Herr Joop, was muss ein Film haben, damit er Ihnen gefällt?
Joop: Er muss eine gewisse Konsequenz haben. Sollte etwas zu erzählen haben in seiner eigenen, unverwechselbaren Sprache. Ich musste in meinem Leben zu viele Kompromisse machen, auch gerade optische: Mir wurde immer erzählt – das will keiner. Oder: Das will man nicht. Oder das geht an den Kunden vorbei, das ist nicht kommerziell, wobei ich dann nachher merkte, wenn ich über Mode und Design nachdachte, dass ich wirklich meine Kunden gar nicht mehr kannte. Ich war mit ganz anderen Menschen zusammen, als die, die in Boutiquen oder Kaufhäuser gingen, die etwas Neues wollten um jeden Preis. Ich wollte gar nichts Neues. Zum Beispiel (lacht) meine Freunde und ich trugen Second Hand. Ich entfernte mich von meinen eigenen Kunden immer mehr mit meiner Sicht der Dinge. Es gibt hier auch nur Déjà-vu’s in Deutschland: Wenn irgendeine Sache erfolgreich war, gibt es Remakes bis zum Abwinken. Es wird festgestellt: Jetzt will man Spass haben, oder jetzt ist man nachdenklich. Ich weiß, dass Gordian Maugg diesen wunderbaren Film "Der olympische Sommer" gedreht hat, der jahrelang abgelehnt wurde, weil er zu trist, zu nachdenklich, zu "retro" war. Es war die Zeit der deutschen Komödie. Es wird immer wie so ein Schlachtruf herausgegeben. Entweder die deutsche Komödie oder die deutsche Tragödie. Nach "Der Schuh des Manitu" gibt es jetzt vielleicht den neuen deutschen Wilden Westen. Oskar hat nur sein eigenes flash-back, seine eigene Obsession. Irgendeine Botschaft, eine Geschichte mit nach Hause zu nehmen, finde ich wichtig. Oder wie beim Film von Oskar: die Verstörung nimmt man Gefühl mit nach Hause. Der Spiegel hat geschrieben, zum Schluss hat der Film nur noch Langeweile. Es ist nicht Langeweile: es ist Ratlosigkeit. Das ist etwas anderes. Wie wir in unserer Gesellschaft die Ratlosigkeit empfinden. Es ist nicht alles Entertainment. Es gibt Filme, die eine Verstörung nach sich ziehen, so wie ich unendlich verstört war von dem Film "Breaking the Waves" von Lars von Trier. Diese Botschaft der Opferbereitschaft und des Wunders. Dass doch ein Wunder nach dem Opfer passiert, obwohl das Opfer so unverständlich und so sinnlos und irre erscheint. Es ist kein schöner Film, aber ein für immer nachdenklich machender. Wie "Das Schweigen" von Bergman damals. Bei Oskar Roehlers Film mitzuwirken und seine Arbeit zu supporten mit aller Kraft ist nur eine Aufgabe. Wir alle sind völlig entwaffnet von einem Menschen, der nur das tut, was er tun kann und nicht anders kann, als das, was er tut.
Ist er ein bisschen wie Sie – als Sie jünger waren?
Joop: So war ich leider nie. (lacht) Viele haben am Set hinterher gesagt: wir haben Angst gehabt vor Wolfgang Joop. Der kommt da an, mit seinem Anspruch, seinem Tross, als Diva. Dann waren sie alle sehr berührt, als ich davon nichts mitbrachte. Ganz im Gegenteil. Ich bin sicherlich noch in der Lage, zu erkennen, um was es geht. Dass es andere Welten gibt und ich bin dankbar, in eine andere Welt eintauchen zu können. Dieses Irritierende für andere, wechseln zu können, heilt mir meine Wunden aus der Welt, die ich gerade verlassen habe.
Was haben Sie gedacht, als Sie den Titel des Films zum ersten Mal gelesen haben?
Joop: Ich habe den Titel des Films nicht gelesen. Im Drehbuch hieß er noch "Dr. Dickhirn". Als ich mich mit dem Film auseinandergesetzt habe, habe ich bemerkt, dass Jeanny alias Katja Flint eine wichtige Rolle spielt; in den Interviews kommt mir die Jeanny zu sehr unter die Räder, obwohl ich sie für die wichtigste Person in dem Film halte. Jeanny war doch dieser dämliche, unemanzipierte Geist aus der Flasche. Ihr Captain pfiff, entkorkte die Flasche, dann kam sie raus in ihrem Bauchtänzerinnenkostüm und nickte, macht den Haushalt und suckte vielleicht auch den Dick. So würde man es heute vielleicht machen. Auch wenn es in einigen Staaten der USA immer noch verboten ist. Jeanny kommt nach dreißig Jahren wieder und ist völlig entkorkt (lacht), massiv genervt und rächt sich. Sie verteilt praktisch nach ihrem Gutdünken Penis, Haare und Zähne um und lässt die, die sich wirklich als die großen Macker fühlten, einfach mal total abschmieren.
Ist der Film eine Metapher auf die Spaßgesellschaft?
Joop: Finde ich schon. Als ich von Christian Kracht "1979" gelesen habe über den Wechsel der kommenden Zeit, das er bestimmt nicht im Moment des Twin-Tower-Angriffs geschrieben hat, dachte ich darüber nach, wann er angefangen hat, darüber nachzudenken. Es gibt Leute, die die Dämpfe der Wahrsagung einatmen, ohne zu wissen, wo sie herkommen. Kracht lässt ja einen Rumänen mit einem von Mephisto abgeleiteten Namen sagen: "Eure Welt ist zu Ende. Ihr werdet ersaufen in einem schaumigen Meer aus Coca-Cola und Popcorn. Und in diesem Sinne auch Oskar – nicht die Spaßgesellschaft, sondern eine Gesellschaft, in der Zynismus und Egoismus jeden anderen Glauben ersetzt haben, zeigt er noch einmal. Natürlich kommt es mir vor, wie ein Countdown der 80er und 90er Jahre, der hedonistischen Zeit, wo es um Drogen, Sex, Materialismus und Selbstinszenierung ging. Dieser Hedonismus, das Nichtmitempfinden mit dem Anderen war so radikal kalt. Einiges ist sicherlich jetzt vorbei. Unsere Gesellschaft hat sich verändert, zurück in die 80er und 90er geht einfach nicht mehr. Ich sehe das deutlich an New York, dass eigentlich der ganze Ärger der Amerikaner neben der Trauer und dem patriotischen Gerede dazu dient, ihr Bild zu reparieren. Reparieren soll es ja jetzt auch das Bild von New York der neue Bürgermeister. Ein typischer amerikanischer Supermann: Hoppla, jetzt komm ich. Für mich gibt es kein Nein!" Und damit auch keine Zweifel, an dem american way of life. Die New Yorker haben wir das erste Mal erleben müssen, dass etwas zu Ende ist. Mit diesem Fall der Twin Towers ist eine Zeit zu Ende gegangen. Ich trauere immer mehr um menschliche Opfer, als um Gebäude. Wie viele schöne Balken sind gerade uns in Deutschland im Zweiten Weltkrieg entrissen worden und danach noch einmal von der DDR-Diktatur!
Warum haben Sie sich zu den umstrittenen Äußerungen zum Angriff auf die Twin Towers verführen lassen?
Joop: Weil ich gefragt wurde, so wie jetzt auch. Ich hatte der österreichischen Zeitung "Profil" ein Interview gegeben, wo man mich nach Mode im Zeichen des Terrors fragte. Ich sagte, es fällt mir wirklich sehr schwer darüber zu sprechen, wenn ich von den Modenschauen in Frankreich zu den Bildern aus Afghanistan umschalte. Ich bin mit Alice Schwarzer befreundet, die schon lange versucht hat, in der Emma darauf hinzuweisen, was den Frauen in Afghanistan passiert und es interessiert irgendwie keinen. Ich kenne Fotografen, denen jahrelang Bilder aus Afghanistan nicht für 1,50 DM abgenommen wurden. Man hatte das einfach komplett aus dem Bewusstsein weggeschoben. Nun, auf einmal kam es massiv zurück. Ich bin davon nicht unberührt. Ich habe gesagt, dass ich nicht traurig sein kann, dass die Symbole der Twin Towers umgefallen sind. Ich habe noch nicht einmal von den Gebäuden gesprochen. Es kann mich nicht traurig machen, weil ich nach vorne schaue und weil ich sage, wir müssen jetzt etwas lernen. Wenn wir nichts daraus lernen, ist das Opfer umsonst gewesen. Man muss auch die Symbolkraft der Opfer oder des Opferprozesses aus der Geschichte verstehen. Das Opfer heißt: Verzeih mir. Verzeih mir das ich ein Tier esse, verzeih mir, dass ich mir deine Güter einverleibe, verzeih mir, Gott!
Was denken Sie über Schröder?
Joop: Gegen Schröder habe ich sehr viel, weil ich Herrn Schröder für Liberalität, für soziale Demokratie gewählt habe. Ich glaube, er macht sich darüber überhaupt keine Gedanken. Es geht nur um seine Posen, auf die bin ich als Modemacher besonders allergisch. Die Politiker, denen wir das Gewaltmonopol gegeben haben, finde ich, sind uns verpflichtet, klüger nachzudenken, und uns nicht aufzufordern, in einem Krieg bedingungslos mitzumachen, den man nicht gut finden kann. Ein Krieg, der in seiner ganzen Konsequenz überhaupt nicht ausgelotet ist. Denn da werden Risiken eingegangen, die wir nicht freiwillig tragen wollen. Ich habe auch Angst vor Blutopfern aus Deutschland.
Trauern Sie den 80er Jahren nach?
Joop: Nein, ich habe den 80er Jahren meine Karriere zu verdanken, wie viele andere Leute auch, weil die 80er designverrückt waren. Alles war designt, was vorher noch normales Produkt war. In der Zeit hatten wir praktisch vom Zeitgeist Rückenwind. Dann sind wir in die 90er gegangen, die mir gar nicht mehr so gefallen haben, weil da immer nur zitiert wurde. Die 80er hatten eine eigene Kraft bis zur Scheußlichkeit. Das Gespenst der 80er, an das man sich zurückerinnert, war frisiert wie Gloria von Thurn und Taxis.
Im Film geht es um Männerängste – haben Sie solche schon kennengelernt.
Joop: Diese Ängste habe ich viel früher erledigt als andere Leute; etwas nicht zu schaffen, ist mir bei der Ausübung meines Berufes viel früher passiert. Meinen Beruf hatte ich nicht gelernt, wie viele andere Dinge auch nicht. Ich habe das Schauspielern nicht gelernt, das Schreiben nicht gelernt, und das Bildhauen auch nicht richtig. Was ich angefangen hatte zu studieren, war Pädagogik. Diesen Beruf habe ich sechs Jahre an der HdK in Berlin ausgeübt. Wie Alfons Kaiser von der FAZ sagte, ich sei ein "begnadeter Dilettant": das kann ich nur unterschreiben und empfinde "begnadet" als großes Kompliment. Dilettantismus finde ich auch nicht schlimm. Ich war unfertig, autodidaktisch: es gab Weniges, worauf ich zurückblicke und sagen kann: Mensch, das ist dir perfekt gelungen. Als Perfektionist fand ich alles unperfekt. Aber Perfektes wirkt auch oft alt! Diese Ängste kannte ich sehr früh. Wenn du Euphorien, große Belohnungen bekommst, Schönheit, Jugend, Potenz, Geld, Karriere hast, hast du Angst, alles zu verlieren.
Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Leistung in dem Film?
Joop: Ich hatte mich lange, lange im Film nicht angesehen. Und den Selbstdarsteller, den man mir vorwirft, als wäre ich eine ganz miese Ausführung meines Selbst, zu mimen, ist das Allerschlimmste – ohne Skript und Regie zu arbeiten. Ich habe mir keine Muster angeguckt, weil ich dachte, ich gefalle mir nicht. Aber ich wollte zu Ende drehen und eine Neubesetzung war auch nicht möglich. Dann hat man mir später einen kleinen Trailer geschickt. Da habe ich gesagt, den Typen kann ich mir vorstellen. Ich hatte auf einmal keine neurotischen Ich-Identifizierungsprobleme damit. Ich habe immer gesagt: Guck mal, der da. Es war nicht: Was mach ich denn da? wie Marlene später immer gesagt hat: "Ach, hat die da dünne Haare". Insofern bin ich zufrieden mit meiner Leistung.
Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?
Joop: Es war sehr schwierig. Ich hatte niemanden, der mit mir üben konnte, mich coachen konnte. Im Prenzlauer Berg fand das Vorgespräch statt und Edgar Selge kannte den Text schon, spielte mich immer an. Ich wollte nur wissen, was ich für ein Profil als Psychiater darstellen soll. Ich kenne keinen, brauche auch keinen. Ich habe die auch immer im Verdacht, dass die mit ihrem Studium ihre eigenen Probleme kurieren wollen.
Wie ist das so mit Oskar Roehler und Ihnen?
Joop: Er liest die selben Bücher wie ich. Er ist genauso fasziniert von bestimmten Autoren; wir haben die selben Filme gesehen. Wir können uns über sehr viele Dinge unterhalten. Den Schluss habe ich ihm zum Beispiel eingeredet. Es war im Drehbuch erst so, dass Jekyll in der Paris Bar von Jeanny einfach seinen Penis wieder bekommt. Der geflügelte Penis findet sein Nest wieder. Irgendwann sagte ich, dass mir das einfach nicht gefällt. Nach dem Motto: Auf einmal ist alles wieder gut. Da hat er mir ein bisschen von seinem Vater erzählt. Sehr vieles, was er macht hat autobiographische Züge, zwar burlesk und schrill übersetzt, aber die Bars sind die eigenen Erfahrungen. Sein Vater war ja ein krasser Trinker und Womanizer. Als er schwer krank war, sagte er zu seinem Sohn: "Weißt du, irgendwie bin ich auch froh, dass ich das alles nicht mehr ausüben kann, was ich dachte ausüben zu müssen." Das ist es eigentlich, was Jekyll sagen muss: "Steck dir den Schwanz doch in den Arsch". In dem Moment kriegt er ihn wieder. So ist es mit dem Glück: wenn du die Kugel greifen willst, rollt sie weg. Und wenn du auf die Liebe wartest, bleibst du allein. Wenn du nichts mehr forderst, bekommst du vielleicht die Dinge.
Sind Männer so penisgesteuert?
Joop: Ich glaube, es ist sogar besser, wenn sie penisgesteuert sind. Wenn sie den nämlich nicht mehr haben, drehen sie wie Jekyll durch und benutzen andere Dinge als Ersatz. Und das ist wesentlich gefährlicher. Es ist aber schon erstaunlich, was dieses Ding für eine Kontrollmacht ausübt über den Besitzer.
Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Joop: Wer ich wäre, ist schwer zu sagen, so viele Comics kenne ich nicht. Es gab ja schon Comics vor der Comic-Zeit, die Bilder von Wilhelm Busch oder von Zille. Ich wäre dann doch eine Zille-Gestalt, denn das Berlinerische, was ich eigentlich habe, das ist mein tiefer Stolz. Das Erfinderische, und das Über-sich-sich-selber-lachen-Können, vor allen Dingen die Distanz zu sich selbst, das hat Marlene nach Hollywood geschleppt. Und dann schleppt mich diese Eigenschaft, Berliner oder Potsdamer Preuße zu sein, auch noch nach Hollywood. Aber sonst kann ich Ihnen da nicht weiterhelfen. Ich bin nicht Donald Duck und auch nicht Micky Maus.
jo
diese selbstbespiegelung noch in diesem reifen alter ist unerträglich. neurotische menschen setzen alles und jeden zu sich ins verhältnis. ein weiser mensch hat sein ich nicht mehr so stark im mittelpunkt. sage mir was du machst und ich sage dir wie du bist
Ehre, wem Ehre gebührt
Gescheiten Menschen muß man einfach immer zuhören. Wer mit einem Satz wie „Den, der Du bist, triffst Du erst ganz zum Schluß“ soviel Hoffnung spenden kann, hat absolutes Gehör verdient.
Wenn interresierts?
Ich finde es wirklich uninteressant einen Modeschöpfer über Filme zu interviewn … was soll denn dass??? Wirklich unnötig!