Dougie, du bist nicht nur Rockmusiker sondern seit letztem Jahr auch Familienvater. Ist es jetzt härter, auf Tour zu gehen?
Payne: Auf jeden Fall, viel härter. Es ist schwierig, von zuhause wegzugehen. Hast du selbst Kinder?
Nein, noch nicht.
Payne: Es ist merkwürdig, die Liebe zu deinem Sohn wird zu Antrieb und Motivation von allem, was du tust, er wird zur wichtigsten Sache in deinem Leben. Alles andere wird irgendwie weniger wichtig, weil du am liebsten immer mit ihm zusammen sein willst. Es ist also schwierig, aber ich habe auch eine Verantwortung gegenüber der Band. Sie besteht nun schon seit 13 Jahren, da gibt es Dinge, die man tun muss – wie auf Tour gehen. Damit muss man sich arrangieren. Aber da alle in der Band Familienväter sind, ist es leichter, als wenn man der Einzige wäre, der ein Kind hat. Es ist nicht ganz so herzzerreißend, sondern mehr ein gemeinsames Leiden. [lacht]
Besteht die Möglichkeit, dass du öfter nach Hause kommst? Oder seid ihr manchmal für Monate weg?
Payne: Seit Freddie letztes Jahr geboren wurde, sind wir nie länger als zwei Wochen am Stück auf Tour. Wir bzw. unser Manager sorgen dafür, dass die Tour-Perioden kurz gehalten werden, damit wir auch einige Zeit zuhause verbringen können. Das ist unsere „zivilisierte“ und vernünftige Art des Tourens. Ganz am Ende sind wir noch drei Wochen in Amerika unterwegs. Das wird ziemlich hart, ist aber auch das Ende der regulären Tour. Im Sommer spielen wir nur noch ein paar Festivals.
Wenn dein Sohn den Weg seiner Eltern einschlagen sollte, was wäre dir lieber: wenn er Musiker wird oder Schauspieler, wie deine Frau Kelly MacDonald?
Payne: Ich bin mir nicht sicher, was immer ihn glücklich macht. Aber er ist sehr an Musik interessiert. Wenn ich im Sessel sitze und Gitarre spiele, kommt er oft und zupft an den Saiten. Musik ist toll, und wenn er etwas Kreatives machen will, wäre das super. Aber wenn er glücklich sein sollte, wenn er Mathe studiert, wäre das auch cool. [lacht]
Chris Martin sagte einmal: „Ohne Travis würde es Coldplay wahrscheinlich nicht geben.“ Seht ihr euch als Vorbild für andere Bands?
Payne: Ich bin mir nicht sicher. „The Man Who“ war sicherlich ein einflussreiches Album in Großbritannien, aber Chris ist ein so getriebener und ambitionierter Mann, dass Coldplay es auch ohne uns geschafft hätten. Er ist so zielstrebig, dass es auch so passiert wäre und sie vielleicht einen gewissen Einfluss auf andere Bands gewonnen hätten. So funktioniert das nun mal, dass eine Band die Tür für andere Bands öffnet. So war das auch mit diesem ganzen BritPop-Ding. Als Oasis, Blur und Radiohead groß wurden, suchten alle Plattenfirmen nach solchen Bands. Wir wurden deshalb 1996/1997 neben hunderten anderen Bands gesignt und schafften mit „The Man Who“ ein paar Jahre später den Durchbruch. Und im Zuge unseres Erfolges wurden dann hunderte Bands unter Vertrag genommen, die wie wir mehr mit akustischen Gitarren arbeiten. Und der Siegeszug von Coldplay aus diesen vielen Bands heraus: das ist die Art und Weise, wie das Geschäft funktioniert.
Euer Debüt-Album kam 1997 heraus. Ist seitdem alles so verlaufen, wie du es dir am Anfang deiner Karriere vorgestellt hast?
Payne: Es gab sicher gute und weniger gute Momente. Aber so ist das Leben, man gewöhnt sich an alles. Im Großen und Ganzen haben wir im Popbusiness gut abgeschnitten, sehr gut sogar. Ich denke, wir sind eine gute Live-Band und werden dabei immer noch besser. Wir haben sechs meiner Meinung nach starke Alben veröffentlicht und viele Songs aufgenommen. Es gibt also einiges, mit dem man zufrieden sein könnte. Aber wenn du dir, weil wir schon darüber sprachen, Coldplay anschaust, denkst du dir: Verdammt, das ist wirklich riesig! Wir könnten das auch sein, die zwei Abende hintereinander im Wembley-Stadion spielen. Aber welchen Erfolg du hast, bestimmt die Art, was für ein Mensch du bist, wie zielstrebig du bist. Wie ich schon sagte, Chris ist ein sehr zielstrebiger, sehr ambitionierter und smarter Typ und ich denke, wir sind einfach ein anderer Menschenschlag. Als wir die größte Band in Großbritannien waren, in der Wembley-Arena gespielt haben mit allem, was dazugehört, hat es sich irgendwie erbärmlich angefühlt. Wir waren nicht glücklich, das Arbeitspensum war viel zu groß. Manche Leute sind einfach dafür geschaffen und andere nicht.
Ich habe ein sehr schönes Zitat von dir gefunden: „Popmusik zu machen ist wie ein Soufflé zu backen – wenn man es nicht auf den Punkt hinbekommt, fällt alles zusammen.“ Was muss denn für ein gutes Gelingen beachtet werden?
Payne: Lass mich kurz nachdenken… Um gute Popmusik zu machen, muss man einen Teil seines Gehirns ausschalten. Wenn man zu analytisch, zu kritisch und zu selbstkritisch ist, erstarrt man. Gute Popmusik ist sehr oft das Offensichtliche. Und wenn man das versucht zu vermeiden, kann oft etwas Seltsames dabei herauskommen. Um gute Popsongs zu schreiben – nicht unbedingt Jazz oder Klassik – muss man also einen Teil seines Gehirns ausschalten. [lacht] Man muss dem Offensichtlichen erlauben, einfach zu geschehen.
Es ist also wie im Fußball – wenn man zu viel nachdenkt, trifft man das Tor nicht.
Payne: Ganz genau, ganz genau. Es gibt Momente, die nicht sehr oft passieren. Wenn man viel Fußball schaut, erlebt man vielleicht alle zehn Spiele einmal einen solchen magischen Moment. Aber manchmal passiert es eben, und deshalb muss man für einen guten Song viele schlechte schreiben.
Euer aktuelles Album „Ode To J. Smith“ ist relativ rockig geraten. Wolltet ihr euch selbst beweisen, dass ihr – obwohl ihr Familienväter seid – noch jung genug für einen ungestümen Sound seid?
Payne: [lacht] Du meinst, wir hatten eine Midlife-Crisis? [lacht] Könnte sein, normalerweise hinterfragen wir uns dabei nicht so sehr. Die Idee hinter dem Album war, es schnell zu schreiben und aufzunehmen. Und anstatt jeder für sich für Monate in seiner Kammer zu verschwinden, mieteten wir uns einen kleinen Raum, nachdem wir von der letzten Tour zurück waren. Dort trafen wir uns, und jeder hatte die Pflicht, aufzutauchen. Fran hatte einen neuen Verstärker gekauft, so wurde der Sound lauter und heftiger. Wir waren sehr angeregt von den neuen, rauen Songs, und es fühlte sich einfach richtig an. Deshalb wollten wir die Songs auch schnell und live aufnehmen. Viele Leute sind immer überrascht, dass wir bei unseren Konzerten einen raueren Sound haben als auf unseren Alben. Das eine sind eben Live-Travis und das andere Album-Travis. Und das wollten wir wieder zusammenführen. Als wir 1996 anfingen, waren wir eine Rockband, die erste Single hieß „All I Want To Do Is Rock“, wir waren ziemlich laut.
Gute Popmusik ist sehr oft das Offensichtliche. Und wenn man versucht, das zu vermeiden, kann oft etwas Seltsames dabei herauskommen.
Bist du glücklich, wenn es heißt: Jetzt klingen sie wieder wie auf ihrem ersten Album „Good Feeling“?
Payne: Auf jeden Fall. Was „Good Feeling“ und „Ode To J. Smith“ gemeinsam haben, ist, dass sie schnell und billig gemacht wurden. So wie die meisten ersten Alben wurde auch „Good Feeling“ billig aufgenommen und produziert. Für die Plattenfirmen sind erste Alben wie Wetten: Gebt der Band ein bisschen Geld und zwei Wochen im Studio und lasst uns sehen, was dabei herauskommt. Wenn man weder Zeit noch Geld hat, um die Dinge perfekt zu machen und drei Jahre im Studio zu verbringen, dann kommt die Persönlichkeit viel eher zum Tragen – die Persönlichkeit der Musiker als auch der Songs. Man hat keine Zeit für Verschleierungen oder Polierarbeiten. Der Großteil meiner Lieblingsalben wie z.B. „Hunky Dory“ hat diese Persönlichkeit, es fühlt sich an, als ob man Teil von etwas ist. Wenn man sich solche Alben anhört, kann man vollständig in der Musik aufgehen. Und bei „Ode To J. Smith“ kommt unsere Persönlichkeit gut zum Tragen.
Du hast drei Songs für „Ode To J. Smith“ geschrieben. Willst du Fran eines Tages als Haupt-Songwriter stürzen?
Payne: Nein, teilweise schreibe ich Songs, weil es mir im Studio sonst langweilig wird [lacht], und teilweise fügen sie sich einfach zusammen. Fran hat ziemlich genaue Vorstellungen, wie die Band klingen soll. Bei diesem Album passten meine Songs einfach gut hinein, zu dem ganzen Aufbau und der Idee hinter ihm.
Planst du in absehbarer Zeit ein Soloalbum?
Payne: Nicht wirklich. Ich mag den Schreibprozess, das ist etwas was ich gerne tue und auch weiterhin tun werde. Ich mag es aber, in einer Band zu sein, deshalb gibt es keine ernsthaften Pläne für ein Soloalbum. Ich würde es aber für die Zukunft auch nicht komplett ausschließen. Ich strebe auch nicht danach, ganz vorne im Rampenlicht zu stehen. Dafür muss man ein bestimmter Typ sein, und ich bin nicht so ein Typ. [lacht]
Wie kam es zu den lateinischen Zeilen in dem Song „J. Smith“?
Payne: Der Vater eines Freundes von Fran ist Lateinprofessor in Glasgow. Fran hatte die Idee, dass der Charakter J. Smith in den Himmel kommt und dort von Engeln empfangen wird. Wegen seiner katholischen Erziehung dachte er wohl, dass die Engel Latein sprechen. Also rief er den Professor an und bat ihn um eine Übersetzung und fragte ihn, was die Engel sagen könnten, wenn sie J. Smith in die Hölle schicken. So kam der Professor auf einen der schlimmsten lateinischen Flüche, der so viel bedeutet wie: Mögen in deinem Hintern für immer heiße Kohlen sein!
Als ihr euer vorletztes Album „12 Memories“ veröffentlicht habt, gab es noch kein Myspace und Youtube. Heute kann sich praktisch keine Band mehr erlauben, diese Kanäle nicht zu nutzen. Siehst du das als Fluch oder Segen an?
Payne: Es ist beides. Die Annehmlichkeit des Internets besteht darin, dass wenn man einen bestimmten Song sucht ihn auch im Internet findet. Andererseits zerstört das auch zu einem gewissen Grad die Magie der Musik. Musik war DAS große Ding, als ich jung war, es war nicht Teil eines Videospiels, einer Fernsehsendung oder eines Films. Es war etwas besonderes, Platten zu kaufen, nicht Videospiele oder DVDs. Das Internet hat die Musik weniger wertvoll gemacht. Ich bin sicher, ein 14-Jähirger würde mir da widersprechen, aber für mich ist es eine traurige Entwicklung. Beim Internet geht es nur um die Breite von Informationen, nicht um die Tiefe. Man kann sich zehn Sekunden von Milliarden Songs anhören anstatt sich ein paar Stunden mit einem einzigen Album zu beschäftigen und sich wirklich darin zu vertiefen. Das ist eine völlig andere Art der Perzeption. Die Zeiten ändern sich, aber ehrlich gesagt finde ich die ganzen verdammten Myspace-Bands ziemlich schrecklich. [lacht] Vorher musste man einige Kanäle durchlaufen, um eine Single oder ein Album zu veröffentlichen. Man musste die Rechtsabteilung durchlaufen, um überhaupt unter Vertrag genommen zu werden, nicht zu vergessen die A&Rs. All diese Dinge waren eine Art Filter, um die schrecklichen Sachen herauszufischen. Heute kann jeder ein Album veröffentlichen, genauso wie Coldplay oder U2 es tun, in exakt der gleichen Form. Das ist natürlich sehr demokratisch, aber in diesem Falle hätte Elitismus noch seine Berechtigung.
Denkst du, dass das Internet in absehbarer Zeit die Idee des Albums auflösen wird? In Zeiten, in denen die Meisten nur noch einzelne Songs auf ihren mp3-Playern hören?
Payne: Es hat auch meine Art des Musikhörens verändert. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mir das letzte Mal ein ganzes Album angehört habe. Es hat eine fast giftige Wirkung und verkürzt die Aufmerksamkeitsspanne, gerade von Kindern, sehr. Als ich vor einiger Zeit backstage bei einer Fernsehsendung meine E-Mails auf dem IPhone checkte, gleichzeitig am Laptop im Internet surfte und dabei noch ein Magazin aufgeschlagen hatte, sagte ein älterer Mann zu mir, dass er das nicht gut fände. So könne man sich doch nicht konzentrieren. Und er hatte Recht, man gleitet nur an der Oberfläche entlang anstatt sich in etwas zu vertiefen.
Ihr habt „Ode To J. Smith“ auf eurem eigenen Label Red Telephone Box veröffentlicht. Wolltet ihr damit die großen Plattenfirmen-Strukturen hinter euch lassen oder war es eher als Antwort auf die Krise des Musikmarktes gedacht?
Payne: Es war keine Antwort auf etwas und es stand auch kein großer Plan dahinter. Unser Vertrag mit Independiente lief nach den vereinbarten fünf Alben aus, und danach fragten wir uns, wie wir weitermachen. Wollen wir es wie Radiohead machen und die Leute für unsere Musik soviel zahlen lassen, wie sie wollen oder suchen wir uns einen anderen, neuen Vertriebsweg? Stecken wir sie beispielsweise in einen Kuchen? [lacht] Schließlich entschlossen wir uns, zuerst das Album zu machen und dann zu entscheiden, wie wir weiter vorgehen. Wir waren in einer sehr günstigen Position, denn wir hatten zwar kein riesiges Budget, konnten uns aber ein gutes Studio für zwei Wochen mieten und das Album zur allgemeinen Zufriedenheit beenden. Wir haben also diese großartige Album gemacht, und es gehörte uns allein, niemand Anderem, und das fühlte sich wirklich großartig an. Wir waren praktisch verheiratet mit Idependiente bevor wir uns trennten. Warum sollten wir es diesmal nicht als Junggesellen versuchen und das Album ganz alleine veröffentlichen, bevor wir mit jemand Anderem ins Bett steigen?
Wenn große Bands wie Travis oder kürzlich Oasis ihre Alben alleine veröffentlichen, ist das der kommende Weg?
Payne: Ich weiß es nicht, wir sind keine Geschäftsmänner. Wir haben Red Telephone Box schon 1996 gegründet, um unsere erste EP zu veröffentlichen. Es war also eine Art Widerbelebung des Labels. Die Musikindustrie sucht gerade verzweifelt nach Wegen, wie sie weiterhin Geld verdienen kann. Es liegen also interessante Jahre vor uns.
Letzte Frage: Was singst du deinem Sohn am liebsten als Schlaflied vor?
Payne: Ich singe keine Travis-Songs, hauptsächlich Beatles-Songs wie „Here Comes The Sun“ oder „I Follow The Sun“. Manchmal auch Stücke von David Bowie, „Tear You Apart“ und „Kooks“.
The Kooks?
Payne: Den Song, nicht die Band.[lacht]