Volker Schlöndorff

Die erste Aufgabe der Diplomatie ist, einen Krieg zu verhindern.

Regisseur Volker Schlöndorff erzählt im Gespräch über seinen neuen Film „Diplomatie“, wie Paris zu seiner Liebe wurde, was Wikileaks für die Diplomatie bedeutet und überlegt, was ihn heute noch dazu bringen würde, sich zu duellieren.

Volker Schlöndorff

© Jim Rakete

Herr Schlöndorff, Sie als wohl frankophilster aller deutschen Regisseure erzählen in Ihrem neuen Film „Diplomatie“, wie ein deutscher General im August 1944 überzeugt wird, Paris nicht zu zerstören. Das klingt schon fast zu naheliegend, um wahr zu sein.
Volker Schlöndorff: Es sollte ja auch gar nicht dazu kommen. Das Theaterstück, auf dem der Film basiert, lief schon vor einigen Jahren in Frankreich. Zwei französische Regisseure hatten sich seither an der Verfilmung versucht. Aber sie haben das Handtuch geworfen und dadurch war dann leider schon ein Viertel des Budgets aufgebraucht, als ich das Projekt übernahm. (lacht)

Wissen Sie, warum die Kollegen das Handtuch warfen?
Schlöndorff: Die hatten wohl einfach für sich beschlossen: Das wird nichts. Ich weiß nicht, warum, aber einer von denen hat mich dann vorgeschlagen. Dafür bin ich ihm dankbar. Wenn wir eine halbe Million Zuschauer in Frankreich haben, werde ich ihn zum Abendessen einladen. Ins beste Lokal. Ins Hotel Le Meurice vielleicht.

Dort hat auch der deutsche General Dietrich von Choltitz residiert, einer der Protagonisten von „Diplomatie“. Die Handlung des Films spielt hauptsächlich in seiner Suite.
Schlöndorff: Allerdings sind gewisse Details dieser Suite frei erfunden, der durchsichtige Spiegel zum Beispiel und die geheime Tür zur Treppe, über die einst Napoléon III. seine Geliebte zu sich kommen ließ. Das sind Boulevard-Theater-Elemente, die gefielen mir aber sehr. Was der Film erzählt, ist ja auch weitestgehend fiktiv, aber er beruht auf den historisch verbürgten Treffen von dem schwedischen Generalkonsul Raoul Nordling und von Choltitz. Dabei sprachen sie auch von der Schönheit der Stadt Paris und über die Gefahr ihrer drohenden Zerstörung. Schließlich überreichte Nordling dem General einen Brief der Alliierten, mit dem Vorschlag, durch Kapitulation die Stadt unbeschädigt zu übergeben.

Der Film wirkt auch wie Ihre persönliche Liebeserklärung an Paris.
Schlöndorff: Ich kenne da jede Brücke, jedes Bauwerk. Seit meinem siebzehnten Lebensjahr habe ich jeden Winkel der Stadt erkundet. Ich glaube, während meiner Regieassistenzen bei Louis Malle und Jean-Pierre Melville bin ich mehr durch die Gegend gefahren als jeder Taxifahrer. Ich liebe Paris. Und die Möglichkeit, ein halbes Jahrhundert später das Fortbestehen dieser Stadt zu würdigen, ist ein wahres Geschenk für mich. Wäre Paris ausradiert worden, kann ich mir nur schwer vorstellen, wie die deutsch-französische Freundschaft hätte entstehen und Europa zu Stabilität zurückfinden sollen.

Zitiert

Ein ausgetragener Konflikt endet selten mit einem klaren Sieger und Verlierer, sondern meistens mit zwei Verletzten.

Volker Schlöndorff

In Ihrer Autobiografie schreiben Sie, dass Ihr Vater sich gewünscht hat, dass Sie selbst Diplomat werden.
Schlöndorff: Das ist absolut wahr. Allerdings hat man mir dann immer bescheinigt: Also, ein Diplomat ist er nicht! (lacht)

Was macht die Kunst der Diplomatie aus?
Schlöndorff: Die erste Voraussetzung ist der Glaube, dass man durch reden Konflikte lösen kann. Da bin ich von Haus aus eigentlich schon mal skeptisch. In Konfliktsituationen fällt es mir eben sehr schwer, miteinander zu reden. Ich bin dann geladen, nicht gesprächsbereit. Aber ein ausgetragener Konflikt endet selten mit einem klaren Sieger und Verlierer, sondern meistens mit zwei Verletzten. Da wäre es dann doch schon besser, vorher zu verhandeln. Wenn man sich die Geschichte so ansieht, ist die allererste Aufgabe der Diplomatie, einen Krieg zu verhindern. Und die zweitvornehmste ist, einen angefangen Krieg wieder zu beenden. Denn die Generäle können keine Kriege beenden. Die schießen immer weiter, bis zur letzten Patrone. Der erste Weltkrieg hätte bei guter Vermittlung erstens verhindert und zweitens spätestens nach zwei Jahren beendet werden können, denn keiner hatte mehr etwas zu gewinnen.

Worauf kommt es in der Diplomatie konkret an?
Schlöndorff: Ich glaube, ein Diplomat muss in dem anderen den Menschen ansprechen. Und das kann er nur, indem er sich auch selbst als Mensch öffnet. Das ist eigentlich das Gegenteil von dem Bild, das man von Diplomaten hat: aalglatt, mit Seidenhandschuhen. So einem traut doch niemand. Ein Diplomat muss verletzbar sein und sich zu seinen persönlichen Vorlieben bekennen. Er darf nicht feige sein, er muss sozusagen ausleben, wer er ist und dann kann er den anderen dazu zwingen, sich ebenfalls zu öffnen. Da geht es überhaupt nicht um jene elegante Florett-Fechterei, als die so eine Verhandlung oft dargestellt wird. Ein Diplomat muss auch verzweifeln, er kann einen Zusammenbruch oder einen Ausbruch haben.

Das klingt so, als wären die Berufe des Diplomaten und des Regisseurs durchaus verwandt – abgesehen davon, dass ein Regisseur auch auf seine Stellung pochen kann.
Schlöndorff: Also ich versuche immer zu erreichen, dass alle vergessen, dass ich der Regisseur bin. „Ich bin einer von euch, ich bin einer von euch.“ Wer sich auf die Hierarchie beruft, muss ihr auch immer gerecht werden. Man muss dann unfehlbar wie ein Papst sein, sich nie irren, sich immer beherrschen. Man muss all das, was ich überhaupt nicht kann. Natürlich hat der Regisseur am Set kraft Amts die Autorität, Ja oder Nein zu sagen. Aber schauen Sie sich die großen Regisseure an, Jean Renoir, Bergmann, Buñuel oder Rosselini, Antonioni – keiner von denen hätte jemals auf Autorität gepocht. Das sieht man ihnen schon an, wenn man sie nur auf Fotos betrachtet, aber auch wenn man ihre Filme sieht.

Sie zerstören gerade ein komplettes Berufsbild.
Schlöndorff: Nicht mal der Fritz Lang soll so gewesen sein, wie er nach außen auftrat, mit Monokel und Reitstiefel und wie es in seinen Filmen manchmal scheint. Es gibt den Typ autoritärer Regisseur, keinen Zweifel. Und er erreicht auch oft großartige Sachen. Aber selbst jemand wie Fassbinder… Wenn sie Hanna Schygulla fragen, der war immer ganz zart, ganz aufmerksam. Bruno Ganz hat mir neulich noch gesagt: Der junge Peter Stein, der hat uns Schauspieler geliebt. Das sind ausgerechnet die, die so als die Messerscharfen gelten.

© Koch Media - Film Oblige - Gaumont – Blueprint Film – Arte France Cinéma

© Koch Media – Film Oblige – Gaumont – Blueprint Film – Arte France Cinéma


Sie meinen, die strenge Hand der Mutter kann auch eine liebevolle sein?

Schlöndorff: Ich glaube einfach, man erreicht mehr, wen man dem Schauspieler vertraut, wenn man ihm das Gefühl gibt: Du kannst erstmal alles mögliche ausprobieren. Ich sag‘ dir dann schon, was rüber kommt und was nicht. Und wenn etwas nicht rüberkommt, dafür wirst du nicht abgestraft, das wird nicht gegen dich verwendet. Fehler sind erlaubt, Fehler sind willkommen, Fehler führen weiter. Ich glaube mehr an Komplizenschaft als an Autorität.

Wo Sie gerade von ihm sprachen, vor wenigen Wochen ist Ihre Brecht-Verfilmung „Baal“ mit Rainer Werner Fassbinder in der Titelrolle mit vierzig Jahren Verspätung in die Kinos gekommen. Es ist ein Film, der eine bemerkenswerte Unbekümmertheit ausstrahlt.
Schlöndorff: Das war die Unbekümmertheit eines Desperados. Ich hatte gerade einen Film für 800.000 Dollar gemacht, eine richtig teure Produktion in englischer Sprache, „Michael Kohlhaas“. Für eine Großproduktion war das aber trotzdem zu wenig Geld. Die Besetzung war abartig. Alles wurde eine Katastrophe. Ich hab gedacht, das ist das Ende meiner Karriere, jetzt musst du wieder von vorne anfange. Also drehten wir mit 16mm-Film den „Baal“. Das ist ja eine wundervolle Vorlage, ich habe das geliebt. Wir hauten das einfach so runter. Es gab nichts mehr zu verlieren, sondern alles zu gewinnen. Und dann bin ich dem Rainer begegnet und habe mir gedacht: Der ist es doch! Wie sehr er es wirklich ist, habe ich vorher nicht gewusst. Das hat sich bei den Proben und beim Drehen erst von Tag zu Tag mehr rausgestellt. Am Ende krepiert Baal ja, wie Rainer dann später auch. Aber was er da jeden Tag abgeliefert hat, das war einfach unvorstellbar.

Es wirkt heute so, als wäre dieser Baal ein Teil von Fassbinders Selbsterfindung geworden.
Schlöndorff: Bei ihm könnte es durchaus sein, dass seine Rolle auch einen Einfluss auf ihn selbst hatte. So brutal hatte er dieses Macho-Programm bis dahin für sich selbst nicht formuliert. Er hatte eher das Opfer gespielt, wie dann noch einmal im „Katzelmacher“.

War das für Sie die erste praktische Begegnung mit Brecht?
Schlöndorff: Für mich ja. Eigentlich war mein Gedanke: Mit dem großen Film hat das nicht hingehauen, vielleicht sollte ich erstmal mit Theater weitermachen. In München wären da für mich nur die Kammerspiele in Frage gekommen, aber die haben mich abgelehnt. Und dann dachte ich: Na, dann filme ich das halt. Fassbinder war da noch nicht so auf seinem eigenen Film, er war sehr lernbegierig, hatte sein ganzes Team mitgeschleppt. Die mussten praktisch alle ein Praktikum bei mir machen. (lacht) Wir hatten schon das Gefühl, jeder von uns gibt was und nimmt was. Keiner tat dem anderen einen Gefallen. Das ist eine gute Voraussetzung, um zusammen zu arbeiten.

Was bedeuten die Enthüllungen von Wikileaks oder die Veröffentlichung abgehörter Telefonate für die Diplomatie? Gehen wir auf ein postdiplomatisches Zeitalter zu?
Schlöndorff: Nein. Wenn die US-Diplomatin Victoria Nuland zum Beispiel bei einem Telefonat „Fuck the EU“ sagt, dann ist das doch wie Pokern mit offenen Karten. Ein Diplomat muss ja gar nicht unbedingt seine Mittel verheimlichen. Der Vorwurf, dass Wikileaks angeblich alle Diplomatie zunichte machen würde, beweist eine vollkommen falsche Vorstellung von Diplomatie. Als würde es darum gehen, den Gegner zu täuschen. In der Verhandlung im Film täuscht Nordling nur einmal. Er verspricht, die Familie des Generals zu beschützen, obwohl er gar nicht vorhat, dieses Versprechen zu halten.

Man ist geneigt, Nordling das übel zu nehmen.
Schlöndorff: Gott sei Dank ging die Geschichte ja positiv aus. Natürlich hat in dem Moment der Diplomat billigend in Kauf genommen, dass es auch anders hätte ausgehen können. Nach seiner Weigerung, den Führerbefehl der Zerstörung von Paris auszuführen, hätte von Choltitz‘ Familie deportiert werden können. Aber eigentlich würden doch auch wir Zuschauer insgeheim sagen: Die Rettung von Paris und ihrer Bewohner wäre dieses Bauernopfer wert gewesen. Ich würde umgekehrt ja auch sagen: Ja, ich opfere meine Familie für ein höheres Ziel. Das sagt sich jetzt so locker, wenn man hier sitzt und nicht in so einer Situation steckt. Aber ich kann von Choltitz‘ Grundhaltung nicht wirklich nachvollziehen. Er ist mit der Offiziersdisziplin aufgewachsen, hat seinen Eid geschworen. Ehre. Vaterland. Das sind alles Werte, die für mich keine sind. Nicht mal die Familienehre. Ich würde wahrscheinlich sehr gut mit einer beschmutzen Familienehre leben. Aber das sind Begriffe für die Menschen einmal gelebt, sich duelliert und erschossen haben.

Für welche Werte würden Sie sich denn heute duellieren?
Schlöndorff: Das kann ich nicht beantworten… Vielleicht für eine Frau.

Sagen Sie das jetzt, weil das so schön französisch klingt?
Schlöndorff: Nein, weil es das einzige Beispiel ist, das mir konkret einfällt.

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