Frau Schmidt, Fettleibigkeit und Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen werden in den Medien oft thematisiert, Schlankheitswahn und Magersucht hingegen spielen eher eine untergeordnete Rolle. Zu Unrecht?
Schmidt: Essstörungen haben viele unterschiedliche Ausprägungen. Die häufigste ist Übergewicht, aber die krankhafte Magersucht dürfen wir dabei nicht vergessen. Immerhin sollen sechs Prozent aller Frauen zwischen 15 und 35 an Essstörungen wie Magersucht und Bulimie erkrankt sein. Das sind insgesamt 600.000 Frauen.
Sie sprechen von einem in Werbung, Mode und Fernsehspots propagierten falschen Schönheitsideal und fordern, die Vorbilder zu ändern und ein realistisches Maß zu finden. Wie wollen Sie das tun?
Schmidt: Im Moment führen wir Gespräche mit der deutschen Modeindustrie und der Modelbranche mit dem Ziel, zu einem freiwilligen Ehrenkodex zu kommen. In Ländern wie Italien und Spanien ist dies bereits gelungen. Heute gilt ein medial sehr stark präsentiertes Bild nach dem Motto „Schlank gleich schön“ und „Superschlank gleich superschön und damit auch erfolgreich“. Wenn wir es mit den angestrebten Vereinbarungen schaffen würden, dieses Bild gerade zu rücken, wären wir schon einen großen Schritt weiter.
Die Medien tragen aber wohl kaum die alleinige Verantwortung für Magersucht und Bulimie.
Schmidt: Nein, natürlich nicht. Die Ursache einer Essstörung ist nicht die Orientierung an falschen Schlankheitsidealen, sondern sie hat immer einen tieferen, psychischen Hintergrund, der mit einer Verunsicherung des Selbstwertgefühls zu tun hat. Es ist eine psychosomatische Erkrankung, die allerdings durch falsche Vorbilder verstärkt werden kann. Und hier wollen wir entgegenwirken. Wir wollen schließlich gesunde Models auf den Laufstegen sehen. Auch junge Frauen mit Kleidergröße 38 können gute Models sein und schöne Mode präsentieren.
Aus der deutschen Modeindustrie heißt es, Magermodels seien kein Thema, die Konfektionsgröße 40-42 sei sowieso die bestverkaufte Größe und es gebe bereits einen Trend zu einer „neuen Weiblichkeit“. Nach Ansicht der Modeindustrie existiert also gar kein Problem.
Schmidt: Natürlich verkaufen sich in Deutschland Konfektionsgrößen wie 32 äußerst selten. Es ist gut, wenn deutsche Modemessenveranstalter wie die Igedo darauf achten, dass sie keine superdünnen Models einsetzen. Bei internationalen Stardesignern und auf den Laufstegen im Ausland ist dies oft anders. Es geht bei unserer Initiative darum, möglichst viele Verbündete zu finden – im Sport, in der Modewelt, der Filmbranche, in der Ärzteschaft und in den Medien. Die deutsche Modebranche und die Modelbranche wollen gemeinsam mit uns einen Kodex erarbeiten und sich in ihren Verbänden international für das Thema engagieren. Das ist ein sehr wichtiges Signal. Das Problem, dass Magermodels in Bild und Film dargestellt werden, existiert vor allem in einer Art medialer Scheinwelt, die Mädchen und Jungen als Idealwelt präsentiert bekommen.
Was halten Sie denn zum Beispiel von der Pro7-Sendung „Germanys Next Topmodel“?
Schmidt: Ich hatte bisher leider noch keine Zeit, mir die Sendung anzusehen, aber nach dem, was ich gehört habe, wird inzwischen klar gesagt, dass "Schlanksein" nicht die einzige Voraussetzung dafür ist, ein gutes Model zu sein. Das heißt auch, dass superschlank zu sein nicht gleichgesetzt werden kann mit gesellschaftlicher Anerkennung und Erfolg. Genau das müssen wir den Jugendlichen vermitteln. Deshalb wäre es hilfreich, bekannte Models als Verbündete zu gewinnen.
Auch junge Frauen mit Kleidergröße 38 können gute Models sein und schöne Mode präsentieren.
Ein deutsches Model steht bislang nicht auf der Liste derjenigen, die Ihre Initiative unterstützen, dort tauchen zum Beispiel deutsche Fußballnationalspielerinnen und die Feministin Alice Schwarzer auf. Glauben Sie, dass das die Vorbilder sind, mit denen Sie die Jugendlichen erreichen?
Schmidt: Jeder hat ein anderes Vorbild. Es sind ja auch weitere Sportlerinnen und Sportler dabei und Schauspielerinnen wie Jeanette Biedermann. Es bedarf eines großen Netzes, um dieses falsche Schönheits- und damit medial verzerrte Erfolgsmodell aufzubrechen. Jeder sollte sich in seinem eigenen Körper wohl fühlen. Jeder ist, wie er ist. Es gibt ja auch Menschen, zu deren Körpergröße 48 Kilo genau passen. Bei anderen, die für ein solches Gewicht permanent hungern müssen, handelt es sich um eine krankhafte Selbstzerstörung des Körpers. Es geht darum, Kinder stark zu machen. Vor allem die Mädchen, denn es sind ja in erster Linie Frauen betroffen. Aber es gibt auch Männer mit diesem Problem, vor allem in bestimmten Sportarten. Die Modebranche ist nur ein Teilbereich.
Sie sprachen von einer „medialen Scheinwelt“. Was genau meinen Sie?
Schmidt: In den Zeitschriften, die die Mädchen lesen, werden die Begriffe „super“, „schlank“ und „schön“ immer mit Erfolg verbunden. Wie im Märchen. Es gibt nur gut und böse, schwarz und weiß. Die Guten sind die Schönen, die Bösen sind die nicht so Schönen – und dann wird definiert, was schön ist. Es wäre hilfreich, wenn dort ein Umdenken stattfinden würde – das wir mit einem Ausbau der Informations- und Beratungsmöglichkeiten verbinden können. Denn es gibt nach wie vor Informationsdefizite in Hinblick darauf, dass Magersucht eine Krankheit ist, die einer medizinischen und therapeutischen Behandlung bedarf. Wir brauchen dabei die Unterstützung der Frauenzeitschriften – ebenso wie die von Lehrkräften und Erziehern. Wichtig ist, dass bei unserer Aktion die Ärztekammer mit dabei ist. Denn Ärzte und Therapeuten müssen erkennen, wenn es eine Fehlentwicklung gibt. Nur in diesem ganzen Netzwerk kann man auf Dauer erfolgreich sein. Auch wenn man nie verhindern kann, dass es Menschen gibt, die krankhaft magersüchtig oder übergewichtig sind. Ich glaube aber, dass man viele Impulse setzen kann, und hoffe, dass es gelingt, so viele Kinder und Jugendliche wie möglich zu einem gesunden Essverhalten und zu einer gesunden Einstellung gegenüber dem eigenen Körper zu befähigen.
Glauben Sie, dass Sie alleine mit den Gesprächen, die Sie führen, etwas bewirken können?
Schmidt: Zunächst einmal muss auf das Problem aufmerksam gemacht werden, Eltern müssen auf die verschiedenen Beratungsmöglichkeiten hingewiesen werden. Denn jemand, der magersüchtig ist, versteht es oft, seine Krankheit lange zu verbergen. Das habe ich in meiner früheren Zeit als Lehrerin selbst erlebt. Manche tragen weite Kleidung und verstecken darunter den immer dünner werdenden Körper und verbergen oft lange die Zerstörung ihres Körpers. Experten sagen, dass jede zehnte Magersucht zum Tode führt. Es gilt, frühzeitig einzugreifen und weitere Informationsangebote zu entwickeln. Wir planen im Moment zum Beispiel eine zentrale Internetadresse, damit Betroffene, Angehörige, Freunde und alle Interessierten die wichtigen Informationen sofort zur Verfügung haben.
Wie könnte ein „nationaler Kodex gegen den Schlankheitswahn“ aussehen, den Sie gemeinsam mit der Modeindustrie entwickeln wollen?
Schmidt: Es macht wahrscheinlich keinen Sinn, einen Mindest-Body-Maß-Index oder Ähnliches zu fordern…
…sondern?
Schmidt: Was wir brauchen, ist ein Kodex, der auch eingehalten wird. Derzeit wird diskutiert, ob ein Model – bevor es auf den Laufsteg geht – ein ärztliches Unbedenklichkeitsattest vorlegen sollte. Das gibt es in anderen Ländern auch. Wir sind gerade dabei, die Einzelheiten zu erarbeiten. Ich hoffe, dass wir den Kodex im Juli auf der Modemesse Igedo zur Präsentation der Frühjahrskollektion 2009 vorstellen können. Dabei muss man eines allerdings berücksichtigen: Für einen Bewussteinswandel braucht man längere Zeit – das geht nicht von heute auf morgen.
unser Kommentar
Hallo,
ich die Graziella und die Maria-Helena finden dieses interview sehr gut, denn wir haben grad ein projekt in der schule das sich um Magersucht handelt und dieses interview hat uns sehr gehlofen
Danke
mit freundlichen Grüßen
Maria-Helena& Graziella