Vito von Eichborn

Das Lesen von gedruckten Büchern wird zur Nische.

Der Verleger Vito von Eichborn über Ebooks, Hochliteratur, geistiges Eigentum und Gefahren durch gebrauchte Bücher

Vito von Eichborn

© Books on Demand

Herr von Eichborn, wann haben Sie Ihr erstes Ebook gelesen?
von Eichborn: Ich habe noch gar keins gelesen. Ich werde das wohl auch nicht mehr tun.

Warum nicht?
von Eichborn: Ich bin zu alt und zu traditionell in meinen Lesegewohnheiten.

Was meinen Sie damit?
von Eichborn: Ich fresse Bücher. Und fressen kann ich das schlecht mit so einem Reader, unabhängig von der Qualität, die diese Technik haben kann. Warum sollte ich so ein Ding nehmen, wenn ich ein Buch in die Hand nehmen kann?

Zum Beispiel benutzen schon viele Ihrer Lektoren-Kollegen einen Ebook-Reader.
von Eichborn: Gut, wenn ich viel unterwegs wäre und Manuskripte mitzuschleppen hätte, da leuchtet mir das ein. Aber ich reise heute so gut wie gar nicht.

Und dass Sie ein Ebook per Textsuche durchsuchen können?
von Eichborn: Nein, das brauche ich auch nicht, weil ich nicht wissenschaftlich arbeite. Ich recherchiere ja nicht in einem Buch, sondern ich lese schlicht, so naiv wie ich immer gelesen habe. Daran ändert sich auch nichts.

Ist ein Ebook nur etwas für Technik-Freaks?
von Eichborn: Also, ich persönlich brauche das nicht. Aber gleichzeitig bin ich auch davon überzeugt, dass wir unmittelbar vor einer Revolution unserer Lesegewohnheiten stehen. Das kommt massiv auf uns zu.

Wie sieht diese Revolution aus?
von Eichborn: Das ist erst mal eine technische Frage, bis sich das herkömmliche Leseverhalten umstellt. Die Geräte müssen so sein, dass sie dem herkömmlichen Leseverhalten entsprechen. Wenn es soweit ist – und es scheint mit der E-Paper-Technologie ja tatsächlich schon zu funktionieren – dann spricht nichts dagegen, in so einem Gerät zu lesen und die Seite zu klicken statt zu blättern.

Ein Umgang, an den wir uns noch gewöhnen müssen.
von Eichborn: Wissen Sie, ich saß vor längerer Zeit mal in der U-Bahn in New York, ich hatte so ein komisches Gefühl, wusste erst gar nicht warum. Aber dann saß dort einer und las einen Krimi, ein Taschenbuch. Und der riss immer die Seite raus, die er gerade gelesen hatte. Das war mir so unbehaglich, bis ich drauf kam: Der hat Recht. Wenn man ein Buch nur einmal liest und nie wieder in seinem Leben lesen will, warum soll man dann nicht die Seiten rausreißen? Dann weiß man immer, wo man ist. Was ich meine ist, dass der Umgang mit Inhalten, egal in welcher Form, immer hemmungsloser wird.

Und wenn man ein Buch zukünftig nur noch als Datei wahrnimmt, wird das auch das Lesen an sich verändern?
von Eichborn: Nein, das herkömmliche Lesen wird bleiben. Und natürlich wird auch die Literatur bleiben. Allerdings wird das Lesen von gedruckten Büchern zu einer Nische.

Aber wenn ein Buch nur noch als Icon im Computer existiert und nicht mehr mit dem breiten Buchrücken im Regal steht, wird sich dann nicht die Wertschätzung von Literatur insgesamt verändern?
von Eichborn: Ich glaube nicht. Der Inhalt ändert sich ja nicht über das Transportmittel. Allerdings hat ja schon jetzt der größte Teil von dem, was gelesen wird, mit dem Schätzen von Literatur nichts zu tun. Wir tun immer so, als ob die Hochliteratur das Wesentliche ausmachen würde, das tut sie aber nicht. Hochliteratur zu lesen ist ein Minderheitenvergnügen. Die komplette Belletristik macht zehn Prozent vom Buchmarkt aus. In der Fülle werden Sachtexte, wird alles mögliche gelesen. Und da kann so ein Reader in der Tat sehr nützlich sein. Wahrscheinlich wird die Fülle des Gedruckten irgendwann nur noch mit solchen Geräten runtergeladen und wieder gelöscht. Und die Bücher, die ich mir zuhause ins Regal stelle, das sind meine kleinen Liebhabereien.

Sie haben ab Ende der 80er Jahre mit dem Eichborn-Verlag die aufwendig gestaltete „Andere Bibliothek“ von Hans Magnus Enzensberger verlegt. Wird so etwas für den Leser zukünftig noch eine Rolle spielen, die liebevolle, aufwendige Buchgestaltung?
von Eichborn: Als ich „Die andere Bibliothek“ übernahm, war sie noch im Bleisatz und Buchdruck, das haben wir auch so beibehalten – bis zum Band 144, als wir umgestellt haben auf Offsetdruck. Weil in dem Moment Franz Greno, der beste Buchhersteller der Republik, sagte: Jetzt kann die neue Technik es besser als die alte, jetzt wird die Ästhetik, die der Bleisatz bietet, mit der modernen Technik allemal erreicht oder sogar noch übertroffen. Das bedeutet: eine neue Form heißt nicht automatisch eine Verarmung von Ästhetik. Im Gegenteil, es können mit der neuen Technologie auch neue Ästhetiken entstehen.

In einem Ebook-Reader?
von Eichborn: Warum nicht? Zum Beispiel kann ich ganz anders mit Bildern und Schriften spielen, ich kann andere Formen herstellen, auch ganz andere Formen des Lesens basteln.

Sie sehen den Ebook-Reader also nicht als reines Textmedium?
von Eichborn: Nein, ich stelle mir eine Gedicht-Anthologie vor, die man mit Bildern auf so einem Ding viel schöner gestalten kann als es mit den herkömmlichen, beschränkten Mitteln möglich ist. Wir erleben doch gerade erst die Anfänge dieser Technologie.

Würden Sie ein Ebook dann noch als „elektronisches Buch“ bezeichnen?
von Eichborn: Das weiß ich nicht. Mit der Videotechnik ist ja auch eine neue Kunstform entstanden, die es vorher nicht gab. Natürlich werden hier neue Formen entstehen, wie man mit Sprache umgehen kann, durch Sprache-Bild-Kombinationen oder auch Sprache-Bild-Musik-Kombinationen. Da lassen sich ganz neue Werke schaffen, die heute noch völlig ungeahnt sind.

Wie war das, als Sie das erste Mal von Ebooks hörten, dachten Sie, das ist Teufelszeug? Oder haben Sie viel mehr eine neue Chance für Autoren und Verlage gesehen?
von Eichborn: Ich bin immer, wenn etwas Neues kommt, der Meinung: dagegen zu sein ist Dummheit. Man kann nicht dagegen sein, das hilft nicht weiter, sondern man muss lernen, vernünftig damit umzugehen. Das ist die Aufgabe: Wie nutzen wir es zu unserem Vorteil? Machen wir wieder ein Nullmedium draus, oder gelingt es uns, etwas Positives zu schaffen?

Sie geben Seminare für angehende Autoren – taucht dort bereits die Thematik Ebooks auf?
von Eichborn: Nein, geschäftlich ist da ja noch nichts los. Noch beherrscht das gedruckte Buch den Markt und das wird auch auf absehbare Zeit so bleiben. So schnell geht das alles nicht.

Das hat die Musikindustrie beim Thema Mp3 auch nicht für möglich gehalten. Sind die Buchverlage besser gewappnet für die digitale Welle?
von Eichborn: Das kann man schwer vergleichen, weil die Verlage in gewachsenen Strukturen stecken. Die können sich ja nicht auf den Kopf stellen, das würde auch keinen Sinn machen. Es gibt natürlich Verlage, die das schon begleiten, Holtzbrinck zum Beispiel ist einer der führenden in Internetzusammenhängen, wo man sieht, dass die sehr früh etwas begriffen haben.

Aber das Beispiel der schrumpfenden Musikindustrie durch Digitalisierung würden Sie für die Verlagswelt nicht gelten lassen?
von Eichborn: Sprache ist anders als Töne. Das Lesen schafft Bilder vor dem inneren Auge, das ist überhaupt nicht zu vergleichen mit dem Hören von Musik.

Aber wenn man sich anschaut, wie seit der Erfindung von Napster und des CD-Brenners die Einnahmen der Plattenfirmen zurückgegangen sind – könnte die Buchbranche nicht das gleiche Schicksal ereilen, wenn Besitzer eines komfortablen Readers sich raubkopierte Ebooks über das Internet besorgen?
von Eichborn: Natürlich wird es das geben, Raubdrucke hat es ja schon immer gegeben. Und natürlich wird es Raubkopien geben, das wird zunehmen, keine Frage. Die Buchbranche hat aber momentan ein anderes, viel größeres Problem.

Welches?
von Eichborn: Den Gebrauchtbuch-Handel. Wenn ein Buch dort zehnfach verkauft wird, statt nur einmal im Antiquariat – das kostet die Autoren und Verlage ungeheuer viel Geld und auch das fängt ja gerade erst an. Auch das ist eine Umwälzung, wobei die Zahl der Leser dadurch nicht zunimmt. Durch das Gebrauchtbuch muss das Buch zum ersten Mal mit sich selbst konkurrieren, da spielt die Konkurrenz mit den anderen, neuen Medien gar keine Rolle. Die Leute kaufen sich Bücher gebraucht über das Netz statt sie in einer Buchhandlung zu bestellen. Das sehe ich aktuell für die Autoren und Verlage viel problematischer als das, was vielleicht mit dem Amazon Kindle und ähnlichen Geräten auf uns zukommen wird.

Aber angesichts dessen, dass die Ebook-Technologie bereits vor der Tür steht: Kennen Sie einen deutschen Verlag, der in Sachen Ebooks ein schlüssiges Konzept hat?
von Eichborn: Nein. Den kann es auch nicht geben. Die Frage ist ja immer, was zuerst kommt: Angebot oder Nachfrage? Und wir leben in einer Angebotswirtschaft. Nur, ich kann nichts anbieten, solange keine Nachfrage da ist. Die Bereitstellung der vorhandenen Dateien für die neuen Geräte, das ist nur ein Knopfdruck, technisch geht das schon alles…

… und die Verlage könnten in Zukunft über ihre Websites Ebooks verkaufen.
von Eichborn: Ja natürlich. Verlage verkaufen ihre Bücher ja teilweise jetzt schon über eigene Tochterfirmen. Warum also nicht auch Ebooks über die eigene Verlags-Website verkaufen?
Ich bin ja als Unternehmer, der einen Inhalt von einem Autor mit einem Vertrag erwirbt, dazu verpflichtet, diesen Inhalt bestmöglich und weitestmöglich zu verbreiten – und das muss nicht zwingend in Buchform sein. Dazu gehört übrigens auch die Rechteverwertung: Wenn ich einen guten Krimi habe, versuche ich, die Filmrechte zu verkaufen und von den Filmrechten dann noch die Videorechte, oder man bietet es einem Hörbuch-Produzenten an etc. Ich bin der Händler dieses Inhalts, egal für welche Form. Der Handel mit Rechten ist die eigentliche Aufgabe, die wir haben. Nicht das Drucken von Büchern.

Vermuten Sie, dass viele Buchverlage der Ebook-Welle zum Opfer fallen werden?
von Eichborn: Es werden neue Firmen entstehen und alte untergehen. Die Radmacher sind auch untergegangen, und die Setzer, genauso wird auch der Buchdruck weitgehend verschwinden und in der Nische landen. So wie heute die Vinyl-Platte. In der Minderheit wird das Buch weiterhin geschätzt, geachtet und geliebt, doch die Mehrheit wird umsteigen auf andere Medien und andere Formen. Warum auch nicht?

Wird es schwieriger für Autoren, vom Schreiben leben zu können?
von Eichborn: Naja, das können die meisten jetzt ja auch nicht. Die überwiegende Zahl der Autoren lebt nicht von den Büchern. Die machen irgendeinen anderen Beruf, treten auf, was auch immer. Und die Autoren, die heute davon leben können, die brauchen in Zukunft halt noch mehr Phantasie.

Die Buchpreisbindung jedenfalls wird sich kaum auf Ebooks übertragen lassen.
von Eichborn: Nein, das wird nicht kommen. Unsere Buchpreisbindung ist ein liebenswürdiges Fossil. Ich würde auch alles tun, um sie zu schützen, aber ich denke, irgendwann wird sie dann doch den Orkus hinuntergehen.

Seit dem Einbruch der Musikindustrie verdienen Musiker wieder mehr Geld mit Live-Auftritten. Kommt das auch in der Literaturbranche?
von Eichborn: Selbst lesen ist etwas ganz anderes als etwas vorgelesen zu bekommen. Bei Musik ist das originale Event, eine lebendige Truppe zu hören, das eigentliche Erlebnis und alles andere eine Ableitung davon. Das Schreiben hingegen ist ein einsamer Akt, kein öffentlicher. Und das Lesen ist im Kern genauso ein einsamer Akt. Aus dem Lesen ein Event zu machen, das wird nie gelingen. Ich will doch in aller Ruhe zu Hause lesen, mir meine Bilder selbst machen, mich wegtragen lassen, das will ich nicht in der Öffentlichkeit.

Für die Autoren könnte es dennoch ein gutes Zubrot sein.
von Eichborn: Es gibt aber schon jetzt mehr Lesungen als Nachfrage, es gibt ganz jämmerliche Veranstaltungen, wo dann fünf Zuschauer sitzen und der arme Autor dafür durch die ganze Republik gereist ist. Die unbekannteren Autoren, wie wollen die denn ihr Geld verdienen, wenn sie unbekannt sind?

Musiker sind dabei durch die Internet-Entwicklung inzwischen weniger auf eine Plattenfirma angewiesen. Wird das den Autoren ähnlich gehen?
von Eichborn: Das ist die Frage: Wie finde ich mein Publikum? Wenn ich als Autor einen Weg finde, mein Publikum zu finden, ohne dafür einen Verlag zu brauchen, dann mache ich das. Aber bisher funktioniert das nicht. Der Verlag hilft ja, zu sortieren, Spreu vom Weizen zu trennen. Wenn ich zu bestimmten Verlagen gehe, weiß ich als Leser oder auch als Buchhändler, dass das Buch ein bestimmtes Niveau hat.
Das Transportieren und Weitertransportieren von Inhalten wird sich ändern, aber wie genau, da kann man nur spekulieren. Vermutlich steht irgendwann eine Maschine in der Buchhandlung, wo man sich on Demand die Bücher ausdrucken kann. Weil man sie eben doch noch in Papier haben will.

Aber dieser Hang zum Gedruckten, wird der nicht mit kommenden Generationen verschwinden? Schon Kinder wachsen heute mit digitalen Medien auf.
von Eichborn: Aber dem Kinderbuchmarkt geht es trotzdem sehr gut. Der ist parallel zu den neuen Medien gewachsen und nicht etwa geschrumpft. Das Kinderbuch wird als Medium auch bleiben, weil die Eltern wissen, dass ein Buch doch irgendwie etwas Wertvolles ist. Das bleibt im Kopf, auch bei den zukünftigen Generationen.

Was aber heute zunehmend fehlt ist eine Wertvorstellung für geistiges Eigentum, viele Leute laden sich Filme, Musik oder Ebooks kostenlos herunter, der Urheber geht leer aus.
von Eichborn: Ja, jeder tut das, wovon er glaubt, dass er nicht erwischt wird. Ich würde auch falsch parken, wenn ich nicht wüsste, dass es dafür Knöllchen gibt und mir das auf Dauer zu teuer wird. Da interessiert mich doch das Halteverbotsschild nicht.

Sie glauben nicht, dass sich beim Schutz des geistigen Eigentums in der Gesellschaft ein Bewusstsein entwickelt, entwickeln muss, damit man den Buchmarkt am Leben erhält?
von Eichborn: Der Mensch wird sich nicht ändern. Er wird immer auf Kosten der anderen leben wollen, das hat er immer so gemacht. So wie wir auf Kosten von Afrika leben so leben die Leser gerne und hemmungslos auf Kosten der Autoren und Verlage. Das ist ihnen ganz egal, wenn sie eine schöne Lektüre dafür kriegen. Sie dürfen sich halt nur nicht erwischen lassen.

Ein positives Beispiel wäre die Band Radiohead, die ihren Fans 2007 ein Album kostenlos im Internet zur Verfügung stellte, von denen der Großteil freiwillig sechs Euro und mehr bezahlte.
von Eichborn: Das ist schön und gut, aber so kann der Markt nicht funktionieren. Der Markt funktioniert immer auf Kosten des Schwächeren, das ist das inhärente Gesetz von Menschen, Homo hominis lupus est – daran hat sich nichts geändert und daran wird sich auch nichts ändern. Aber dafür haben wir ja Spielregeln, Gesetze und Kopierschutz, damit genau das nicht stattfindet. Und wer die Spielregeln verletzt, der muss bestraft werden, ganz einfach.

Sie setzen also auf den Kopierschutz der Industrie und die gesetzlichen Regelungen durch die Politik?
von Eichborn: Ja. Wir haben doch eine sehr geregelte Gesellschaft. Selbst eine Scheidung wird bei uns vom Richter geklärt, dafür haben wir Gesetze rauf und runter. Das ist auch gut so, diese Gesetze haben wir uns ja gegeben, damit wir vernünftig und zivilisiert miteinander umgehen. Wo das Gesetz und die Verfolgung von Straftaten nicht greift, da bricht sofort das alte Raubtiergesetz durch, immer und überall. Der Mensch ist Mensch geblieben, der hat sich im Laufe der letzten 2000 Jahre nicht verändert. Warum sollte er das jetzt?

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