Tim Oliver Schultz

Da sind komische Sachen in meinem Kopf passiert.

Tim Oliver Schultz steht seit seinem elften Lebensjahr vor der Kamera und hat seit „Club der roten Bänder“ eine große Fangemeinde. Nun gibt es zum Serienerfolg den Kinofilm "Club der roten Bänder - Wie alles begann") und im TV-Film „Song für Mia“ spielt Schultz einen Musiker, der erblindet. Ein Interview über Dreharbeiten mit geschlossenen Augen, Gesangstraining, Instagram-Berühmtheiten und eine kaputte Uhr.

Tim Oliver Schultz

© J. Krause-Burberg / ARD Degeto / Constantin Television

Tim, im Film „Song für Mia“ spielst du einen jungen Musiker, der sehr viel Wert auf sein äußeres Erscheinungsbild legt. Wie wichtig sind dir Äußerlichkeiten?
Tim Oliver Schultz: Ich bin keiner, der lange vor dem Spiegel steht und sagt, da muss noch ein Haar gezupft werden. Ich freue mich, wenn ich aus dem Haus komme und die Hose nicht allzu zerrissen ist und das Shirt keine Flecken hat. Natürlich wäre es gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich keine eitle Seite habe, weil ich als Schauspieler stark darauf achten muss, wie ich aussehe. Meine Frisur orientiert sich immer an meiner nächsten oder letzten Rolle und auch meine Hautfarbe und körperliche Fitness muss zum nächsten Film passen. Damit muss ich mich beschäftigen, aber das tue ich in erster Linie beruflich.

Wie viel Zeit verbringst du denn normalerweise vor dem Spiegel?
Schultz: Heute habe ich zum Beispiel keine Sekunde in den Spiegel geschaut. Ich war ein bisschen spät dran, habe nur geduscht, Zähne geputzt, Creme ins Gesicht und dann musste ich auch schon los.

Wie wichtig glaubst du, ist dein Äußeres für dein Fortkommen in der Film- und TV-Branche?
Schultz: Es ist nicht so, dass ich möglichst gut aussehen muss, oder möglichst dick oder dünn sein muss, um in der Branche gut dazustehen. Ich bin aber bereit mich mich mit allem, also nicht nur gedanklich, sondern auch mit meinem Körper und meinem Look auf meine Rolle vorzubereiten.

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Meine Ambitionen sind groß und wenig konkret.

Tim Oliver Schultz

Glaubst du, dass die steigende Nutzung von Instagram dazu führt, dass die Menschen mehr auf Äußerlichkeiten fokussiert sind?
Schultz: Es gab immer Gründe, warum Menschen auf Äußerlichkeiten fixiert sind, aber ich denke schon, dass die sozialen Netzwerke und die ständigen Selfies Auswirkungen darauf haben, wie man aussehen will und wie viel Wert man auf sein Äußeres legt. Wenn ich sehe, wie viele Leute im Alltag die ganze Zeit Fotos von sich machen, sich mit sich selbst beschäftigen, sich gegenseitig bewerten – das war vor einigen Jahren bestimmt noch nicht der Fall.

Du hast in einem Interview 2017 mit der „Welt“ gesagt, dass du nicht verstehen kannst, wieso Menschen zu Stars werden, die lediglich Bilder posten. Inzwischen hast du selbst über 200.000 Follower bei Instagram. Verstehst du es jetzt?
Schultz: Ich frage mich nach wie vor, was viele dieser Leute gemacht haben, um so viel Aufmerksamkeit zu bekommen, weil ich es häufig einfach nicht weiß, da ich kein großes Interesse an so etwas habe. Manchmal kenne ich die Gründe, kann es aber immer noch nicht nachvollziehen.

Wozu nutzt du selbst Instagram?
Schultz: Ich nutzte Instagram, um das preiszugeben, was ich selbst von mir preisgeben möchte. Und nicht darauf zu warten, bis mich irgendjemand fotografiert und Spekulationen losgehen. Ich weiß, dass es durch meinen Beruf als Schauspieler eine Fan-Base gibt, die sich gerne darüber informiert, was ich so mache. Diesen Menschen möchte ich gerne einen von mir bestimmten Zugang zu meinem Leben geben, einen gewissen Kontakt mit ihnen pflegen und Aufmerksamkeit für Dinge schaffen, die mich bewegen und interessieren. Ich gebe Sachen von mir persönlich preis oder berichte von tollen neuen Projekten und Organisationen, die mich beschäftigen.

Nutzt du Instagram auch zur Inspiration? Folgst du vielen Kollegen aus der Branche?
Schultz: Ich folge immer wieder Menschen aus der Branche, wenn ich mich mit ihnen verlinken möchte, aber ich bin niemand, der ständig den Newsfeed checkt. Ich habe nicht das Bedürfnis, von jemand anderem zu wissen, was er die ganze Zeit macht, das ist nicht so mein Ding.

Zurück zu „Song für Mia“: Wenn du vor die schwierige Wahl gestellt werden würdest, deinen Sehnerv oder dein Gehör zu behalten, wofür würdest du dich entscheiden?
Schultz: Ich stelle mir beides sehr schwierig vor und möchte mich da auch nicht entscheiden.

Nach einem geplatzten Aneurysma im Kopf erblindest du im Film, was ihr am Set mit einer Schlafmaske versucht habt nachzustellen. Was ist das für ein Gefühl? Wie authentisch kann man überhaupt einen Blinden spielen?
Schultz: Ich habe es versucht und fand es wahnsinnig schwer. Seit dem Tag, an dem ich diese Rolle angeboten bekommen habe, habe ich mich damit beschäftigt, wie es wohl ist, nicht mehr sehen zu können. Ich bin mit geschlossenen Augen durch die Gegend gelaufen und habe mich führen lassen. Ich fand es krass, wie sich der Raum verändert, wenn man nicht sieht, ich hatte überhaupt keine Vorstellung mehr von Größen und dachte, die Leute in meiner Umgebung wären ganz klein oder ganz riesig, da sind komische Sachen in meinem Kopf passiert. Wir waren auch einmal in einem Dunkelrestaurant, in dem sich meine Wahrnehmung nach ein paar Minuten komplett verändert hat.

Hat sich dadurch auch deine Art zu Schauspielern verändert?
Schultz: Auf jeden Fall. Bei vielen Szenen habe ich die anderen Schauspieler erst im Nachhinein spielen sehen, weil ich sie ja während der Probe und beim Dreh nicht sehen konnte. Das ist ein komisches Gefühl, die komplette Szenerie dann erst im Nachhinein auf dem Bildschirm zu sehen.

Im Film wird deine Blindheit komplett geheilt. Real sind die Chancen, nach solch einer Erblindung das Augenlicht wieder zurückzugewinnen, jedoch verschwindend gering. Samstagabend 20:15 Uhr schauen viele Menschen zu: Macht der Film Betroffenen und Angehörigen nicht etwas zu viel Hoffnung?
Schultz: Ich glaube, dass die Menschen, die Sebastians Schicksal teilen, Kontakt mit ihren Ärzten haben und hoffe, dass sie ihre Möglichkeiten auf Heilung gut einschätzen können.

Szene aus "Song für Mia", mit Sophie von Kessel © Jacqueline Krause-Burberg / ARD Degeto / Constantin Television

Szene aus „Song für Mia“, mit Sophie von Kessel © J. Krause-Burberg / ARD Degeto / Constantin Television


Wenn man sich mit Blinden unterhält, wie z.B. Bocelli oder Joana Zimmer, wird einem schnell klar, dass diese Nicht-Sehenden keinen Wert auf Status-Symbole legen. Wie ist das bei dir, was sind deine Status-Symbole?

Schultz: Ich habe keine Gegenstände, die ich mit mir rumtrage, die besonders großen, finanziellen Wert haben. Keine Markenklamotten mit Logo oder Ähnlichem. Ich trage eine sehr schöne, fast schon antike Uhr, die ich geschenkt bekommen habe. Die ist leider vor 3 Jahren irreparabel kaputt gegangen, aber da ich sie so toll finde, trage ich sie einfach trotzdem weiter, auch wenn sie nur zweimal am Tag richtig geht (lacht). Ansonsten trage ich einen 10Euro- Ring, den mir ein Freund geschenkt hat und ein Lederarmband von einem Fan. Ich habe mir in meinem Leben auch wenig teure Klamotten gekauft. Tatsächlich überlege ich ständig, meine Wohnung auszumisten, Sachen wegzuschmeißen oder zu verschenken. Bei Schallplatten, Büchern oder DVDs fällt es mir jedoch besonders schwer, weil ich damit oft Emotionen verbinde.

Bist du ein Minimalismus-Fan?
Schultz: Momentan werden ja ganze Bücher über den Minimalismus geschrieben und es entwickelt sich zu einer Art Trend in der Gesellschaft. Ich finde es einfach nur befreiend, ab und zu richtig aufzuräumen. Wenn man ganz viele Tüten und Müll, volle Koffer und irgendwelche Sachen hinter der Tür hat, die immer offen steht, dann ist das natürlich belastend. Es fühlt sich nicht gut an, wenn man nicht weiß, was alles in einem Schrank ist. Als Gegenkonzept einen kleinen Schrank in einem übersichtlichen Zimmer zu haben, in dem sich wenig Dinge befinden, die man auch wirklich alle braucht – das ist für mich ein tolles, befreiendes Gefühl.

Der Film-Song „Es braucht Zeit“ stammt von Jens Schneider, der auch viel für Max Giesinger schreibt. Ist zum Beispiel Giesinger auch die Musik, die du privat hörst?
Schultz: Ehrlich gesagt bin ich immer wieder überrascht, dass es dann doch moderne Pop-Musik gibt, die mir gefällt. Denn eigentlich höre ich vor allem ältere Sachen, ich habe viele alte Schallplatten zu Hause, Jazz-Klassiker, Bob Marley oder Beatles, sowas ist eher meine Musik.

Du hast die Lieder, die im Film zu hören sind, selbst aufgenommen. Brauchtest du Gesangsunterricht oder klappt das von ganz alleine?
Schultz: Ich habe für den Film „Systemfehler“ zum ersten Mal mit dem Gesangslehrer Robert Matt zusammengearbeitet, der dann meinte, das würde sich gut anhören – was ich zuvor noch nie über meine Stimme gehört hatte. Da dachte ich mir: Schauen wir mal was dabei rauskommt (lacht). Seitdem habe ich bei sechs Filmen mit Robert zusammengearbeitet. Bei „Song für Mia“ habe ich auch während des Drehs ständig Gesangsübungen gemacht und jeden Abend im Fitnessraum vom Hotel Gitarre gespielt und gesungen, und trainiert. Diese Art von Vorbereitung liebe ich. Beim nächsten Film spiele ich einen Fußballspieler, das heißt der Ball wird jetzt in Zukunft sehr wichtig.


Vor 20 Jahren hast du das erste Mal vor der Kamera gestanden. Von wem hast du in dieser Zeit am meisten gelernt, welche Kollegen am Set haben dich geprägt oder inspiriert?

Schultz: Ehrlich gesagt gibt es da jetzt nicht die eine Person, von der ich sagen könnte: Der hat mir das Laufen beigebracht. In der Schulzeit waren die ersten Rollen auch eher ein Hobby für mich. Damals habe ich mich auch nicht mit Schauspieltheorien oder so was beschäftigt. Ich wusste, was ich will, habe dem Regisseur zugehört und es dann einfach gemacht.
Natürlich habe ich viel von Kollegen gelernt, indem ich mit ihnen gesprochen, ihnen
zugeschaut und sie ab und zu ausgefragt habe. Jürgen Vogel zum Beispiel hat mir sehr viel Gelassenheit und Selbstvertrauen mitgegeben. Am Ende ist es aber ein laufender, nie endender Prozess. Ich würde niemals sagen, dass ich angekommen bin. Ich versuche neugierig zu bleiben, zu beobachten und natürlich Neues, für mich Hilfreiches dazu zu lernen und meinen Weg zu finden.

Nach dem Serienerfolg „Club der roten Bänder“ hast du in einem Interview mal gesagt, du hättest dir aufgrund der gestiegenen Popularität ein neues „Ich“ schaffen müssen, dass mit dieser Öffentlichkeit umgehen kann. Wie macht man das?
Schultz: Es gibt natürlich ein privates Ich, der Tim, der morgens verpennt aufsteht, seine Träume sortiert und nach einem halben Liter warmen Wasser ziemlich schnell gut drauf ist. Der hat seine Freunde und seine Familie, seine komischen Riten und Macken.
Dann gibt es die Figuren, die ich in Filmen verkörpere; diese unterschiedlichen Charaktere, die ich mir anziehe und aneigne und mit deren Wünschen, Träumen und Ängsten ich mich dann ständig beschäftige. Und dann gibt es das Dazwischen, was die Öffentlichkeit wahrnimmt. Dieses Öffentlichkeits-Ich ist eine fließende, gemischte Persona, aus vielen verschiedenen künstlichen und realen Geisteszuständen, mit denen man sich so beschäftigt.

Können einem diese vielen Ichs auch mal zu viel werden?
Schultz: Auf jeden Fall. Viele Menschen, die so in der Öffentlichkeit stehen, neigen dazu, zu vergessen, wer sie wirklich sind. Ich glaube, dass ich da bisher immer ganz gut differenzieren konnte.

Neben dem Schauspiel-Beruf studierst du Filmproduktion an der deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Warum? Braucht Deutschland bessere Filmemacher?
Schultz: Ich habe gar nicht an die Leute gedacht auf die ich losgelassen werde, sondern an mich selbst und an das, was ich möchte (lacht). Ich schreibe und entwickle wahnsinnig gerne; habe bereits Filme produziert, mich mit Büchern und Regisseuren auseinandergesetzt und das möchte ich auch in Zukunft machen. Ich möchte diese Seite von mir einfach ausleben. Manche Freunde sind genervt, wenn ich während Gesprächen in Filmen denke und sage: diese Geschichte oder jene Szene müsste verfilmt werden! Oder: In einem Film würde dir das niemand abkaufen. Das motiviert mich, es zu versuchen… Im Moment arbeite ich an meinem ersten eigenen Serienkonzept. Das ist ein wahnsinnig spannender Prozess!

Was möchtest du als zukünftiger Produzent für Geschichten erzählen?
Schultz: Im Prinzip ähnliche Geschichten, wie ich sie gerne spiele. Ich möchte unterhalten, aber die Leute auf jeden Fall auch herausfordern. Milieus kreieren, die zum Denken anregen, einem ganz neue Welten zeigen und im besten Fall dazu führen, dass man sich mit Fragen, Menschen oder Gegenden beschäftigt, mit denen man sich bisher noch nie beschäftigt hat. Immer schon habe ich das Ziel Ungerechtigkeiten aufzudecken. Eine Bühne für Unterschätzte… Sie sehen, die Ambitionen sind groß und wenig konkret.

Du bist in deiner Freizeit leidenschaftlicher Koch. Wie wichtig ist die eine gesunde Ernährung? Verzichtest du auch auf schnelle Kohlenhydrate, wie in „Song für Mia“?
Schultz: Wenn es die nächste Rolle bedarf oder ich mich gerade danach fühle auf jeden Fall. Manchmal brauche ich aber am Set auch ein Stück Schokolade, irgendwas mit Zucker. Für die Rollen beschäftige ich mich extrem intensiv mit meinem Körper und mache viel Sport. Aber auch privat ist es so, dass ich sage: Morgens viel Wasser und Yoga und eine gesunde Ernährung sind extrem wichtig, um sich wohlzufühlen. Zum Kochen gehört auch, dass ich weiß, woher die Produkte kommen, die ich verwende und konsumiere. Wenn ich dafür eine Aufmerksamkeit schaffen und Menschen klar machen kann, dass Fast Food leider nicht geil ist, dann ist das schon ein großer Gewinn.

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