Ulrich Noethen

Für mich wäre das alles nicht denkbar gewesen, wenn ich nicht vorher Theater gespielt hätte.

Schauspieler Ulrich Noethen über den Film "Francisca", in dem er einen nach Mexiko flüchtenden Stasi-Mitarbeiter spielt, die Schwierigkeiten des Projekts und seine Lust aufs Theater

Ulrich Noethen

© Pegasos Filmverleih

Herr Noethen, in Ihrem aktuellen Film "Francisca" sind Sie der einzige deutsche Schauspieler – wie kam es zu der außergewöhnlichen Produktion?
Noethen: Die Regisseurin Eva Lopez-Sanchez war vor drei Jahren In Deutschland auf der Berlinale um für diese Rolle einen Schauspieler zu suchen. Es gab ein Casting, wo ich durch Zufall noch reingerutscht bin. – Ich habe früher, während meines Jurastudiums mal einen Intensivkurs Spanisch gemacht. Das lernt man zwar sehr intensiv, aber man vergisst vieles auch schnell wieder. Was bei mir hängen geblieben ist, weil ich auch nicht ganz unmusikalisch bin, war eben die Aussprache. – Eva Lopez-Sanchez hat mir damals einen Text von zwei Szenen aus dem Drehbuch gegeben. Den perfekt einzustudieren ist mir natürlich nicht gelungen – aber sie hat sich dann für mich entschieden. Später habe ich dann erst mal realisiert, dass es in Mexiko selbst sehr schwierig war, diese Produktion auf die Beine zu stellen. Erst mussten Dreharbeiten in Chiapas wegen der Regenzeit verschoben werden, zwei Mal während der Drehzeit hat der Leiter des dortigen Filmförderungsinstituts gewechselt und es gab schließlich einen Regierungswechsel. Diese Dinge haben das Projekt immer bedroht und es gab einen Zeitpunkt, wo ich schon gar nicht mehr damit gerechnet habe, dass der Film überhaupt noch realisiert wird. Im Oktober 2000 kam dann der Anruf, dass ab Januar 2001 gedreht wird. In dem Moment hatte ich aber überhaupt keine Lust mehr, das Projekt war für mich eigentlich schon längst gestorben. Aber dann habe ich an meine zwei Begegnungen mit Eva Lopez-Sanchez gedacht, das waren so wunderbare Begegnungen, wo ich gedacht habe, dieser Frau vertraust du einfach. Also war ich die ganze Weihnachtszeit über damit beschäftigt, mein Spanisch aufzupolieren, obwohl ich eigentlich nur den Weihnachtsbaum schmücken und Plätzchen backen wollte. Als ich dann vor Ort in Mexiko war habe ich aber nichts bereut und das Projekt auch nicht in Frage gestellt – da war alles super.

Man hat Sie im Kino zuletzt in "Das Sams" gesehen, der Film wurde auch kürzlich mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet, als bester Kinder- und Jugendfilm. "Francisca" ist nun ein völlig anderes Genre. Hatten Sie Schwierigkeiten, diesen Wechsel zu vollziehen?
Noethen: Nein, das ist schon einfach, finde ich. Ich setze mich ja gedanklich mit dem Film auseinander und frage mich, worum es in der Geschichte geht, was die Anforderungen sind – was für eine Art von Film überhaupt gemacht werden soll. Und dann kommen viele Einflüsse von außen dazu, die auch ganz automatisch etwas neues entstehen lassen. Oft ist es auch gar nicht so sehr meine eigene Arbeit die zu dem Ergebnis führt, sondern es ist mehr eine Reaktion, geradezu eine psychosomatische Reaktion auf das, was um mich herum ist. Das fängt an beim Drehbuch, dann sind für mich die Begegnungen mit dem Regisseur sehr entscheidend und die Arbeit mit dem Team. Und bei "Francisca" war es nun so, dass ich plötzlich in einem anderen Land war, mit Leuten zusammengearbeitet habe, die ich noch nie gesehen habe und deren Sprache ich normalerweise nicht spreche – einen stärkeren Einfluss durch die Umgebung kann ich mir kaum vorstellen.

Aber Sie haben sich schnell akklimatisiert?
Noethen: Ja. Meine Situation war aber auch ähnlich wie die des Helmuth Buschs im Film. Obwohl mich die Leute dort sehr herzlich und warmherzig aufgenommen haben, war es eine Zeit von zweieinhalb Monaten, die ich in gewisser Weise auch isoliert war und all das gewohnte, was ich sonst um mich herum habe, einfach nicht da war.

Und Sie würden sagen, dass das die Figur des Helmuth beeinflusst hat?
Noethen: Ja, das hat damit zu tun, wobei es auch viele Dinge gibt, wo man sich sagt: "no acting required". In manchen Momenten ist also die Situation oder das Bild schon so stark, wo ich nur noch durch das Bild durchlatschen muss, damit das entsteht, was erzählt werden soll.

Mir persönlich kommt Helmuth ein wenig zu ruhig, gelassen vor, angesichts der bedrohlichen Situation, in der er sich befindet.
Noethen: Also, wir könnten uns einerseits vorstellen, dass es diese Figur und diesen Charakter so gibt, jemand, der versucht seine Panik zu unterdrücken und nach außen hin relativ ruhig mit den Dingen umgeht. Andererseits könnten wir sagen, wir glauben diesen Charakter nicht, was dann offensichtlich an einem schauspielerischen Defizit läge. Man kann es also positiv oder negativ erklären, wobei ich zu der ersteren Variante neige. Ich habe bei meiner Arbeit am Theater den Satz kennen gelernt: der Möglichkeiten sind Legion. Eine Szene zu spielen, einen Charakter zu interpretieren – es kommt immer nur auf die Stringenz an, dass ich das, was ich anfange, auch bis zum Schluss durchziehe. Weil sonst klafft das eben auseinander wie ein Kohlkopf. Wenn es aber kohärent ist, zusammengehört, dann ist es in Ordnung. Es sei denn, jemand sagt: dein Angebot ist toll, aber bitte spiele es anders.

Die Liebe zwischen Helmuth und Adela wird anfangs nur durch wenige Eckpunkte gekennzeichnet. Wie würden Sie diese Liebe nun näher beschreiben?
Noethen: Das ist im Grunde für mich so eine Kernfrage des Films. Der Mann hält sich an einer Frau fest, die ihn eigentlich nicht wirklich liebt, was er natürlich nicht wahr haben will – So könnte man es interpretieren. Tatsache ist, dass ja beide ihren Rucksack an Begebenheiten und Geschichten mitschleppen. Sie kommen nun an einen Punkt, wo sie eine bestimmte Entscheidung fällen müssen. Der eine will mit der ganzen Politik überhaupt nichts mehr zu tun haben. Helmuth hat eine vage Vorstellung davon, dass man irgendwo hingehen könnte und noch mal versucht neu anzufangen. Sie glaubt hingegen, das würde nichts anderes bedeuten, als dass die Flucht einfach nur verlängert wird. Sie möchte sich gegen das System stellen. Man kann nun nicht sagen, welche der beiden Entscheidungen die richtige ist. Klar ist nur, dass die beiden zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen und sich die Frage stellt, ob ihre Liebe stark genug ist, das auszuhalten.

Zitiert

Ich lebe doch in einer total behüteten Welt, hier ist doch alles geregelt.

Ulrich Noethen

Waren Sie selbst schon mal auf der Flucht?
Noethen: Nein, wovor auch. Ich lebe doch in einer total behüteten Welt, hier ist doch alles geregelt.

Aber gab es vielleicht eine Situation, wo Sie Zuflucht gesucht haben, oder einfach nicht aus noch ein wussten?
Noethen: Es gab da eine Situation in meinem Leben, die für mich ziemlich schlimm war: Ich habe als Theater-Anfänger viel freies Theater gemacht, auch Zelttheater. In der Zeit habe ich eine Theatergruppe aus Stockholm kennen gelernt, die mich nach Stockholm einluden und mir anboten, bei ihnen mitzumachen. Da habe ich einem Moment lang überlegt und mir ein Ticket gekauft für den Nachtzug von München nach Stockholm. Ich war ein Tag dort und dachte wirklich, ich mache jetzt bei denen mit. Ich habe mir eine Vormittagsvorstellung angeschaut, alles auf Schwedisch – und ganz plötzlich kam mir der Gedanke: das machst du nicht. Ich habe mich so einsam und so verlassen gefühlt, dass ich den Menschen dort unter Tränen erklärt habe, es sei alles ein großer Irrtum, und es würde mir sehr leid tun. Ich bin dann zum Bahnhof und habe den nächsten Nachtzug zurück nach Deutschland genommen. Ich habe das damals als eine ungeheure Niederlage empfunden, weil ich selber so vor mir davongelaufen bin und nicht den Mut hatte, erst mal auszuprobieren.

Wenn Sie heute an einem Film arbeiten, sei es für Kino oder TV, sehen Sie es dann immer als großen Nutzen, dass Sie vom Theater her kommen?
Noethen: Unbedingt, für mich ist das die Basis, bei allem was ich bis jetzt gedreht habe. Für mich wäre das alles nicht denkbar gewesen, wenn ich nicht vorher Theater gespielt hätte und nicht gelernt hätte, auch zu reflektieren auf meine Arbeit. Man muss versuchen, zu sich selber eine gewisse Distanz zu kriegen und sich immer wieder fragen, was man eigentlich gerade macht, wozu man eine Geschichte spielt und was diese transportiert.

Hatten Sie während der Arbeit am Theater eigentlich bereits das Ziel Kino oder TV?
Noethen: Nein, überhaupt nicht. Ich habe ja damit gar nicht gerechnet. Es war ja auch jahrelang am Theater schwierig für mich, überhaupt einen Drehtag zu bekommen. Ich war im Ensemble und da kommst du überhaupt nicht raus. Ich habe nie das angestrebt, wo ich jetzt bin, es ist vieles ganz anders gekommen, als ich es mir ursprünglich gedacht hatte.

Kommen denn jetzt noch Angebote vom Theater?
Noethen: Nein, das ist das interessante, ich würde ja gerne wieder spielen, aber ich möchte auch gerne gefragt werden. Ich weiß, das ist jetzt völlig vermessen und es wird mich auch keiner fragen, Dornröschen wird nicht wachgeküsst. Ich muss da schon selber hingehen und den Leuten sagen, ich hätte jetzt Lust zu spielen. Ich bin da hin- und hergerissen, über kurz oder lang ist es einfach fällig, dass ich wieder auf die Bühne gehe. Auf der anderen Seite habe ich natürlich immer die Angst, wenn ich jetzt für längere Zeit meine Priorität aufs Theater setze, dass dann vielleicht das Filmprojekt kommt, vom dem ich schon immer träume und ich es dann aber nicht machen kann. Aber ich glaube, im Moment schiebe ich das so vor mir her, was auch ein bisschen mit Faulheit zu tun hat. Genauso hat es aber damit zu tun, dass man beim Theater wie beim Film nicht weiß, ob ein Projekt perfekt wird, auch wenn man es unter den Bedingungen machen kann, die man sich gewünscht hat. Ich finde, da gerät man immer so unter Druck, dass das Projekt jetzt aber auch eine gute Sache werden muss. Wenn es aber einfach auf mich zukommt und anders ist als meine Vorstellungen, dann habe ich die Freiheit zu sagen: ja, schaun‘ wir mal. Da geht man dann mit einer viel spielerischen Haltung an die Sache ran, es macht mehr Spaß und das Resultat ist in der Regel auch besser.

Das Leben ist ein Comic, welche Figur sind Sie?
Noethen: Idefix – der fällt mir gerade so ein. Hm… ich fange jetzt an, darüber nachzudenken. Ja, Idefix, den finde ich schon ganz ok.

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