Tobias Lützenkirchen

Oft ist dann halt einfach der Kreislauf am Ende.

Tobias Lützenkirchen über seinen Techno-Hit „3 Tage wach“, Drogen, Wochenend-Identitäten, einen Schein-Auftritt bei „The Dome“, Kommerz und Schweißgeruch in rauchfreien Clubs

Tobias Lützenkirchen

© Great Stuff Recordings

Tobias, in der Diskussion um deinen Hit „3 Tage wach“ ist häufig von einem Revival der Rave-Anfänge die Rede. Siehst du das ähnlich, dass heute wieder angeknüpft wird, an die ersten Techno-Partys in Deutschland?
Lützenkirchen: Also, was die Musik angeht, sehe ich das nicht so, auch nicht, was die Atmosphäre anbelangt. Das war damals ja eine totale Massenbewegung, alle haben das nach außen hin so dargestellt und auch sehr extrovertiert ausgelebt.
Heute hat sich das Ganze extrem auf die After-Hour-Partys verlegt, es ist mehr dieses kleine familiäre Ding geworden und nicht mehr die große Massenveranstaltung. Es stimmt aber, dass die Leute generell wieder viel exzessiver feiern gehen. Freitags raus, das ganze Wochenende durchmachen, sonntags wieder nach Hause, oder am Montag – und dann wieder direkt zur Arbeit.

Warum ist es exzessiver geworden? Liegt es an der Arbeitswelt, die härter geworden ist, brauchen die Leute heute wieder mehr einen Ausgleich?
Lützenkirchen: Das ist auf jeden Fall ein Punkt. Die Leute ziehen sich in eine Wochenend-Identität zurück, weil in ihrer ganzen Umgebung, in der Gesellschaft, in den Nachrichten nur noch Scheiße propagiert wird: alles ist so schlimm und schlecht, es gibt ständig neue Sachen wie das Rauchverbot in den Clubs, Politiker denken sich wieder irgendwelchen Quatsch aus, die Arbeitslosenzahlen gehen rauf runter…
Da zeigt sich in der Generation jetzt der gleiche Unmut, wie es ihn schon vor zehn Jahren gab und wie ich ihn damals hatte. Und man hat sich schon damals so eine Wochenend-Identität entwickelt hat, mit der man sich rausgeflüchtet hat aus dem ganz normalen alltäglichen Leben.

Hast du auch eine Wochenend-Identität?
Lützenkirchen: Hatte ich. Heute mache ich ja nur noch Musik, da ist das ein bisschen was anderes. Aber früher war das schon so.

Kannst du das genauer erklären? Man sieht also bestimmte Leute nur am Wochenende…
Lützenkirchen: Genau. Es gibt richtige Wochenendfreundschaften, mit denen man sich supergut versteht, die aus völlig verschiedenen Ecken kommen, aber wo man normalerweise nicht den Drang hat, mit denen unter der Woche im ganz normalen Umfeld zusammenzukommen. Dieses familiäre Cliquen-Ding existiert eigentlich fast nur am Wochenende, das ist bei sehr vielen Leuten so.

Klingt ein bisschen nach Bussi-Bussi-Gesellschaft.
Lützenkirchen: Ja, wobei das schon ein engerer Bezug ist. Auch wenn man sich nur am Wochenende sieht, ist es nicht so, dass das eine total oberflächliche Sache ist. Sondern wenn man dann gemeinsam feiern geht, verbringt man zusammen tierisch viel Zeit… Man fängt mit einer normalen Party an, ist dann in irgendeinem After-Hour-Laden, danach geht es meistens noch weiter bei irgendjemandem privat… Das heißt, man ist mit manchen Leuten locker 30 Stunden am Stück zusammen. Man kriegt dann schon eine enge Bindung – aber es ist eben nur so ein Wochenend-Ding.

Hattest du bei der ganzen Feierei schon mal das Gefühl, deine Zeit damit zu verschwenden?
Lützenkirchen: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil, weil man im Endeffekt durch das lange Wachsein viel mehr Eindrücke mitbekommt. Auf keinen Fall ist das verschwendete Zeit, ich sehe das eigentlich sogar umgedreht, wie die meisten in meinem Umfeld auch, dass man mehr als das Doppelte erlebt in der gleichen Zeit: Weil das alles viel intensiver ist und weil in viel kürzerer Zeit viel mehr passiert. Deswegen kam ja auch die Nummer „3 Tage wach“ zustande: man sieht Sachen und erlebt Dinge um sich rum – das ist unfassbar. Dinge, die normalerweise an einem vorbeigehen würden…

…im Club.
Lützenkirchen: In erster Linie im Club, aber es kommen einem zum Teil auch echt bescheuerte Ideen, wie in einen Baumarkt reinzuspazieren und sich dort wie im Kindergarten zu verhalten, das haben wir alle schon hinter uns. Der Ideenreichtum, den man entwickelt, ist eigentlich total witzig. Wobei ich mittlerweile aus dem Alter raus bin, ich lasse es jetzt nicht mehr so krachen wie früher.

Wann hattest du deine erste Techno-Party?
Lützenkirchen: Das war im Königsburg in Krefeld, irgendwann Mitte der 90er. Da war ich 15 oder so…

War das auch gleichzeitig dein erstes Drogenerlebnis?
Lützenkirchen: Nein, das kam erst viel später. Die ersten Jahre, die ich feiern war, habe ich noch nicht mal Alkohol getrunken.

Aber neugierig warst du irgendwann schon.
Lützenkirchen: Sicher, logisch. Wenn man das halt sieht, wenn man solche Leute um sich herum hat, wird man automatisch neugierig.

Sind Techno und Drogen für dich heute untrennbar miteinander verbunden?
Lützenkirchen: Ja, (lacht) das schon. Einfach weil ich denke, dass die Eindrücke, die man von der Musik und von den Partys mitnimmt, potentiell gesteigert werden. Es gibt bestimmt auch Leute, die da ohne Drogen ihren Spaß haben und feiern gehen. Aber jeder, der irgendwann mal auf einer Party, egal auf welcher Droge unterwegs war, wird dir bestätigen, dass das einfach massivste Eindrücke sind, die man ohne Drogen so auf keinen Fall mitnehmen kann.

Westbam sagte uns im Interview, er als DJ findet eine nüchterne Party „eher doof.“ Wie siehst du das?
Lützenkirchen: Das kommt sehr drauf an, das kann schon schwierig werden. Wobei ich so eine Party auch noch nicht so oft erlebt habe. Weil mit Drogen einfach der Spaßfaktor größer ist, die Leute kommen normalerweise mehr aus sich raus.
Aber es kommt drauf an, wo ich halt gerade bin: Wenn ich zum Beispiel in Schottland spiele, da ist es auf den Partys nicht so sehr der Drogeneinwurf, sondern die sind da alle völlig besoffen. Die kommen schon völlig besoffen an und ich komme mir vor wie auf einem Punk-Konzert, wie die da rumspringen und durchdrehen.
Also, es ist halt eine viel spaßigere Sache, wenn die Leute sich ab einem gewissen Grad vergessen. Deswegen ist es auch auf den meisten Partys so: Je früher die Leute anfangen, ordentlich einen zu bechern – das ist in jedem Kirmeszelt und auf dem Oktoberfest nicht anders – desto früher geht die Party los und um so mehr irgendwer irgendwas intus hat um so lustiger wird das Ganze. Von daher ist es schon eine klare Sache, dass es wesentlich spaßiger ist – egal mit welchen Mitteln auch immer – wenn die Leute ein bisschen lockerer werden. Wobei es auch wieder schade ist, dass es da eigentlich keine Ausnahme gibt, dass es eben auf einer völlig nüchternen Party definitiv nicht so abgeht, als wenn die Leute ziemlich dicht sind.

Und das Gemeinschaftsgefühl, gäbe es das auch ohne Drogen?
Lützenkirchen: Nein, das glaube ich nicht. Ein Gemeinschaftsgefühl mit einer völlig unbekannten Person zu entwickeln, einfach so, nur aufgrund der Musik – das geht glaube ich nicht. Es ist so, dass man dann auch extrem viele Leute kennen lernt, mit denen man dann zum Teil auch im guten Kontakt bleibt. Ich habe so schon unglaublich viele Freunde kennen gelernt.

Und die hättest du nicht kennen gelernt, wenn du nicht irgendwas konsumiert hättest.
Lützenkirchen: Ganz Genau.

Nun wird dir in Bezug auf „3 Tage wach“ Drogenverherrlichung vorgeworfen. Der Vorwurf mag etwas zu weit gehen, aber zumindest Verharmlosung kannst du nicht abstreiten, oder?
Lützenkirchen: Ja, das ist der richtigere Ausdruck.
Die Nummer ist aus Spaß entstanden und nicht, weil ich ein Songwriter bin, der jetzt ein politisches Thema aufgreift oder etwas Sozialkritisches machen will. Und weil ich es aus Spaß gemacht habe, mich darüber kaputtgelacht habe, fehlt dem Ding auch jegliche Kritik. Logisch.
Natürlich ist es so, dass ich dem ganzen Thema nicht besonders negativ gegenüberstehe. Ich bin nicht ganz unerfahren mit Drogen und ich sehe viele Sachen in Bezug auf verschiedene Drogen nicht so kritisch wie manch andere Leute.

Du hattest keine negativen Drogenerlebnisse?
Lützenkirchen: Oft ist dann halt einfach der Kreislauf am Ende. Da ist dann einfach Schicht. Oder man hat Hangovers, wo man dann total verwirrt ist und nicht mehr weiß, ob man jetzt guter Laune oder völlig depressiv ist. Das hatte ich schon, aber das ist auch schon ewig her. Ich habe eigentlich auch immer darauf geachtet… – man sollte schon genau wissen was man da tut.

Viele Jugendliche scheinen das allerdings nicht zu wissen. Schaut man sich in Internetforen um, findet man oft User, die nach dem Drogenkonsum über diverse gesundheitliche Beschwerden klagen – und oft gar nicht wissen, was für Pillen sie eigentlich konsumiert haben.
Lützenkirchen: Das ist genau die Sache. Nicht nur, dass die sich irgendwas reinschmeißen, ohne zu wissen, wo es herkommt – sondern da wird teilweise auch in unglaublichen Mengen konsumiert, manche nehmen alles kreuz und quer, ohne Sinn und Verstand – das entzieht sich dann auch meinem Verständnis, das ist dann auch zu krass. Wenn mir früher auf Raves Leute stolz erzählt haben „ich habe mir jetzt gerade die achte Pille reingeschmissen“ dann fand ich das schon ziemlich gruselig.

Gibt es Drogen, die deiner Meinung nach legalisiert werden sollten?
Lützenkirchen: Nein.

Wie ist denn dein Standpunkt zum Rauchverbot, konntest du dir bis vor kurzem überhaupt rauchfreie Clubs vorstellen?
Lützenkirchen: Überhaupt nicht. Kann ich mir auch jetzt noch schwierig vorstellen. Ich bin ein sehr starker Raucher, vor allem wenn ich auflege und vor allem in Kombination mit Alkohol. Aber ich habe mit dem Rauchverbot schon oft die Erfahrung gemacht: je später der Abend, desto mehr ist das den Leuten völlig wurscht. Was allerdings interessant ist, dass man in rauchfreien Clubs, wo es richtig voll und heiß ist, jetzt erst mal so richtig merkt, wie es nach kaltem Schweiß stinkt…

Zitiert

Die Leute ziehen sich in eine Wochenend-Identität zurück, weil in ihrer ganzen Umgebung, in der Gesellschaft, in den Nachrichten nur noch Scheiße propagiert wird.

Tobias Lützenkirchen

…der früher durch den Rauch überdeckt wurde.
Lützenkirchen: Ja, das ist das Erste was mir in rauchfreien Clubs aufgefallen ist. Und ich merke manchmal, dass eine unglaubliche Unruhe in der Party ist, weil sehr viele Leute andauernd raus gehen zum Rauchen und dann wieder zurückkommen.
In Ländern, wo das Rauchverbot schon eine Weile in Kraft ist, in England oder in Skandinavien, da ist das eine ganz andere Sache. Da ist das eigentlich schon so angenommen und akzeptiert, da sind die Partys dann auch wieder ruhiger. Also, ich glaube, im Endeffekt ist das ist nur eine reine Gewöhnungssache.

Und du musst dann auch raus zum Rauchen?
Lützenkirchen: Ja, sicher. Wobei, wenn ich auflege, lasse ich es entweder sein – oder es gibt dann halt dieses ‚Guerilla-Rauchen’, unterm Deck.

Du kniest dich hinter den Plattenspieler und zündest dir eine an?
Lützenkirchen: Genau. Das machen mittlerweile ziemlich viele DJs. Da kommt man sich schon vor wie damals mit 12 in der Schule, wo man sich zum Rauchen hinter irgendeiner Ecke versteckt hat.
Ich kann mir aber gar nicht vorstellen, dass das Rauchen in Clubs jetzt so ultraextrem verfolgt wird, ich habe das bisher noch nirgendwo mitbekommen. Gerade in den After-Hour-Läden wird einfach geraucht, Verbot hin oder her.

Kommen wir noch mal auf „3 Tage wach“ zurück. Du warst mit dem Song am 30. Mai zu Gast bei der Teenager-Musikshow „The Dome“ von RTL2…
Lützenkirchen: Nein, da war ich nicht.

Jedenfalls wurdest du als Lützenkirchen angekündigt und zu deinem Song sind fünf Personen im Hasenkostüm auf der Bühne herumgesprungen.
Lützenkirchen: Das ist leider nicht ganz so gelaufen, wie ich mir das gedacht habe. Ich habe von Anfang an gesagt: Ich fahre da nicht hin, das ist mir einfach zu viel Affentheater. Ich habe aber auch gesehen, dass das eigentlich eine coole Sache ist, das wäre auch irgendwie lustig gewesen. Weil am Anfang, als wir die Nummer produziert haben, haben wir sogar schon rumgewitzelt: „Wenn wir dann mal von „The Dome“ angefragt werden, dann fahren wir auf jeden Fall da hin.“ Aber dann durch die ganze Diskussion, auf der dünnen Linie zwischen Kritik und Superhype habe ich gesagt: auf gar keinen Fall. Mein Vorschlag war, dort ein Bild von mir aufzustellen, mit gestrecktem Mittelfinger (lacht). Das wäre so im Stil von KLF (einflussreiches britisches Techno-Duo, Anm. d. Red.) gewesen – aber da haben sich die von „The Dome“ nicht drauf eingelassen. Im Endeffekt war von uns keiner da. Ich weiß auch gar nicht, wer da war. Keine Ahnung.

Immerhin wurde für die Fernsehzuschauer „Lützenkirchen“ eingeblendet, es wurde dein Song gespielt…
Lützenkirchen: Das reicht ja auch.

Du profitierst von so einem „Auftritt“.
Lützenkirchen: Ja, genau, das ist eigentlich auch schon cool. Ich fand es nur relativ schwierig, vor einem Bravo-Hits-Publikum so eine Nummer zu spielen. Wo kleine Mädchen dabei sind, die dann „Volle Kanne Einwurf“ singen – das fand ich schon eine Ecke zu krass. Ich habe mich auch gewundert, dass die uns unbedingt da haben wollten. Ich fand es auch affig, als der Vorschlag vom Label Universal kam: „Du kannst dann ja einfach so tun, als würdest du da auflegen.“ – ganz tolle Idee! So ein Affentheater, mich da Showmaker-mäßig hinzustellen, dafür bin ich dann doch zu szeneverbunden, solche Scheiße mache ich nicht.

Gut, aber Stichwort Bravo-Publikum: Auf den CDs der Reihe „Bravo-Hits“ findet man in ziemlicher Regelmäßigkeit Scooter. Und die haben für die CD-Single von „3 Tage wach“ einen Remix gemacht.
Lützenkirchen: Ja, das war so: Universal Music brauchte kommerziellere Mixe, das war halt Teil des Deals. Wir (das Label „Stil vor Talent“, Anm. d. Red) hatten den Song ja schon auf Vinyl veröffentlicht. Und die mussten nun noch ihre eigene Veröffentlichung machen.
Irgendwann kam dann die Ansage: Scooter machen einen Remix. Da habe ich zuerst die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und gesagt: „Ohne mich.“ Dann meinte aber mein Kollege Oliver Koletzki zu mir: „Wenn die schon einen kommerziellen Remix brauchen, dann gibt es doch keine geilere Ansage als einen Scooter-Mix. Krasser geht’s dann doch schon gar nicht mehr.“ Das fand ich schon wieder so lustig, weil es so weit weg von meinem eigentlichen Ding ist, von meinem eigentlichen Sound, weshalb ich gesagt habe: „OK, lass mal machen.“ Und davon abgesehen fand ich den Mix gar nicht so schlecht. Im Gegensatz zu dem, was sie normalerweise machen, haben sie echt einen ganz guten Job gemacht.

Würdest du auch einen Song von Scooter remixen?
Lützenkirchen: Nein, (lacht) weil das wäre ein bisschen sinnfrei. Es kamen jetzt auch viele Remix-Anfragen von relativ kommerziellen Projekten aus verschiedenen Musikbereichen – aber das bringt mir nichts. Das bringt mir nur Geld, aber das war mir immer schon wurscht.
Ich will schon im Großen und Ganzen in dem Umfeld bleiben, wo die Leute mich kennen und wissen, was ich sonst für Musik mache. Jetzt für irgendeinen mega-kommerziellen Act einen coolen Remix abliefern, damit der auch in den coolen Clubs läuft, nee.

Was genau ist denn kommerziell?
Lützenkirchen: Kommerziell ist, ab einem gewissen Grad, wenn man konstant sehr viel Platten verkauft.

Und was ist ein kommerzieller Remix?
Lützenkirchen: Um viele Platten zu verkaufen, brauchen die einen Mix für die große Masse…

Aber wie äußert sich das im Sound?
Lützenkirchen: Man hat die breite Masse, die einen „kommerziellen“ Musikgeschmack hat, das heißt, es gibt eine Musik in der Mainstream-Popkultur, die eben ein sehr breites Publikum anspricht, egal ob das Krawatte-und-Hemd-in-die-Hose-Leute sind oder irgendwelche Kids oder Familien auf dem Bauernhof.
Und es gibt zwei Wege, wie man da hinkommt: es gibt Nummern wie „3 Tage wach“, die einfach gemacht wurde und diesen Crossover-Effekt in die kommerzielle Zielgruppe geschafft hat, obwohl ich da gar nichts für kann. Und es gibt Leute, die aus Kalkül genau darauf hin produzieren, nur um eben Platten zu verkaufen.

Machen Scooter Musik aus Kalkül?
Lützenkirchen: Nein, machen die nicht, auf keinen Fall. Die machen schon so lange ihr Ding… Die sind jetzt mittlerweile natürlich völliger Mainstream, aber die haben sich nie hingesetzt und gesagt: „Wir wollen jetzt Popstars werden, deswegen gucken wir, was im Moment alles funktioniert und machen dann genau das Gleiche.“ Das haben sie nie gemacht, und das ist bei Scooter auch das Geheimnis, warum die nach so vielen Jahren immer noch da sind. Weil die einfach ihr Ding durchziehen.

Gibt es kommerzielle Sounds, wo du sofort denkst „das klingt kommerziell“?
Lützenkirchen: Ich glaube ja. Es gibt Leute, wo ich höre: Das ist auf Kommerz ausgelegt, weil es keine Eier hat und irgendwo seellos ist.

Kannst du ein Beispiel nennen?
Lützenkirchen: Da muss ich echt überlegen… Zum Beispiel die späteren Sachen von Frank Farian: Nach „Everything But the Girl“ kam der mit der Gruppe „No Mercy“ mit den gleichen Beats, einfach die gleiche total nachgemachte Kacke mit einem etwas anderen Konzept.
Oder bestimmte Sachen im Trance-Bereich, wo irgendwann eine totale Gleichschaltung passiert ist, als dieser Pizzicato-Trend aufkam, mit Kosmonova und DJ Quicksilver – das war alles der gleiche Ramsch, einfach weil es eben funktioniert hat.
Interessant finde ich, dass es im Minimal-Bereich mittlerweile genauso ist. Die Grooves und das Klick Klick Klack, die ganze Percussion-Geschichte – da gibt es kaum noch Leute, bei denen du sagen kannst, dass sie einen eigenen Fingerprint haben. Weil die nächste Platte hört sich schon wieder genau so an. Das ist so eine Sound-Gleichschaltung…

Ist das dann kommerziell oder Einfallslosigkeit?
Lützenkirchen: Das ist in dem Sinne nicht kommerziell, weil es nicht die Mega-Plattenverkäufe erreicht. Aber die Leute sehen, dass es funktionell ist, dass das in den Clubs gespielt wird, also wollen sie genau so was machen. Die machen das jetzt nicht aus künstlerischer Freiheit heraus.

Du hast gerade dein Album „Pandora Electronica“ veröffentlicht, das auch einen zweieinhalbstündigen DJ-Mix beinhaltet. Nun ist in diesem Mix bis auf zwei kurze Momente keine Melodie zu hören. Sind Melodien im Bereich Minimal/Electro verpönt?
Lützenkirchen: Verpönt glaube ich nicht. Aber es ist so, dass Minimal gerade wieder mehr in Richtung grooviger Techno geht, ein bisschen progressiver wird, da passt Melodie nicht so ins Thema rein. Ich probiere es auch oft aus, solche Sachen einzubauen, aber mir gefällt das meistens nicht. Das macht dann einfach den Flow und den Groove kaputt. Da bin ich halt auch eher der Rock’n’Roller, da muss es nach vorne gehen. Melodien sind vielleicht eine schöne Sache, aber es geht nicht richtig ab. Deswegen ist das ein Element, das ich nicht besonders viel gebrauche.

Aber wie kann eine Musikrichtung ganz ohne Melodien auskommen?
Lützenkirchen: Das ist Techno, das ist Groove. Richtiger Techno war ja nie Melodie. Das war immer schon schepper, schepper, schepper. Und das mag ich selber auch ziemlich gerne. Wenn ich selber ausgehe, dann muss das einfach scheppern, scheppern und scheppern. Das finde ich selber am geilsten und deswegen produziere ich auch am meisten in dieser Richtung.

Dein Leben besteht heute aus Musikproduktion und Partys. Gibt es noch andere Dinge, die dich faszinieren?
Lützenkirchen: Eigentlich fast gar nix. Nur Tauchen. Und meine beiden Katzen, die faszinieren mich auch.
Mit der Musik geht es ja gerade erst so richtig los, das will ich so lange machen, wie es geht, unabhängig davon, ob es Erfolg hat. Ich kann mir auch überhaupt nichts anderes vorstellen. Ich bin immer mit 100 Prozent bei der Sache, egal wo ich spiele, egal, ob es der dritte Tag in Folge ist – da gehe ich immer total drin auf. Und so lange das so ist, gibt es links und rechts davon nicht so besonders viel Anders.

Nun soll es auch eine englische Version von „3 Tage wach“ geben. Wie weit bist du mit dem Vorhaben?
Lützenkirchen: Die Version ist schon fertig, aber noch nicht draußen. Aber sie ist schon auf Youtube und heißt „3 days awake“. Die wird auch veröffentlicht, wir haben schon ein paar Lizenzen, in Australien, England und Frankreich… das ist in der Pipeline.

Der Song ist aber der gleiche geblieben.
Lützenkirchen: Ja, wobei der Text jetzt nicht 1:1 übersetzt wurde, weil das einfach nicht geht. Ansonsten ist es aber das exakt das gleiche Ding.

Ist das jetzt kommerziell?
Lützenkirchen: Das ist jetzt kommerziell, ja. Deswegen steht auch nicht mein Name drauf. Das wäre mir einfach zu krass gewesen.
Das ist jetzt eine gewollte Sache, zu gucken, was passiert, ob man da noch was mitnehmen kann… Das geht dann halt gegen meine eigene Ideologie und deswegen steht da mein eigener Name nicht drauf.

Demzufolge verdienst du auch nichts an der englischen Version.
Lützenkirchen: Doch, doch. Klar. Das ist ja mein Projekt. Da steht halt nur nicht Lützenkirchen drauf, sondern „Lytz“, so als angelehnter Projektname.
Ich habe ja auch international einen großen Namen und bei den Leuten will ich mir halt nichts kaputt machen, in Bezug auf meinen eigentlichen Sound. Ich will nicht, dass das Leute in den falschen Hals kriegen, deswegen habe ich gesagt: Wir schreiben halt etwas anderes drauf und es gibt keine Verbindung mit der Marke Lützenkirchen.

Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Lützenkirchen: Ich bin einer von „Clever und Smart“, der mit der Brille, ich glaube Fred Clever ist das. Die Comics habe ich früher viel gelesen.

Und was verbindet dich mit der Figur?
Lützenkirchen: Die Blauäugigkeit, immer an der Grenze von Selbstironie und Begriffsstutzigkeit. Ich sehe halt immer alles mit sehr viel Selbstironie und Humor.

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