Herr Mortensen, in „Den Menschen so fern“ spielen Sie Daru, einen Lehrer, der ganz fernab von Zivilisation in karger Gebirgslandschaft lebt. Das ist nicht Ihre erste Rolle als Einsiedler. Woran liegt das?
Viggo Mortensen: Vielleicht fühle ich mich von solchen Charakteren angezogen. Als Junge wollte ich immer ein Abenteurer sein. Ich glaube, egal, ob man sich in einer Menschenmenge befindet oder in weiter Landschaft: Es gibt immer einen Teil von dir, der einsam sein wird.
Was tut man gegen diese Einsamkeit?
Mortensen: Es kommt drauf an, wie sehr du dich auf andere einlässt und wie sehr du dir eingestehst, dass du eines Tages krank wirst und stirbst. Albert Camus, auf dessen Kurzgeschichte der Film basiert, war nicht der erste, der darüber sprach, dass Menschen lernen müssen, ihre Angst vor dem Tod zu bewältigen, um frei zu sein. Auch Sigmund Freud sprach darüber: Die beste Art, sich auf das Leben vorzubereiten, ist, sich auf den unvermeidlichen Tod vorzubereiten. Ich kann verstehen, wenn Menschen sagen: Ich werde sterben, warum soll ich überhaupt aufstehen und meine Zähne putzen geschweige denn ein Buch lesen, ein Buch schreiben oder mit jemandem reden? Aber wir müssen versuchen, da wieder rauszukommen. Wenn nicht, führt man ein verbittertes Leben oder bringt sich um.
Stecken all diese Gedanken auch in „Den Menschen so fern“?
Mortensen: Für Daru ist glücklich sein vielleicht eine Illusion. Aber das Wichtige ist das Verlangen und der Wunsch, glücklich zu sein und es zu versuchen. Diese Geschichte handelt in gewisser Weise auch davon, sich für das Leben anstatt für den Tod zu entscheiden.
Es ist mein Job, die Sichtweise eines anderen anzunehmen.
Daru begibt sich mit dem Bauern Mohamed auf die Flucht. Was verbindet die beiden?
Mortensen: Daru lernt Mohameds Sichtweisen zu verstehen, Dinge, über die er nicht nachgedacht hat, obwohl er in derselben Region wie er geboren und zwischen arabischen Kindern aufgewachsen ist. Vieles von dem, was Mohamed macht, ist Daru bereits bekannt, aber es gibt wie bei jeder Begegnung überraschende Momente indem er beobachtet und zuhört. Er lernt etwas über sich selbst, ohne es beabsichtigt zu haben. Man kann aus diesem Film mitnehmen, dass man nur dann etwas lernt, wenn man sich mit anderen austauscht
Wie aktuell ist das Thema?
Mortensen: Die meisten Politiker haben ein Interesse an schlechter Kommunikation. Konflikte werden von Politikern des rechten sowie des linken Flügels benutzt, um Macht zu gewinnen und zu behalten. Denn wenn wir alle über die Dinge reden und herausfinden, was eigentlich passiert, brauchen wir den Politiker vielleicht nicht. Die Gräben innerhalb der Bevölkerung entstehen durch Mangel an Kommunikation. Genau das passiert im heutigen mittleren Osten, in ganz Europa, Nordamerika und in der ganzen Welt.
Sind Sie politisch desillusioniert?
Mortensen: Ja. Man musst verrückt sein, um es nicht zu sein, aber es bedeutet nicht, aufzugeben.
Was wäre Ihrer Meinung nach ein Ausweg?
Mortensen: Verbrennt alle Pässe und Flaggen!(lacht) Wenn es Arbeit gibt, dann kommen die Leute. Das liegt in der Natur der Sache: Wenn es keine Arbeit gibt oder Platz, um dort zu leben, dann gehen sie woanders hin. Es braucht keine Einwanderungsquote. Die brauchen die Politiker nur, um gewählt zu werden und Geld zu machen. Seit Jahren ziehen Menschen von Südamerika nach Spanien, um dort zu arbeiten und eine Familie zu gründen. Seit 2007/2008 zogen Hunderte, Tausende von Menschen zurück nach Bolivien, Peru, Ecuador oder Argentinien oder anderswohin. Das passiert auch, wenn sich die Politiker nicht einmischen.
Sie haben Politik studiert, sind Begründer eines eigenen Verlags und beschäftigen sich viel mit intellektuellen Dingen. Könnten Sie sich vorstellen, politisch aktiv zu werden?
Mortensen: Also ich möchte mich da auf Camus beziehen, er wurde das auch gefragt. Wissen Sie, was er gesagt hat? Ich kann kein Politiker sein, denn ich kann den Tod meines Gegners weder akzeptieren noch fördern. (lacht)
Wie informieren Sie sich über Politik? Heutzutage kann jeder alle Informationen aus dem Netz ziehen, aber die Wahrheit zu finden erscheint immer schwieriger…
Mortensen: Man kann es trotzdem, aber es bedeutet Einiges an Arbeit. Ich denke, man muss ehrlich zu sich selbst sein. Nutze ich das Internet, um meine vorgefertigte Meinung bestätigen zu lassen? Suche ich Nachrichten, die zu meiner Meinung passen oder suche ich nach gegensätzlichen Meinungen und komme dadurch zu neuen Erkenntnissen? In digitaler Kommunikation gibt es diesbezüglich fast keine Grenzen, was du über Geschichte und Philosophie lernen kannst und was in dieser Welt passiert.
Sie betreiben den Verlag Perceval Press. Mit welchem Ziel?
Mortensen: Die meisten der Bücher erwirtschaften kein Geld, aber wir versuchen, gute Arbeit zu leisten und Arbeiten zu präsentieren, die man normalerweise nicht wahrnehmen würde oder sie in einer Art und Weise zu präsentieren, in der sie präsentiert werden sollten ohne die Vision des Künstlers zu verraten.
Sie sprechen fließend Spanisch und Dänisch sowie Französisch und Italienisch. Ich bin überrascht, dass Sie im Film Arabisch sprechen!
Mortensen: Ich auch! (lacht)
Konnten Sie davor schon Arabisch?
Mortensen: Nein, ich habe für den Film Arabisch gelernt. Ich hatte zum Glück einige Monate, bevor wir mit den Dreharbeiten begonnen haben, so dass ich mit jemanden zusammen alles übersetzen konnte und danach lernten mein französischer Kollege Reda Kateb und ich von einem Mann aus Algerien den passenden Akzent dazu.
Viele kennen Sie nur als Aragorn in „Herr der Ringe“. Peter Jackson nannte Sie am Set angeblich eine halbe Stunde lang Aragorn, ohne es zu merken. Es scheint, als leben Sie Ihre Rollen!
Mortensen: Es ist mein Job, die Sichtweise eines anderen anzunehmen und nicht nur wie er auszusehen und so zu klingen, auch möglichst wie er zu denken. Manchmal nehme ich die Sichtweise einer Person an, der ich im wahren Leben nicht begegnen wollen würde. Dann setze ich alles daran, zu glauben, dass das gut so ist, was diese Person denkt. Ich werde natürlich nicht wirklich verrückt, aber wenn ich daran glaube, dass ich Sigmund Freud oder Daru oder Aragorn werden könnte, dann komme ich dem schon nahe. Es ist ein Trick. Ich belüge mich selbst, aber das ist in Ordnung.
Ermöglicht Ihnen einen Film wie „Herr der Ringe“ mehr künstlerische Freiheit für andere Projekte?
Mortensen: Ja, es war Glück für mich und für jeden, der involviert war. Es ist gut, Glück zu haben, aber du musst auch etwas damit anfangen. Also habe ich mich gefragt: Was mache ich? OK, dann nutze ich die Möglichkeit, mit David Cronenberg zu arbeiten. Lieber das, als fünf oder sechs Comicverfilmungen am Stück zu machen, was vielleicht spaßig gewesen wäre, aber mich nicht persönlich interessiert hätte. Vielleicht ein oder zwei, aber eben nicht nur das.