Frau Lehr, besitzen Sie ein iPhone?
Lehr: Nein, das habe ich nicht.
Ich dachte nur, weil die Marktforschung ja inzwischen die Senioren als kaufkräftige und konsumfreudige Zielgruppe entdeckt hat… und Sie sind ja schließlich immer noch sehr geschäftstüchtig und aktiv…
Lehr: Ob ich „geschäftstüchtig“ bin, bezweifele ich, aber aktiv bin ich schon. Das kann man wohl sagen. Ich benutze das Internet und buche darüber meine Flugtickets und Bahntickets selbst, zum Beispiel. Und ein Leben ohne E-Mail kann ich mir heute gar nicht mehr vorstellen.
Mögen Sie denn Begriffe wie Best Ager, Generation Gold oder Silversurfer?
Lehr: Mich stört das persönlich nicht. Aber ich stehe diesen Begriffen sehr kritisch gegenüber.
Warum?
Lehr: Weil sie Menschen in eine Schublade stecken. Und das haben die Älteren nicht verdient. Nicht alle 50-Jährigen sind Best Ager. Manche sind in der Tat noch richtig fit und auf ihrem Höhepunkt, auch was etwa ihre Kaufkraft angeht. Aber manche müssen auch sehr rechnen, können auch nicht mehr so aktiv sein und weisen den Begriff sicher ab.
Sie sagten, dass Sie selbst viel im Internet machen. Unterstützen Sie es, dass Senioren noch das Surfen lernen?
Lehr: Auf jeden Fall, klar. Das fällt einem allerdings natürlich leichter, wenn man daran gewöhnt ist. Wir waren 1985 an der Uni Heidelberg die ersten, die mit einem Computer gearbeitet haben. Ich selbst hatte mir 1986 einen eigenen „Zenith“ angeschafft und damals mit dem Programm „Euroscript“ gearbeitet .Und dann ist man natürlich daran gewöhnt. Aber als ich dann 1988 Ministerin wurde und ich das erste Mal ins Ministerbüro kam, war ich entsetzt, dass die dort alle noch immer mit der Schreibmaschine arbeiten. Das habe ich dann erstmal geändert, damit es wenigstens da vorangeht. Die Zeit geht ganz schön schnell voran: Vor 22 Jahren ein Minister ohne PC – das kann man sich heute kaum vorstellen.
Sie sind Altersforscherin, haben viele Bücher über das Älterwerden geschrieben und feiern nun in diesem Jahr selbst Ihren 80. Geburtstag. Haben Sie das Gefühl, dass Sie aufgrund Ihrer Tätigkeit genau wissen, wie Sie am besten mit Ihrem Alter umzugehen haben? Das fällt ja nicht jedem unbedingt leicht…
Lehr: Ich weiß nicht, ob aufgrund meiner Tätigkeit. Aber heute weiß jeder, dass der Satz gilt: Älter werden, aktiv bleiben. Das habe ich für mein Leben nicht selbst gewählt, sondern das kam so. Ich wurde eben immer gefordert. – Tatsache ist: Ich kann nur jede dritte Vortragsanfrage annehmen, denn ich kann und will nur drei Vorträge pro Woche halten.
Wenn man jung ist, hat man bestimmte Vorstellungen davon, wie es ist alt zu sein. Was ist anders gekommen, als Sie es in jüngeren Jahren erwartet hatten?
Lehr: Eine schwere Frage. Bevor wir mit der Alternsforschung begonnen haben – und in Klammer möchte ich anfügen, dass ich schon 1958 meinen ersten Forschungsauftrag zum Thema „Ältere Arbeitnehmer“ abgeschlossen habe – auf jeden Fall, seit diesen Forschungen habe ich mir das Alter so vorgestellt, wie es gekommen ist. Hätten Sie mich aber noch früher gefragt, vielleicht als ich Anfang 20 war, hätte ich nie erwartet, dass ich die Jahrtausendwende noch erlebe.
Als ich 1988 Ministerin wurde und das erste Mal ins Ministerbüro kam, war ich entsetzt, dass die dort alle noch mit der Schreibmaschine arbeiten. Das habe ich dann erstmal geändert.
Sie haben mal gesagt: „Es kommt nicht nur darauf an, wie alt wir werden, sondern wie wir alt werden.“ Wie werden Sie alt?
Lehr: Von Jahr zu Jahr ein Jahr älter. Sicherlich gibt es körperliche Veränderungen. Und wenn man keinen Sport treibt, ist man nicht mehr so gelenkig. Da kann ich im Übrigen nur jedem empfehlen, jeden Tag Gymnastik zu machen. Das erhält die Gelenkigkeit, die Beweglichkeit.
Das heißt, Sie machen noch jeden Tag Sport?
Lehr: Ja, zumindest Gymnastik.
Gibt es etwas, das Sie persönlich vermissen, was Sie früher machen konnten, aber mit dem Alter aufgeben mussten?
Lehr: Mmhh… naja, man tanzt sicher nicht mehr eine ganze Nacht durch, wie man das vielleicht mit 20 getan hat.
Würden Sie das gerne noch einmal machen?
Lehr: Nein, danach habe ich kein Bedürfnis mehr. Aber es gibt schon noch weitere Einschränkungen. Ich würde zum Beispiel nachts nicht mehr lange Strecken über die Autobahn fahren. Das sind so kleine Dinge, an die man sich gewöhnen muss, aber auch gewöhnen kann. Bei Dunkelheit fahre ich nur noch im näheren Umkreis, in mir bekannten Gegenden, mit meinem Auto.
Ihrer Meinung nach bedeutet Altern in vielen Fällen Kompetenzgewinn. Nutzt die Gesellschaft diesen Gewinn ausreichend?
Lehr: Zumindest immer mehr. Ausreichend ist zu viel gesagt. Die Gesellschaft wird sich aber bewusst, dass viele Ältere einen Erfahrungshintergrund haben, den man nutzen sollte. Gerade die ehrenamtlichen Gruppen machen das deutlich. Da gibt es Beispiele, dass ältere Menschen Hauptschüler begleiten, den Berufseinstieg unterstützen oder jungen Existenzgründern helfen. So langsam sieht man das ein, obwohl noch manche Erfahrungen brach liegen.
In welchen Bereichen, vor allem im Alltag müsste die Gesellschaft sich mehr mit der Perspektive der Älteren beschäftigen? Was stört Sie im Alltag am meisten?
Lehr: Mich stört Verschiedenes. Zunächst einmal begrüße ich es sehr, dass immer mehr Firmen Rücksicht nehmen auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, d.h. für Beruf und Kindererziehung. Aber die Firmen müssen auch mehr für die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege tun. Es ist interessant, dass heute mehr berufstätige Frauen für ihre Eltern oder gegebenenfalls auch für ihren Partner zu sorgen haben als für unter 6-jährige Kinder.
Was stört Sie noch?
Lehr: Das zweite Thema, das mich sehr bewegt: Wir brauchen generationenfreundliche Städte – das heißt sowohl für Kinderwagen als auch für Senioren. Es gibt Städte mit Marktplätzen voller Kopfsteinpflaster. Gehen Sie mal mit einem Rollator über Kopfsteinpflaster! Ebenso gibt es immer noch in vielen öffentlichen Gebäuden Treppen ohne Treppengeländer, was viele Stürze verursacht.
Und ein weiterer Punkt: Die Umwelt sollte ältere Menschen eigentlich zu Aktivitäten motivieren. Doch im Alter geht manch einer nur noch gerne durch den Park, wenn man sich zwischendurch auch einmal hinsetzen kann. Wir brauchen also Bänke. Doch die haben oft keine Rücken- oder auch keine Seitenlehnen. Das sind Kleinigkeiten. Aber mit diesen Kleinigkeiten muss man anfangen, wenn man sich als Kommune auf den demografischen Wandel einstellen will. Verbraucher- und seniorenfreundlich ist unsere Umwelt noch lange nicht. Für eine age-friendly city ist noch sehr viel zu machen.
Welche Ratschläge würden Sie anderen Menschen noch geben, um sich jung zu halten?
Lehr: Schon der Ausdruck „sich jung halten“, finde ich nicht gut. Sagen wir lieber: möglichst gesund bleiben und kompetent älter werden. „Forever young“ ist die schlimmste Werbung, die es gibt. Wir werden nun einmal älter. Mein Ratschlag ist: Sagen Sie ‚Ja’ zum Älterwerden. Fragen Sie nicht, was Sie nicht mehr können, sondern fragen Sie, was Sie noch können und tun dies auch; respektieren Sie Ihre Grenzen, aber nutzen Sie die Ihnen verbliebenen Möglichkeiten! Und schließlich: Suchen Sie sich eine Aufgabe. Wer keine Aufgabe hat, der gibt sich auf.