Tricky, welcher Darsteller des Jokers in den Batman-Kinofilmen ist Ihnen lieber: Jack Nicholson oder Heath Ledger?
Das ist mir eigentlich egal. Ich habe von beiden auch nicht besonders viel gesehen.
Filme interessiern Sie nicht?
Oh, ich liebe Filme, aber die Batman-Filme sind nicht besonders gut, weder die alten, noch die neuen. Sowas gucke ich nur, wenn es sonst nichts im Fernsehen gibt. Ich finde es schade, dass Heath Ledger tot ist, denn er war offensichtlich ein großes Talent. Wenn ich mich also entscheiden müsste, würde ich sagen: Heath Ledger war wohl der bessere Joker, weil er der bessere Schauspieler war.
Besser als Jack Nicholson?
Nun, der hatte das Glück, in einigen großartigen Filmen zu spielen. "Einer flog über das Kuckucksnest" – da ist er wirklich unglaublich. Aber nach einer Weile wurde er selbst zu einer Kunstfigur und spielte nur noch sich selbst. Heath Ledger war der mutigere Schauspieler. Er ging mehr Risiken ein.
Ich frage nach dem Joker, weil Ihre neue Sängerin Franky Riley auf ihrer MySpace-Seite gepostet hat: "Ich singe für den Joker" – das sind dann wohl Sie?
Nein. "I Sing for the Joker" heißt ganz einfach einer ihrer Songs. Aber lustig, dass Sie das so sehen, denn dieser Song ist der Grund, warum Franky nun auch auf meinem Album singt. Eigentlich hatte ich sie nur als Tour-Sängerin engagiert. Dann hat sie mir "I Sing for the Joker" vorgespielt, der auf einem ihrer Träume basierte. Ich hörte ihn und dachte: Das bin doch ich, über den sie da singt! Ich bin dieser Joker (lacht). Das war ein wenig seltsam.
Vielleicht hat sie von Ihnen geträumt, bevor Sie Sich kennenlernten. Glauben Sie an sowas?
Oh ja, auf jeden Fall. Ich glaube nicht an Gott oder irgendeinen spirituellen Müll. Aber ich habe genug gesehen und erlebt, um zu wissen, dass es mehr gibt, als das, was wir mit unseren Augen sehen können. Es muss irgendwas mit Energien zu tun haben.
Um das Joker-Thema abzuschließen: In den Batman-Filmen ist er jemand, der die Menschen demaskiert, sie provoziert, damit sie ihr wahres Gesicht zeigen. Sehen Sie Ihre Aufgabe als Künstler ähnlich?
Ja, schon. Aber ich glaube nicht, dass die Realität so ist, wie es Hollywood-Filme dann gerne behaupten. Die Leute sind nicht so selbstlos und solidarisch, wie es zum Beispiel im letzten Batman-Film "The Dark Knight" dargestellt wird. Sie sind gierig und vor allen auf ihren eigenen Vorteil aus. Diese pessimistische Sicht habe ich. Andererseits halte ich es für ein Problem, dass gerade die Regierungen uns am liebsten so sehen. Und tatsächlich wählen Leute einen Präsidenten nicht, damit sich etwas wirklich ändert. Die Leute wollen, das alles so bleibt, wie sie es gewohnt sind.
Als in den USA Präsident Obama gewählt wurde, ging es aber doch sehr wohl um Veränderungen.
Die Menschen in den USA hatten einfach genug von Bush, seinem Krieg und seinen religiösen Tricks. Also musste jemand kommen, der in diesen Punkten einen Neuanfang signalisierte. Was lag da näher, als eine Frau oder ein Schwarzer. Als Obama dann Präsident wurde, waren alle ganz begeistert, weil er der erste schwarze Präsident war – als würde das einen Unterschied machen. Die Drahtzieher dahinter sind sehr clever. Sie lassen an der Oberfläche Veränderungen zu, damit sie in den nächsten Jahren wieder ungestört ihr Ding machen können.
Das klingt ein wenig paranoid.
Nein, ich glaube, die Realität gibt mir da jeden Tag recht. Wir werden alle kontrolliert, damit sich nichts wirklich ändert, von der Wiege bis zur Bahre und manchmal sogar darüber hinaus. 1993 wurde zum Beispiel in England die Gemeindesteuer reformiert. Als dann mein Onkel starb, brachten sie meine Tante dazu, auch für ihn weiterhin Steuern zu zahlen. Das ist absurd, aber so handeln Verwaltungen im Auftrag der Regierung.
Ich bin sehr pessimistisch, was die politische und gesellschaftliche Entwicklung angeht. Andererseits gibt es überall auf der Welt Menschen, die Anlass geben, optimistisch zu sein. Ich komme in Länder, nach Russland zum Beispiel, von denen es heißt, sie seien sehr rassistisch. Aber dort spiele ich vor zehntausenden weißen Kids, die tanzen zu meiner Musik. Nach diesem Konzert habe ich auf der Straße mit Kids eine Tüte geraucht, die noch nie zuvor einen Schwarzen gesehen hatten. Ich war in China, die haben nicht mal freien Zugang zum Internet und trotzdem feiern die Kids da genauso, wie überall. Die Leute teilen überall die gleichen Leiden und Freuden.
Das heißt, das Konzept Ihrer Platte "Mixed Race", also der "gemischten Rasse", funktioniert auch als Vorbild für die zeitgemäße, globalisierte Gesellschaft?
Ja. Ich bin ja selbst eine Mischung. Ich sehe daher nicht die Hautfarben der Menschen, sondern die Menschen selbst. Ich bin als "mixed race" aufgewachsen, das hat mich zu dem gemacht, was ich bin und ich hatte Glück, in diesen beiden Welten, in der weißen Welt und in der schwarzen, jamaikanischen Welt zu leben. Wenn die Vermischung das Model der Zukunft wäre, würde es vieles einfacher machen. Aber die Menschen werden ständig nationalisiert. Nimm nur mal einen Box-Kampf: als Floyd Mayweather Jr. gegen Ricky Hatton kämpfte, wollte ich nicht, dass Hatton gewinnt, sonder Mayweather, weil er mein Lieblingsboxer ist. Da werden aber immer erst die Nationalhymnen gesungen und der Kampf wird zu "Amerika gegen England" aufgebauscht. Das ist doch Quatsch. Es sind einfach zwei tolle Boxer, die miteinander kämpfen. Wir müssen damit aufhören zu sagen: Ich bin Engländer, ich Deutscher, ich Amerikaner; wir sind alle eine Mischung, wir sind eine Menschheit. Wir alle sind verbunden miteinander, in uns fließt letztlich dasselbe Blut.
In Deutschland bringen sich gerade bürgerliche Kräfte gegen die vermeintliche Bedrohung durch andere Kulturen in Stellung. Sie propagieren ein kulturelles Selbstverständnis, das auf dem Stand von vor 100 Jahren stehen geblieben ist. Da wird "Deutschsein" als Fähigkeit definiert, Goethe-Gedichte auswendig zu können.
Dieses Verhalten gibt es überall, aber es führt zu nichts. Man hat rechte Bewegungen in Polen und Russland und trotzdem kommen immer mehr Menschen aus anderen Ländern dorthin. Selbst in einer von der Mafia geprägten Stadt wie Neapel, wo man immer gerne unter sich geblieben ist, gibt es immer mehr und mehr Schwarzafrikaner. Die Menschen müssen sich daran gewöhnen und einfach weiter gehen, weiter leben, statt ihre Vergangenheit zu idealisieren.
Ist das eine Generationsfrage? Wird sich Rassismus in 100 Jahren erledigt haben?
Vielleicht. Es wird allerdings immer ein paar Ignoranten geben und viele, die ihnen folgen. Ich kann das auch verstehen. Wenn ich als Weißer in Deutschland in einer Vorstadd leben würde, wo nur Weiße wohnen und ich könnte keinen Job finden und hätte das Gefühl, von der Regierung allein gelassen zu werden, dann würde ich es wohl toll finden, wenn fünf Typen um die Ecke kommen und mir erklären: Du hast keinen Job, weil die Araber dir die Jobs wegnehmen. Wenn du jung bis, möchtest du zu jemandem gehören, zu einer Gruppe, einer Idee. Früher spielte da die Musik eine größere Rolle, man konnte sich zu den Punks, zu den Mods, zu den Rockern oder Poppern zählen. Es gibt aber immer weniger, woran man sich anschließen kann – also verstehe ich, wenn sich die Kids den Rechten anschließen, erst recht, wenn schon deren Eltern eine ignorante Haltung haben. Ich bin mir sicher, wenn die mich getroffen hätten, an einem anderen Ort, zu einer frühen Zeit und wir würden zusammen aufwachsen, dann hätten wir kein Problem miteinander. Ich weiß nicht, ob diese Entwicklung irgendwann gestoppt werden wird. Denn um leichter kontrollierbar zu sein, müssen die Menschen voneinander getrennt bleiben und nichts lässt sich dafür besser instrumentalisieren, als die Unterschiede von Rassen und Religionen.
Wie setzen Sie die verschiedenen Facetten Ihrer neuen Platte zusammen?
"Mixed Race" hat so viel mit mir zu tun, wie kein anderes Album seit "Maxinquaye". Hier versammelt sich alles, was mich besonders geprägt hat. Wenn ich Hiphop hörte, war das der von Public Enemy, mein Song "Ghetto Stars" nimmt deren Stil auf. Wenn ich Blues höre, wäre er wie "Every Day". Es ist schwer, seine Alben mit Distanz zu betrachten. Ich wollte es einfach direkt und frisch klingen lassen.
Was bedeutet Ihnen im Vergleich dazu Ihr Debüt?
Abgesehen davon, dass es auf "Maxinquaye" Musik gibt, die neu war, die man so noch nie gehört hatte, fand ich sie nicht besonders aufregend. Ich höre mir meine eigenen Platten im nachhinein eigentlich nicht mehr an, aber vor ein paar Wochen war Franky Riley mit ihrer Mutter mal bei mir zu Hause und ich habe den beiden "Mixed Race" vorgespielt. Wir hatten ein paar Biere und ich spielte die Platte ziemlich laut, weil ich so stolz darauf war und mich freute, dass die Mutter so stolz auf ihre Tochter war. Aber auch für mich war das eine neue Erfahrung. Ich dachte: Wow, das ist, als würde ich zum ersten Mal Public Enemy hören, oder The Specials.
Ist es für Sie in irgendeiner Weise wichtig, ein Genre "pur" zu halten? Auf Fan-Blogs und in Musikmagazinen…
Ich lese soetwas nicht. Ich blättere höchstens mal ein Magazin durch, wenn es irgendwo in einem Büro rumliegt.
Befürchten Sie, sonst zu sehr von solchen Medien beeinflusst zu werden?
Nein, das ist einfach nicht meine Kultur. Ich komme vom Underground, Reggae und Dancehall. Diese Szene kommunizierte mit Kassetten, die im ganzen Land ausgetauscht wurden. Darüber haben wir uns informiert, nicht in Zeitschriften wie dem New Musical Express oder im Melody Maker.
Das Internet erleichtert mittlerweile diesen Austausch.
Ja. Wir haben damals die Kassetten gehört, die von Jamaika kamen, haben sie kopiert und weiter verteilt, überall dort, wo es eine jamaikanische Community gab. Unsere Mixtapes waren unser Medium. Youtube hat heute eine ähnliche Funktion.
Was genau war auf diesen Kassetten zu hören?
Oft waren das Live-Mitschnitte aus Studios oder Clubs. Die Künstler sahen niemals auch nur einen Cent dafür. Viele dieser jamaikanischen Künstler spielten aus Liebe zur Musik, nicht aus finanziellem Interesse.
Ich glaube nicht an Gott oder irgendeinen spirituellen Müll.
War Ihr letztes Album, die Neubearbeitung Ihres Albums "Knowle West Boy" durch die South Rakka Crew auch eine Verbeugung vor dieser Tradition?
Nun, die South Rakka Crew hatte einen großartigen Remix eines Songs gemacht, also habe ich mein Management gebeten, sie zu fragen, ob sie nicht ein ganzes Album remixen würden. Es ist eine gute Sache, seine Musik komplett jemand anderem zu übergeben: Hier habt ihr die Vocals die Instrumentalspuren, macht damit was ihr wollt – gerade, wenn man sich persönlich gar nicht kennt. Das ist auch ein guter Weg, von einem ganz anderen Publikum wahrgenommen zu werden, das sich sonst vielleicht nie für einen interessiert hätte.
Sie haben der South Rakka Crew also völlig freie Hand gelassen und nicht selbst das Album nochmal überarbeitet?
So war’s. Das ist ja auch eine Frage des Respekts. Jemanden zu respektieren, heißt auch anzuerkennen, dass jemand in dem was er tut wahrscheinlich besser ist, als du selbst.
Um auf meine Frage zurück zu kommen, in Musikmagazinen und im Internet ist oft eines der Kriterien, um Musik zu bewerten, wie "pur" und "echt" sie ihr Genre bedient. Ist so eine Art Purismus für Sie wichtig?
Ich glaube, um den sogenannten "richtigen Reggae" zu spielen, muss man daher kommen, wo diese Musik entstanden ist. Nur ein Jamaikaner kann "richtigen " Reggae spielen. Würde ich "richtigen" HipHop machen wollen, müsste ich ein Amerikaner sein. Aus meinem neuen Song "Ghetto Stars" wollte ich einen harten HipHop-Song machen, aber ich habe gemerkt: das geht nicht. Wenn du versuchst, etwas originalgetreu zu kopieren, kannst du nur verlieren. Authentisch, "echt", kannst du nur gegenüber dir selbst sein und in meinem Fall ergibt das eine Mischung aus Punk, Reggae und Rock. Das neue, das ich aus diesen Einflüssen mache, kann authentisch sein. Ich habe eben nicht nur eine Identität, mein Vater ist Jamaikaner, meine Mutter war zur Hälfte weiß, zur Hälfte aus Schwarzafrika, meine Großmutter ist weiß. Und wo stehe ich? Wenn ich behaupten würde, reinen Reggae, Blues oder Folk zu machen, wäre das eine Lüge, denn ich musste nicht das Leben derer leben, die diese Musik entwickelten. Du musst als Künstler eben deine eigene Stimme entwickeln, deinen eigenen Sound. Es ist lustig, einige Leute haben mir gesagt, "Time to Dance" klänge wie ein Song von The XX. (lacht) Verstehe mich nicht falsch, diese Kids haben auch ein paar gute Songs geschrieben, aber ich bin so viel länger unterwegs. Sie machen noch keine eigene Musik, haben ihre Stimme noch nicht gefunden. Natürlich wirst du beeinflusst, aber du musst deinen eigenen Weg finden.
Hören Sie, wenn andere Künstler nicht authentisch sind?
Ja, in der ersten Sekunde. Beyoncé zum Beispiel: Sie hat ein paar gute Songs, aber wenn sie etwas singt, das Schmerz ausdrücken soll, fühlst du ihn nicht.. Justin Timberlake hat gute Songs, ist auch wirklich ein guter Sänger, aber er klingt wie Michael Jackson mit etwas Moderne drum herum. Kurt Cobain war authentisch. Man hat ihm seine Einflüsse angehört, aber er war authentisch. Niemand klingt wie Kurt Cobain.
Man spürt, ob es eine Pose oder "echt" ist?
Ja. Und "echt" nicht in dem Sinne, dass man aus dem Ghetto stammen muss, um "echt" zu sein. Llyod Cole zum Beispiel ist aus einer höheren Mittelschicht-Familie, aber ein großer Künstler, weil er schreibt, wie ein Mittelschicht Typ. Und er hat einige unglaublich gute Songs geschrieben. Echt zu sein hat nichts mit Klassenbewusstsein zu tun sondern nur damit, ob du weißt, wer du bist. Lloyd Cole tut nicht so, als käme er aus dem East End.
Können Sie was mit Lady Gaga anfangen, die eher so tut, als käme sie aus dem Weltraum?
Überhaupt nicht. Wenn sie wenigstens sexy wäre, könnte ich den Hype um sie verstehen, aber ich finde sie nicht mal attraktiv. Zum Glück höre ich sie so gut wie nie, weil ich kein Musikfernsehen sehe. Ich stolpere eben nur überall über ihren Namen, man kann ihr leider nicht entkommen.
Versuchen Sie, Ihrer Tochter beizubringen, authentisch zu sein?
Nein, aber ich kann ihr sagen, was ich denke. Sie ist noch jung, aber sie schreibt Lieder und ich sage ihr: Liebling, das ist wirklich ein schönes Lied, aber es klingt wie das, was du gerade im Radio gehört hast. Versuche das nächste Mal, es etwas anders zu machen. So kann ich vielleicht den Wunsch in ihr erwecken, etwas eigenes zu schreiben.
Für ein Kind ist das Nachahmen allerdings völlig normal.
Ja natürlich, erst macht es die Eltern nach, dann andere. Aber genauso wichtig ist dann eben der nächste Schritt, sich an sich selbst zu orientieren.
Im Promo-Text zu Ihrem neuen Album heißt es, Sie hätten Ihre Freude am Performen neu entdeckt, würden nun Konzerte mehr genießen. Über Ihren jüngsten Auftritt beim Jazz Festival in Montreux war allerdings zu lesen, sie hätten die meiste Zeit an der Seite gestanden und mit Ihrem Keyboarder eine geraucht. Ist es das, was sie unter "mehr Genuss" verstehen?
Ich mag Proben nicht besonders und wir halten uns auch nicht jeden Abend an die gleiche Setliste. Ich überlasse mich eben lieber dem Moment.
Manchmal wirken Sie auf der Bühne auch eher wie ein Maestro, der seine Musik dirigiert, aber nicht selbst spielt.
Die Bezeichnung Maestro trifft es ganz gut. Wenn ich auf der Bühne dem Drummer ein Zeichen gebe, hört er auf zu spielen. Die Band weiß, wenn ich eine bestimmte Bewegung mit den Händen mache, soll sie sich etwas beruhigen. Und dann gebe ich ein Signal, wenn sie wieder einsteigen soll. Wenn man ein Konzert gibt, muss man nicht nur daran denken, dass die Zuschauer eine gute Zeit haben, sondern auch an sich selbst. Ich mische die Musik auf der Bühne neu. Denn auch die Zuschauer setzen sich ja jeden Abend neu zusammen, jeder Zuschauer hat seine eigene Energie zu dem Konzert mitgebracht und so sollten wir auch darauf reagieren. Es wäre mir zu langweilig, jeden Abend das gleiche zu machen. Ich könnte es wahrscheinlich auch gar nicht.
Die Konsequenz daraus wäre…
Fehler zu machen, zuzulassen…
Das sicher auch, aber ich dachte eher daran, dass diese Haltung eigentlich dazu führen könnte, Konzerte abzusagen, wenn man gerade keine Lust dazu hat. Das würde man dann aber eher als unprofessionell bezeichnen.
Nein nein, wenn ich erstmal auf der Bühne bin, komme ich automatisch in die richtige Stimmung. Deshalb beginnen wir immer mit einer Instrumentalversion von "You don’t wanna". Ich drehe dem Publikum den Rücken zu, schließe die Augen, ziehe an ’nem Joint – es braucht diesen einen Song, um reinzukommen. Es ist wie ein warum up, um die Vibes zu bekommen, um dann auch ans Mikro gehen zu können.
Weil die Musik immer näher am Gefühl ist, als Worte?
Ganz genau. Die Musik ist da. Und ich bin da für die Musik. Es ist, als würde ich in einen Club gehen und mich auf die Musik einlassen, es ist wie eine Meditation, bevor die Show anfangen kann.
Hat Ihre Haltung zum Schreiben sich in den letzten Jahren geändert?
Was dieses Album angeht: Ja, denn ich war in letzter Zeit in der Beziehung etwas nachlässig geworden. Früher haben die Leute mehr über meine Texte, als über meine Musik geschrieben, etwa über "She Makes Me Wanna Die"…
In dem Song thematisieren Sie den Selbstmord Ihrer Mutter.
Darauf haben viele Menschen sehr positiv reagiert, aber in der letzten Zeit hatte ich die Texte ein wenig zugunsten der Musik vernachlässigt. Dieses Mal habe ich mich auf beides konzentriert. Aber meine Haltung hat sich nicht verändert. Ich versuche nach wie vor nicht, es allen recht zu machen. Das kann zu eigenartigen Versäumnissen führen. Meine Plattenfirma Domino hat zum Beispiel angemerkt, dass ich auf dem neuen Album nicht so oft selber singe, wie sonst. Darüber hatte ich nicht nachgedacht. Ich mache einfach weiter mein Ding (schnippt mit dem Finger), konzentriere mich aufs Songschreiben und vergesse dann, selbst zu singen (lacht). Aber ich kann verstehen, dass Leute, die ein Album von mir kaufen, mich auch singen hören wollen. Das mache ich dann beim nächsten Mal. So lernt man bei jedem Album immer weiter.
Wie und wo schreiben Sie?
Manchmal schreibe ich für Monate gar nichts und dann wieder obsessiv in kürzester Zeit. Ich schreibe am liebsten im Studio. Wenn ich nur einen Beat vom Schlagzeug höre oder eine Bassline, die ich mag, bringt mich das schon zum Schreiben. Wenn ich jetzt, in diesem Moment einen Song schreiben würde, würde es Wochen dauern, bis ich ihn endlich als Musik höre. Im Studio geht das direkter. Man hört sofort, wie ein Text wirkt.
Zwei letzte Fragen: Ich habe Ihre neue Platte beim Spazieren durch Berlin gehört und festgestellt, wie oft der Rhythmus der Musik zu dem meiner Schritte passte. Komponieren Sie Beats während Sie durch die Stadt spazieren?
Nein. So einen Hintergrund hat meine Musik nicht. Ich denke auch nicht zu viel darüber nach, sie entsteht eher spontan und ich verfolge auch kein bewusstes Konzept. Ich folge eher einem Grundgefühl, wie bei "Mixed Race": Ich will die Platte "direkter" machen, als sonst. Weiter denke ich nicht darüber nach. Also bestimmt eine momentane Energie das Tempo, den Beat meiner Platte, nicht das, was ich sonst den ganzen Tag tue.
Ich habe mir nur vorgestellt, dass viele Musiker mit wachsendem Erfolg fast nur noch mit Autos oder Flugzeugen unterwegs sind, kaum noch zu Fuß gehen müssen – und ich frage mich, ob sich das auch auf die Musik auswirkt und auf ihr Rhythmusgefühl?
Oh, in Paris spaziere ich stundenlang überall hin und in New York auch. Das mag ich nicht an Los Angeles: man kann da nicht wirklich zu Fuß gehen. Ich mag es, zu spazieren, Dinge zu sehen, du fühlst dich näher dran an den Menschen. Taxifahren ist okay, aber wenn ich Zeit habe, gehe ich zu Fuß.
Letzte Frage: Unser Interview findet in Berlin statt und deshalb muss ich etwas zu Bertolt Brecht und seiner "Dreigroschenoper" fragen.
Bertolt wer?
Brecht.
Kenne ich nicht.
Er hat die "Dreigroschenoper" geschrieben, aus der "Die Moritat von Mackie Messer" kommt, "Mack the Knife" auf englisch…
Ah ja, "Mack the Knife", das kenne ich.
Brecht hatte dafür die britische "Beggar’s Opera" von John Gay adaptiert. Gay stammt aus Barnstaple.
Barnstaple? Das ist gerade mal eine Autostunde von Bristol entfernt.
Kurz gesagt: Bertolt Brecht schrieb gerne über Gangster und hat oft eng mit wechselnden Frauen zusammengearbeitet. Beides machen Sie auch. Die Frage wäre gewesen, ob Sie Sich jemals mit Brecht beschäftigt haben, aber…
"Mack the Knife" ist ein cooler Song, von Bertolt Brecht wusste ich nichts. Aber das werde ich jetzt ändern.
geiler Typ
hab ich schon früher immer gehört…