Wolfgang Stumph

Wir sollten neugieriger sein.

Mit dem ZDF-Film „Blindgänger“ hat Wolfgang Stumph gerade die Flüchtlingsproblematik aufgegriffen. Wir sprachen mit dem Dresdner Schauspieler über die Entstehung des Films, PEGIDA und aufwendige Dreharbeiten in seiner Heimatstadt.

Wolfgang Stumph

© ZDF / Maria Krumwiede

Herr Stumph, Ihr aktueller Film „Blindgänger“ sollte ursprünglich in Oranienburg gedreht werden, doch dann haben Sie sich für Dresden eingesetzt…
Wolfang Stumph: Meine Affinität zu meiner Heimatstadt ist ja bekannt. Nicht nur „Stubbe“ war mehrmals in Dresden, sondern wir hatten das zum Beispiel auch bei „Das blaue Wunder“ mit Martina Gedeck, wo ich einen Fährmann spielen sollte. Da war mir von vornherein klar: Der fährt nicht über den Rhein, sondern über die Elbe.

Sind diese Filme dann persönlicher?
Stumph: Ich sehe eigentlich in all meinen Filmen eine persönliche Aufgabe, auch dass wir uns im vereinigten Deutschland gegenseitig näher bringen mit unseren Ansichten, Mentalitäten und unseren Erfahrungen. Und das geschieht bei mir sowohl in Filmen, die in meiner Heimatstadt spielen als auch über die Mentalität sächsischer Figuren. Das können Sie in „Go Trabi Go“ sehen, genauso wie in „Stilles Tal“, ein Film, in dem es um die Rückgabe von Entschädigungen geht, den wir in Sachsen zehn Jahre nach der Jahrhundertflut gedreht haben. Die Vereinigung in den Köpfen, das gegenseitige Zuhören und Verstehen versuche ich immer mit meinen Mitteln ein bisschen zu befördern.

Spielt es sich zuhause besser?
Stumph: Es geht nicht um ‚besser‘, sondern eher um die Frage: Wo kann ich am wirkungsvollsten bei mir bleiben? Wo kann ich mich mit meinen menschlichen und moralischen Ansprüchen am besten verwirklichen? Das sind dann solche Rollen mit dem Figurennamen wie Stankoweit in „Salto Postale“, der Kommissar Stubbe, Udo Struutz in „Go Trabi Go“, Stein, Stolze… In „Eine Liebe in Königsberg“, reist die Figur Steinbach nach Kaliningrad.

Alle diese tragen ein „St“ im Namen tragen, wie auch jetzt der Bombenentschärfer Conny Stein im neuen Film.
Stumph: Ja, von den ST-Rollen gibt es inzwischen einige. Da entwickle ich mit, suche Partner die Verständnis teilen, begleite das Drehbuch, das Exposé, das Drehen, die Besetzung usw. Damit kann ich dem Zuschauer – und auch mir selbst – deutlich machen: Es steckt mein Stumph-Sinn drin und für den bin ich verantwortlich.

Was ist mit den übrigen Rollen, die ohne „St“?
Stumph: Die spiele ich genauso motiviert, da ist mein künstlerischer Anspruch nicht geringer.
Ich hatte immer ein Motiv, warum ich dieses oder jenes Angebot wahrgenommen habe, ob das nun „Keinohrhasen“ oder „ Im Meer der Lügen“ war.

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Ich bin kein Politiker. Ich will mich mit meiner Kunst erklären und damit erkennbar sein.

Wolfgang Stumph

In „Blindgänger“ begegnet der Bombenentschärfer Stein einem zehnjährigen Mädchen aus dem Kaukasus, welches in seine Heimat abgeschoben werden soll – ein Thema, das aktueller kaum sein könnte. Wie und wann entstand dieser Film und die Idee dazu?
Stumph: Wir haben fast zwei Jahre mit Simone Kollmorgen an diesem Stoff gearbeitet und dann Peter Kahane als Autor hinzugezogen, damit er daraus  ein Drehbuch mit dem Kahanischen-Stumph-Sinn schreibt. Das hat er schon in zahlreichen Filmen für mich geschafft.
Die zunehmende Zahl von Flüchtlingen beherrscht auch in dieser Zeit die öffentliche Debatte. Wer soll ins Land gelassen werden und warum? Sollen wir uns abschotten? Haben wir die moralische Pflicht zu helfen? Die Aktualität dieser Fragen macht diesen Film notwendiger denn je. Die menschliche Wahrheit offenbaren weniger Statistiken und Demonstrationen, sondern das Schicksal Einzelner und ihr Handeln.

Hat es Sie überrascht, dass Ihr Film vom aktuellen Geschehen so überrannt wird? Oder haben Sie so etwas wie die PEGIDA-Bewegung kommen sehen?
Stumph: Die aktuellen Geschehnisse haben den Film nicht überrannt, eher eingeholt und machen den Film mit seinem Hauptthema notwendig. Heute stellt man ja fest, dass die Teilnehmer der Bewegung von vielschichtigeren Problemen bewegt sind als es der Name des e.V. wiedergibt. Damit meine ich Unsicherheit, Unzufriedenheit und eine Art Gefühlsstau. Aber Gefühl allein ändert nichts. Einmischen muss man sich, das Maul aufmachen – so wie die Filmfigur Conny Stein am Ende der Filmhandlung. Dieser Film, den wir im Sommer 2014 gedreht haben, zeichnet in der Empathiefähigkeit des Filmhelden zu einem Kind so einen Konflikt nach.

Sie sind in Dresden sehr nahbar, gehen auch unter die Leute. Haben Sie schon mit PEGIDA-Anhängern diskutiert?
Stumph: Vor Ort nicht. Ich habe aber schon Gesprächspartner gehabt, wo ich spürte, dass ich mit meiner Meinung auf einen bestimmten Vorbehalt stoße. Es ging da um eine Vielzahl von Problemen. Der eine ist Mittelständer und hat die Finanzkrise zu spüren bekommen, der andere sieht eine Gefahr durch die Globalisierung, der nächste versteht nicht, warum er auf einmal bis 70 arbeiten soll. Es existiert eine große Unsicherheit, weil vieles von der Politik schnell verkündet und nicht richtig erklärt wird. Das kann ich verstehen – aber nicht lösen, ich bin kein Politiker. Ich will mich mit meiner Kunst erklären und damit erkennbar sein.

In der „Bild“-Zeitung haben Sie sich gegen PEGIDA ausgesprochen.
Stumph: Von mir steht dort der Satz, zu was ich auffordere: „Notleidende Menschen, gleich welcher Herkunft und Religion, brauchen unsere Hilfe. Auch Dresden lebt von dieser Weltoffenheit.“ Wir haben die Pflicht, Menschen zu helfen die in Gefahr sind, diese Humanität müssen wir uns erhalten.

© ZDF / Maria Krumwiede

Szene aus „Blindgänger“ © ZDF / Maria Krumwiede

Ihr Film heißt „Blindgänger“, was sind Ihrer Meinung nach die tickenden Zeitbomben, die man in Deutschland als erstes entschärfen müsste?
Stumph: Man muss lernen, sich gegenseitig zuzuhören, verstehen lernen, hinterfragen. Mehr miteinander reden anstatt nur übereinander.

Besteht also in erster Linie ein Kommunikationsproblem?
Stumph: Ich wiederhole mich, wenn ich sage, dass es eine Unsicherheit, ein Vertrauensproblem gibt. Die Welt verändert sich in bisher ungeahnter Geschwindigkeit. Vieles von dem, was mit dem Ende der klaren Zweiteilung der Welt in Ost und West zu tun hatte, wirkt ja erst jetzt. Neue Mächte entstehen, alte verlieren an Bedeutung. Dazu kommen enorme Auswirkungen auf unser Alltagsleben durch die Globalisierung und durch die immer tiefer gehende Digitalisierung. Es gibt eine große Unwissenheit, Ängstlichkeit und es fällt manchen Menschen schwer, weiter sensibel und solidarisch zu bleiben. Damit meine ich aber nicht nur die Migrationsproblematik. Wenn Neues auf uns zukommt sollten wir generell neugieriger sein. Und etwas tun, nicht maulen. Vielleicht ist unser Film eine Anregung dazu.

Zum Schluss: Die erste Szene von „Blindgänger“ zeigt Sie allein an der Dresdner Frauenkirche. Wurde mit Tricks gearbeitet oder tatsächlich die halbe Altstadt gesperrt?
Stumph: Das war echt, wir haben 4 Uhr in der Früh mit den Proben begonnen und dann von 5 Uhr an knapp zwei Stunden gedreht. Das wurde aber so gemacht, dass es zumutbar war für die Anwohner, Hotels und Zulieferer.
Die Stadt Dresden hat mich bei so etwas schon immer sehr unterstützt. Ich erinnere mich, dass bei „Go Trabi Go“ ganze Brücken gesperrt wurden, wir mit einem Cadillac in den Zwinger gefahren sind und in der Semperoper ein Buffet mit Bockwurst und Hummer aufgebaut wurde. Wobei, so manche Übertreibungen – wie der Trabi, den wir von der Brücke auf ein vorbeifahrendes Schiff geschmissen haben – würden heute wahrscheinlich in der Bürokratie steckenbleiben, aus Angst, dass einer über den Schatten einer Verordnung springt.

Wie fühlt man sich denn beim Dreh, wenn das Zentrum der eigenen Heimatstadt plötzlich stillgelegt ist?
Stumph: Ich bin in so einem Moment ganz in meiner Rolle, ich mutiere am Drehort ein bisschen in die Figur. Es gibt Schauspieler, die können vor einer Szene noch schnell einen Witz erzählen und dann das Take spielen – das geht bei mir nicht. Ich krieche immer sehr stark in die Drehbücher und meine Figuren. Beim Dreh der ersten Szene hat mir die Ruhe sehr geholfen, die brauche ich ja als Figur, um die Bombe im Film zu entschärfen zu können.

© ZDF / Maria Krumwiede

© ZDF / Maria Krumwiede


Und warum liegt die ausgerechnet an der Frauenkirche?
Stumph: Das war ein von mir vorgeschlagenes Motiv. Die Zerstörung Dresdens ist jetzt 70 Jahre her, man sieht die wiederaufgebaute Frauenkirche – und man sieht auch den Kulturpalast. Der wurde ja nur entkernt und umgebaut und nicht – wie der Palast der Republik in Berlin – abgerissen.
Man kann in unserem Film vieles entdecken, dieser Film hat mehr als nur ein Thema. Das war übrigens schon bei „Go Trabi Go“ Teil 1 & 2 so. Auch wenn manch einer das vielleicht erst bei der fünften Wiederholung entdeckt hat, diese Filme waren mehr als nur lustig gemeint.

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