Tommy Jaud

Die Tatsache, dass wir leben, ist schon eine Katastrophe!

Mit „Hummeldumm“ landete Tommy Jaud 2010 einen Überraschungserfolg, nun schlüpft er in „Einen Scheiß muss ich“ in die Rolle des amerikanischen Alter Egos Sean Brummel, der ein erfolgreiches Ratgeberbuch über gesellschaftliche Zwänge verfasst hat. Ein Gespräch über Selbstoptimierung, Fitnesswahn, Dogmatismus und Vorzüge der Prokrastination.

Tommy Jaud

© Friedemann Meyer / S. Fischer Verlag

Herr Jaud, welches Ereignis hat Sie dazu gebracht, ein Ratgeber-Manifest gegen das schlechte Gewissen zu schreiben?
Tommy Jaud: Es war eher ein Gesellschaftsgefühl, bei dem ich mich fragte, ob wir alle noch ganz richtig ticken. Das Buch ist quasi Gegenpropaganda. Ich fühle mich von einem Mainstream-Gesellschaftsstrom der Lebensoptimierung manipuliert, von einer Gesellschaft, die offenbar vergisst, für was es sich zu leben lohnt.

Was waren die Auslöser für dieses Gefühl der Manipulation?
Jaud: Zunächst ein paar Bücher, die ich gelesen habe, von Dale Carnegie und Napoleon Hill, die alten amerikanischen Klassiker, aber auch modernere Ratgeber-Sachen.
Der zweite Auslöser waren drei Amerika-Reisen, bei denen ich vor zwei Jahren gesehen habe, wie die Gesellschaft sich dort entwickelt, im Hinblick auf gesunde Ernährung, optimiertes Zeitmanagement im Alltag und den zunehmenden Regulierungswahn. Es gibt dort beispielsweise ganze Straßenzüge, in denen Rauchverbot herrscht.

Bieten amerikanische Ratgeberbücher denn mehr humoristische Angriffsfläche, oder was war der Grund dafür, einen amerikanischen Autor zu erfinden?
Jaud: Ich finde, die Ratgeber-Tradition ist vornehmlich amerikanisch geprägt, auch wenn es mittlerweile natürlich auch viele deutsche Ratgeberbücher gibt. Die Hintergrundgeschichte der Hauptfigur Sean Brummel, dieses vom-Tellerwäscher- zum-Millionär-Klischee, ist nun mal ein typisch amerikanisches Ding. Außerdem kann ich mir mit einer fiktiven Figur, die in Amerika lebt, mehr rausnehmen und Dinge sagen, die ich unter meinem Namen nicht sagen könnte.

Aber das Phänomen der Selbstoptimierung ist auch in Europa weit verbreitet…
Jaud: Klar, solche Sachen passieren auch hierzulande. In Köln, wo man angeblich so liberal ist und die Lebensfreude so hochgehalten wird, wurde ich auch schon nachts vom Ordnungsamt vor einer Kneipe fotografiert, damit man den Wirt anschwärzen kann, weil die Stadt und Anwohner seit Jahren gegen Feierwütige kämpfen. So was macht mir dann schon Angst.

Beobachten Sie diese verstärkte Reglementierung und Selbstoptimierung auch im eigenen Umfeld?
Jaud: Diese Phänomene gehen quer durch die Gesellschaft. Aber natürlich habe ich auch Freunde, die sagen, dass sie diese vegane Ernährung jetzt auch mal probieren wollen, die exzessiv viel Sport treiben… Ich hoffe natürlich, dass das alles nur eine Welle ist und sich in ein paar Jahren erledigt hat.

Und Sie selbst sind völlig unempfänglich für solche Trends?
Jaud: Nein, letztendlich weiß ich es ja auch nicht besser! Ich muss mich eigentlich selbst schützen, vor zu viel Sport. Das hier ist ein verdammter Tracker (zeigt auf die Digitaluhr an seinem Handgelenk)! Aber nur so nehme ich ab, ich bin quasi das Gegenteil meines Alter Egos Sean Brummel aus dem Buch (lacht)!

Zitiert

Ich habe zu jeder Spaßthese den passenden Beleg gefunden.

Tommy Jaud

Zwischen all den verlockenden und verdrehten Thesen die Sean Brummel aufstellt, kommt auch eine ernsthaft-nachdenkliche Botschaft durch. Kann ein humoristisches Buch auch zum Nachdenken anregen?
Jaud: Ja, ich glaube schon. Die wenigen Personen, die es im Vorfeld lesen durften, haben gelacht, aber auch etwas mitgenommen. Sich nicht zu viel Stress zu machen, zum Beispiel. Dabei war das überhaupt nicht mein Ziel. Ich wollte ein unterhaltsames Buch schreiben, und am Anfang war es auch gar nicht komisch. Ich hatte beispielsweise Studien rausgesucht, darüber, was passiert, wenn man zu viel Sport treibt, aber mein Lektor war der Meinung, dass das gar nicht meinem Charakter als Autor entsprach. Weil es nicht komisch war, sondern sich eher wie eine gut geschriebene, aber ernsthafte Zusammenfassung eines Themas las, dass mich brennend interessierte. Da hatte er natürlich recht und ich musste mich daran erinnern, was ich mit dem Buch eigentlich will: unterhalten!

Würde das Buch denn in der jetzigen Form auch in Amerika funktionieren?
Jaud: Das fände ich durchaus interessant, ich glaube aber nicht, dass es so eins zu eins funktionieren würde. In jedem Fall müsste man es adaptieren, aber dafür kenne ich die USA nicht gut genug. Das wäre eher etwas für einen Autor, der öfter dort ist oder fest dort wohnt, der ist dann natürlich sofort zwei Schritte weiter.

Dazu gab es noch keine Gespräche mit dem Verlag?
Jaud: Nein. Obwohl es erstmal wie das Buch wirkt, welches von meinen Veröffentlichungen am wenigsten deutsch ist. Wenn man sich als Autor so zurückzieht und aus amerikanischer Sicht auf unser Land schaut. Aber vielleicht ist es ja gerade deswegen das deutscheste Buch, ich weiß es nicht.

Wobei der Name Tommy Jaud ja auch ein amerikanischer Name sein könnte…
Jaud: Ich habe als Jugendlicher Leichtathletik gemacht, da wurde ich dann auch vom Stadionsprecher angekündigt: „Auf Bahn sieben, (imitiert einen amerikanischen Akzent): Tommy Jaud!“ Da hatten die auf den anderen Bahnen immer mächtig Angst (grinst)!

Haben Sie nach Fertigstellung des Buchs immer noch Momente, wo Sie denken, dieses oder jenes Thema hätte auch noch in den Ratgeber reingemusst?
Jaud: Na klar, ich werde auch gerade komplett wahnsinnig deswegen. Ich lese jeden Tag in der Zeitung etwas, wo ich denke: Oh, Mann, nee, das hätte noch ins Buch gemusst! Einerseits für Kapitel, die es schon gibt, aber auch für Dinge, die gerade aktuell sind. Jetzt würde ich die gesellschaftlichen Facebook-Heldentaten mit reinnehmen, für die Leute Sachen teilen und sich dadurch zu besseren Menschen machen, aber eigentlich gar nicht viel tun. Allerdings bin ich nicht so Facebook-Affin, und mein Alter Ego Sean Brummel ist es auch nicht, das kann schnell lächerlich werden. Viele Themen sind auch einfach deutsch, und über die kann Sean Brummel nicht schreiben.

Welche Quellen, die Sie im Buch zitieren, haben Sie inhaltlich am meisten überrascht?
Jaud: Ich würde da gar nicht nach den Quellen gehen, es sind ja hauptsächlich populärwisschenschaftlich aufgearbeitete Texte. Mich hat aber überrascht, dass ich zu jeder Spaßthese, die ich aufgestellt habe, auch den passenden Beleg gefunden habe. Zum Beispiel zu „Man braucht keine Ziele“, oder warum man sich auf keinen Fall vegan ernähren sollte, oder warum Sport so unfassbar schädlich ist. Manchmal fühlte ich mich wie ein geschmierter, schlechter Wissenschaftler. Drei, vier Tage im Netz, mit verschiedensten Artikeln und Studien, und ich hatte einen Beleg für einfach jede noch so verwegene These von Brummel. Manche Thesen habe ich dadurch sogar ein paar Tage lang selbst geglaubt!

Zum Hinauszögern von Dingen, also zur Prokrastination, gibt es handfeste Studien?
Jaud: Ja, tatsächlich. In den englischsprachigen Medien finden sich auch immer schöne Bestätigungen. In der Financial Times stand zum Beispiel ein Interview mit dem amerikanischen Großinvestor Warren Buffet, der auf die Frage, wann er seine geschäftlichen Entscheidungen treffe, antwortete mit: Natürlich im allerletzten Moment. Es gibt Computeranalysen zum Tennisspiel von Novak Djokovic, die besagen, dass er sich erst in der allerletzten Sekunde dafür entscheidet, welchen Schlag er spielt. Diese Bestätigungen für meine Spaßthesen, die fand ich wirklich faszinierend. Man kann aber natürlich auch zu früh mit einer Aufgabe anfangen, und mit zu niedriger Motivation zu viel Zeit darauf verwenden, etwas fertig zu stellen. Deswegen sollten die Verantwortlichen für den Flughafen Berlin Brandenburg und die Kölner Oper das Buch bitte nicht lesen!

© Friedemann Meyer / S. Fischer Verlag

Kunstfigur Sean Brummel und Tommy Jaud © Friedemann Meyer / S. Fischer Verlag


Warum kaufen Menschen Ihrer Meinung nach überhaupt Ratgeberbücher?

Jaud: (Überlegt) Das klingt jetzt platt, aber ich denke, weil sie Rat suchen. Weil die Instanzen, die bisher dafür zuständig waren, die Kirche, die Gesellschaft oder die Eltern in dieser Disziplin zunehmend wegfallen. Aber der Trend geht ja weg von den Ratgeberbüchern, hin zum Netz und zum Beispiel schnell zu konsumierenden Top-Ten-Listen. Warum die beste Zeit zum Arbeiten vor sechs Uhr ist, oder die zehn Fehler, die man beim Duschen macht. Offenbar hält man uns auch schon dafür für zu blöd. Es gibt mittlerweile sehr viel schnelle Angstmacher, angebliche Ratgeberportale im Netz, die einem sagen, wie man am besten lebt.

Aber helfen diese Ratgeberbücher am Ende tatsächlich weiter?
Jaud: Ich denke, dass es eher darum geht, eine gewisse Lebenseinstellung zu vermitteln. Letztlich sind ja alle Ratgeber irgendwie positiv behaftet, es wird nach vorne geblickt und ein Lebensgefühl transportiert, welches eben nicht die Opferhaltung abbildet, die viele Ratsuchende vielleicht haben. Diese Mutlosigkeit aufzubrechen, dafür sind solche Bücher gut. Ich habe aber auch viele Ratgeber gelesen, bei denen ich nach dreißig Seiten dachte, wenn ich das jetzt alles auch noch machen muss, dann lebe ich ja wie eine Maschine. Dann verzichte ich lieber auf die Millionen Euro, wenn das der Weg ist, da ran zu kommen.

Gibt es eine strikte Trennlinie zwischen Ihnen und den im Buch verteufelten Lebensoptimierern? Oder gibt es da im privaten Bereich schon ein paar Überschneidungen?
Jaud: Teilweise ist das sogar deckungsgleich. Sean Brummel würde sicher nicht drei Mal die Woche Sport machen, Tennis spielen und zu einem Functional Fit-Kurs gehen, um mit anderen Männern LKW-Reifen umzuwerfen und sich durch Kletternetze zu bewegen. Ich achte darauf, was ich esse und dass ich mir nicht jede Woche fünf Mal die Rübe wegsaufe. Also das Gegenteil von Sean Brummel. Ich probiere sogar veganes Essen. Nicht oft, aber es interessiert mich halt. Ich stehe also zu Sean Brummel als Propagandist, aber nicht zu jedem seiner Inhalte.

Im Buch heißt es ja auch, dass man bei dem Versuch, sein Leben vollständig nachhaltig umzugestalten scheitern wird…
Jaud: Die pure Tatsache, dass wir leben ist schon eine Katastrophe! Natürlich kann man sich bemühen, der Umwelt möglichst wenig auf die Nerven zu gehen, aber diesen Spagat hinzukriegen ist schwierig. Wenn ich beispielsweise nach Los Angeles fliege und dann versuche, den entstandenen Schaden für die Umwelt durch eine Extragebühr zum Klimaschutz wieder gut zu machen, ist das für mich dasselbe wie einen Liter Diesel in den Rhein zu kippen und dann mit dem Rad zu flüchten, statt mit dem Auto. Ich weiß auch nicht ob ein veganer Triathlet, nehmen wir mal wieder die Comedy-Beispiele, der jedes Jahr nach Hawaii fliegt und Tonnen von veganer Pasta wegfuttert, für die Umwelt eine geringere Belastung ist, als ich. Das könnte man ausrechnen, aber will man das?

Geht es bei diesen ganzen neuen Gesundheits-Trends nicht auch immer ein wenig um Dogmatismus?
Jaud: Ja, und wenn der wegbleibt, dann finde ich es auch wieder interessant. Ich habe als Mensch immer ein Problem damit, wenn man mir vorschreibt, was ich zu tun habe. Wenn ich aber darf, dann schaue ich mir gerne alles an. Und wenn man freiwillig darauf gestoßen wird, wie lecker man beispielsweise auch vegan kochen kann, ist das völlig in Ordnung. Wenn andererseits jemand partout kein Fleisch essen möchte, soll er das tun, aber anderen Leuten damit bitte nicht auf die Nerven gehen.

Tommy Jaud CoverGibt es ein Ratgeberthema, welches nach Ihrer Recherche alle anderen Themen in seiner Sinnlosigkeit übertrifft?
Jaud: Ich kann mit den Büchern nicht so viel anfangen, die ganz kleinteilig das ganze Leben regeln wollen. Zur Recherche war ich viel im Internet unterwegs, auf englischen, amerikanischen und australischen Seiten, da steht natürlich auch viel Schwachsinn. Sachen die runtergebrochen werden, oder schon tausend Mal abgeschrieben wurden, sodass man teilweise die Originalquelle gar nicht mehr zurückverfolgen kann. (Überlegt) Am schlimmsten finde ich diese Top-Ten-Listen für ein besseres Leben, die einen einfach total rappelig machen, zum Beispiel: „10 Dinge, die Sie als Mann vor 40 gemacht haben müssen!“

Zwei Ihrer Bücher, „Vollidiot“ und „Resturlaub“, wurden verfilmt, für beide haben Sie am Drehbuch mitgeschrieben. Darf man daraus schlussfolgern, dass Sie auch an einer künstlerisch-vertretbaren Adaption der Bücher interessiert waren?
Jaud: Natürlich wollte ich einen guten Film haben. Wenn dir als Erstlingsautor jemand anbietet, einen Kinofilm aus deinem Buch zu machen, hast du natürlich Tränen in den Augen, da geht es erstmal um Schmeichelei und nicht um Geld. Aber ich kann ja selbst gar keinen guten Film machen, ich bin ja ein Autor und keine Filmproduktionsfirma, also kann ich nur versuchen ein möglichst gutes Drehbuch schreiben. Bei „Vollidiot“ hat mir Christian Zübert beim Drehbuch geholfen, für „Resturlaub“ habe ich das Drehbuch mehr oder weniger alleine geschrieben. Seltsamerweise gefällt mir aber „Vollidiot“ als Film wesentlich besser. Was vielleicht auch der Grund dafür ist, dass „Hummeldumm“ nach wie vor nicht verfilmt worden ist.

Haben Sie sich da nicht mehr rangetraut?
Jaud: Naja, wenn man das Buch geschrieben hat, dazu noch eine Hörbuchfassung, und anschließend ein Drehbuch für die Verfilmung, dann ist man rund drei Jahre in diesem Stoff gefangen. Deswegen wollte ich, dass das Drehbuch zu „Hummeldumm“ mal jemand anders schreibt. Das hat letztendlich leider nicht geklappt, weil die Produktionsfirma bis zum Schluss niemanden gefunden hat, der das Drehbuch umsetzen konnte. Und irgendwann ist so ein Stoff ja dann auch nicht mehr heiß.

Waren Sie denn inhaltlich zufrieden, mit den beiden Buchverfilmungen?
Jaud: Mit „Vollidiot“ bin ich ganz zufrieden, mit „Resturlaub“ nicht so sehr. Ich finde, dass Oliver Pocher das gut gemacht hat, er war die richtige Figur für „Vollidiot“ und der Film blieb dem Genre treu. Bei „Resturlaub“ war ich ein bisschen enttäuscht, vielleicht weil ich zu viel wollte, die große amerikanische Komödie. Aber es ist im Nachhinein müßig zu sagen, wer daran schuld ist, ich selbst als Drehbuchautor, die Regie, die Produktionsfirma, die Schauspieler, das Catering… Das Risiko beim Film ist immer groß, selbst wenn man Regisseur oder Produzent ist.

Könnte man denn das neue Buch im amerikanischen Stil in Deutschland überhaupt umsetzten, oder müsste man dafür auch tatsächlich in die USA reisen und dort drehen?
Jaud: Darüber habe ich mir auch Gedanken gemacht, obwohl es eigentlich noch viel zu früh dafür ist. Es würde auf jeden Fall absolut Sinn machen, das in Amerika zu drehen, damit es authentisch aussieht. Das wäre ein sehr lustiges Projekt. Aber natürlich muss ich erst mal sehen, wie sich das Buch verkauft, bevor irgendjemand gewillt ist, für eine dazugehörige Produktion Geld in die Hand zu nehmen.

Kann man den amerikanischen Film-Look nur in Amerika realisieren, oder ist das nicht auch eine Frage des Budgets?
Jaud: Klar hat das auch mit Geld zu tun, aber ich weiß gar nicht genau, was es ist, das eine Filmproduktion so deutsch macht. Und natürlich wird in den USA auch unfassbar viel Schrott produziert, wir kriegen ja immer nur die Perlen zu sehen. Und auch bei denen gibt es mal schwache Momente, selbst bei „Breaking Bad“ oder „Better Call Saul“.

Wäre es andererseits denkbar, aus diesem Buch keinen Film zu machen, sondern tatsächlich auf „Vorlesungs-Tour“ mit den Thesen von Sean Brummel zu gehen?
Jaud: Ja, das ist vorstellbar. Ich habe mir dazu lange Gedanken gemacht, vor allem über die Frage, wer denn da liest, ich oder Sean Brummel. Aber das ist keine leichte Aufgabe, ich müsste mir die Perücke aufsetzen, den Schnurrbart und die Koteletten ankleben und amerikanisches Englisch sprechen, das passt alles nicht so richtig. Denn dann müsste ich als Sean Brummel letztendlich eine Show abliefern, und ich bin weder Stand-up-Comedian, noch Schauspieler. Ich kann aber eine schöne Lesung machen, und Sean Brummel quasi mitbringen, als Foto und mit einer Videoschalte nach Kalifornien zu Sean. Die hab ich im Übrigen schon gemacht und die kommt sehr schräg, weil ich ja mit mir selber sprechen muss.

Welche Angst steckt hinter dem geordneten, optimierten und sauberen Leben, dass sich die Gesellschaft anscheinend immer stärker herbeisehnt?
Jaud: (Überlegt) Die Angst, die Kontrolle zu verlieren, vielleicht, über das eigene Leben und seine Umgebung. Ich bin auch jemand, der dann am besten funktioniert und am zufriedensten ist, wenn ich grob weiß, was ich in der laufenden Woche machen muss und warum ich morgens aufstehe.

Hat die Angst auch mit den vielen Informationsquellen zu tun, die uns die Medien heutzutage bieten?
Jaud: Sicher, je nachdem, über welche Quellen man sich informiert, bekommt man eben mehr oder weniger Angst. Bizarrerweise kann aber auch das engagierte Nehmen von Angst selbst Angst machen, wie zum Beispiel in den ersten Tagen der Flüchtlings-Berichterstattung. Da habe ich mich dann bei den Nachrichten schon gefragt: Bin ich denn gerade wirklich der Einzige, der sich fragt, ob wir das tatsächlich alles schaffen können? War ich nicht, aber es wurde halt nicht vermittelt, die klassische „Schweigespirale“, soviel habe ich aus meinem Studium dann doch noch mitgenommen.

Sind Sie Mitte der 1990er nach Köln gezogen, mit der festen Absicht Comedy-Autor für das Fernsehen zu werden?
Jaud: Nein, das ist einfach so passiert. Ich habe in Schweinfurt Lokalradio gemacht, noch zu Schulzeiten. Dann habe ich neben dem Studium in Bamberg bei Antenne Thüringen moderiert, und von da ist ein Kollege zu „RTL Samstag Nacht“ nach Köln gewechselt, das war der Beginn der großen Comedy-Zeit in Deutschland und ich war fasziniert, habe mich aber erst zwei Jahre später getraut, da mal nach einem Praktikum zu fragen. So bin ich nach Köln gekommen und habe schließlich angefangen, Gags für die Sendung zu schreiben. Obwohl das großen Spaß gemacht hat fand ich es ziemlich hart, weil da pro Gag bezahlt wurde. Danach folgten die „RTL Nachtshow“ mit Thomas Koschwitz und „Die Wochenshow“, das wurde gut bezahlt. Aber ich bin ein ängstlicher Typ und habe die Wohnung in Bamberg trotzdem noch zwei Jahre behalten, bevor ich endgültig nach Köln gezogen bin.

Eine Karriere als Schriftsteller war da sicherlich noch unvorstellbar…
Jaud: Ja, der ausschlaggebende Grund dafür war eine mutige Aktion vom Fischer-Verlag, der Fernsehautoren gesucht hat, um Bücher zu schreiben. Da gab es ein paar Sachbuch-Ideen, die ich nicht so interessant fand. Aber die grundsätzliche Idee blieb mir im Kopf und dann habe ich dem Verlag ein paar Seiten mit einer eigenen Idee gegeben. Daraus ist 2004 schließlich „Vollidiot“ entstanden, und das Schreiben hat so großen Spaß gemacht, dass ich dabei geblieben bin.

Würden Sie sich mittlerweile also als Schriftsteller bezeichnen?
Jaud: Mit dem Begriff tue ich mich schwer, das klingt mir zu fein und zu hoch. Ich bin ein Comedy-Autor, das trifft es am besten.

Schreiben Sie denn derzeit noch Comedy-Texte für das Fernsehen?
Jaud: Im Moment nicht. Ich habe 2013 mal zwei Wochen ein Praktikum bei der „heute-show“ gemacht, aus Spaß, und auch weil ich viele da von früher kenne, das ist wirklich ein kleiner Kreis. Ich würde gerne wieder ein Format entwickeln, eine Show machen, irgendwas mit komplettem Unsinn. Aber dafür bin ich wohl inzwischen zu weit weg vom Fernsehgeschäft, da müsste ich mich erst wieder einarbeiten. Ich habe ja noch nicht mal „Fack Ju Göhte“ gesehen (lacht)!

Nach Ihren Büchern „Hummeldumm“ und „Resturlaub“ eine notwendige Frage: Reisen Sie eigentlich gerne?
Jaud: Ja und Nein. Ich bin nicht so der Abenteuer-Typ, ich brauche eine Zuflucht, in die ich mich zurückziehen kann, um dann von dort aus dann los zu gehen und Sachen zu entdecken. Deswegen hat die Reise nach Namibia ja auch nicht funktioniert! Das ist wirklich ein schönes Reiseland, aber die Leute im Bus waren einfach eine Katastrophe, die Reisegruppe an sich hat einfach nicht funktioniert. Ich bin aber trotzdem dankbar für jeden Reisetag, denn daraus ist ja „Hummeldumm“ entstanden (schmunzelt)!

Welche Bedingungen muss eine Reise erfüllen, damit Sie sich wohlfühlen?
Jaud: Ich muss mich entspannen können und freue mich über gutes Essen. Und ich muss die Sprache halbwegs beherrschen. Zumindest die einfachsten Sätze können, sonst fühle ich mich als Tourist nicht wohl. Deswegen haben mir die Reisen nach Kalifornien gefallen, für das neue Buch, weil ich die in fließendem Englisch ankacken kann, warum zum Teufel sie mir die verdammte Rechnung bringen, wo ich doch noch nicht mal den letzten Bissen Steak gegessen habe. Da bin ich, trotz aller kulturellen Unterschiede, den Leuten in Kalifornien näher, als wenn ich im 90 km entfernten Venlo einem Kellner auf deutsch sagen muss, dass ich gerne zahlen möchte, weil ich halt einfach kein Wort niederländisch kann.

Tommy Jaud wurde 1970 in Schweinfurt geboren. Nach dem Abitur zog er für ein Germanistikstudium nach Bamberg und arbeitete für den Radiosender „Antenne Thüringen“. Nebenbei fing er an, als Autor für diverse Comedy-Sendungen in Köln zu arbeiten und mehr

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