Herr Kier, aus dem Kino kennt man Sie eher als extreme Figur. Sie haben Adolf Hitler, den Teufel und Dracula gespielt…
Udo Kier: Das ist doch wunderbar. Um den Teufel zu spielen, muss man ein Engel sein. Das Böse wird immer geliebt. Als ich die ersten Filme machte, kamen vor allem Frauen zu mir und sagten: „You are so evil.“ Die sagten das wie ein Orgasmus (lacht). Das war hart. Man lebt ja in einem Klischee. Muss man.
Sie zeigen nun in dem Dokumentarfilm „Arteholic“ von Hermann Vaske eine ganz andere Seite. Haben Sie nicht Angst vor der Entmystifizierung?
Kier: Angst, Angst, Angst essen Seele auf. Ich kenne den Hermann schon jahrelang. Als er mir das angeboten hat, wusste ich, das ist kein Film, bei dem es ein Drehbuch gibt, sondern ein Film, bei dem ich gefilmt werde und über Andy Warhol oder über David Hockney rede. Das kann man nicht als Drehbuch schreiben, das waren alles meine persönlichen Erfahrungen. Das ist doch schön.
Sie machen hin und wieder auch selbst Kunst …
Kier: Ja. Ich wollte in einem Second-Hand-Geschäft einen großen Hirsch kaufen. Sie sagten zu mir, dass sie ihn mir nicht verkaufen können, weil das Hinterbein kaputt ist. Da habe ich gesagt: „Das macht doch gar nichts“. Ich habe einen Verband drum gemacht, Nagellack gekauft und den als Blut noch weiter auf dem Boden verteilt, als wenn er sich da hingeschleppt hätte. Die Freunde meinten: „Uh, das ist aber toll!“ Dann habe ich gesagt: „Das ist Jeff Koons.“ Und das haben sie auch geglaubt. Oder ich habe zum Beispiel bei einer Leinwand einen Streifen bis zur Mitte heruntergerissen, dahinter war ein Holzkreuz und jeder sagte: „Was ist das? Das ist ja toll!“ Dann habe ich gesagt: „Das ist gar nichts. Das ist ein Rahmen, den ich gefunden habe.“ Joseph Beuys hat gesagt: „Alles ist Kunst.“ Das ist auch alles Kunst, im Grunde genommen.
Wenn Briefe von Schauspielern kamen, sagte Fassbinder: Schmeiss weg!
Vor wem haben Sie mehr Achtung? Vor dem, der das Original macht oder vor dem Fälscher?
Kier: Wenn der Fälscher gut ist, dann merke ich gar nicht, dass er der Fälscher ist. Der berühmte Maler de Chirico sagte von seinen eigenen Bildern im Museum: „Das sind Fälschungen“.
In „Arteholic“ heißt es, dass Sie gerne ein Museum hätten…
Kier: Wer sagt denn, dass ich gerne ein Museum hätte?
Das sagen Sie im Film.
Kier: Das ist doch ein Film! Es stimmt doch auch nicht alles, was ich da sage. Das wäre furchtbar. Nein, ich will kein Museum. Ich habe auch nicht genug Kunst für ein Museum. Ich habe eine Bücherei, wo meine Möbel stehen, die ich gesammelt habe. Das ist auch schön, wenn man Kaffee trinkt und diese Bilder sieht: An einer Wand hängt ein Porträt von Robert Mapplethorpe, das er von mir gemalt hat, etwas von Robert Longo und Andy Warhol.
Am Ende von „Arteholic“ kommen Sie zum Hamburger Bahnhof, dem Berliner Museum für Gegenwart. Ursprünglich wollten Sie dort in Carsten Höllers Installation „Soma“ für 1000 Euro übernachten. Was hätte Sie daran gereizt?
Kier: Och, weil das einfach was anderes ist, auf einem Hochstand mit Rentieren und dem Geruch der Tiere zu schlafen und dann das Gefühl zu haben, dass man 1000 Euro dafür bezahlt hat. Aber ich habe es ja nicht gemacht. Das war ja auch inszeniert. Ich wusste vorher, dass das Bett nicht mehr da ist.
Viele wollten damals im Museum übernachten, weil das Rentier-Urin eine halluzinogene Wirkung haben soll. Hätten Sie das Rentier-Urin getrunken?
Kier: Ich glaube nicht. Da gibt es andere Mittel, um mich in andere Welten zu befördern…
Welche?
Kier: Meine Droge ist das Leben. Das, was ich mir selbst gestalte. Ich gehe selbst in den Baumarkt und baue auch selbst. Ich habe eine Bücherei mit vielen Architektur- und Kunstbüchern. Und dann noch eine Scheune mit viel Land und eine Ranch in Morongo. Da pflanze ich Bäume, beobachte die Vögel und die anderen Tiere und ich habe ein lebensgroßes Plastikpferd, das heißt Max von Sydow.
Sie haben also eine Ranch mit Kühen?
Kier: Nein, ich habe keine Kühe. Wenn ich auf der Ranch bin, dann bin ich ein Cowboy ohne Tiere. Das mit der Mistgabel, das kommt dann vielleicht später irgendwann (lacht).
Welches Lebensziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?
Kier: Ich möchte mich selbst mal sehen. Ich habe mich noch nie gesehen. Ich sehe meine Nase, ich habe noch nie meine Augen gesehen. Ich kenne nur eine Reflexion von mir im Spiegel.
Meditieren Sie?
Kier: Nein.
Das wäre doch eine Möglichkeit, um sich selbst nahezukommen…
Kier: Was man da sieht, ist das Image der Phantasie. Ich bin aber meinem Traum, mich selbst zu sehen, einmal sehr nahe gekommen. Für Robert Longos Film „Johnny Mnemonic“ mit Keanu Reeves wurde von meinem ganzen Körper ein Abdruck gemacht. Auch vom Gesicht. Ich kam zum Dreh und die sagten zu mir: „Komm doch mal mit ins Studio.“ Dann stand ich da. Ich bin auf mich zugegangen. Das war das erste Mal, dass ich mir gegenüberstand.
Und?
Kier: Ja, das war ein schönes Erlebnis. Aber auf ins nächste. Es gibt schon Sachen, was ich noch erleben möchte. Ich möchte auch als Schauspieler eine Rolle spielen, die ich noch nie gespielt habe.
Welche?
Kier: Vielleicht ein Transsexueller im Rollstuhl, der von Telefonsex lebt? Wie in dem Film „Lola Stein“, den ich angefangen habe. Ich war Produzent und Regisseur und ich besetzte nur Transsexuelle von der Straße. Aber Hauptrolle, Regie, Produzent – das war zu viel für mich. Ich wäre bei dem Film zu Grunde gegangen.
Die Liste der Regisseure, mit denen Sie gearbeitet haben, ist lang. Christoph Schlingensief, Rainer Werner Fassbinder, Andy Warhol, David Lynch… Ist es ratsam, als Schauspieler direkt auf die Regisseure zuzugehen?
Kier: Stell Dir vor, du sagst zu David Lynch: „Ich möchte gerne mit Ihnen arbeiten.“ Da sagt er: „Ja, wer nicht?“ Diese Blamage. Ich habe noch nie jemanden gefragt. Ich weiß das von Fassbinder, dass jeder Regisseur selbst entdecken will. Wenn Briefe von Schauspielern kamen, sagte Fassbinder: Schmeiss weg!“ Es waren bekannte Leute dabei. Catherine Deneuve hat auch einen Brief an Lars von Trier geschrieben, er hat sie dann allerdings auch besetzt, in „Dancer in the Dark.“
Wie erklären Sie sich eigentlich selbst Ihren Erfolg?
Kier: Ich hatte viel Glück im Leben und habe immer noch Glück. Ich lerne die Leute einfach so kennen und daraus entsteht dann später was. Ich habe auch endlich bei Oliver Hirschbiegel den Papst gespielt, in der Fernsehserie „Borgia“.
Beim Filmfest München sind Sie 2014 mit dem CineMerit Award ausgezeichnet worden. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Kier: Ich freue mich, das ist doch eine Anerkennung. Alle Preise, die ich bekommen habe, sind wichtig, aber dieser ist ein deutscher Preis. Und ich weiß natürlich, dass meine Vorgänger Michael Caine und John Malkovich sind. Jetzt bin ich dran, das finde ich gut.
Zählt es für Sie mehr, in Deutschland für etwas gelobt oder ausgezeichnet werden als in den USA?
Kier: Ja sicher.
Fühlen Sie sich mehr in Deutschland oder in den USA zu Hause?
Kier: Ich fühle mich schon in Kalifornien zu Hause, wo meine Sachen sind. Da sind meine Möbel, da sind meine Bilder, meine Kleidung, alles ist in Amerika. Ich will auch in Amerika sterben. Geboren in Köln, gestorben in Köln finde ich langweilig. Ich habe einen 109 Mercedes SL, Baujahr 1956, die schönste Form und wenn dann in der Zeitung steht: „Er fuhr mit seinem havannabraunen Mercedes über die Klippen von Santa Monica“ ist das doch viel schöner für die Geschichtsbücher.