Herr Boning, wie würden Sie in Ihrer TV-Sendung „Clever! Die Show, die Wissen schafft“ den Jazz erklären?
Boning: Also historisch beruht der Jazz natürlich auf Musik, die von aus Afrika verschleppten Sklaven in Amerika entwickelt wurde. Ihr entscheidendes Element ist die Improvisation und der Swing, das Gefühl auf eine Wolke dahinzuglitschen, mit regelmäßigen Stockungen, die sich angenehm anfühlen.
Könnte man den Swing mit einem der wissenschaftlichen Experimente nachweisen, die Sie in „Clever!“ durchführen?
Boning: Es sagen ja immer wieder Leute: Was keinen Swing hat, taugt nichts. Aber was damit gemeint ist, darüber wird diskutiert, seit es den Jazz gibt. Man weiß, dass das, ganz platt, mit der triolischen Struktur des rhythmischen Musters zu tun hat. Aber was jetzt genau so gefühlsmäßig das Swingende ist, hat bis heute noch niemand so recht auf den Punkt bringen können. Diese Frage ist ein uraltes Steckenpferd der Musikwissenschaft. Ich glaube aber, dass es nicht wirklich möglich ist, das mit wissenschaftlichen Kriterien herauszufinden. Sonst wäre das ja schon gemacht worden.
Man könnte das 1000 Seiten starke »Jazzbuch« von Joachim-Ernst Berendt befragen.
Boning: Ja doch, aber den habe ich drauf. Ich habe Berendt als Jugendlicher komplett auswendig gelernt (lacht). Da ist zwar jetzt vieles wieder weg, aber ich weiß, dass er mir den Swing auch nicht mit wissenschaftlichen Kriterien erklären konnte, sonder nur damit, das es sich um ein Gefühl handelt, also um eine subjektive Regung.
Wigald Boning assoziierte man musikalisch bislang eher mit den Comedy-Schlagern der selbsternannten„Doofen“. Wie kam es dann zu Ihrem neuen Album „Jet Set Jazz“?
Boning: Also meine musikalische Entwicklung begann in der Reihenhaussiedlung in Oldenburg-Osternburg, mit einem eher unmusikalischen Vater aber einer sehr musikbegeisterten Mutter, die auch Klavierstunden gab für die Kinder der Nachbarschaft. Ich hatte selber auch Klavierunterricht bei einer bürgerlichen Klavierlehrerin namens Irmintraud Santford – dunkle Stunden meiner Kindheit!
Warum hat Ihnen Ihre Mutter nicht Klavierstunden gegeben?
Boning: Ich glaube, meine Mutter hielt Frau Santford, weil die in den Vorortkreisen so empfohlen worden war, für eine bessere Lehrerin als sich selbst. Ich habe Frau Santford unlängst wieder getroffen, im Theater in Oldenburg. Da habe ich mir was angeguckt, und plötzlich kam Frau Santford auf mich zu. Ich dachte: Oh nein! Und sie hatte einen Bekannten dabei, der fragte: Und? War Herr Boning denn begabt? „Neiiin! Höhöhöhö“ – lachte sie. Die hatte auch so einen ganz ekelhaften Yorkshire Terrier. Man fuhr zu Frau Santford, ging in dieses Wartezimmer, setzte sich da hin, und ich hatte ja sowieso nicht geübt. Ich hatte also ohnehin schon Herzklopfen und dann kam auch noch dieses fiese, hinterlistige Tier mit der roten Schleife zwischen den Ohren und jagte mir Angst ein. Also, Klavierunterricht fand ich ganz entsetzlich.
Wie kam dann der Jazz zu Ihnen nach Oldenburg-Osternburg?
Boning: Mit 13 lernte ich im Künstlerhaus Osternburg einen Fotograf namens Norbert Gerdes kennen. Der war ein großer Jazzfan und legte eines Tages ein Tonband auf mit dem Massey-Hall-Konzert von 1953 mit Charlie Parker und Dizzy Gillespie. Ich war vom ersten Moment an völlig elektrisiert und dachte: Das ist es. In dieser Sekunde war auch die Berufsfrage für mich geklärt, ich werde Musiker. Ich habe mir dann eine Querflöte zugelegt, im Osterurlaub mit meinen Eltern. Ein Jahr später kam ein Saxophon dazu. Dann wurde eine Band gegründet: Kixx, zusammen mit Lars Rudolph, der heute auch als Schauspieler unterwegs ist.
Warum haben Sie dann irgendwann die Musikerkarriere aufgegeben?
Boning: Bei Kixx bin ich mit 18 ausgetreten, an einem denkwürdig traurigen Abend. Wir spielten nämlich als Vorband von Ornette Coleman bei so einem Jazz-Festival in Bochum. Es ging ziemlich lange, ich musste am nächsten Morgen zur Schule, war kurz vorm Abitur. Und Ornette Coleman sagte irgendwann: Mir ist das alles viel zu spät, wir spielen jetzt als erstes und ihr spielt danach. So. Coleman spielte – auch relativ lange (lacht) – die bauten ab, wir bauten auf, der Laden leerte sich, es waren noch so zwanzig Leute da. Nach diesem Konzert vor einem Minimalpublikum habe ich gesagt: Ich steige aus. Ich war in Gedanken sowieso schon länger damit beschäftigt, dass man den Schlager ja mal völlig neu reformieren müsste. Und ich habe dann als deutschsprachiger Sänger verschiedene Platten gemacht, erstmal mit einer Band, die „Bremen“ hieß, produziert von Klaus Voormann, danach als Solo-Artist. Die verkauften sich immer schlechter, die letzte nur noch 200 Stück. Damals war das so knapp nach dem Zivildienst, ich musste meine Miete bezahlen und hängte meine Recording-Artist-Karriere an den Haken. Und dann kam „Samstag Nacht“.
Und als Teil dieser TV-Comedy-Show entstand das Gesangsduo „Die Doofen“ mit Olli Dittrich.
Boning: „Die Doofen“ waren schon ein sehr ausgeklügeltes ästhetisches Minimalkonzept, wenngleich das auch nur für eineinhalb Platten reichte. Nach diesem Riesenerfolg war dann erstmal zehn Jahre bei mir Ruhe im Schacht, vor allem weil ich immer darüber nachgedacht habe, wie man sich deutsche Text ausdenken kann, die ganz anders als „Die Doofen“ sind, aber genauso schlüssig. Und ich bin da zu überhaupt keinem Schluss gekommen. Vorletzten Sommer spielte ich dann als Gast bei einem Auftritt von Sasha ein Saxophonsolo. Ich ging so von der Bühne und wie immer kamen viele Leute und sagten: Mensch, du musst jetzt mal wieder Musik machen, das geht ja so nicht weiter. Normalerweise ging das bei mir hier rein und da raus, weil ich ja dieses Textproblem nicht lösen konnte. Plötzlich aber war alles anders. Am nächsten morgen rief ich bei Roberto Di Gioia an, auf dessen erster Marsmobil-Platte ich ein Flötensolo gespielt hatte, und sagte dem: Wir müssen heute Mittag unbedingt essen gehen. Und im Rahmen dieses Mittagessens wurde mein Problem mit dem Texten gelöst. Roberto sagte: dann machen wir doch ein Instrumental-Album. Ich glaube, ich habe ihn zuerst angeguckt wie ein Auto. Zehn Jahre lang war ich nicht auf diese Idee gekommen.
Steckt ein bestimmtes Konzept hinter „Jet Set Jazz“?
Boning: Aufgabe dieser Platte sollte sein – mal ein ganz anderer Ansatz –, alle meine persönlichen Vorlieben, die ich so musikalisch habe, auf einer CD zu vereinigen, damit ich im Auto nicht immer die CD wechseln muss, wenn ich zum Flughafen fahre. Und das ging alles blitzschnell. Wir haben zwei Stücke pro Tag geschrieben und lagen uns zwischendurch immer wieder in den Armen, weil es so Spaß machte, sich das auszudenken. Christian Prommer vom Trüby Trio hatte dann die Aufgabe, das alles elektronisch zu frisieren und schließlich traf ich noch Michael Reinboth, dessen Label Compost das richtige dafür war. Es war eine Traumkombination, weil ich mit 17 schon immer „Elaste“ gelesen hatte, das Magazin, das Michael Reinboth damals herausgab. Damals gab’s für mich als Lesestoff im Zeitschriftenbereich Spex, i-d Magazine und Elaste. Ich dachte immer: Unfassbar, es gibt Leute in diesem kleinen Deutschland, die so groß sind und so was Tolles herstellen, wie Elaste. Also haben sich zu meiner neuen Platte alle Fäden denkbar günstig verknüpft.
Als welche Art von Musik haben sie Ihr Album „Jet Set Jazz“ denn bei der GEMA angemeldet? Als E – wie ernste, oder U – wie unterhaltende Musik?
Boning: Oh, das weiß ich gar nicht. Ich weiß gar nicht, wie das ist, hätte ich da jetzt neuerdings die Chance E anzukreuzen? Ich war sonst immer U, ist ja logisch. Aber auch „Jet Set Jazz“ hat ja unterhaltenden Charakter und eine gewisse Grundironie ist ja schon mit dem Begriff „Jet Set“ verbunden. Ich muss da selber mal drüber nachdenken. Ich habe ja schon mehrere Interviews gemacht, an dem Punkt stolpere ich immer. Zu Anfang habe ich immer gesagt, das sei eine gänzlich ironiefreie Musik; das stimmt aber vielleicht gar nicht.
Warum haben Sie den Begriff „Jet Set“ benutzt?
Boning: Keine Ahnung (lacht). Den kann man heutzutage ja nicht mehr wirklich ernst nehmen. Bei „Jet Set“ denke ich an Millionärsmesse in Moskau und irgendwelche dicken Öl-Magnate, die sich Baguette mit zwei Pfund Kaviar reinschieben und eine Rolex hinterher. Das ist ja kein anstrebenswertes Ideal. Aber es gibt eine Mondänität, die ich immer toll fand, das war die Musik von Henry Mancini und ähnliches. Hier gibt’s die Geige und da rinnt dann noch eine Harfe durchs Bild. Das fand ich immer klasse.
Wenn man die Platten von Götz Alsmann, Helge Schneider und jetzt auch Ihre hört, lässt sich feststellen, dass Humor und Jazz offenbar gut zusammengehen. Ist es ein Missverständnis, dass Jazz eher als intellektuelle, ernste Musik wahrgenommen wird?
Boning: Die Verknüpfung von Jazz und Humor liegt wohl in der Improvisation. Also bei Helge sowieso, aber auch bei Götz Alsmann und bei mir passiert ja der größte Teil auf der improvisatorischer Ebene. Man weiß, wozu Improvisation in der Lage ist, wenn man Jazz gemacht hat. Es geht darum, keine Angst davor zu haben, einen Satz zu beginnen, ohne zu wissen, wie er endet. Bei „Genial Daneben“ ist das auch so, die Sendung wird ja völlig durchimprovisisert. Man kann das sportiv angehen, und sofort versuchen, Hugos Frage zu lösen. Oder man unternimmt einen Ausflug ins Mittelalter und versucht, das durch eine aufgeschwurbelte Fantasieleistung unterhaltsam zu gestalten, oder man markiert einen Schwächeanfall, oder beschimpft Hugo als Vollidioten. Da kommt man ja überhaupt nicht zu Wort, wenn man nicht erst spricht und dann nachdenkt. Das ist ein Vorgang, den man als Jazzmusiker auch genau kennt.
Auf „Jet Set Jazz“ singen Sie manchmal auch, allerdings Laute ohne Wortsinn. Das soll angeblich Louis Armstrong erfunden haben, als ihm bei einer Aufnahme der Liedtext vom Notenständer rutschte.
Boning: Ich kenne das eher von den Ray Charles Singers. Das ist eine Vinylplatte in der 60s Tradition, die habe ich um die hunderttausend Mal gehört, als ich 20 war. Und von Ray Conniff kenne ich ähnliches. Ich liebe seine Kombinationen von Posaunen und Frauenchor sehr. Und wenn dann noch der Männerchor dazu kommt, geht das Licht auf. Ich fand es immer schön, wenn man die Stimme in gedeckter Weise instrumental behandelt. Das haben wir jetzt auch so gemacht.
Ihre Tonlage ist dabei recht hoch. Das klingt manchmal, wie die Bee Gees oder wie Kastratengesang.
Boning: Hehe, genau. Ich habe gerade ein interessantes Buch gelesen, die Biografie über Joseph Haydn von Hans-Josef Irmen, die mir Herbert Feuerstein, der ja Musikwissenschaftler ist, empfohlen hat. Ich sagte ihm: Mit Haydn konnte ich noch nie so viel anfangen. Ist ein bisschen verstaubt, oder? „Erst lesen, dann urteilen!“ sagte er „Und anhören!“ Nein, Haydn – hoch interessant, denn je älter er wird, desto spannender wird sein Leben, und je älter man selber wird, desto interessanter findet man sein Leben. Haydn war nämlich mit 50 das erste Mal verliebt, dann aber auch so richtig und zwar in eine ziemlich schlechte Sängerin, die er versuchte, zu einem europäischen Star dieser Zeit zu machen – ein Vorgang, den man ja auch aus der heutigen Musik kennt. Und er versuchte ihr Stücke maßzuschneidern, die auf ihre technische Limitation Rücksicht nahmen.
Klavierunterricht fand ich ganz entsetzlich.
Das ist rührend, aber was hat das mit Kastratengesang zu tun?
Boning: Ich bin in der Biografie noch gar nicht soweit gekommen, sondern erstmal hängen geblieben bei einem großen Ausflug, den der Herr Irmen in die Welt der Kastraten unternimmt. Total interessant, weil musikalisch begabte Bauernjungen damals eben relativ viel Geld verdienen konnten, wenn sie sich die Eier abschneiden ließen. Das Schicksal drohte Joseph Haydn auch, aber sein Vater war streng dagegen. Der Preis war damals natürlich eventuell sehr hoch, weil das eine ziemlich riskante Operation war. Man macht heute ja allerhand Schönheitsoperationen, um im Modelzeitalter irgendwie weit zu kommen, aber man macht nichts, was mit einem so radikalen Risiko behaftet wäre, wie damals die Kastratenoperation. Das kommt noch, glaube ich (lacht). Mal gucken, wo da in Zukunft der Bedarf liegen könnte.
Zuweilen singen Sie aber nicht nur, sonder spielen synchron dazu die Querflöte. Wie sind Sie denn darauf gekommen?
Boning. Ach so, also das erste Mal gehört habe ich das wohl bei Roland Kirk in den 60er Jahren. Der hat das viel gemacht. Die Querflöte ist ja ein tolles, handliches Instrument, hat aber den Nachteil, dass sie nicht besonders laut ist und nicht besonders laut wirkt – es sei denn, man singt dazu. Dann kriegt sie so eine raue Kante. Zumindest habe ich das als Jugendlicher so beurteilt. Mit 16 habe ich dann auch das Querflötenspielen ganz bleiben lassen, weil ich dachte: erotisierend kann man nur auf dem Saxofon spielen. Mittlerweile hat sich meine Haltung da aber wieder etwas geändert.
Es wäre sicher falsch, Ihre Musik als Fun-Jazz zu bezeichnen. Aber ist Humor so etwas wie Ihre Grundhaltung, die auch Ihrem Jazz-Projekt zu gute kommt?
Boning: Das ist so. Wir in der Band haben auch alle einen ähnlichen Humor. Wir können alle auf einem gemeinsamen Level spontan improvisieren und haben gleichzeitig auch eine gewisse Freude an diesem Klangbild, das wir da im Kopf haben. Das können wir aber auch ständig brechen, zum Beispiel wenn sich live in einem Chorus plötzlich ein Nina Hagen-mäßiger Schreifaktor reinschleicht. Das ist dann ganz weit weg von der Plattenversion, funktioniert aber genauso gut. Das ist herrlich, wenn plötzlich alles möglich ist.
In welcher Ihrer Beschäftigungswelten ist Höchstleistung am anstrengendsten? In der Jazzwelt, im TV oder beim Extremsport?
Boning: Am anstrengendsten? Also ich persönlich bin ja immer dann gut, wenn das, was ich mache, einen spielerischen Charakter hat und nicht mit Zwang verbunden ist. Da bin ich dann wie ein Kind, das beim Nachbarsjungen klingelt und sagt: „Lass uns mal Fußball spielen.“ Von daher spielt das Medium eigentlich gar keine so große Rolle, sondern, dass man geeignete Spielkameraden findet. Dann ist das nicht mehr anstrengend, sondern einfach nur Vergnügen. Beim Sport geht das auch. Da habe ich einen Freund, Hannes, und es gibt kaum etwas schöneres, als am Wochenende mit ihm über die Alpen zu radeln. Das machen wir dann auch, bis wir nicht mehr können, aber das ist dann Teil des Spaßes. Es ist lustig, wenn man dann so komische flimmernde Bilder sieht (lacht), und plötzlich soviel Pizza essen kann.
Kaufen Sie in so einem Zustand dann Ihre Garderobe, die Sie gegenüber Planet Interview mal als „C&A auf LSD“ bezeichnet haben?
Boning: Das ist aber schon eine alte Formulierung. Bei Mode, muss ich gestehen, hat mein Interesse nachgelassen. Auch meinen weißen Anzug hier trage ich schon unglaublich lange, das ist schon eher im Bereich Hochleistungssport. Ich habe den angezogen, vor fünf Wochen glaube ich, für Lesungen auf der Queen Mary. Ich dachte, der ist weiß, das ist eine gute Bühnengarderobe, so ein bisschen maritim. Das Schiff ist so sauber, dass er auch sauber blieb. Jetzt ist er allerdings hin. Ich musste doch feststellen, dass der Musikerberuf, ein sehr schmutziger Beruf ist, jedenfalls, wenn man seine Blasinstrumente selber durch die Gegend wuchtet.
Wie lange haben Sie auf dem Luxusliner Queen Mary gelesen?
Boning: Das ging eine Woche, von Hamburg nach New York, zwei Lesungen. Sehr lustig, weil das ein eher betagtes Publikum ist. Da habe ich einfach aus dem Buch »Bekenntnisse eines Nachtsportlers« gelesen. Das Highlight unter den Gästen waren vier Amish-People, die sich auch immer in ihrem deutschen Dialekt unterhielte. „Mir gehen opp de Stubb“ sagte der Wortführer, wenn sie mit dem Frühstück fertig waren. Wenn man sie an der Reling stehen sah und die Augen zusammenkniff, dann konnte man sich im Jahr 1820 wähnen.
Wie sieht ein Smalltalk mit Amischen aus?
Boning: Ich war gar nicht groß mit denen in Kontakt. Leider. Ich habe mich sehr über meine Schüchternheit geärgert. Ich hätte mich gern mit denen unterhalten, aber ich habe mich nicht so richtig getraut.
Sie sind schüchtern, Herr Boning?
Boning: Manchmal kann ich auch ganz schön schüchtern sein, ja. Sie nicht? Wären sie zu denen hin gegangen?
Ich hätte sie vielleicht gefragt, ob sie mir ein Interview geben.
Boning: Jaja, natürlich. Hätte ich mal machen sollen. Beim nächsten Mal.
In einem früheren Interview haben Sie mal gesagt: „Wenn man mich mal richtig versteht, will mich sowieso keiner mehr sehen.“
Boning: Ich weiß nicht mehr, ob ich das mal gesagt habe. Aber von daher war das erste Konzert mit meiner Jazz-Band höchst erfreulich, denn den Leuten schien der Abend gefallen zu haben.
Können Sie also auf der Bühne, im Jazz, so sein, wie Sie wirklich sind?
Boning: Ja, genau. Hundertprozentiger geht’s gar nicht. Das ist die pure Ladung dessen, was ich gerne auf einer Bühne machen möchte. Ich hatte vorher so Befürchtungen, dass ich diese Musik noch ausführlich erläutern und irgendwie rechtfertigen muss, dass es keine Texte gibt und nicht lustig ist. Aber das war alles gar nicht der Fall. Die sagten alle: Wieso? Ist doch super, klasse Konzert, fertig aus, Punkt. Und da war ich verblüfft und erleichtert.
Haben Sie mal versucht, zu Ihrem Stück „Waltz“ Walzer zu tanzen?
Boning: (Lacht) Nein, habe ich noch nicht. Ich höre das im Wesentlichen ja, wenn ich im Auto sitze und zum Flughafen fahre, da ist das mit der Tanzerei so eine Sache. (Singt) Düdüdü, düdüdü – das wäre so ein 6/8-Takt, es müsste also gehen. Aber ich bin sowieso kein so guter Walzertänzer,
Eine Karriere als Tanzmusiker auf der Queen Mary steht jetzt also nicht an?
Boning: Nein! Keine Chance! Aber es ist ja eine der interessante Kleinigkeiten am Rande, dass auf der Queen Mary Eintänzer vor Ort sind. Da gibt’s ziemlich teure Suiten und die sind in der Regel gebucht von allein stehenden alten Damen. Ich sage jetzt bewusst nicht „ältere,“ sondern „alte“ Damen. (lacht) Und es soll dort Damen geben, die da anrufen und sagen: Ich nehme gerne die Weltreise oder fahre über den Atlantik, aber nur, wenn auch der Eintänzer Sowieso wieder mitkommt. Die Typen dürfen wohl umsonst mitfahren. Aber bis du diesen Status kriegst, um von der Reederei eingeladen zu werden, musst du schon ein echt guter Tänzer sein. Nach dem Abendessen gibt’s da einen großen Ballsaal und eine ziemlich gute Kapelle, die auch Jazz spielt. Da sitzen dann so fünf, sechs Herren rum, zwischen 70 und 80 Jahre alt, in sehr gepflegten Anzügen. Das sind die Eintänzer, extrem gut aussehend.
Haben Sie mitgetanzt?
Boning: Also denen habe ich lieber zugeguckt, vor allem einem, der hat mir extrem imponiert. Der war eher so ein kubanischer Typ mit fast silbernen Haaren. Er saß da, ganz aufrecht, und wartete. Wenn jemand kam, stellte er sich hin, und man sah dann erst, wie groß er war, vielleicht 1,95. Er bewegte sich extrem sparsam zur Musik. Das waren wirklich nur so minimale, aber total präzise Schieberbewegungen, aus denen sprach eine 70jährige Berufserfahrung als Hobbytänzer. Da kann ich nicht einfach daneben 6/8tel tanzen. Mich wunderte, dass sich überhaupt noch andere Männer trauten, dann auf die Tanzfläche zu gehen. Ich saß mit offenem Mund da und dachte: Boa, wie kann man mit 80 so sexy sein, in dieser ganzen Ökonomie der Bewegung?
Gibt es einen Standardeisbrecher, der immer funktioniert, wenn die Kommunikation mit dem Publikum nicht in Gang kommt, sei es auf der Queen Mary oder im Jazzclub?
Boning: Nein, gar nicht. Dafür habe ich überhaupt kein Konzept. Man kann das auch schlecht vergleichen. Ehrlich gesagt ist die Spannbreite zwischen meinen Lesungen auf der Queen Mary und den Jazz-Konzerten dann doch erheblich (lacht). Das einzige, was beide gemeinsam haben, ist mein weißer Anzug. Aber der ist noch kein Eisbrecher. Bei unserem ersten Konzert war mir wichtig, dass man erst ein Stück spielt und dann etwas sagt. Wir wollten unsre Musik erstmal für sich sprechen lassen. Aber diese ganzen taktischen Überlegungen kann man bei einer Lesung ja nicht anwenden.
Funktioniert Ihr Komiker-Image denn nicht von vorneherein als Eisbrecher?
Boning: Wenn das denn so ist, bin ich ja privilegiert. Aber das ist dann wohl kein Image, das liegt dann wohl eher an Gesichtschnittfaktoren, auf die man ja so richtig keinen Einfluss hat. (Überlegt) Oder spielt da vielleicht doch ein Image eine Rolle? „Ah, jetzt kommt der Lustige! Schön, jetzt wird’s heiter.“ Das kann schon sein.
Ist Ihnen Ihr humorvolles Wesen manchmal auf der Suche nach Einheit mit der Musik auch im Weg? Boning: Nö. Und darüber bin ich bin ja selber erstaunt. Ich habe gedacht, das könnte ein Problem werden. Aber im Moment bin ich völlig im Reinen mit mir.