Udo Lindenberg

„Make love, not war“, das gilt auch heute noch.

Udo Lindenberg spricht im Interview über das, was er von David Bowie gelernt hat und wie er mit den Rolling Stones konkurriert, Flüchtlingsfotos als Teil von Entertainment, Hermann Hesse und Fluggeräte in seinen Shows.

Udo Lindenberg

© Tine Acke

Herr Lindenberg, Sie zitieren gerne den Konzertveranstalter Fritz Rau mit dem Satz: „Es schadet nicht, wenn man aus einem Konzert gescheiter herauskommt, als man reingegangen ist.“ Welche Konzerte haben Sie selbst gescheiter gemacht?
Lindenberg: Sensibilisierter bin ich früher bei Bob Dylan rausgegangen, bei Pink Floyd, Marianne Faithfull und dann bei Coldplay auch. Aber eigentlich haben mich für manche Themen am stärksten unsere eigenen Konzerte sensibilisiert und auch die Gäste, die wir hatten. Mit Joan Baez, Harry Belafonte, Eric Burdon und so haben wir große Shows gemacht. Nach denen war ich auch schlauer.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Lindenberg: Erinnern kann ich mich daran, wie ich David Bowie in seiner Anfangszeit gesehen habe, mit seiner Ziggy-Stardust-Show. Da habe ich gelernt: Probier‘ dich aus. Mach‘ dich frei von diesen uralten Dingern, die du früher immer gehört hast. Mit Homophobie ist man ja praktisch groß geworden, also ich in den 50er Jahren. Und dann gab es da David Bowie, der seinen Gitarristen auf der Bühne küsste. Das ist dann auch in einen Song von mir eingeflossen, wo ich das erzähle und es dann heißt: „Wieso auch nicht? Es ist doch ganz egal, ob du ein Junge oder n‘ Mädchen bist“. Egal, welche Farbe, Sprache oder Religion einer hat, man muss ein kollektives Feeling hinkriegen, das von Offenheit und großer Toleranz gekennzeichnet ist.

Also sehen Sie ein ideales Konzert auch als Modell für eine bessere, freiere Gesellschaft?
Lindenberg: Ja. Ich komm ja auch aus der Hippie-Zeit, irgendwo. Die Botschaft: „Make love, not war“ ist ja genau richtig. Und die gilt auch heute noch, genau wie einiges, was Hermann Hesse gesagt hat. Seine Lesungen konnte ich leider nicht mehr besuchen; er ist zu früh gestorben. Aber was ich von ihm gehört habe, hat mich auch schlauer gemacht: Lebe deine „heilige Individualität“, lass dich nicht fremdbestimmen! So stelle ich mir eine tolle Gesellschaft vor: eine Gemeinschaft vieler konsequenter Super-Individualisten, die ihren Weg gehen, in freundlicher Absprache mit den anderen.

Zitiert

Die Rolling Stones im Hyde Park, das war sehr schön. Aber ich habe dann gesagt: Lasst uns das noch ein bisschen größer machen.

Udo Lindenberg

Auf der Bühne huldigen Sie legendären Clubs oder dem Hamburger Rotlicht-Viertel. Tatsächlich schließen immer mehr Clubs und das Verbot von Prostitution wird diskutiert. Wird man eine gewisse Art von Nachtleben irgendwann nur noch als Kulisse in Udo-Lindenberg-Konzerten besichtigen können?
Lindenberg: Nö. Solche Clubs wie das Onkel Pö gibt’s doch immer mal wieder. Das Moulin Rouge in Paris steht ja auch noch. Kitty-Kat-Clubs, Tänzer im Can-Can-Stil auf großen Bühnen, wie dem Friedrichstadtpalast, das wird es weiter geben. Dann gibt es auch so etwas wie das Berghain, auch ’ne tolle Szene. Sogar so etwas wie das Café Keese mit seinen Tischtelefonen gibt’s noch gelegentlich.

Das heißt, Sie gehen privat sowohl in den Techno-Club Berghain, als auch in nostalgische Tanzcafés?
Lindenberg: Ja klar. Ich geh‘ überall gucken, mal hier, mal da.

Die immer mal wieder behauptete neue deutsche Prüderie konnten Sie also noch nicht beobachten?
Lindenberg: Ganz im Gegenteil. Es ist ja eine super bunte Kultur gerade hier in Berlin im Gange. Es gibt hier diese ganzen Motto-Events, mit Fashion und Voguing, sie machen da was für Hippies und hier ihren Underground-Club. Ich bin da ganz optimistisch. Diese Kultur ist jetzt viel viel reicher, als sie es noch vor 20 Jahren war.

Zwischen den Bildern, die auf Ihrer Bühne projiziert werden, gibt es auch ein Foto, das offenbar eine Familie auf der Flucht zeigt, ein kleines Kind blickt ängstlich in die Kamera. Wird da nicht reale Not als Show-Effekt missbraucht?
Lindenberg: Es ist ja gerade bei uns das Besondere, dass wir auch die krasse Realität auf der Bühne reflektieren. Aber wir bringen die Welt wie sie ist in eine Form, über die die die Leute auch einen Zugang zu ihr finden. Sonst würden sie schnell abschalten und sagen: Nicht noch ein Problem, ich hab schon Probleme genug. Na klar, man hat selbst ja viele Probleme, das soll nicht sein. Aber man soll auch die Sinne und die Augen öffnen für die Dramen, die sich zum Beispiel für viele Flüchtlinge abspielen, ihre verzweifelte Suche, einen Ort zu finden, wo man nicht vor Hunger stirbt oder an an jeder Ecke geschossen wird.

Aber was soll es Flüchtlingen bringen, wenn Sie zwischen Reeperbahn- und Raumschiff-Kulissen auftauchen?
Lindenberg: Bei uns gibt es eine Wahnsinns-Show-Time. Immer schon. Aber ich will trotzdem nicht, dass die Mauer aus Ignoranz, die es sowieso gibt, auch auf unserer Bühne besteht. Darum gibt es dann so einen Song wie „Wozu sind Kriege da?“. Zu dem zeigen wir auch die härtesten Bilder. Und die Leute stehen da, schwer geschockt, ergriffen und berührt. Aber dann sind sie auch motiviert: Ich werde mich jetzt mal mehr darum kümmern, ich werde hier an einer Ecke – nennen wird das ruhig mal so – meines Weltgewissens gepackt. Ich lebe nicht nur in einem ziemlich friedlichen Deutschland, ich bin auch Planetenbürger. Die Welt geht mich an. Wir machen nicht nur Entertainment, sondern bringen auch unsere Haltung rüber.

Udo Lindenberg und das Panikorchester © Tine Acke

Udo Lindenberg und das Panikorchester © Tine Acke


Ihre Shows waren immer schon stark konzeptionell angelegt, hießen „Dröhnland“ oder „Götterhämmerung“ und wurden unter anderem von Peter Zadek inszeniert. Wenn Sie jetzt in Stadien auftreten: Ist das nur größer und teurer und ansonsten sind Sie ganz der Alte?

Lindenberg: Ich finde, dass ich besser geworden bin. Geschmeidiger, schneller, flexibler. Ich war immer ein neugieriger Mensch und habe mich für neue technische Möglichkeiten interessiert. Vor zwei Jahren habe ich mir die Rolling Stones im Hyde Park angesehen, die hatten 600m2 große LED-Leinwände auf der Bühne. Das war sehr schön. Aber ich habe dann gesagt: Lasst uns das noch ein bisschen größer machen.

Größer, flexibler, schneller – das klingt, als würden Sie von der Olympiade reden und nicht von einem Konzert.
Lindenberg: Ich war ja auch immer skeptisch gegenüber Stadion-Konzerten, weil die schnell so anonym werden. Aber wir halten das Konzept offener. Wir haben viele Gäste dabei. Zuletzt in Düsseldorf kamen zum Beispiel lokale Dixieland-Bands auf die Bühne, bei denen habe ich ganz früher Schlagzeug gespielt. Auch wenn das alles gut organisiert ist, das ist dann eher ein Happening und nicht so eine glatt geschmierte amerikanische Show. Außerdem kann man uns überall mit unserer 1000m2 großen Leinwand gut sehen. Und dann wurde ein Fluggerät für mich gebaut, mit dem kann ich jeden Zuschauer, auch noch auf den hintersten Rängen besuchen. Da sind 100.000 Menschen, aber ich kann die Brille runter nehmen, dem einen in die Augen gucken und sagen: Hi, Du auch da?!

Dicke Hose und Intimität schließt sich für Sie also nicht aus?
Lindenberg: Ne, überhaupt nicht. Ich wusste vorher nicht so genau, ob das funktioniert. Und meine Leute haben gesagt: So ein Fluggerät, das kann man nicht bauen. Sowas gab es auch noch nie. Und da habe ich gesagt: Ist egal, wir sind ja Pioniere. Flugpioniere. Ich bin ja der Sohn von Charles Lindbergh, sozusagen. Das sieht man ja schon am Namen. Und jetzt bin ich eben Flugpionier, wie mein Vater, der Ozeanflieger. Wie man sehen konnte, bin ich beim Fest zum Mauerfall am 9.11. in Berlin übers Brandenburg Tor geflogen. Und Stadionflieger bin ich jetzt eben auch.

Eine letzte Frage: Schon in den frühen 1970er Jahren haben Sie Ihre Band Panikorchester genannt und damit – das sollte für die Punk-Bewegung wenig später typisch werden – ein negativ besetztes Wort positiv umgedeutet. Was bedeutet das Wort Panik für Sie heute?
Lindenberg: Damals, als wir anfingen mit diesen deutschen Texten und Rock aufzutreten, war unser Motto: Wir wollen Panik. Ja, Panik. Wir wollten Angst und Schrecken verbreiten. Das galt der Schlagerlobby, die war damals total überpräsent, in allen Medien. Dann kam da so ein Typ wie Udo, der kann ja gar nicht singen. Der besoffene Chaot da, was soll das? Die haben mich richtig blockiert. Boykottiert. Deswegen habe ich mir gedacht: Ich versetzte die in Panik. Wir machen Alarm.

Über mangelndes Medien-Interesse können Sie sich schon lange nicht mehr beschweren.
Lindenberg: Panik hieß für mich aber auch schon immer: Keine Panik! Immer cool bleiben. Mit einem Wort: Wir kriegen praktisch alles hin, ja? In der Coolness liegt unsere Kraft. Das ist cool und lässig und trotzdem die volle Power. Das ist das Geheimrezept von unserem Groove, unserem Sound, unserer Musik. Das kommt nicht aus einem Angestrengt-Sein, aus einem Sich-Bemühen. Das kommt nicht aus dem Bizeps, sondern aus der Lässigkeit, aus der Hüfte. Aber manche muss man immer noch in Panik versetzten, sonst würden die wirklich zu sehr wegschlaffen und sich einrichten, in ihrer kleinen Welt. Da muss man Alarm machen, damit auch alle politisch wach bleiben und die Chance nutzen, aus dieser bunten Republik Deutschland eine echt bunte, eine konsequente bunte Republik zu machen.

[Das Interview entstand im November 2014]

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