Herr Lösch, April 2009 hatte Ihre Bühnenbearbeitung des WDR-Fernsehfilms „Wut“ am Schauspiel Stuttgart Premiere. Was hat Sie zuletzt wütend gemacht?
Volker Lösch: Wut und Empörung über bestimmte Zustände sind immer wieder Antriebsmotivationen für meine Theaterarbeit. Überall werden soziale Missstände diskutiert und analysiert, aber dennoch ändert sich nur wenig dahingehend, dass eine gerechtere Lebenssituation für viele entsteht. Im Gegenteil – das Vertrauen in eine Gesellschaft, die ein Mindestmaß an Gerechtigkeit bieten kann und müsste, schwindet.
Wann haben Sie gemerkt, dass Theater Ihr Ventil ist?
Lösch: Relativ spät. Ich war zunächst fünf Jahre Schauspieler und in der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal bei einer Produktion beschäftigt, die dem nahe kam, was ich mir unter relevantem Theater vorstellte. Der Wunsch, es dann selber auszuprobieren, wurde zwangsläufig größer – ich bin von einem auf den anderen Tag ausgestiegen, habe eine freie Gruppe gegründet, nur noch als Regisseur gearbeitet und seitdem nie mehr gespielt. Meine letzte Rolle als Schauspieler war der Weiss’sche „Marat“ in Zürich.
„Wut“ ist bereits der sechste Filmstoff, den Sie für die Bühne bearbeitet haben. Woher kommt diese Vorliebe?
Lösch: Ich würde gar nicht sagen, dass ich eine Vorliebe für die Bearbeitung von Filmen habe, mir geht es bei allen Arbeiten in erster Linie um einen interessanten Stoff. Das kann ein Roman sein, ein Klassiker, ein zeitgenössisches Stück oder eben auch ein Drehbuch. Es gibt bei mir meistens den Anlass, etwas bearbeiten zu wollen und dann beginnt die Suche nach dem passenden Material, dem passenden Stoff. Manchmal geht es natürlich auch andersrum: man sieht einen tollen Film, liest einen guten Roman oder ein beeindruckendes Stück und denkt sich: das will ich unbedingt machen. Es gibt dafür keine feste Regel.
Mit Ihrer Hamburger Inszenierung von „Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?“ sind Sie in diesem Jahr zum ersten Mal zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Wie beurteilen Sie diese Veranstaltung generell? Immer wieder wird kritisiert, die Auswahl der Jury sei nicht repräsentativ.
Lösch: Da ist sicherlich etwas dran, gerade Ostdeutschland wird nach wie vor stark vernachlässigt. Ich habe in den vergangenen Jahren häufig in Dresden gearbeitet und dort gab es immer wieder Arbeiten, die ähnlich „bemerkenswert“ waren – und das ist ja das Auswahlkriterium für die Jury des Theatertreffens – wie die letztlich ausgewählten. Über meine Dresdner Inszenierungen, von der „Orestie“ 2003 über Hauptmanns „Die Weber“ 2004 bis zu „Woyzeck“ 2007 wurde ja viel berichtet – aber vor allem darüber, warum ich jeweils nicht ausgewählt worden bin. Ich glaube, daran kann man schon sehen, dass bei der Auswahl der Stücke für das Theatertreffen sehr viel Subjektives und Zufall im Spiel ist. Aber das ist in meinen Augen alles nicht wichtig, die Arbeiten müssen vor allem in der Stadt stimmen, in der ich sie aufführe. Das ist der zentrale Punkt. Wenn ich dann zu einem Festival eingeladen werde, ist das erfreulich, werde ich nicht eingeladen, ist das aber auch nicht schlimm. Man muss jedoch zugestehen, dass es für die Jury natürlich auch sehr schwierig ist, zehn Arbeiten aus über 600 deutschen Inszenierungen pro Jahr herauszupicken. Insofern kann die Theatertreffen-Auswahl gar nicht gerecht sein.
Arbeiten Sie als Regisseur autonom oder haben Sie Vorbilder? Gibt es vielleicht auch Regiestile, von denen Sie sich ganz bewusst abgrenzen möchten?
Lösch: Ich denke über so etwas überhaupt nicht nach, dafür habe ich gar keine Zeit (lacht). Meine Teams und ich, wir arbeiten so viel, dass ich mir überhaupt keine Gedanken über Regiestile oder andere Regisseure mache und ich mich auch nicht frage, ob und wie deren Arbeiten im Verhältnis zu meinen stehen. Das ist mir auch, offen gestanden, völlig egal. Ich glaube ohnehin, dass ich keinen bestimmten Stil habe. Ich mache sehr unterschiedliche Arbeiten, die in ihrer Unterschiedlichkeit so aber gar nicht wahrgenommen werden – und daran trägt auch die Theaterkritik eine Schuld.
Inwiefern?
Lösch: Es wird viel über mich geschrieben; aber eben auch von Journalisten, die vielleicht ein, zwei Stücke von mir gesehen haben und sich auch nicht mehr die Mühe machen, zu meinen neuen Aufführungen zu fahren. Die googeln einfach, schreiben ab, manschen was zusammen und verknüpfen dann wahllos. Und dann ergibt sich dadurch der Ruf eines bestimmten Stils. In der „Süddeutschen“ wurde ich kürzlich von einem Kritiker als „landesweit bekannter Theaterdemagoge“ beschrieben. Dieses Label steht vielleicht für den einen oder anderen inhaltlichen Aspekt in meinen Arbeiten, lässt sich jedoch natürlich nicht pauschal anwenden.
Dennoch versuchen viele Journalisten, Ihnen einen bestimmten Stempel aufzudrücken…
Lösch: Ja, die Sammlung von aberwitzigen Betitulierungen meiner Person ist schon einmalig und sehr lustig: vom „Agit-Prop-Regisseur für Gehirnamputierte“ über den „Theater-Erneuerer“ bis hin zum „Spiel-Vogt“, um nur wenige zu nennen. Das macht mich schon sehr stolz. Bitte weiter so! Nicht nachlassen! Da ist noch Luft nach oben! Die Zeit, in der wir leben, giert nun mal nach Schubladen – und viele Journalisten meinen, diese auch anlegen und alle dort reinstecken zu müssen. So schreibt es sich dann einfacher und man muss nicht mehr neu recherchieren. Merkwürdiges Berufsverständnis, aber sehr unterhaltsam. Es gibt selbstverständlich auch noch genügend gute Kritiker, die ihren Beruf ernst nehmen und seriös arbeiten – wenn man von denen verrissen wird, hat man manchmal sogar was davon.
Zu einem Markenzeichen Ihrer Arbeiten sind die „Bürger-Chöre“ geworden. Schauspiellaien sind in die Handlung involviert und artikulieren auf der Bühne ihre politischen Ansichten, Sorgen, Ängste und Lebenserfahrungen. Erstmals eingesetzt haben Sie einen solchen Chor im Jahr 2003 bei „Die Orestie“ am Staatsschauspiel Dresden. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Lösch: Auslöser für die Idee war das unmittelbare Bedürfnis, dem individuellen Spiel der Schauspieler eine Kraft entgegenzusetzen und eine stärkere Metapher für das Gesellschaftliche zu finden als zum Beispiel das Bühnenbild. Und da war es irgendwann ein recht schlüssiger und nachvollziehbarer Gedanke, Bürger, die in der Handlung eines antiken Stückes – der „Orestie“ – im Mittelpunkt stehen, auf die Bühne zu holen. Das war ein ganz einfacher Kurzschluss, der sich dann in ganz unterschiedlichen Variationen in den folgenden Arbeiten fortgesetzt hat.
Wie viele Laien oder nichtausgebildete Schauspieler verträgt Ihrer Erfahrung nach eine Inszenierung?
Lösch: Das ist vollkommen themenabhängig. Von null Laien wie beim „Revisor“ bis zu 60 Laien bei „Hamlet“ – alles ist möglich.
Gehören Sie zu den Regisseuren, die bisweilen auch auf die Bühne gehen und den Schauspielern vorspielen?
Lösch: Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal spiele ich tatsächlich vor. Da ich Schauspieler war, kann ich ganz gut nachvollziehen, woran es liegen könnte, wenn auf der Bühne etwas nicht funktioniert. Ich sitze aber auch häufig unten im Zuschauerraum, sage gar nichts oder auch sehr viel. Das hängt einerseits von meiner Tagesform ab, andererseits aber auch von den Leuten, die auf der Bühne stehen: sind es Anfänger, mit denen ich zum ersten Mal zusammenarbeite oder Kollegen, die ich schon länger kenne? Das kommt ganz auf die jeweilige Situation an.
Haben Sie so etwas wie einen inneren Gradmesser, der Ihnen – unabhängig von der Kritik und dem öffentlichen Urteil – sagt, ob eine Inszenierung gelungen ist?
Lösch: Eine Inszenierung ist meistens gelungen, wenn sie für einen Großteil der Beteiligten stimmt, für alle stimmt sie natürlich nie. Das ist schade, muss man aber hinnehmen. Wenn man am Ende der Proben das Gefühl hat, die Inszenierung ist in sich stimmig und die Schauspieler spielen ihre Rollen gerne, dann würde ich schon sagen, dass sie gut ist. Dann ist es auch egal, was danach kommt (hält kurz inne). Wobei: ganz egal ist das natürlich auch wieder nicht. Jeder möchte Erfolg haben, die Schauspieler genauso wie der Regisseur und das restliche Team. Das ist gerade bei „Wut“ momentan aber glücklicherweise überhaupt nicht das Problem. Bei allen bisherigen Vorstellungen war es voll und trotz schönem Wetter ausverkauft. Das hat uns natürlich sehr gefreut.
Ich glaube nicht, dass ich einen bestimmten Stil habe.
Kann man auch mit schlechten Schauspielern eine gute Inszenierung machen?
Lösch: Eine gute Inszenierung kann man nur dann machen, wenn alle oder zumindest 70 Prozent der Beteiligten gut sind. Es ist schwierig, mit schlechten Schauspielern eine gute Inszenierung zu machen. Genauso schwierig ist es aber auch, mit einem schlechten Regisseur, einem schlechten Requisiteur, einem schlechten Inspizienten, einer schlechter Beleuchtungsabteilung, einem schlechtem Bühnenbild oder einem schlechtem Chorleiter eine gute Inszenierung zu machen. Theaterarbeit ist immer Teamarbeit, wenngleich die Inszenierungen natürlich am Ende unter meinem Namen firmieren. Aber ganz alleine könnte ich niemals eine gute Inszenierung auf die Beine stellen.
Wie stehen Sie zu Nacktheit auf der Bühne?
Lösch: Nacktheit gibt es bei mir, wenn sie vonnöten ist und wenn sie sich aus der Handlung ergibt – es gibt also keine Nacktheit, nur um zu provozieren. Das funktioniert sowieso nicht mehr, mit Nacktheit kann man heutzutage niemanden mehr aufregen. Wen sollte man damit auch provozieren, in einer Gesellschaft, die durch und durch exhibitionistisch ist? Nacktheit ist für mich so etwas wie ein Kostüm und wenn Nacktheit im Kontext des Stückes richtig ist, dann findet sie statt. Solche Entscheidungen geschehen natürlich auch im Einverständnis mit den Schauspielern. Keiner wird dazu gezwungen, sich auszuziehen. In der Regel sind es eher die Schauspieler, die sich ausziehen und ich als Regisseur muss dann sagen: Jetzt spiel’ doch diese Szene bitte mal angezogen (lacht).
Aber wo konkret liegen für Sie die Grenzen? Was würden Sie auf der Bühne nicht zeigen?
Lösch: Echte Pornographie mit Kindern, echte Tierquälerei, echte Folter, echten Mord.
Welche Rolle spielt der Skandal für einen Regisseur heutzutage?
Lösch: Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man Skandale nicht kalkulieren kann und wir kalkulieren sie natürlich auch nicht. Das passiert einfach und meistens aus ganz unerfindlichen, merkwürdigen Gründen. Oft wundert man sich, warum das, was man jetzt gemacht hat, schon wieder ein sogenannter „Skandal“ sein soll. Zumal: wenn die „Bild“-Zeitung schreibt, dieses oder jenes sei ein Skandal, dann muss das ja noch lange nicht heißen, dass es auch wirklich einer ist. Andererseits kommt man bei Proben aber auch immer wieder an Punkte, wo man denkt: dafür könnte es unter Umständen Ärger geben, letztlich passiert dann aber gar nichts. Man kann Skandale nicht berechnen.
Man könnte Ihnen aber schon vorwerfen, dass Sie „Wut“ bewusst ausgewählt haben, um zu polarisieren. Bereits der Fernsehfilm hatte heftige Debatten ausgelöst…
Lösch: Es ist vollkommen richtig, dass wir uns kontroverse Themen für unsere Stücke aussuchen, das Polarisieren ist für mich jedoch auch eine der Hauptaufgaben des Theaters. Aber wir rennen nicht rum, studieren Schlagzeilen und suchen uns dann entsprechend die Stücke aus. Wir suchen Stoffe heraus, die uns persönlich interessieren und die haben zwangsläufig mit unserer heutigen Lebenswelt zu tun. In „Wut“ geht es zum Beispiel um gewalttätige Jugendliche mit Migrationsintergrund und die wachsende Kriminalität bei jungen türkischen Männern ist in einer Stadt wie Stuttgart mit einem Ausländeranteil von 25 Prozent natürlich ein Thema von gesellschaftlicher Brisanz. Ein Ziel, ein Wunsch ist es, Stuttgarter, die normalerweise nicht ins Theater gehen, mit diesen Themen anzulocken. Es heißt ja „Stadt-Theater“ – und nicht „Elite-Theater“. Und als ein Theater für alle sollte man es auch endlich begreifen.
Aber kommen die Deutsch-Türken, um die es in „Wut“ geht oder die Hartz IV-Empfänger, die im Mittelpunkt von „Marat – was ist aus unserer Revolution geworden?“ stehen, dann auch tatsächlich ins Theater?
Lösch: Ja, Deutsch-Türken habe ich bei „Wut“ in der Tat schon einige gesehen. Wenn man Erhebungen durchführen würde, würde sicherlich herauskommen, dass sich diese Menschen eher Inszenierungen wie „Medea“ oder „Manderlay“, die etwas mit ihrer eigenen Situation zu tun haben, ansehen als beispielsweise einen Klassiker wie „Kabale und Liebe“. Die jungen Männer aus meinem „Wut“-Ensemble sind vor diesem Stück teilweise noch nie im Theater gewesen. Da ihnen die Arbeit aber so viel Spaß gemacht hat, gehen sie jetzt auch in andere Stücke, sehen sich Klassiker an, gehen irritiert oder gut unterhalten raus und sprechen mit ihren Kumpels über das, was sie gesehen haben; motivieren die, auch ins Theater zu gehen. In zehn Jahren sieht unsere Zuschauerstruktur vielleicht schon ganz anders aus als heute – aber nur wenn man dranbleibt. Man muss dranbleiben. Eintagsfliegen nutzen nichts, man muss konsequent und kontinuierlich bestimmte Themen auf die Bühne bringen, in langen Zyklen planen und denken.
Wenn eine Inszenierung abgeschlossen ist und ihre Premiere gefeiert hat, geben Sie sie dann gewissermaßen aus der Hand oder verfolgen Sie sie auch weiterhin?
Lösch: Wenn ich in der Stadt bin, gucke ich mir meine Stücke immer mal wieder an. Ein Grundproblem des Berufs ist jedoch, dass man im Kopf immer schon weiter ist. Wenn ich vormittags inszeniere, bin ich nachmittags oft gedanklich schon beim nächsten Stück, weil man immer vier, fünf Inszenierungen vorarbeitet. Das ist das Los unseres Berufs. Man kann sich nie zu 100 Prozent nur auf eine einzige Sache einlassen, sondern man muss teilweise schon zwei Jahre im Voraus die nächsten zwei, drei, vier Inszenierungen planen, konzipieren, Bühnenbilder festlegen. Es gibt Bauproben, es werden Besetzungen festgelegt. Wer sich da nicht aufteilen oder organisieren kann, kann diesen Beruf nicht ausüben.
Momente, in denen Sie nicht ans Theater denken, gibt es also nicht?
Lösch: Natürlich habe ich ein Privatleben. Aber ich habe mir das Theater auch ausgesucht, um nicht zwischen Beruf und Freizeit rigide trennen zu müssen. Es geht auch gar nicht, selbst an freien Tagen gehen mir Dinge durch den Kopf, man nimmt das immer mit. Das was ich beruflich tue, soll schon mit meinem Leben grundsätzlich etwas zu tun haben.
Träumen Sie nachts von Proben oder Aufführungen?
Lösch: Ja, in den Endproben nehme ich alles mit in den Schlaf, gerade die Texte. Ich schlafe damit ein, träume davon, wache damit auf.
Bundespräsident Horst Köhler sagte vor einiger Zeit, gerade in schwierigen Zeiten müsse man in die Kultur und das Theater investieren. Wie sehen Sie die Rolle des Theaters in Zeiten der Krise?
Lösch (lacht): Das ist ja nett, wenn ausgerechnet Horst Köhler so etwas sagt; wahrscheinlich hat er ein schlechtes Gewissen – er ist ja schließlich mit dafür verantwortlich, dass wir uns in Krisenzeiten befinden. Ein ehemaliger internationaler Top-Banker, der in offizieller Funktion immer eine Politik im Sinne des Wirtschaftsliberalismus vertreten hat. Die wenigsten wissen ja, dass er von 1990 bis 1993 Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und Direktor des IWF war. Er hat es ganz gut geschafft, dass darüber nicht mehr geredet wird. Und was er sagt, ist ja auch längst bekannt und überhaupt nichts Neues. Schon vor 200 Jahren sagte König Gustav nach einem verlorenen Krieg und einem desaströsen Haushaltsabschluss: „Wenn wir jetzt auch noch an der Kultur sparen, sind wir nicht nur arm, sondern werden auch noch dumm.“
Und dieser Meinung sind Sie auch?
Lösch: Ja, natürlich sollte man in Krisenzeiten in Kultur und Kunst investieren, aber selbstverständlich auch in Soziales und Karitatives. In was denn sonst? Gesagt ist so ein Satz wie der von Köhler natürlich immer leicht und der Applaus ist ihm dafür sicher. Aber die Realität sieht leider anders aus, wenn man zum Beispiel nach Nordrhein-Westfahlen guckt. Theater werden eingespart, Etats runtergefahren, Kostensteigerungen und Tariferhöhungen nicht mehr übernommen. Da sollte sich Herr Köhler mal konkret engagieren und zeigen, ob er es wirklich ernst meint.
Viele Theater versuchen, neues Publikum anzulocken, was ja grundsätzlich erfreulich ist. Dieses junge Publikum kommt aber oft nur wenige Male, während das bislang treue Theaterpublikum vergrault wird. Wie sollte man damit Ihrer Meinung nach umgehen?
Lösch: Ich glaube, das ist ein kultureller Prozess, der da gerade stattfindet. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich – nicht nur im Theater, auch in den anderen Künsten – so etwas wie ein Bildungsbürgertum konstituiert, welches mit einem stark bildungsbürgerlichen Begriff von Kunst aufgewachsen ist. Diese Generation ist inzwischen alt geworden und deshalb ist es für die Theater extrem wichtig, an die jüngeren Generationen heranzukommen und sie soweit zu verführen, dass sie auch ihren Kindern sagen: geht mal ins Theater, das ist besser als Kino oder zumindest genauso gut. Jeder Theatermacher wünscht sich natürlich alle Zuschauer und möchte niemanden aus dem Parkett vertreiben, um einen anderen reinzuholen. Aber ich glaube genauso, dass Arbeiten nie so sein können, dass sie alle befriedigen. Diejenigen, die nicht wiederkommen, die hat man dann halt verloren. Aber möglichst viele zu erreichen, bleibt ein Ziel. Ein Volkstheater im besten Sinne müsste eigentlich alle ansprechen.