Frau Lemper, Sie sind kürzlich von einer Reise nach Deutschland in die USA heimgekehrt – was haben Sie sich aus Deutschland mitgebracht?
Lemper: Überhaupt nichts. Ich habe mir am Flughafen noch schnell ein bisschen Schokolade gekauft für die Kinder, ansonsten hatte ich gar keine Zeit, in Deutschland shoppen zu gehen. Ich bringe mir manchmal Salben und Cremes mit, die ich für die ganze Familie immer so als Heilmittel benutze. Und Marzipan.
Gibt es eigentlich besondere Medizin für die Stimme?
Lemper: Es gibt ein universales Mittel, das heißt Schweigen. Wenn die Stimme müde ist: Kein Alkohol und die Klappe halten. Das ist das beste Mittel.
Und dann gibt es zum Beispiel noch „Grether’s“, das sind kleine Pastillen mit Glycerin drin, die den Hals so salbenmäßig befeuchten. Das hilft ganz gut, wenn der Hals trocken ist.
Wie intensiv achten Sie denn auf Ihre Stimme?
Lemper: Die Stimme ist mein Instrument und ich muss sie unheimlich pflegen. Ich öle meine Stimme jeden Tag, mache Stimmübungen, singe rauf und runter…
Wie lange?
Lemper: Wenn ich keine Proben oder Konzerte habe, versuche ich 20-25 Minuten am Tag zu singen und die Stimme auch zu belasten, damit der Muskel, der die Stimmbänder bewegt, ständig trainiert wird.
Rauchen Sie?
Lemper: Das ist natürlich das Schlimmste für die Stimme. Ich rauche nur ganz selten, wenn es mal wirklich sein muss.
Zum Beispiel?
Lemper: Beim Dinner, mit einem Glas Champagner…
Was auch schlimm ist, sind Partysituationen oder Bars, wo man sehr laut sprechen muss.
Aber Rauchen und Partys – sind das nicht Dinge, die bei einer Chanson-Sängerin ein bisschen zum Image dazugehören? Und kann das Rauchen der Stimme nicht auch einen gewissen Charme verleihen?
Lemper: Den Effekt kann man auch anders erzeugen, durch Müdigkeit. Je müder die Stimme klingt, desto tiefer und brüchiger wird sie. Wenn du deine Stimme malträtierst, ständig ohne Technik ordentlich draufhaust, dann kriegst du den rauchigen Whiskey-Klang auch so hin. Und das mit den Zigaretten: die gehen ja nicht nur auf die Lunge, sondern die Puste ist auch wesentlich weniger, was ein Problem ist beim Singen.
Also keine Zigaretten, keine Partys…
Lemper: Dass man auf Partys gehen muss, diesem Druck bin ich Gott sei Dank nicht mehr ausgesetzt. Ich gehe ab und zu mal zu einem Empfang, wo dann auch keine laute Musik gespielt wird. Aber auf diesen ganzen Partys muss ich mich nicht herumtreiben, das ist auch reine Zeitverschwendung.
Welchen Einfluss hat das Alter auf die Stimme?
Lemper: Die Stimme entwickelt sich glaube ich immer weiter, bis mindestens 55. Wenn man sie richtig behandelt und trainiert kann man im Laufe der Jahre auch immer noch einen weiteren Umfang gewinnen. Ich habe heute zumindest einen viel größeren Stimmumfang als noch vor zehn Jahren. Sprich, wenn man ganz am Anfang einen Umfang von anderthalb bis zwei Oktaven hat, kann man das später ganz locker bis auf dreieinhalb Oktaven ausdehnen. Die Stimme gewinnt außerdem an Wärme und an Raum; je mehr man es trainiert desto mehr kann man auch athletisch mit diesem Instrument machen. Man sollte mit seiner Stimme immer abenteuerlustig bleiben sie nicht einer gewissen Gesangsroutine festfahren lassen. Zum Beispiel singt man am Broadway immer mit relativ starkem Vibrato und großem Druck auf der Stimme. Mit einem Handmikrofon dagegen kann man viel feiner und pianissimo singen und die Details ausmalen, was mir eigentlich viel besser gefällt. Dieser Broadway-Stil, den musste ich mir einfach wieder abtrainieren, nachdem ich ein, zwei Jahre jeden Abend gespielt habe.
Auf dem Ihrem Album „Between Yesterday and Tomorrow” benutzen Sie Ihre Stimme auch anders, als die meisten sie kennen…
Lemper: Viele meiner Platten sind ja sehr theatralisch gewesen, die Chansons – da singt man dann theatermäßig. Und die aktuelle ist eine sehr poetische, wo alles mehr ins intimistische gezogen ist, der Gesangsstil ist eben auch intimistischer.
Ist Ihnen die Platte persönlich am nächsten?
Lemper: Nein. Auf der Bühne bin ich auf jeden Fall ein theatralischer Mensch. Ich liebe die großen Chansons, all das ist auf keinen Fall abgeschlossen. Diese Platte ist jetzt nur eine Seitenstraße und es war natürlich auch spaßig, die Titel selbst zu schreiben, zu erfinden und dann auch aufzunehmen und sie wie ein Gemälde in den Details auszumalen. Da ist alles auf meinem eigenen Mist gewachsen, von der ersten Note bis zum letzten Arrangement. Es gibt Elemente aus dem Blues und Jazz, aber mit meinen Kurt Weill- und Chanson-Geschichten, da hat sie nichts mit zu tun. Hier ging es mir darum, einfach poetisch das Wort für sich stehen zu lassen und nicht noch ein Stück Theater oben draufzugeben.
Dass man auf Partys gehen muss, diesem Druck bin ich Gott sei Dank nicht mehr ausgesetzt.
Wie schreiben Sie Songs?
Lemper: Ich spiele ja seit Jahren Klavier, wenn auch ziemlich miserabel und immer schlecht geübt. Früher habe ich kleine Mozart-Sonatinen gespielt, heute so ein paar Harmonie-Abläufe und Blues – aber mit keinem großen Selbstbewusstsein, dass ich das auf der Bühne machen wollen würde.
Also, ich setze mich ans Klavier, habe Texte vor mir und dann kreiere ich Stimmungen und harmonische Abläufe, ganz intuitiv. Irgendwann setze ich dann die Texte rein, entwickle Melodien und sehe, was zusammen passt. Manchmal muss ich die Texte auch etwas umschreiben, damit sie sich in die Musik einfügen. Und wenn ich gute Harmonien und Melodien gefunden habe, muss ich sie auch sofort niederschreiben, ansonsten vergesse ich sie wieder. Weil bei mir im Haus einfach so viel los ist mit den Kindern. Da werde ich zu oft abgelenkt und wenn ich einen musikalischen Gedanken nicht festhalte ist der schnell wieder weg.
Abgelenkt aber auch inspiriert?
Lemper: Vom Kindergeschrei nicht unbedingt. Deswegen versuche ich das oft abends zu machen, wenn die schlafen, oder wenn sie in der Schule sind. Man braucht so einen kreativen Freiraum dazu.
Viele SängerInnen wie Annett Louisan oder Roger Cicero schreiben ihre Songs nicht selbst.
Lemper: Man muss halt Ideen im Kopf haben, eine Vision. Was mir eigentlich immer sehr leicht fällt, ist, melodisch zu improvisieren. Sie können mir ein paar Akkorde spielen und ich kann mir gleich tausend Melodien dazu ausdenken. Ich weiß durch’s Jazz-Improvisieren immer sofort, was da jetzt passt, welche melodische Abfolge ich anbieten könnte.
Und wenn man ein Lied schreiben will, ist natürlich die Frage nach dem Text sehr wesentlich: was für eine Geschichte möchte ich erzählen, was möchte ich aussagen? Da kommen halt einige Elemente zusammen und wenn man die alle zusammenpuzzelt, können am Ende Lieder dabei herauskommen.
Ich schreibe jedenfalls nicht nach einem bestimmten Konzept wie Dieter Bohlen, der genau weiß, wann welche Harmonien kommen, wie lang die Verse sein müssen oder der Refrain, welche Rhythmusstruktur etc. – so zu arbeiten interessiert mich überhaupt nicht. Ich habe kein Erfolgsrezept sondern ich schreibe Songs wirklich intuitiv, so wie mir mein Geschmack und meine Lust das vorschreiben.
Kritiker klagen oft, dass in der Unterhaltungsmusik heute die großen Stimmen fehlen. Sehen Sie das ähnlich?
Lemper: Es gibt schon tolle Jazz-Sängerinnen, auch wenn das keine so großen Persönlichkeiten sind wie Sarah Vaughan oder Ella Fitzgerald. Deren Song-Material wird heute halt nicht mehr so gesungen. Wobei Michael Bublé das zum Beispiel macht, der singt das BigBand-Material auf der Frank Sinatra-Schiene und es gibt auch ein Publikum dafür, er ist damit sehr erfolgreich.
Doch stimmlich kommt Michael Bublé nicht an Frank Sinatra heran, oder?
Lemper: Noch nicht. Man muss ihm auch Zeit lassen. Er ist jetzt Anfang 30 – Frank Sinatra hat die großen Sachen aufgenommen, da war er 50. Da kommt halt noch das Leben dazu und die Relaxtheit, die Reife der Stimme. Ich würde Bublé schon einräumen, dass er noch etwas jünger ist und nicht diese Standfestigkeit hat. Das klingt alles noch etwas leicht.
Welche großen Sänger würden Sie heute noch nennen?
Lemper: Christina Aguilera oder Alicia Keys zum Beispiel. Aber oft werden solche Stimmen sehr schnell abgedreht – hier in den USA zumindest – in die HipHop- oder Pop-Schiene. Das große Chanson, so von innen heraus, das ist nur ganz selten das Ziel. Leider Gottes wird das immer gleich in diese andere Musikwelt gedrückt, die sehr zeitgenössisch ist. Die jungen repräsentieren halt eine andere Ästhetik, sie sind mit anderen Ohren aufgewachsen.
Aber jemand wie Christina Aguilera, die natürlich ein Popstar ist und auch so singt mit ihren akrobatischen Stimmgeschichten, die kann genauso gut einen tollen Jazz-Song singen. Und je älter sie wird, desto besser kann sie werden.
Sie sagten vorhin, “da kommt halt noch das Leben hinzu”. Steht hinter einer große Stimme also immer auch eine gewachsene Persönlichkeit?
Lemper: Also, bei Christina Aguilera war ja am Anfang nichts los, bis auf diese Schlampengeschichten, diese Sexy-Fashion-Outfits. Aber dann ging es los mit der Persönlichkeit, das merkte man, sobald sie umgeben war von den richtigen Leuten. Der Musikproduzent, den sie geheiratet hat und von dem sie ein Kind bekommen hat, der hat sie unheimlich gut gebogen in die richtige Richtung, mit diesem Jazz-Einfluss… Das hat ihr einfach Qualität gegeben.
Man muss den Leuten Zeit lassen, wenn sie sehr früh, mit Anfang 20, Karriere machen. Das dauert dann wirklich noch zehn Jahre bis sie das auch von innen ausfüllen mit ihrem eigenen Leben.
Beeinflusst das Mutterwerden die Stimme?
Lemper: Organisch weiß ich nicht, das kann ich nicht bestätigen.
Ich meinte eher in Bezug auf die Lebenserfahrung?
Lemper: Natürlich, wenn man Kinder hat dreht sich das Leben erst mal 100 Prozent um die eigene Achse. Man ist selbst aus seinem eigenen Zentrum weg und gibt erst mal alles den Kindern: Aufmerksamkeit, eine neue Dimension von Liebe, von Reichtum und Dankbarkeit für das Leben, das man hat.
Sie haben Ihr aktuelles Album “Between Yesterday and Tomorrow” genannt. Dazwischen liegt „today“…
Lemper: Nicht unbedingt. Damit ist eine Evolution gemeint, die ganze lange Straße, die man begeht, zwischen den Zeiten, zwischen den Erinnerungen, den Phasen, die einen geprägt haben, bis in das Morgen hinein. Das Gestern sind verschiedene Zeiten im letzten Jahrhundert, verschiedene Zeiten meines Lebens, ein Spiegel, der die Vergangenheit reflektiert.
Gucken Sie häufig zurück?
Lemper: Ich bin ja ein Produkt, ein Ergebnis meiner Evolution. Wo ich jetzt gerade stehe, das baut sich alles darauf auf. So wie ich heute denke, das reflektiert Erfahrungen, die ich vor zehn, 20, 30, oder vor 40 Jahren hatte. Ich gucke aber nicht nostalgisch zurück. Im Gegenteil, ich möchte nur im Heute leben und ich umarme das Heute, das ist immer schöner als das Gestern. Ich fühle mich eigentlich immer wohler, je älter ich werde. Desto freier werde ich, desto mehr kann ich mir mein Leben organisieren und arrangieren in der Art und Weise wie ich mein Leben wirklich genießen kann. Insofern schaue ich auf das ganze Leben wie auf eine lange Straße und akzeptiere es auch als das.
Wie hat sich auf dieser langen Straße der Umgang mit Musik in der Gesellschaft verändert?
Lemper: Was ich an den Generationen sehe, die jetzt aufwachsen, meine Kinder sind 11, 13 und fast 14: Musik ist schon ein großer Bestandteil deren Lebens. Die haben ihren Ipod, ihren Computer, sie machen Hausaufgaben mit Musik im Hintergrund, ihren Ichat mit Musik… Es hat sich schon etwas verändert, Musik ist heute eine feste Einrichtung im Leben und begleitet so viele Situationen, von Hotelaufzügen bis zum Joggen. Und Musik ist heute eher wie ein Möbelstück, entweder man sitzt auf der langsamen Couch oder einem hohen Hocker oder auf einem groovigen Stuhl… Sie ist auch viel mehr abrufbar geworden.
Welche Folgen hat das für Musiker?
Lemper: Der Künstler an sich ist auch mehr abrufbar geworden – und wieder wegstellbar und wegschmeißbar. Weil er eben keine Konzept-Alben mehr kreiert, wie damals in den 70ern, Alben die wirklich Geschichten erzählen und Statements machen, vielleicht sogar politische. Sondern heute ist die Musik ein guter Song, der zählt, und wenn der vorbei ist, dann ist es meistens insgesamt vorbei. Es ist schwieriger geworden, sich mit einem Gesamtkunstwerk als Künstler durchzusetzen.
Und dann sieht man, die Plattenfirmen machen alle pleite, die Plattenläden machen pleite – die schönen CD-Läden, wo man zwei Stunden verbringen konnte und sich wie in einer Bibliothek durch die Aufnahme-Geschichte durchhören konnte. All das gibt es ja nicht mehr. Es ist heute einfach anders…
Schlechter?
Lemper: Nicht unbedingt schlechter. Aber es ist einfach ein Spiegel der Zeit, das alles so abrufbar ist. Und veränderbar. Ich meine, jeder kann heutzutage sehr einfach eine Platte aufnehmen, digital am Computer mit ProTools – das ist halt eine andere Welt. Nicht zu vergleichen mit den ersten großen Geschichten der Beatles, wie sie damals alles mit vier Spuren live im Studio aufgenommen haben.
Insofern ist die Kommunikation der Musiker heute auch ganz anders. Jeder nimmt für sich ein Stückchen auf, die Musiker müssen sich gar nicht mehr treffen, um gemeinsam Musik zu machen, sondern es wird alles übers Internet hin- und her geschickt. Da spiegelt sich in der Musik auch die Vereinsamung der Gesellschaft wieder. Die Musik hat heute schon einen wesentlichen Status, aber sie drückt auch immer mehr dieses enorme digitale Kommunikationsnetz aus, in dem wir leben. Das ist alles etwas kälter und nicht so sehr an die gemeinsame, kreative Situation gebunden.