Herr Boll, „Film ist Krieg“ ist eine oft zitierter Satz aus dem Helmut Dietl-Film „Rossini“. Können Sie den unterschreiben?
Uwe Boll: Nein. Das Schreiben, die Vorbereitung und die Dreharbeiten sind bei mir der relaxte Part. Wer bei mir mal am Set war weiß, dass ich dort immer total gut drauf bin. Die meisten Negativerlebnisse habe ich ja, wenn die Filme fertig sind. Wenn die Kritiken erscheinen und ich darum kämpfe, dass die Kosten für den Film wieder hereinkommen. Für Til Schweiger, mit dem ich gerade gedreht habe, ist der Schnitt der Himmel auf Erden, den liebt er. Für mich ist der Schnitt Horror, da bin ich viel zu ungeduldig für.
Sie haben im vergangenen Jahr einige Kritiker öffentlich in einem Boxring niedergestreckt. Muss ich jetzt Angst vor Ihnen haben?
Boll: Nein, das war eine einmalige Aktion. Mir ging es vorrangig um Kritiker, die oft auch nur unter Pseudonym im Internet über mich geschrieben haben. Ich habe eine Liste aufgestellt und gesagt: „Ihr seid alle qualifiziert, euch will ich im Ring sehen“. Dann haben sich drei gemeldet, die nachweißlich sehr negativ über mich geschrieben hatten.
Reicht Kritik an Ihren Filmen aus, um Sie auf die Palme zu bringen?
Boll: Nein. Die haben zum Beispiel dazu aufgefordert, meine Filme schlecht zu bewerten, ohne sie überhaupt zu sehen. Da gibt es dann ein paar hundert Leute, die meine Filme auf Internetseiten wie imdb.com mit nur einem Punkt bewerten, obwohl sie noch nicht einmal fertig sind. Das finde ich unfair. Da habe ich gesagt: „Wenn ihr mich schon zerstören wollt, dann macht das doch im Ring.“ Nach den Boxkämpfen konnte ich dann sagen: „Wenn ich meine Filme so vorbereiten würde, wie ihr eure Boxkämpfe, dann wären sie wirklich Scheiße.“
Gab es nach dem Kampf noch einen Austausch mit den geschlagenen Kritikern?
Boll: Mit Cris Alexander von der populären Internetseite www.rottentomatoes.com habe ich immer noch guten Kontakt. Ich glaube er hat durchweg ein anderes Bild von mir gekriegt und sich hinterher auch anders geäußert in seinen Artikeln.
Lehnen Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen das Internet eher ab?
Boll: Nein, das Internet ist sicherlich die wichtigste technische Neuerung seit der Strom entdeckt wurde. Selbst das Fernsehen oder das Radio haben den Menschen nicht so entscheidend verändert.
Weil es den Konsum und die Kommunikation revolutioniert hat?
Boll: Genau. Es ist relativ anonym. Man muss für nichts Rechenschaft ablegen und kann sich ins Leben von anderen einmischen. Man kann mit Leuten auf der ganzen Welt kommunizieren; man kann seine eigene Welt um sich herum aufbauen, obwohl man sein Zuhause nie verlässt. Das sind positive und negative Aspekte, weil es natürlich auch zu einer Vereinsamung führt. Die direkte Kommunikation nimmt ab. Und man muss jetzt immer erreichbar sein, sonst bricht für viele die Welt zusammen.
Direkte Kommunikation pflegen Sie auch mit Ihrem Publikum, in dem Sie von Kino zu Kino zu ziehen, um in Sneak-Previews Werbung für Ihre Filme zu machen. Funktioniert das System Boll nur, wenn Sie alles alleine machen, von der Produktion bis zur Werbung?
Boll: Ich bin selber bei den Previews dabei, weil das die Bedingung der Kinobetreiber ist, meine Filme überhaupt zu zeigen. Ansonsten habe ich zwei Mitarbeiter. Aber durch den direkten Kontakt zu meinen Käufern wollen die auch eine direkte Antwort und schreiben immer mir, nicht meinen Mitarbeitern.
Hat dann das Misslingen eines Films, wie „Alone in the dark“ damit zu tun, dass Sie nicht alles allein gemacht haben?
Boll: Bei „Alone in the dark“ war das Problem, dass wir in die Vorproduktion gegangen sind, bevor das Skript fertig war. Wir waren in Zeitdruck und mussten drehen, obwohl die Qualität noch nicht ausreichte. Das ist ein Fehler, den ich mir vorwerfen muss.
Ihr Markenzeichen sind Verfilmungen populärer Videospiele. Sind sie als Spieler zum Film gekommen?
Boll: Nein. Ich spiele gerne, aber ich bin kein „Heavy-Gamer“. Ich habe gar keine Zeit, drei Stunden am Tag zu spielen. Aber mir war schon wichtig, Games zu akkreditieren die ich erstens selber gut finde, die aber zweitens auch einen starken Charakter haben. „BloodRayne“ finde ich als Game gar nicht gut, aber den Charakter finde ich extrem geeignet für einen Film. Bei „Alone in the dark“ fand ich die Stimmung immer sehr gut. „Dungeon Siege“ fand ich in Wirklichkeit auch nicht so gut. Aber ich wollte gerne eine epische Legende, ein Abenteuer machen. Die Rechte für „Warcraft“ habe ich nicht gekriegt, also habe ich eben „Schwerter des Königs – Dungeon Siege“ genommen.
Dann wäre die logische nächste Stufe auch selbst in die Entwicklung von Videospielen einzusteigen, um sie dann auch zu verfilmen?
Boll: Habe ich schon gemacht (lacht). Ich habe „Tunnel Rats“ gedreht, einen düsteren, brutalen Vietnamkriegsfilm. Eine Firma aus Hamburg trat an mich heran und meinte „Das ist ja perfekt für ein Game!“ Nächstes Jahr sind Film und Game fertig.
Wenn ich meine Filme so vorbereiten würde, wie ihr eure Boxkämpfe, dann wären sie wirklich Scheiße.
Sie haben gesagt, Sie hätten Ihren neuen Film „Postal“ als Trotzreaktion auf eine tiefe berufliche Krise gedreht. Wie sah die aus?
Boll: Mein Film „BloodRayne“ war für einen US-Start in 2000 Kinos vorgesehen. Dann kamen die Kritiken und kurzfristig wurde er von einigen Kinoketten aus dem Programm geworfen und startete dann nur in 800 Kinos. Das war eine Katastrophe und ich habe mich gefragt: Wie soll ich weitermachen? Wie kann ich es anstellen, dass vor allem in Amerika meine Filme mal nicht nur in den Videotheken sondern auch in den Kinos funktionieren?
„Postal“ macht sich allerdings weder über die Kinoindustrie noch über das Publikum lustig, sondern über George Bush und Osama Bin Laden.
Boll: Ich interessiere mich nun mal für Politik und da ich so oft in Amerika bin, verfolge ich die amerikanischen Medien und welche Weltsicht die prägen. Man bekommt den Eindruck, dass die sich einen Scheiß für den Klimawandel interessieren. Die wissen nicht, was das Kyoto-Protokoll ist, gewisse Informationen werden denen einfach vorenthalten. Zwei Drittel der Amerikaner glauben immer noch, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitzt. Da saß ich also, gefrustet vom gesellschaftlichen und meinem eigenen Zustand und dachte: Jetzt hast du nichts mehr zu verlieren. Ich schrieb „Postal“ und „Seed“ parallel ohne Kompromisse, ohne mich zu fragen: Für welches Alter wird das freigegeben? In welche Länder kann man das vielleicht nicht verkaufen? Wird das jemals im Fernsehen laufen?
Woran messen Sie jetzt den Erfolg der Filme?
Boll: „Seed“ lief neulich auf einem Festival, da waren 600 Leute drin und es blieb die ganze Zeit muxmäuschenstill. Gerade Horrorfans lachen gerne, auch über die brutalsten Szenen. Und wenn es sogar denen die Sprache verschlägt, weiß man, man hat einen ganz guten Film. Ich wollte einen Film, wo man raus geht und sagt „Jetzt kann ich nicht schlafen, der hat meine Nacht zerstört!“ und das klappt auch. Auch für „Postal“ habe ich bisher eher positives Feedback bekommen.
„Postal“ erinnert in seiner drastischen Action an animierte TV-Serien wie „South Park“.
Boll: Trey Parker und Matt Stone, die Erfinder von „South Park“ sehen das genauso. Die haben mich gefragt, ob sie Szenen aus „Postal“ für die neueste „South Park“-Staffel als Ankündigung benutzen dürfen. Jetzt machen die Marketing für mich, im Wert von 100.000 Dollar, aber umsonst. Das ist natürlich super.
Allerdings werden in „South Park“ Comicfiguren aus Pappe die Gliedmaßen abgerissen. Es macht keinen Sinn, diese Comicszenen eins zu eins in einen Realfilm zu übersetzen.
Boll: Das passt schon, man muss sich da aber auch erstmal drauf einlassen. Mit realen Personen wird diese Drastik für viele eben noch präsenter und sie beginnen sich unwohl zu fühlen. Auch viele Frauen können nicht ab, wenn in „Postal“ die Frauen nackt rumlaufen. Die denken dann, sie sitzen in einem Porno. (lacht)
Gibt es für Sie Tabus, die Sie sinnvoll finden?
Boll: Ich lehne Tabus ab. Ich lehne auch Zensur ab. Ich glaube, wenn man volljährig ist, muss man selbst beurteilen können, was man sehen oder spielen will. Die Gesellschaft sollte Erwachsenen nichts vorenthalten. Die müssen ihre Erfahrungen selbst sammeln. Meine neuen Filme überschreiten in Sachen Humor und Geschmack Grenzen, die weit über das akzeptable Maß der Normalbevölkerung hinausgehen. Aber ich bin mit ihnen zufrieden. Sie lösen Reaktionen aus. Einige finden sie gut, andere primitiv. Man kann sich doch nicht mit dem ewig selben Humor-Level von Filmen mit Ben Stiller oder Will Ferell abfinden.
Also geht es Ihnen nicht darum, die Grenzen abzuschaffen, sondern Sie fordern das Publikum heraus, die eigenen Grenzen immer neu zu überprüfen?
Boll: Richtig. Ich hätte „Postal“ auch nicht gemacht, wenn es einen Film in der Art schon gegeben hätte.
Als Diplomat wären sie schlecht geeignet, Herr Boll.
Boll: Das glaube ich auch. (lacht) Auch wenn ich in Amerika vors Publikum trete, sage ich ganz klar: Bush ist ein Arschloch und schuldet uns in Europa eine Entschuldigung. Die meisten sind Bush inzwischen zwar auch leid und finden gut, dass „Postal“ ihn so überspitzt lächerlich macht. Aber demnächst bin ich zu Vorführungen in Bushs Heimat Texas eingeladen und gespannt was da passiert. Ob ich da lebend wieder rauskomme?
Aber liegt nicht eher nahe, „Postal“ nicht ernst zu nehmen, weil er selbst nichts ernst zu nehmen scheint?
Boll: Selbstmordattentäter müssen doch gehirngewaschene Vollidioten sein und so habe ich sie auch dargestellt. Ich habe mir überlegt, wie stelle ich Osama Bin Laden da? Bei mir war er nie aus Amerika weg, hat noch nicht mal einen arabischen Akzent. Deswegen wird er auch nicht gefunden. Die Figur Mohammed ist eine arme Sau. Das ist ein hart arbeitender Touristenführer, hat aber nur Luschen um sich herum. Ich fand es wichtig, die Absurdität dieser Welt zu zeigen und noch fünf Schritte darüber hinaus zu gehen.
Was meinen Sie mit der Absurdität dieser Welt?
Boll: Ach, wenn man die Fakten alle auf den Tisch legen würde, könnte man doch gar nicht mehr leben. Wir schauen uns einen Film über die Erderwärmung an, sehen betroffen zu, wie die Pole schmelzen, gehen nach Hause und machen weiter, wie bisher. Das ist ein Riesenproblem, das die ganze Menschheit betrifft, aber anstatt auf der Regierungsebene weltweit mit härtester Konsequenz Maßnahmen zu ergreifen, ist die Rettung der Welt plötzlich zur Privatsache erklärt worden. Nur private Stiftungen, Menschen wie Al Gore pumpen da Geld rein und wenn es hoch kommt, schrauben wir Energiesparlämpchen ein, um die Kuh noch vom Eis zu bringen. (lacht)
Werden wir die Kuh noch vom Eis bekommen, bevor es schmilzt?
Boll: Wenn wir da und zwar vor allem auf der Regierungsebene nicht an einem Strick ziehen, gehen wir baden. Nur: „Postal“ ist nicht optimistisch, „Seed“ ist nicht optimistisch und ich bin auch nicht optimistisch. Ich glaube, wir gehen unter. Wenn sich in ein paar amerikanischen Städten gleichzeitig wiederholen würde, was vor zwei Jahren in New Orleans nach dem Hurrikan Katrina passiert ist, würden wir wenig später das haben, was in Filmen, wie „28 Tage später“ beschrieben wird: Wir hätten Kannibalismus, wir würden uns gegenseitig in Stücke reißen. Ich bin überzeugt, dass die Umweltkatastrophen weitergehen und wir schleichend in anarchische Formen zurückfallen werden.
Von der Umweltpolitik abgesehen sind die USA aber doch eher für eine Kultur des Pragmatismus bekannt, im Gegensatz zur eher diskursiven Kultur Europas. Haben Sie mit Ihren Filmen deshalb in den USA eher eine Heimat gefunden als in Deutschland, wo Ihre Laufbahn als Regisseur begann?
Boll: Ich lebe ja in Vancouver, weil ich da auch meine Filme drehe. Die Kanadier sind schon sehr anders als die Amerikaner und auch sehr kritisch gegenüber ihren Nachbarn eingestellt. Allerdings sind die USA für mich als größter Absatzmarkt meiner Filme sehr wichtig. Zumindest auf DVD waren sie da immer sehr erfolgreich. Ich brauche Amerika, aber das ändert ja nicht meine politische Sicht der Dinge. Sie sind leider komplett national, auf sich selbst bezogen. Die haben den Eindruck, solange wir überleben ist scheißegal was mit den anderen passiert. Ihnen fehlt die Weitsicht, was aber auch mit den Massenmedien zusammenhängt. Auf der anderen Seite ist Amerika ein Land, in dem man vieles zulässt. „Postal“ verbietet man da nicht. Eigentlich darf da alles verkauft werden. Der Markt entscheidet letztlich. Er ist freier als das Denken.