein, ich lösche nie eines.
Mal eines bereut?
Ich habe 2014 in Israel ein Interview mit Martin Lejeune geführt, über das ich mich im Nachhinein geärgert habe. Denn er hat sich genau zu der Zeit radikalisiert und sich mit den Machthabern in Gaza verbrüdert – hätte ich das gewusst, hätte ich das Interview anders geführt. Lejeune wurde dann auch durch unser Video berühmt und ich glaube, das hat ihm nicht gut getan. Direkt vorab war er u.a. bei der BBC und im Deutschlandfunk aufgetreten, daher schien er mir als Gesprächsparnter geeignet.
Themen zu bringen, die das Publikum „interessieren sollten“ – geschieht das deiner Meinung nach ausreichend bei den öffentlich-rechtlichen Medien?
Es geschieht in den Politikmagazinen wie Panorama, Monitor oder Kontraste, die aber in der Regel keinen Einfluss auf die tägliche Nachrichten-Berichterstattung haben. Das sind Parallelwelten: Von Dokus oder Politikmagazinen werden keine Verbindungen zur Nachrichtenredaktion gezogen. Das erschreckt mich. Im „Aufwachen“-Podcast haben wir das öfter aufgezeigt und ich habe mich gefragt: Gucken die Öffentlich-Rechtlichen ihre eigenen Sachen nicht? Beschäftigt ihr euch nicht damit, was eure eigenen Leute recherchiert haben? Mir scheint, sie lassen sich zu sehr vom Tagesaktuellen beeinflussen und haben morgen schon wieder vergessen was heute berichtet wurde.
Du hast vorhin in Bezug auf die Öffentlich-Rechtlichen das Wort „staatstragend“ verwendet…
…in Bezug auf die Außenpolitik. Innenpolitisch sind die Öffentlich-Rechtlichen sehr heterogen, aber in Sachen Außenpolitik hörst du von ihnen eigentlich nie wirkliche Kritik. Außer in Momenten, wo das Kind schon in den Brunnen gefallen ist – dann wissen dort auf einmal alle, was in Afghanistan passiert ist.
Das konnte man in den letzten Monaten auch in der Bundespressekonferenz (BPK) sehen: Wir haben seit Monaten die Ortskräfte-Problematik angesprochen, d.h. Hans Jessen, Daniel Lücking vom „Neuen Deutschland“ und ich. Doch erst als die Katastrophe in Afghanistan da war, sind die anderen Journalisten auf das Thema eingestiegen.
Du hast mal geschrieben, je „böser“ der Gast, „desto freundlicher“ begegnest du ihm. Wen hast du bislang am freundlichsten befragt?
Mit Alexander Gauland und Beatrix von Storch war ich super freundlich. Gauland habe ich sogar „Alex“ genannt, obwohl er wirklich komisch zu mir war. Er hat die ganze Zeit grimmig nach unten geschaut und mich während des Interviews nicht einmal angeguckt. Zum Glück war es ein Videointerview.
Der deutsche Journalist Billy Six, der unter anderem für die rechte Wochenzeitung ‚Junge Freiheit‘ geschrieben hat, wurde 2019 zweieinhalb Monate in Venezuela inhaftiert – und du hast später den Deutschen Journalistenverband (DJV) kritisiert, sich nicht ausreichend für Sixs Freilassung eingesetzt zu haben. Was wäre, wenn nun Boris Reitschuster in Russland auf einer Demonstration verhaftet wird?
Grundsätzlich gehört es zu den Menschenrechten und der Pressefreiheit dazu, dass man sich für jeden Journalisten und jede Journalistin einsetzt, wenn er oder sie ungerechtfertigt in Haft gekommen ist.
Du würdest also auch bei Reitschuster so ein Engagement fordern?
Natürlich.
Mal ganz naiv gefragt: Was ist der Unterschied zwischen dir und Reitschuster?
Wenn wir in der Bundespressekonferenz Fragen stellen, beziehen wir uns auf die Realität, auf Fakten, auf wissenschaftliche Erkenntnisse und auf das Regierungshandeln. Reitschuster bezieht viele seiner Fragen hingegen aus Verschwörungsmythen und Kreisen, die Wahnvorstellungen hinterherlaufen und wenig mit der Realität zu tun haben. Damit bedient er ein – wie man an den Kommentaren auf seiner Website sehen kann – rechtes bis rechtsradikales Publikum. Diesen Leuten biedert er sich an, weil es seine Kunden sind, die ihm Geld dafür geben, dass er den Regierenden einen mitgibt. Und dafür ist egal, ob das, was er fragt, faktisch unterlegt ist oder ob es Hirngespinste einzelner Personen sind.
Kannst du Beispiele für diese ‚Verschwörungsmythen‘ nennen?
Wir hatten in der Bundespressekonferenz die Lage in Afghanistan, das Schicksal der Ortskräfte, doch für ihn war das erste Thema, wie viele Flüchtlinge kommen und wie die Bundesregierung das verhindern will. Beim Thema Impfen erwähnt er nur Leute, die sich gegen die Kinderimpfung aussprechen, auch allgemein war er immer gegen Impfung.
Er positioniert sich als Märtyrer, als derjenige, der angeblich als einziger kritische Fragen in der BPK stellt, alle anderen sind „Hofberichterstatter“. Nach dem Motto: Nicht er ist der Geisterfahrer, sondern alle anderen!
Das klingt jetzt nach rechtskonservativ, einseitig und überzogener Selbstdarstellung. Wo siehst du bei ihm die Verschwörungserzählung?
Er hat vor der Wahl versucht, die Briefwahl zu delegitimieren, ebenso versuchte er die PCR-Tests zu delegitimieren. Er setzt sich für das belarussische Regime ein, bei der Duma-Wahl in Russland hinterfragt er die belegten Wahlfälschungsversuche. Oder wenn wir in der BPK die Regierung kritisch befragen, warum sie die Pandemie nicht ernst nimmt und Maßnahmen verschleppt, behauptet er, dass wir die Regierung dazu bringen wollen, endlich wieder die Freiheiten einzuschränken und eine Diktatur zu errichten.
Spricht er von „Diktatur“?
Er muss es nicht so explizit sagen, meistens vermeidet er dieses Wort sogar, aber er berichtet so, dass bei seinem Publikum nur ankommen kann: Wir leben in einer Diktatur und Boris Reitschuster ist der Einzige, der noch die Fahne eines kritischen Journalisten hochhält.
Hast du mal das Gespräch mit ihm gesucht? Ihr lauft euch doch regelmäßig über den Weg.
Nein, das bringt nichts. Damit wertet man ihn nur auf, als ernsthaften Gesprächspartner. Und das ist er nicht. Wir befinden uns ja nicht nur in einer massiven Klimakrise, sondern auch in einer Demokratiekrise und Reitschuster will seinem Publikum weismachen, wie falsch unsere demokratischen Institutionen sind, dass sie ständig lügen – das ist eine Strategie der Neuen Rechten. Zuletzt versuchte er mit einer „Frage“ in der BPK der Bundesregierung eine Mitverantwortung für den Mord an einem Tankstellenwart in Idar- Oberstein in die Schuhe zu schieben.
Ich habe mit vielen anderen Kollegen inhaltliche Probleme, weil ich einen anderen Journalismus mache. Aber was Reitschuster in der BPK macht, ist kein Journalismus.
Es gibt keine Fragen, die Reitschuster stellt, die deiner Meinung nach richtig sind?
Klar ist nicht alles falsch, was er macht, ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn. Ja, wir haben Korruptionsfälle im Parlament, in der CDU und in der Bundesregierung. Aber das heißt nicht, dass die ganze Regierung und das ganze Parlament korrupt sind. Genau das will er aber aufzeigen. Weil es in unserem System einzelne Fälle von Unrecht gibt, leben wir aus seiner Sicht in einem Unrechtsstaat. Das ist falsch.
Du unterstellst Reitschuster hier viel Böswilligkeit. Glaubst du nicht, dass du im persönlichen Gespräch andere Motive herausfinden würdest?
Vielleicht. Aber das ist mir egal.
Außerdem würde er alles auswerten, er würde darüber berichten und es falsch wiedergeben. Diese Erfahrung habe ich bereits gemacht, als ich ihn einmal ansprach und darauf hingewiesen habe, dass etwas nicht stimmte, was er über mich geschrieben hatte.
Gehört es zur Pressefreiheit dazu, dass Reitschuster seine Fragen in der Bundespressekonferenz stellen darf?
Es gehört nicht zur Pressefreiheit dazu, dass Reitschuster Mitglied der BPK sein muss. Nur weil du dich als Teil der Presse wähnst, bist du nicht automatisch berechtigt, Teil der BPK zu sein. Und wenn deine Arbeit nicht mit dem Pressekodex vereinbar ist, weiß ich nicht, ob diese dann trotzdem mit der BPK-Satzung vereinbar ist.
Die Bundespressekonferenz ist ein Verein, könnte ihn demnach per Mehrheitsvotum ausschließen, wenn er wirklich so eine Gefahr ist…
Keine Ahnung, ob das tatsächlich geht. Es gibt einige Mitglieder der BPK, die für einen Ausschluss stimmen würden. Aber es muss juristisch handfest sein.
Du hast Reitschuster eine Rechnung für elf Sekunden Videomaterial geschickt, über 2000 Euro. Gibt es da wirklich keine anderen Wege?
Ich fand es unfassbar frech, wenn er ein Spendenaufrufvideo einstellt, mit Material von jemandem, den er selbst bekämpft. Ich bin bei ihm das Feindbild. Und das ging mir einen Schritt zu weit, dass er unser Material ungefragt benutzt hat. Wir haben die üblichen Preise für Nutzungsrechte und die zusätzlichen Anwaltskosten in Rechnung gestellt.
Der Kolumnist Jan Fleischhauer sagte bei einer Diskussion 2021 auf den Medientagen Mitteldeutschland „Reitschuster ist das, was Tilo Jung früher war“, weil er in der BPK provoziere und Fragen stelle, bei denen sich andere die Haare raufen. Ist da was dran?
Das sagen Kollegen, die nicht verstehen, was wir all die Jahre in der BPK gemacht haben. Wir wollen aufzeigen, wie transparent die Bundesregierung arbeitet und wie sie informiert. Es mag provokant sein, wie wir dieses Forum genutzt haben und die Bundesregierung eben nicht nur gefragt haben, wann und wo ein Bundeswehreinsatz stattfindet. Sondern wir fordern auch das Warum ein und fragen so oft nach, dass es manchmal zu peinlichen Momenten kommt.
Reitschuster macht etwas komplett Anderes: Er bringt zumeist Desinformation und Propaganda ein und schlachtet die Antworten anschließend aus. Das ist kein journalistisches Interesse, sondern ein rechtsradikales Muster. Jene Rechtsradikalen, die den Umsturz des Systems fordern, brauchen dazu genau solche Leute wie Reitschuster, die jeden Tag ‚beweisen‘, wie korrupt und wie falsch unsere Institutionen sind und arbeiten.
Reitschuster hat in der Corona-Zeit immer wieder von Demonstrationen berichtet. Gehst du auch auf Demos?
Nein. Erstens beschäftige ich mich den ganzen Tag mit Politik und zweitens ist es mein Job, die Leute darüber zu informieren, warum sie demonstrieren können oder sollten.
Würdest du sagen, die Bundesregierung ist in den Jahren, die du in der BPK sitzt, transparenter oder intransparenter geworden?
Weder noch. Es gibt dort eine interne Logik, die sie nicht aufbrechen können. Ich kenne ja nur die Regierung unter Merkel und da geht es nicht anders – so sind die halt, sie haben all die Jahre so gearbeitet und es hat für sie funktioniert.
Wir stören am Ende nur die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung, kratzen die PR an und zeigen auf, dass vielleicht doch nicht alles so toll ist, was sie erzählen. Wenn sie Kabinettsbeschlüsse verkünden ist es meine Aufgabe, zu hinterfragen, was sie im Kabinett gemacht haben und lasse sie das auch begründen.
Das Setting im „Jung & Naiv“-Studio erinnert an Interviewformate wie zum Beispiel die „60 Minutes“-Interviews von Charlie Rose. Gehört er zu deinen Vorbildern?
Charlie Rose mochte ich früher, mit dem bin ich aufgewachsen. Genauso wie mit Sandra Maischberger, als sie noch bei N-TV getalkt hat, fünf Tage die Woche, das hat mich fasziniert.
Und der alte Steven Colbert war ein Vorbild. Er hatte sich damals für den „Colbert-Report“ die Figur eines Rechts-Außen-Moderators a la Fox News ausgedacht und in dieser Rolle Interviews geführt. Da habe ich gemerkt: Wenn der Gast nicht weiß, was als nächstes kommt, weil du als Interviewer nur eine Figur spielst, dann kannst du dir mehr erlauben als ein ’normaler‘ Journalist. Das ist ein wunderschönes Stilmittel und brachte mich auf die Idee zu der naiven Reporterfigur bei „Jung & Naiv“.
Jan Fleischhauer sagte auch über dich, du seist „gereift“. Kannst du damit etwas anfangen?
Klar bin ich gereift. Man lernt ja immer mehr dazu, verfeinert seine journalistischen Techniken, sowohl in der BPK wie auch in Interviews. Da gebe ich ihm recht und man merkt es u.a. auch an meinem Interview mit Jan Fleischhauer, wo er sich nackig gemacht hat.
Einer deiner ersten Interview-Partner war Markus Beckedahl, der heute die Finanzen seines ebenfalls spendenfinanzierten Vereins Netzpolitik.org detailliert offenlegt. Könnte das ein Vorbild für Jung & Naiv sein?
Wir sind ein so kleines Team, das würde sehr genaue Rückschlüsse darauf zulassen, was wir hier verdienen. Wir haben uns intern dagegen entschieden. Netzpolitik legt die Zahlen auch offen, weil sie gemeinnützig sind.
Siehst du Jung & Naiv als gemeinnützig?
Im Grunde schon. Ich glaube auch, dass wir das machen, was ich eigentlich vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk erwarten würde. Jung & Naiv ist in meinen Augen ein zutiefst öffentlich-rechtliches Format.
Du hast schon mal eine Pilotsendung für das ZDF gedreht, die der Sender schließlich nachts versendet hat. Bist du noch offen für eine Zusammenarbeit?
Natürlich. Allerdings müsste das auch zu unseren Bedingungen sein. Ich will zum Beispiel nicht erstmal fragen müssen, ob ich einen bestimmten Gast einladen oder ob ich zu diesem oder jenem Thema etwas machen darf – darauf habe ich keine Lust. Am Ende entscheide ich, mit wem ich über welches Thema spreche.
Ist Youtube für dich noch das beste Zuhause?
Ja, aber nicht uneingeschränkt. Dadurch, dass wir nicht von Werbung abhängig sind, ist es mir zum Glück egal, wie die Werbebedingungen sind und für welche werbe-unfreundlichen Inhalte Youtube uns möglicherweise entmonetarisieren würde. Youtube ist aber immer noch die größte Videoplattform der Welt, da wäre es töricht von uns, dort nicht zu sein. Wir veröffentlichen alle Folgen aber auch als Podcast kostenlos. Selbst wenn Youtube uns sperren würde, wäre das für uns noch keine Katastrophe.
Im Zuge der Corona-Pandemie sind immer wieder Youtube-Videos mit einer kritischen Meinung zu den Corona-Maßnahmen gelöscht worden, zum Teil auch ganze Kanäle.
Youtube, Google und Facebook sind Unternehmen, die im digitalen Zeitalter kritische Infrastruktur zur Verfügung stellen. Deshalb sollten sie auch – wie andere öffentliche Infrastruktur-Anbieter – auskunftspflichtig sein, was die Begründung von Sperrungen betrifft. Aktuell berufen sie sich immer darauf, dass sie ein Privatunternehmen sind.
Man sieht, dass sie jetzt bei Corona-Leugnern und Querdenkern durchgreifen und Kanäle sperren – aber nur, weil gerade öffentlicher Druck da ist. Ansonsten sind sie bei Verschwörungstheorien nicht konsequent, sondern lassen viel Verschwörungsmist wie zum Beispiel Flacherde-Videos auf ihrer Plattform.
2015 hast du bei einer Podiumsdiskussion geäußert, du würdest aus dem Journalismus aussteigen…
Das war Spaß, nachdem ich gerade einen Shitstorm hinter mir hatte.
Aber hast du manchmal noch den Gedanken, etwas Anderes zu machen?
Ich kann mir immer wieder vorstellen, dass der Punkt kommt, wo ich keine Lust mehr drauf habe. Oder wenn jetzt in den nächsten vier Monaten Steinmeier, Merkel, Putin und Obama zu „Jung & Naiv“ kommen – dann hätte ich all meine Traumgäste abgearbeitet und sag mir vielleicht: Jetzt kommt etwas Anderes, jetzt will ich mal Geld verdienen. Das will ich mir offen lassen.
Als Mitglied der BPK könntest du theoretisch auch die Pressekonferenzen leiten, oder?
Als Mitglied im Vorstand, ja. Ich habe auch in den vergangenen Jahren bei der Mitgliederversammlung kandidiert, Teil des Vorstandes zu werden – und bekam stets die wenigsten Stimmen. Aber ich habe einen langen Atem.
Andererseits könntest du dann keine Fragen mehr stellen.
Naja, es würde bedeuten, dass ich alle sechs Wochen drei Regierungspressekonferenzen leite – das würde würde ich mir zutrauen. Und Fragen stellen dann halt die anderen.
Merkels Sprecher Steffen Seibert war ja früher auch Journalist…
Ich werde niemals Sprecher eines Politikers oder einer Politikerin, das habt ihr hiermit auf Band. Ich glaube, das wird auch nie irgendjemand wollen.
Okay, eine Ausnahme würde ich machen: Wenn Jürgen Todenhöfer Kanzler wird.
Letzte Frage: Wo wirst du gerne gesiezt?
Auf dem Bürgeramt.
[Das Interview wurde am 31.08. geführt, die schriftliche Fassung entstand im September 2021.]
Noch nie ein solch Naiv- Inkompetentes „Zeitgeistgeschwurbel“gelesen,deine eitle Serlbstdarstellung kann ich mir nur erklären ,weil du als Studienabbrecher versuchst deine Minderwertigkeitskomplexe zu kompensieren.Dies funktioniert ,weil du nicht ungeschickt ,die Weltfremden naiven Vorstellungen einer entpolitisierten Generation bedienst,(Jung und Naiv eben).Diesbezüglich kann man dir ein gewisses Geschick nicht absprechen.Mehr kann ich zu deiner „Arbeit“leider nicht sagen,daß ist bedauerlich und wird sich leider auch nicht mehr ändern,da dir, die auch für den Journalismus nötige Expertise und Breite einer soliden Ausbildung fehlt.Ich bezweifel überhaupt, diese Tätgkeit als Journalismus bezeichnen zu können. Nach meinem Eindruck ist es eher Zeitgeistsurfen. Dein „Geschäftsmodell“wird nicht nachaltig tragen,versuchs doch mal mit Arbeiten…
Ich kann mich dem Kommentar von Herrn Lux nur anschließen und möchte ergänzen, wie entsetzt ich darüber bin, über einen anderen Menschen so schlecht zu sprechen. Welcher Mangelzustand verbirgt sich hinter Tilo Jungs Aussagen uns Verhalten? Einfach traurig, dass Sie eine Plattform haben uns sicherlich Zugang zu vielen jungen Menschen.
Uff und Holla-die-Bullshitfee! Trollunwesen, dessen Rechtschreibung und Zeichensetzung allein eigentlich volle Nichtbeachtung verdient, aber inhaltlich so krumm, dass ich das selbst nach einem Jahr nicht unkommentiert hier stehen lassen mag.
Erstens: Abgebrochenes Studium (oder wie in Jungs Fall Studia) sind keine Schande und tatsächlich ist ein Einblick in verschiedene Bereiche eine gute Voraussetzung für das, was in Deutschland als orthodoxe Journalisten-Karriere gelten könnte. Früher war ein abgebrochenes Studium fast schon die Regel in Redaktionen.
Zweitens: Die Vorstellung, es bedürfe einer geregelten „Ausbildung“, die zur Ausübung des Berufs als Journalist erst berechtige, ist etwas verquer. „Journalist“ ist keine geschützte Berufsbezeichnung und das hat Gründe (unter anderem sichert es die Unabhängigkeit journalistischer Berichterstattung). Welche Art von „solider Ausbildung“ sollte das auch sein, die „nötige Expertise und Breite“ generieren möge? Journalistenhochschulen, die einzigen, mit dem Berufsfeld direkt verbundenen Ausbildungsinstitutionen, sind eher Stahlbäder, in denen Überleben (und stressresistente Textproduktion) gelernt wird, aber „Expertise und Breite“, was immer man sich darunter vorstellen soll, wird da nicht erreicht. Ist da auch gar nicht das Ziel. Wer nicht vorher schon über ein breites Allgemeinwissen verfügt, kommt in so eine Journalistenschule gar nicht rein.
(Die Forderung nach einer Art Gatekeeping im Journalismus verträgt sich btw überhaupt nicht mit der hier nicht expliziten, aber im Kommentar darunter mitschwingenden Stoßrichtung der Angriffe: Wenn es „geregelte“ Ausbilungshürden gäbe, deren Überwindung erst berechtigten, in Deutschland „Journalismus“ betreiben zu dürfen, dann wäre die mediale Landschaft noch stromlinienförmiger, als Kreise dies bereits behaupten. Und jemand wie Reitschuster wäre dann auch kein „Journalist“. Der hat nämlich auch keine breite und solide Ausbildung absolviert.)
Drittens: „Arbeit“. Oh Arbeit. Was ist denn eigentlich Arbeit? Schwierig zu fassender Begriff, aber im verbreitetsten Verständnissinne muss wohl eine Tätigkeit darunter verstanden werden, die Geld erwirtschaftet. Man mag jetzt über bestimmte „Geschäftsmodelle“ dieses oder jenes denken, aber was Jung da macht, fällt definitiv unter Arbeit, ob es jetzt Journalismus ist oder Zeitgeistsurfen.
DANKE!
Super gutes Interview, danke!
Danke dir!