Herr Dr. Visser, was unterscheidet Roboter von uns Menschen?
Visser: Es gibt viele Unterschiede, hier nur ein Beispiel: wenn ich als Mensch etwas sehe, was ich noch nie vorher gesehen habe, dann bin ich mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Lage, adäquat darauf zu reagieren.
Warum?
Visser: Ich schöpfe aus meinem Hintergrundwissen und mache Annahmen, die mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit richtig sind. Im Straßenverkehr beispielsweise muss ich im Millisekundentakt die Situation richtig einschätzen können. Ich muss mich entscheiden und es dann auch durchführen. Das geht rasend schnell. Wenn Sie Kinder haben, kommen Sie in die Situation, dass Sie denen beibringen müssen, wie man eine Straße überquert. Also nach links und rechts schauen. Erst wenn die Straße frei ist, kann man sie überqueren. Das erklären Sie vielleicht 500 Mal. Dann gibt es den Tag X, an dem das Kind die Straße zum ersten Mal alleine überqueren muss und die Situation, vor der das Kind dann steht, ist garantiert eine andere, als alle vorherigen Situationen.
Weil die Autos vielleicht schneller fahren oder eine andere Farbe haben?
Visser: Genau. Der Lichteinfall ist anders oder auf der anderen Straßenseite ist ein riesiges orangefarbenes Schild vor einem grünen Hintergrund. Stellen sie sich vor, da ist jetzt kein Kind, sondern ein Roboter, der dieses Schild sieht. Dann würden Bildverarbeitungsalgorithmen mit hoher Wahrscheinlichkeit dieses Schild als "region of interest" erkennen. Dieses Schild ist in dem Kontext der Straßenüberquerung aber vollkommen unwichtig und das muss man einem Roboter erst mal beibringen. Das ist nicht trivial, hier können Algorithmen der Künstlichen Intelligenz helfen. Ein Mensch weiß das, der blendet diese Information einfach aus. Den überwiegenden Teil der Informationen ignoriert unser Gehirn einfach, weil sie im jeweiligen Kontext nicht wichtig sind.
Warum lassen Sie die Roboter eigentlich ausgerechnet Fußball spielen?
Visser: Seit Mitte der neunziger Jahre sind die Computer so schnell, dass man auch komplizierte Algorithmen in zwei Sekunden, statt in zwei Minuten berechnen kann. Man konnte in Bereiche vorstoßen, an die man sich 40 Jahre nicht herangewagt hat. Sich wieder der Robotik nähern und sich zu überlegen, wo es im Alltag Situationen gibt, die schwer zu bewältigen sind. Also in dynamischen Umgebungen, die sich schnell verändern. Da hatte man im Fußball eine ideale Kombination gefunden. Es ist ein sehr dynamisches Spiel, die Umgebung verändert sich im Millisekundentakt. Der Ball und die Spieler bewegen sich permanent, alles passiert in Echtzeit. Man spielt im Team und es gibt einen Gegner, der meine Aktionen verhindern möchte. Man braucht also Kooperation und Kommunikation zwischen den Robotern. Ein Roboter muss auf dem Fußballplatz so agieren, dass es nach Fußball aussieht.
Werden Roboter irgendwann so gut sein, dass sie gegen Menschen antreten können?
Visser: Wir haben uns 50 Jahre Zeit gegeben. 2050 wollen wir so weit sein, mit humanoiden, also menschenähnlichen Robotern draußen auf dem Rasen, bei Wind und Wetter gegen den aktuellen Weltmeister der Menschen zu spielen und auch zu gewinnen.
Halten Sie dieses Ziel überhaupt für realistisch?
Visser: Ich würde es nicht als Ziel, sondern als Vision formulieren. Wenn Sie sich anschauen, was in den letzten zehn Jahren in diesem Bereich passiert ist und es auch so weiter geht, dann ist das nicht unmöglich.
Bauen Sie die Roboter eigentlich selbst?
Visser: Zum Teil. Es gibt insgesamt elf verschiedene Ligen, die alle ihre Schwerpunkte haben. Es gibt Ligen, bei denen man Roboter kauft, wie z.B. Sony Aibo-Roboter, da ist die Plattform vorgegeben. Vier Beine mit jeweils zwölf Motoren, die man so ansteuern muss, dass es wie Laufen aussieht. In diesem Fall hat man ein Software- und kein Hardwareproblem. Es gibt andere Ligen, in denen die Roboter nach bestimmten Kriterien selbst zusammengebaut werden müssen. Dort ist der Anteil an Mechanik, Mechatronik und Elektrotechnik besonders groß. Dann kommen die Informatiker ins Spiel, denn irgendwann müssen die Roboter ja auch etwas sinnvolles machen. Software und Hardware unter einen Hut zu bringen ist dann eine große Integrationsaufgabe.
Wie viele Leute arbeiten an einer Mannschaft mit?
Visser: Das hängt von der jeweiligen Liga ab. In der Simulationsliga, in der reine Softwareprogramme gegeneinander antreten, sind wir zu viert. In der „Small Size League“, wo wir die Roboter selber bauen, haben wir einen wissenschaftlichen Mitarbeiter und 15 Studierende. Bei den Roboterhunden ist es ähnlich. Es gibt aber auch Mannschaften, wie die von der Cornell Universität aus den USA, die 2003 z.B. mit 23 Leuten teilgenommen haben.
Wie lange dauert es eigentlich, bis man eine fertige Mannschaft hat?
Visser: Das hängt von der Liga ab. Man kann sich theoretisch einen Satz Aibo-Roboter kaufen und mit einer Software füttern, die eine RoboCup-Mannschaft aus dem Vorjahr frei zur Verfügung gestellt hat.
Ist es üblich, dass die Software zur Verfügung gestellt wird?
Visser: Ja, das ist in fast allen Ligen so und das wollen wir auch, denn wir wollen uns ja als Gemeinschaft fortentwickeln. Die guten Teams stellen ihre Software zur Verfügung damit andere Teams sie benutzen können und nicht bei null anfangen müssen. Die Gefahr liegt dann aber darin, dass die guten Teams kopiert werden und die Spiele ähnlich aussehen.
Aber wenn die Mannschaften untereinander Software austauschen – ist da kein Konkurrenzdenken vorhanden?
Visser: Doch, das gibt es auch. Man ärgert sich natürlich, wenn man verloren hat. Außerdem gibt es Teams, die z.B. nie den GermanTeam-Code benutzen würden, denn dann würden die sich ja eingestehen, dass ihr eigener Code schlechter ist. Hauptsächlich benutzen neue Teams den Code, denn man braucht schon ein paar Jahre, bis man so weit ist.
Weil die Software so komplex ist?
Visser: Ja. Studierende, die damit zum ersten Mal konfrontiert werden, sehen einen riesigen Berg vor sich. Viele merken dann: Dieser Berg ist zu hoch. Deswegen geben wir ihnen am Anfang kleine Aufgaben und irgendwann sind sie dann so weit, dass man sie ins Team holen kann.
Das klingt nach Bastelarbeit.
Visser: Ja, man hat überall Baustellen und ist eigentlich nie fertig. Aber wenn ein Spiel ansteht, muss man fertig sein. Wenn am 14. Juni um zehn Uhr ein Spiel beginnt, müssen die Roboter einsatzbereit sein.
Ist die Software eigentlich starr oder können die Roboter flexibel agieren?
Visser: Da ist überhaupt nichts starr, beim Fußball ist so etwas unmöglich. Das ist ja genau der Punkt. Ich kann die millionenfach möglichen Spielsituationen nicht alle vorhersehen. Bei einem Roboter wäre das eine riesige Datenbankapplikation mit Abermilliarden von Möglichkeiten, die man nicht alle auf dem Computer abbilden kann. Man kann den Robotern zwar sagen: Spielt aggressiv nach vorne. Machen müssen sie es aber selber. Also selber lernen wie ein Gegner agiert und dann reagieren. Das ist die eigentliche Leistung der Roboter. Das sind die Dinge, die uns interessieren.
Wozu dienen denn die Erkenntnisse, die Sie beim Roboterfußball gewinnen?
Visser: Wir versuchen ja nicht, Fußball um des Fußballs Willen zu spielen. Irgendwann gibt es vielleicht in einem Auto eine intelligente Einheit, die mit den anderen Autos in der Umgebung Kontakt aufnimmt. Diese Einheiten tauschen sich dann gegenseitig darüber aus, was der Fahrer gerade im Schilde führt.
Wo sehen Sie noch Anwendungsgebiete?
Visser: Vor allem im Bereich von Rettungsrobotern. Immer da, wo man Menschen und Tiere nicht mehr einsetzen kann. Beispielsweise in einem eingestürzten Haus nach einer Gasexplosion. Dort kann man Roboter hineinschicken, die Überlebende lokalisieren können.
Werden solche Rettungsroboter schon eingesetzt?
Visser: Ja. Ein Roboter einer Kollegin aus den USA wurde im World Trade Center eingesetzt und hat sieben Leute gefunden. Die führenden Nationen im Bereich der Rettungsroboter sind zur Zeit wohl Japan und Iran. Also Länder, in denen es häufig Erdbeben gibt. Das kostet allerdings auch Geld.
Wie teuer ist denn so ein Roboter?
Visser: Das hängt von der Ausstattung ab. Außerdem sind es alles Prototypen und keine Serienmodelle. Der Roboter im World Trade Center hat etwa 100.000 Dollar gekostet.
Ist der RoboCup bei so viel Technik nicht doch eher für ein wissenschaftliches als für ein Normalpublikum geeignet?
Visser: Für Wissenschaftler ist das Problem sehr groß – da kann man sich lange Zeit mit beschäftigen. Der RoboCup ist aber auch ein Wettkampf, eine Weltmeisterschaft, da fiebern die Zuschauer mit, wie bei einem richtigen Fußballspiel. Die Leute sind fasziniert davon, dass die Roboter ohne Steuerung von außen spielen.
Mit wie vielen Teilnehmern rechnen Sie eigentlich?
Visser: Wir erwarten circa 440 Teams aus 36 Ländern. Insgesamt sind das ungefähr 2.500 aktive Teilnehmer.
Und wie viele Zuschauer?
Visser: Wenn es gut läuft 40.000, wir wären aber auch mit 20.000 zufrieden. Für ein wissenschaftliches Event ist das ganz ordentlich. Dazu kommt sicher auch eine hohe Zahl an Fernsehzuschauern, da das ZDF die Medienpartnerschaft übernommen hat und über den RoboCup berichtet,. Zusätzlich haben sich noch drei weitere wissenschaftliche Konferenzen an uns drangehängt. Zum Beispiel findet die internationale Konferenz für Künstliche Intelligenz zeitgleich in Bremen statt.
Wie sieht es mit der Popularität in anderen Ländern aus?
Visser: Letztes Jahr bei der WM in Japan hatten wir 185.000 Zuschauer in den Hallen und die Spiele wurden live im japanischen Fernsehen übertragen. Das ist das größte wissenschaftliche Event der Welt. In Japan gibt es aber auch eine Technikbegeisterung, die man nicht mit Europa vergleichen kann.
Gibt es auch Stars?
Visser: Nicht direkt, aber letztes Jahr sind wir in Japan mit dem deutschen Team Weltmeister geworden. Ich war mit der Bremer Delegation dort und auf dem Weg zur deutschen Botschaft in Tokio sind wir in der Straßenbahn und in den Kneipen angesprochen worden. Man hat uns erkannt. Der Weltmeister in der humanoiden Klasse, ein Japaner aus Osaka, der ist dort so etwas wie ein Nationalheld.
Ist der RoboCup für Sie eigentlich eher Spaß oder Arbeit?
Visser: Beides. Das ist ja das Schöne an der Wissenschaft: Man kann Dinge ausprobieren, die auch mal schief gehen können. Und dass die Leute kurz vor dem Wettbewerb bis drei Uhr nachts in den Laboren sitzen, kommt sonst eher selten vor.
Hat sich Jürgen Klinsmann schon mal Tipps bei Ihnen geholt?
Visser: Nein, aber ich habe in der letzten Zeit häufiger Kontakt mit Thomas Schaaf, dem Trainer von Werder Bremen, der an unserer Arbeit interessiert ist. Er hat 1999 an der Universität Bremen einen Vortrag über Spielsysteme und Spieltaktik gehalten. Darüber, wie er die gegnerischen Mannschaften sieht und wie er seine Mannschaft taktisch darauf einstellt. Daraus hat sich eine Forschungsidee entwickelt: Wie kann ich automatisch erkennen, was der Gegner im Schilde führt.
Und wie erkennen Sie das?
Visser: Das hängt vom Kontext ab. Wenn ich erkennen möchte, ob eine gegnerische Mannschaft eine Abseitsfalle aufbaut und ich das ein paar Zehntelsekunden vorher weiß, kann ich eine andere Aktion wählen. Wir sind da noch am Anfang, probieren aber eine Menge aus.
Interessieren Sie sich überhaupt noch für richtigen Fußball?
Visser: Natürlich. Ich bin Fan von Werder Bremen.