Trevor Peters

Wir haben heute keine Antwort auf die Frage, was „alt“ eigentlich bedeutet.

Regisseur Trevor Peters über seinen Dokumentarfilm "Tanz mit der Zeit", unser Körpergedächtnis und Emotionalität im Tanz

Trevor Peters

© Ventura Film / martinkrueger.com

Herr Peters, wann waren Sie zum letzten Mal tanzen?
Peters: Ich selbst? Allein oder mit jemandem auf einer Veranstaltung? Man geht jeden Tag mehr oder weniger bewußt durch die Gegend. Wenn einem die eigene Körperlichkeit ein bißchen bewußt ist, geht man anders. Man denkt man an seine eigenen Schritte und nimmt seine Umwelt wahr. Ist das schon tanzen?

Ich denke schon. Was berührt Sie persönlich am tanzen?
Peters: Dass man versteht, ohne mit dem Verstand zu arbeiten. Tanzen hat eine emotionale Ebene, die sich sofort erschließt. Wenn wir zuviel über einen Tanz nachdenken, ist es kein guter Tanz mehr. Was mich an dem Stück „Zeit – tanzen seit 1927“ sehr beeindruckt und besonders begeistert hat ist diese Unmittelbarkeit der Gefühle. Die Tänzer tanzen sich selbst. Es ist sehr persönlich was sie machen, beinahe intim. Das kommt sofort rüber.

Wie haben Sie sich der filmischen Umsetzung des Stückes genähert?
Peters: Die Tänzer boten für die Dreharbeiten ohne Publikum das an, was sie für die Bühne geprobt hatten. Ich muß eine Aufführung aber anders umsetzen, weil die Gesetze vom Film andere sind als vom Theater. Im Theater bist du ein Mensch unter vielen, sitzt in einem abgedunkelten Raum, schaust auf die Bühne und läßt das auf dich wirken. Du gehst mit oder nicht. Im Kino stehen zwar Lautsprecher und eine Leinwand zur Verfügung. Aber ich muß den Zuschauer in das Geschehen so hineinziehen als ob er tatsächlich in einem Theater wäre. Dass er eine besondere Beziehung zum Tanz bekommt, hoffentlich eine emotionale Nähe, die dem Erlebnis im Theater gleichkommt und es vielleicht weiterführt.

Hat sich ihr eigenes Körperverständnis durch die Arbeit mit den 60-80jährigen Tänzern verändert?
Peters: Grundsätzlich mache ich erst einmal einen Film. Das bezieht sich nicht nur auf den Tanz sondern auch auf andere Aspekte des Lebens. Schließlich lebt man in jedem Alter. Die Einstellungen dieser vier Tänzer und Tänzerinnen zu ihrem Leben, zur Kunst, der Leidenschaft zu tanzen konnte ich sofort nachvollziehen. Ohne diese große Empathie hätte ich den Film nicht machen können. Ich hätte mich in Themen verheddert. Als Dokumentarfilmer habe ich einen sehr einfachen Stand: Ich gucke zu und versuche, das Gesehene für den Film zu optimieren. Natürlich habe ich in den Begegnungen mit diesen Menschen etwas gelernt: ich habe vier fabelhafte Menschen kennengelernt. Sie haben die Größe gehabt, sich zu öffnen und etwas von sich zu zeigen. Für mich ist das etwas anderes als Lernen, es ist wichtig für mein Leben.

Oft sind Tänzerbiografien durch ständige Ortswechsel geprägt. Sie kamen aus Neuseeland über London und Hamburg nach Berlin und waren für Ihre Filme häufig im Osten Deutschlands unterwegs.
Peters: So häufig habe ich meinen Wohnsitz nicht gewechselt. In Hamburg habe ich 28 Jahre gewohnt. Das deckt sich bei weitem nicht mit den Erfahrungen von Tänzern. Man ist für ein Jahr irgendwo und muß sich die Beine dafür ausreißen. Ich habe keine Ahnung, wie sie das schaffen. Was das für ein Leben ist, kann ich nicht nachvollziehen. Das muß ziemlich hart sein. So war es bei mir zum Glück nicht.
Diese Tänzer waren lange an das Ensemble der Leipziger Oper gebunden. Sie wuchsen praktisch damit auf und machten Karriere. Ein so ausgeprägter Ensemblegedanke kann zu einer Kultur der Superlative führen, wenn es dabei nur um ein bestimmtes Haus geht. Das wird manchmal seelenlos. Ich verachte das nicht aber es führt weg von der Kunst.

Es war nicht Ihr Anliegen, spezifisch ostdeutsche Tänzerbiographien zu dokumentieren?
Peters: Nein, ich wollte diese Menschen kennenlernen, weil mich ihr Auftritt berührt hat.

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Tänzerische Perfektion ist mir suspekt.

Trevor Peters

Welche Art von Körpergedächtnis haben Sie in der Zusammenarbeit erfahren?
Peters: Wir haben heute eigentlich keine Antwort auf die Frage, was „alt“ eigentlich bedeutet. Alles ist in unserem Körper gespeichert, nichts davon geht verloren. Und besonders bei Tänzern, die so intensiv und diszipliniert arbeiten. Ihre Körper sind im Alltag andere als auf der Bühne. Dort können sie auf wundersame Art alle Energien konzentrieren. Das ist verblüffend zu sehen. Tänzerische Perfektion ist mir suspekt. Sie aber tanzen virtuos anstelle von perfekt.

Für die Szenen, die Sie ohne Publikum gedreht haben, haben Sie ein Storyboard geschrieben. Wie kann man sich das für Tanz überhaupt vorstellen?
Peters: Man stellt sich einen Film vor, die szenische Abfolge. Die ist kein Zufall. Beim Dreh aber spielt Spontaneität eine große Rolle sonst wirkt es später gewollt und steif. Ich will eine bestimmte Wirkung erzielen. Der Zuschauer soll die Nähe einfach genießen können. Um das herzustellen brauche ich Bilder. Das ist das einfachste Handwerk was es gibt. Warten, bis die Dinge auf einen zukommen. Manche Szenen mußten wir mehrmals drehen, dann haben wir uns bei den TänzerInnen entschuldigt und gesagt: „Ihr wart klasse aber wir nicht“. Wir waren geübt aber sie wollten das Beste geben. Tanz ist eine Kunstform, die immer das Ganze gibt. Ich habe eine einzige Kamera benutzt, das ist ungewöhnlich unter Dokumentarfilmern. Zudem hatten wir wenig Licht und dann ein Verhältnis herzustellen zwischen Schärfe und Unschärfe ist technisch unglaublich schwierig.

Wie war das Verhältnis zwischen gefilmtem und schlußendlich nicht verwendetem Material?
Peters: Ganz normal. Das entscheidet sich immer erst nach dem Dreh. Im Schneideraum liegen die Wahrheiten. Die Cutterin sagt mir, was sie gebrauchen kann und was nicht. Heike Hennig, die Choreographin war einmal beim Schnitt dabei. Sonst habe ich eine sehr eigene Vorstellung. Ein Regisseur eignet sich nicht unbedingt zum Demokraten.

Wie haben Sie die Musikauswahl für den Film getroffen?
Peters: Es gab Musik für das Bühnenstück aber die Rechte dafür haben wir nicht alle bekommen. Für die Gospel -Version einer Komposition von Bach ja, aber sonst haben wir Ersatz finden und neu komponieren müssen. Zum Glück hatten wir Musiker, die einfach losgelegt haben. Es ist verblüffend, dass manche Szenen so aussehen, als wären sie zu genau der Musik entstanden. Für das Adagietto aus der 5. Sinfonie von Mahler waren die Rechte bis zur letzten Minute nicht geklärt. Ich möchte nicht eitel klingen aber ich kann mir vorstellen, dass die Filmszene dazu Tanzgeschichte machen wird. Es ist so schön, wie sie dieses Duett tanzen, die Emotionalität ist so authentisch. Das Erzählen vom Leben verschmilzt mit dem tanzen. Alles gehört zusammen. Diesen Gedanken habe ich jetzt zum ersten Mal.

Gibt es eine Verbindung zwischen „Tanz mit der Zeit“ und Ihren anderen Filmen?
Peters: Nein, eigentlich nicht. Vielleicht ist er ein bisschen besser gelungen als die anderen. Das ist auch davon abhängig, ob es mir gelingt, die Protagonisten zu öffnen. Wenn das klappt, habe ich wenig zu tun. Es muß von selbst fließen. In die Trickkiste zu greifen ist nicht meine Art. Manchmal findet man einen Stoff, der es gut mit einem meint. Ich möchte mich nicht als Künstler unter Beweis stellen. Ich bin Mittler, mein Sendungsbewußtsein ist gleich null. Das Publikum soll sich seine eigenen Gedanken machen können.
Ich möchte eine Welt schaffen, die große Glaubwürdigkeit besitzt. Das hat mit mir zu tun.

Werden Sie sich in Zukunft auch mit jungen Tänzern auseinanderzusetzen?
Peters: Wenn es mir geschieht, dann ja. Aber es muss etwas sein, was mich in Beschlag nimmt. Tanzausbildung ist ja eine einzige Qual, da wird gnadenlos selektiert. Und irgendwann stellen sie fest, dass sie an ihre körperlichen Grenzen kommen. Dann geht nichts mehr.

Das Interview entstand im März 2008.

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