Ulrike Kriener

Ich wollte schon früh mein eigenes Leben leben.

Schauspielerin Ulrike Kriener über eine Jugend ohne Zukunftsängste, ihren zehnten Auftritt als „Kommissarin Lucas“, Gewalt im Fernsehkrimi und den schlimmsten Fehler, den man als Schauspieler machen kann

Ulrike Kriener

© ZDF

Frau Kriener, Sie gehören zu den Menschen, die an Heiligabend Geburtstag feiern. Als Kind war das sicherlich mit einigen Einschränkungen verbunden?
Kriener: Ich habe mich eigentlich nie daran gestört, sondern fand es immer etwas Besonderes, an Heiligabend Geburtstag zu haben. Das ist auch bis heute so geblieben. Wenn ich irgendwo mein Geburtsdatum nenne, freuen sich die Leute oft und man hat gleich ein Gesprächsthema. Als Kind hätte ich natürlich unheimlich gerne an meinem Geburtstag eine Party mit anderen Kindern gefeiert, aber das ging an Heiligabend logischerweise nicht und Nachfeiern ist einfach nicht dasselbe.

Ihr Vater war Betriebsführer in einer Bergwerkzeche im Ruhrgebiet, Ihre Mutter Hausfrau. Wie kamen Sie zur Schauspielerei? Über das Elternhaus vermutlich nicht?
Kriener: Nein, über meine Eltern bin ich mit dem Beruf nicht in Berührung gekommen. Das geschah eher zufällig. Eine Freundin von mir wollte Schauspielerin werden – in jener Zeit, in der ich gerade noch mit meinem mittelmäßigen Abitur rumhampelte und nicht so recht wusste, was ich damit anstellen sollte. Als mir diese Freundin erzählte, dass sie auf die Schauspielschule gehen würde, habe ich mir gedacht, dass ich das eigentlich auch mal ausprobieren könnte.

Was sich als gute Entscheidung erweisen sollte, denn noch während der Ausbildung wurden Sie für den ARD-Fernsehmehrteiler „Britta“ engagiert. Gab es Phasen in Ihrem Leben, in denen Sie sich gewünscht hätten, in einem „normalen“ Beruf zu arbeiten?
Kriener: Es gab manchmal schon Tage, an denen ich mich in irgendwas anderes hineinphantasiert habe, das Ganze dauerte dann aber nie länger als eine halbe Stunde (lacht). Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich mit meinem Beruf völlig glücklich bin. Es bereitet mir auch immer wieder ein Gefühl der Dankbarkeit, wenn ich daran denke, dass ich damals letztlich aus dem Bauch heraus die richtige Berufsentscheidung getroffen habe.

Sie sagen von sich selbst, dass Sie ein sehr abenteuerlustiger Teenager mit „Hummeln im Hintern“ gewesen seien. Gibt es im Rückblick Dinge, bei denen Sie heute denken: du meine Güte, was habe ich damals bloß gemacht?
Kriener: Natürlich gibt es solche Dinge. Aber sehen Sie, ich habe einen 14-jährigen Sohn und da werde ich Ihnen jetzt natürlich nicht irgendwelche Geschichten erzählen, die er womöglich dann auch noch liest (lacht). Ich bin aber damals schon mit 17 Jahren und vor dem Abitur von zu Hause weg und nach Hamburg gezogen – und das war Anfang der Siebzigerjahre natürlich sehr ungewöhnlich. Ich war sehr früh flügge und wollte auch schon früh mein eigenes Leben leben.

Es war also eine bewusste Entscheidung, schon früh selbstständig werden zu wollen?
Kriener: Na ja, bei mir war es eher eine Entscheidung aus dem Bauch heraus. Neben einer gewissen Unbekümmertheit hatte ich das große Glück, in einer Zeit aufwachsen zu dürfen, in der man sich eigentlich keine großen Sorgen über die Zukunft machen musste. Probleme wie Arbeitslosigkeit, Existenzängste oder Aids gab es nicht – der Glaube an die eigene Zukunft war vollkommen ungebrochen.

Am 16. Mai sind Sie nun bereits zum zehnten Mal in der ZDF-Krimireihe „Kommissarin Lucas“ zu sehen, über die Sie vor einigen Jahren sagten, sie sei ein Geschenk für Sie. Was ist für Sie das Besondere an dem Format?
Kriener: Das Besondere liegt zunächst einmal in der Arbeitsweise. Es kehrt nie Selbstzufriedenheit ein und alle Beteiligten haben den Anspruch, mit jedem Film einen außergewöhnlichen und besonderen Film zu produzieren. Das große Glück ist für mich dabei, dass es in den meisten Fällen auch sehr gut gelingt, immer wieder neue Seiten der Kommissarin zu zeigen. Mir wird von den Drehbüchern und der Regie die Möglichkeit gegeben, auch den inneren Zustand und die Entwicklung von Ellen Lucas darzustellen. Es gibt für mich also mehr zu spielen als „Wo waren Sie gestern Abend?“. Ergänzend zum Fall, in dem die Kommissarin tough ist, sieht man sie im Privaten auch überfordert, angestrengt und müde. Beide Seiten zusammen machen für mich diese Rolle erst rund.

Die „Kommissarin Lucas“-Filme sind oftmals psychologisch angelegt, vieles vermittelt sich dem Zuschauer in Dialogen und Verhörszenen. In der aktuellen Folge „Vergessen und Vergeben“ sind nun auch viele Actionszenen und Schießereien zu sehen. Welche Einstellung haben Sie zu Gewalt im Fernsehkrimi?
Kriener: Ich zähle offen gestanden zu jenen Menschen, die Schwierigkeiten mit Gewaltszenen haben, aber natürlich gehören sie zu einem Krimiformat in einem gewissen Sinne einfach dazu. Ich bin aber der Meinung, dass man immer einen Weg finden kann, die Gewalt zu zeigen, ohne drastisch zu werden. Das Gleiche gilt übrigens auch für erotische oder sexuelle Szenen. Oftmals kann man gerade mit der Auslassung von klaren Bildern eine sehr große Wirkung erzielen – so wird der Zuschauer angeregt, im Kopf und in seiner Phantasie eigene Bilder zu entwickeln. Wenn das gelingt, halte ich das eigentlich immer für die beste Lösung. Bei der aktuellen „Kommissarin Lucas“-Folge ist es einfach notwendig, zumindest zu Beginn einmal drastisch Gewalt darstellen, um dem Zuschauer zu zeigen, zu was die Täter, die im Mittelpunkt der Handlung stehen, fähig sind.

Viele Schauspieler legen großen Wert auf ein Mitspracherecht bei der Entwicklung der Drehbücher. Wie sieht das bei Ihnen aus?
Kriener: Wenn ich Ideen zu einem Fall oder zur Weiterentwicklung von Ellen Lucas habe, teile ich diese der Produktionsfirma, dem Regisseur oder der Redaktion mit – und dann reden wir darüber. Letztlich bin ich aber der Meinung, dass man Autoren in Ruhe schreiben lassen sollte; Schreiben ist ein kreativer Prozess und Kreativität ist nur bedingt teilbar. Insofern finde ich es nicht richtig, wenn alle am Drehbuch rumbasteln, ihre halbfertigen Ideen beim Autoren abladen und er soll daraus dann ein gutes Buch schreiben. Ich sehe meine Position in dieser Hinsicht eher realistisch. Es ist nicht meine Aufgabe, mich um das Drehbuch zu kümmern; ich bin Schauspielerin, keine Drehbuchautorin.

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Gesten vor dem Spiegel zu üben, ist das Schlimmste, was man als Schauspieler tun kann.

Ulrike Kriener

Die „Kommissarin Lucas“-Reihe spielt in Regensburg. Sind Sie gerne dort?
Kriener: Ich finde Regensburg als Schauplatz unheimlich reizvoll und liebe die Stadt, das muss ich ganz klar sagen. Ich mag dieses Kleinstädtische und Anheimelnde und freue mich immer, wenn ich im Zuge der Dreharbeiten ein paar Tage im Jahr dort verbringen kann. Wir sind aber leider immer nur für zwei Wochen in der Stadt, um die entsprechenden Außenszenen zu drehen. Die Szenen, die in geschlossenen Räumen spielen und die austauschbaren Szenen, bei denen man nicht erkennt, wo sie spielen, drehen wir in München.

Kannten Sie Regensburg schon vor den „Kommissarin Lucas“-Dreharbeiten?
Kriener: Ja, ich habe die Stadt durch die Dreharbeiten an den Film „Die Dombaumeisterin“ kennengelernt. Dieser Film entstand ein paar Jahre, bevor wir die erste „Kommissarin Lucas“-Folge gedreht haben und schon damals habe ich mich in Regensburg verliebt. „Die Dombaumeisterin“ war eine schöne Liebesgeschichte, die wir rund um und auch im Regensburger Dom gedreht haben. Damals war ich für fast vier Wochen in der Stadt und habe sie dadurch sehr gut kennengelernt. Der Dom ist auch heute für mich immer noch so etwas wie Heimat und jedes Mal, wenn ich in Regensburg drehe, gehe ich auch in die Hütte am Dom und besuche die Steinmetze.

Wenn Sie den Text für eine Rolle lernen, wie muss man sich das vorstellen? Stehen Sie mit dem Drehbuch vor dem Spiegel und erarbeiten zum Text schon passende Gesten?
Kriener (lacht): Bloß nicht! Gesten vor dem Spiegel zu üben, ist das Schlimmste, was man in diesem Beruf tun kann. Würde man es tun, würde man nämlich nur äußerlich arbeiten, das Entscheidende ist aber, dass man innerlich arbeitet; dass man versucht, den inneren Zustand seiner Figur genau zu interpretieren. Wenn man sich damit beschäftigt, was in einer Szene geschieht – und das nicht nur auf der Handlungsebene, sondern eben auch auf der psychologischen Ebene –, dann kommt man an den Zustand einer Figur heran. Oft versucht man auch, Entsprechungen in der eigenen Erlebniswelt zu finden und überlegt sich, wie man selbst reagieren würde.

Gerade bei den Dialogen muss das Timing stimmen. Wie üben Sie diese mit Ihren Schauspielerkollegen?
Kriener: Das geschieht erst am Drehort. Jeder lernt zu Hause seinen Text vor, am Set steigt man dann in die Proben ein und schaut, was schon funktioniert und woran man unter Umständen noch arbeiten muss. Im Großen und Ganzen geht das aber recht schnell, weil sich jeder ja schon im Vorfeld Gedanken über seine Figur gemacht hat. Diese Vorbereitung bringt jeder Schauspieler schon mit ans Set.

Wie oft werden Szenen vor dem eigentlichen Dreh geprobt?
Kriener: Das ist unterschiedlich und hängt natürlich auch davon ab, wie schwierig eine Szene ist. Szenen, die einen sehr hohen emotionalen Gehalt haben, probe ich lieber nicht zu oft, damit beim eigentlichen Dreh noch eine gewisse Ursprünglichkeit und Spontanität da ist, etwas Unfertiges im guten Sinne. Szenen, bei denen Gänge oder zeitliche Abläufe eine große Rolle spielen, probiert man hingegen schon mal öfter, weil davon eben auch die Kamera und der Ton abhängig sind.

Sie verkörpern immer wieder extreme Charaktere – in „Verurteilt Anna Leschek“ eine alleinerziehende Mutter, die mit ihrer Tochter eine Bank überfällt; in „Am Ende des Tunnels“ eine U-Bahnfahrerin, die einen Selbstmörder überfährt und fortan von Schuldgefühlen geplagt ist. Wie finden Sie in solche, nicht alltäglichen Rollen hinein?
Kriener: Ehrlich gesagt weiß ich das gar nicht so genau. Mittlerweile komme ich bei der Vorbereitung auf eine Rolle immer in so eine Art Flow-Zustand und entwickle dadurch ganz automatisch eine selektive Wahrnehmung auf das Thema des Films. Stellen Sie sich vor, Sie möchten sich ein neues Auto kaufen, wissen aber nicht genau, ob es rot oder blau sein soll. Und ich wette mit Ihnen, Sie sehen ab diesem Moment nur noch rote und blaue Autos durch die Gegend fahren. Und so ist es auch bei mir bei der Vorbereitung auf eine Rolle. Wenn ich eine depressive Frau spielen muss, setze ich mich zwar mit dem Thema Depressionen auseinander, ich muss dafür aber nicht viel tun, das Thema zieht mich automatisch an.

Haben Sie manchmal Sehnsucht nach Rollen, die andere spielen?
Kriener: Eigentlich nicht. Ich erfreue mich immer an der Rolle, an der ich gerade arbeite; sie ist dann meine nächste Herausforderung. Allerdings gibt es Konstellationen, in denen ich gerne arbeiten würde – mit einem bestimmten Regisseur oder einem bestimmten Kollegen. So etwas treibt mich eher an; da ist es aber ein bestimmtes Projekte, das mich interessiert und an dem ich gerne beteiligt sein würde, die Rolle ist mir dann völlig egal. Vielleicht würde ich gerne einmal einen historischen Film drehen, dann könnte ich mal so schöne große Kleider anziehen (lacht).

Von Presse und Filmkritik werden Sie häufig als Charakterdarstellerin bezeichnet. Wie stehen Sie zu solchen Bezeichnungen? Sind nicht eigentlich alle Schauspieler auf eine gewisse Weise Charakterdarsteller, weil sie Charaktere darstellen?
Kriener: Im gewissen Sinne schon, aber der Bezeichnung „Charakterdarsteller“ hängt meiner Meinung nach noch einmal eine besondere Bewertung an. Ich bin keine Schauspielerin, die nur über ihre äußere Attraktivität Rollen ausfüllt. Das Wort „Charakter“ steht eigentlich immer für ein bisschen mehr Schwergewichtigkeit in diesem Beruf und für die Fähigkeit, Menschen sehr differenziert darstellen zu können. Ich glaube schon, dass die Bezeichnung ein gewisser Adelsschlag ist.

Letzte Frage: Sie machen leidenschaftlich gerne mit dem Wohnmobil Urlaub. Was macht für Sie den Reiz an dieser Art des Reisens aus?
Kriener: Vor allem die Ungebundenheit, das nicht Verbindliche, dass man nicht planen muss. Man setzt sich ins Auto, hält irgendwo an, wo es schön ist und bleibt einfach dort. Letztlich bedeutet ein Urlaub mit dem Wohnmobil mehr Freiheit.

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