Herr Renner, der „Echo“ gilt in Deutschland als der bekannteste Musikpreis, doch nach welchen Kriterien er vergeben wird, ist dem breiten Publikum nicht bekannt. In seinen „Regularien“ (pdf-Link) nennt der Veranstalter Deutsche Phono-Akademie für die Kategorien 1-18 die Charts als Bewertungsgrundlage. Gleichzeitig wird eine „Jury“ erwähnt, die sich u.a. aus „musikaffinen Partnern aus Rundfunk, Presse, TV sowie ehemalige Preisträgern“ zusammensetzt. Gibt es diese Jury tatsächlich – und welche Aufgabe hat sie, wenn doch ohnehin nach Verkaufszahlen entschieden wird?
Renner: Bei Motor arbeiten frühere Echo-Gewinner und Motor vertritt solche auch als Künstler. Niemand von ihnen hat in den letzten Jahren einen Jury-Bogen für die Bewertung von Echo-Kandidaten zugeschickt bekommen. Dasselbe gilt für das Musikradio Motor FM. Weshalb sollte man ausgerechnet uns immer vergessen? Wahrscheinlicher ist, dass die hier angegebene Praxis nicht gelebt wird. Sie macht auch keinen Sinn: Entweder entscheidet, wie der Echo-Produzent Gerd Gebhardt nicht müde wird zu betonen, der Käufer an der Ladenkasse oder eine Jury. Das eine bildet objektiv Quantität, das andere subjektiv empfundene Qualität ab. Eine Mischung aus beiden kann nicht wirklich zielführend sein. Und selbst wenn man diesen unlogischen Mix anstrebt, wo steht in welchem Verhältnis dies geschieht?
Wozu gibt es bei der Echo-Verleihung in den Kategorien 1-18 sogenannte „Nominierte“?
Renner: Die Nominierungen werden als Werbung für die Echo-Verleihung im Vorfeld verkündet, obwohl die Namen sich auch jedermann selbst aus den Charts hochrechnen kann. Sie sollen die erste Überraschung sein und einen Wettbewerb zwischen den Nominierten suggerieren. In Wirklichkeit ist auf Basis der Charts aber das Rennen bereits gelaufen, wenn die Nominierten verkündet werden.
Bei der Preisverleihung gibt es nicht nur „Nominierte“, der Name des Siegers wird – wie bei anderen Preisverleihungen auch – von den Laudatoren aus einem Briefumschlag gezogen und Kategorien wie „Gruppe international Rock/Pop“ und „Gruppe national Rock/Pop“ werden mit dem Attribut „beste“ angekündigt. Wird auf diese Weise bewusst verschleiert, dass es sich beim Echo nur um ein Ranking nach Verkaufszahlen handelt?
Renner: Es verhält sich dabei wie mit kleinen Kindern und dem Weihnachtsmann: Die Musikindustrie und einige Interpreten wollen auf der Echo-Verleihung an eine Zufälligkeit glauben und eine Spannung suggerieren, die es gar nicht gibt. Das Ritual der Preisverleihung gehört dazu, wie der Familienvater im roten Kittel und mit angeklebtem Bart in vielen Haushalten zum Christfest. Weder ist überraschend wer gewinnt, noch wird auf der Echo der Beste gekürt. Die ersten 18 Kategorien reflektieren lediglich die Charts der vorherigen 12 Monate.
Auf welcher Bewertungsgrundlage sollte der „Echo“ Ihrer Meinung nach vergeben werden?
Renner: Für die Musikwirtschaft macht es weder Sinn eine Messe zu feiern die längst gelesen ist – durch die Ermittlung via Charts gewinnen nämlich in der Regel zudem die ältesten Veröffentlichungen des Vorjahrs, weil sie länger eine Möglichkeit hatten sich Charts zu halten – noch sich rein über Quantität zu definieren. Kein anderer, großer Musikpreis hält das so. Egal ob Grammys oder Brit Awards, Grundlage ist eine Jury. Diese wird bewusst sehr groß gehalten, damit sie nicht beeinflussbar ist. Dadurch entstehen Überraschungen, so wie zum Beispiel die Band Arcade Fire als Abräumer des Jahres 2011.
Die Musikindustrie und einige Interpreten wollen auf der Echo-Verleihung an eine Zufälligkeit glauben und eine Spannung suggerieren, die es gar nicht gibt.
Haben Sie die Hoffnung, dass sich der Echo in Zukunft zu einem Qualitätspreis – vergleichbar mit Grammys und Brit Awards – entwickelt?
Renner: Die Idee, den Preis auf Basis der Charts zu vergeben wurde vor 20 Jahren geboren. Damals wollte eine boomende Branche sich selbst feiern und schien das Feiern alter Charts der einfachste Weg. Heutzutage hat dieselbe Branche schwer zu kämpfen und ist es kinderleicht eine breite Jury aufzustellen und mit Online Tools wählen zu lassen, so wie ich es zB. im Rahmen des Brit Awards tue. Es liegt an den heutigen Vorständen der Plattenfirmen zu erkennen wie wenig zeitgemäß die Regularien sind, die sie da geerbt haben.
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