Wouter Hamel

Jazz war auch mal Popmusik

Popsänger Wouter Hamel über klassische Popsongs, nachbearbeitete Stimmen, Retro-Faszination und warum das Wort "Youtube" nicht in seinen Texten vorkommt

Wouter Hamel

© Kai Z Feng

Mr. Hamel, kürzlich bei einem Aufritt im deutschen Fernsehen haben Sie sich als Pop-Sänger bezeichnet. Was genau ist für Sie Pop?
Wouter Hamel: Für mich bedeutet Pop: Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, möglicherweise eine Bridge und noch ein Refrain. Für mich liegt das im Gerüst eines Songs.
Beim Jazz dagegen kannst du nie sagen, wo es hingeht, es überrascht dich jedes Mal. Mir ist die strenge Ordnung lieber.

Schon immer?
Hamel: Ja, ich denke, das war bei mir schon immer so. Am Konservatorium war ich zwar ein bisschen dazu gezwungen, über die Grenzen der normalen Form des Popsongs hinaus zu schauen, aber damit hatte ich meine Schwierigkeiten. Ich war nie ein echter Jazz-Sänger. Ich habe Solos mit Texten gesungen, Vokalisen etc., sehr schwierige Sachen, das mochte ich auch eine Zeit lang. Aber dann habe ich irgendwann gemerkt, dass mir Songs mehr bedeuten, die die Leute richtig ansprechen, die mir etwas sagen, anstatt nur „skabidubidabap..:“ Das kann zwar auch lustig sein, aber es packt mich nicht. Ich mag echte Songs, Songwriting, sehr klassisch eigentlich.

Aber Ihre Harmonien kommen schon aus dem Jazz, oder?
Hamel: Ja, ganz bestimmt. Ich werde auch oft danach gefragt. Wobei ich denke, dass das Album „Lohengrin“ weniger jazzy ist als das vorherige, es sind einfache Popsongs. Wenn ich es aber mit anderen Bands vergleiche stelle ich schon fest: Unsere Musik ist sehr kompliziert. (lacht) Das kommt von all dem, was ich auf der Hochschule gelernt habe…

Jamie Cullum beschrieb im Gespräch mit Planet Interview Pop als „direkt, einprägsam und Wegwerfware“, Jazz dagegen bedeute „inhaltliche Tiefe, Improvisation, Unvorhersehbarkeit.“ Stimmen Sie ihm bei diesem Gegensatz von inhaltliche Tiefe und Wegwerfware zu?
Hamel: Nein, ich verstehe natürlich, was er meint, weil ich auch eine Schwäche für richtigen Jazz habe. Ich habe das studiert, liebe die Musik, trotzdem würde ich ihm da nicht zustimmen. Weil manche Popmusik ist so klassisch wie „My Funny Valentine“ von Chet Baker.
Für mich besteht der Unterschied darin, dass Jazz eher für ein kleineres Publikum ist, für ein sehr wählerisches noch dazu. Das ist schön und gut, aber was Popmusik so magisch macht, ist, dass sie generationenübergreifend funktioniert. Die Leute heiraten, haben Sex, scheiden und töten sich zu all diesen Popsongs, weil sie überall aus dem Radio und aus Laptops herausdudeln, den ganzen Tag auf der ganzen Welt. Wie im Moment dieser Gotye-Track („Somebody That I Used to Know“), man kann sich nicht vorstellen, was alles passiert, während dieser Song gespielt wird. Pop ist wie der Soundtrack unseres Lebens. Jazz war das für eine Zeit lang auch, aber diese Zeit ist irgendwie vorbei. Jazz war auch mal Popmusik, heute hat sich Jazz sehr verändert und ist nur noch für eine kleine Schar von Leuten.

Aber trifft nicht Ihre Beschreibung von Pop, auch der Vergleich mit „My Funny Valentine, nur auf sehr wenige Songs zu, die wir im Radio hören?
Hamel: Das mag sein, aber dann gibt es wiederum Musiker wie Lana Del Ray oder Gotye… Ich denke, es wird immer besondere Popmusik geben, die zu den Leuten durchdringt. Ein Song wie „Ordinary People“ von John Legend, die Leute sind davon ergriffen. So etwas fasziniert mich, die großen Hits, die niemand erwartet hat. Das gibt es in jeder Generation, zum Beispiel der erste Song von Norah Jones „Don’t Know Why“, das ist etwas ganz besonderes in einer Zeit, wo alles andere autotuned und Party-Musik ist. Dann wird so etwas aber ein Hit, verbreitet sich viral, weil es so ehrlich ist. Also, ich bin da Optimist und denke, dass es auch heute viele richtige klassische Popsongs gibt.

Welche Künstler haben Sie inspiriert, kamen die mehr aus dem Pop- oder aus dem Jazz-Bereich?
Hamel: Ich war ein großer Fan von Joni Mitchell, mein Song „Toronto“ hat in den Strophen ähnliche Harmonien wie sie bei ihr vorkommen. Ich bin auch Fan von Rufus Wrainwright, in meinem Song „Rue Damremont“ hört man Einflüsse…
Manchmal vergleichen mich die Leute auch mit Steely Dan, ich habe sie mir allerdings noch nie angehört. Ich mag auch das Projekt Iron & Wine, auch deren Texte, bei Sufjan Stevens gefällt mir das Gerüst seiner Songs. All diese Künstler beeinflussen mich auf geringe Art und Weise beim Songschreiben. Und beim Singen… da weiß ich es eigentlich nicht.

Sie haben mal Anita O’Day erwähnt.
Hamel: Ja, aber ich glaube, ich singe nicht mehr auf diese humorvolle Art wie sie, mit dem Vibrato und allem. Ich weiß nicht, vielleicht habe ich endlich meine eigene Stimme gefunden.

Viele Ihrer Musikvideos sind im Retro-Stil gedreht, erinnern an die 50er und 70er Jahre – warum dieser Blick zurück?
Hamel: Also, das hat sich kein Management oder sonstwer ausgedacht, sondern es ist schon so, dass mir persönlich das so gefällt. Ich hatte so eine Phase, als ich anfing Youtube zu benutzen… Ich habe dort nie nach Katzen oder niesenden Panda-Bären gesucht, sondern immer nach Fred Astaire, Ginger Rogers, den Großen aus der Vergangenheit. Mich fasziniert diese Zeit einfach, richtige Künstler, die alles konnten, singen, tanzen, schauspielern, mit ihrer schillernden Präsenz. Das ist eine meiner Vorlieben, so wie andere sich eben lustige Videos anschauen. Ich mag alles an dieser Zeit. Auch Hildegard Knef zum Beispiel, ich bin von all diesen Schwarz-Weiss-Aufnahmen fasziniert. Es ist aber nicht so, dass ich das Gefühl habe, im falschen Zeitalter geboren zu sein.

Zitiert

Die Verwendung von Dingen wie Autotune, Melodyne und Vocal-Processing ärgert mich. Das lässt uns, die echten Sänger, schlecht klingen.

Wouter Hamel

Aber die heutige Zeit inspiriert Sie offenbar weniger…
Hamel: Ja, ich mag es, wenn Dinge zeitlos sind. In meinen Songs kommen auch nie moderne Dinge oder Wörter wie wie „phone“, „internet“ oder „youtube“ vor. Ich hoffe, das meine Songs so klingen, als wären sie in den 70ern geschrieben worden. Oder ein Song wie „March, April, May“, ich glaube der hätte in den 50ern ähnlich geklungen. Das mag ich, zeitlos zu sein. Meine Oma sagt dann manchmal zu mir sagt: „Deine Musik bringt mich zurück in die 50er…“ Auch wenn „Lohengrin“schon eher ein Pop-Album ist, so klingt es doch nicht modern. Und wenn wir an manchen Stellen Elektronik und Programmierung verwendet haben, dann eigentlich nur, damit es nach Cabaret, Vaudeville, Burlesque und den 30er Jahren klingt.

Ich sprach zuletzt mit den französischen HipHop-Produzenten Chinese Man, die hauptsächlich mit Samples von Musik aus vergangenen Zeiten arbeiten.
Hamel: Ja, weil in vielen Sachen von heute kein Gefühl drin ist. Ich denke, es gibt heute eine ganze Generation von Leuten, die vom Retro fasziniert sind, weil es ehrlicher klingt, echter. Das liegt an der Art, wie es aufgenommen wurde, es war so eine hohe Sound-Qualität, es gab den ganzen digitalen Scheiß noch nicht.
Es wurden zwar auch schon mehrere Takes aufgenommen, aber es gab nicht dieses „Lass uns den Refrain zehn mal machen und wir nehmen dann die beste Version“. OK, vielleicht gab es das auch in den 50ern und 60ern, aber davor war es einfach der magische Moment, der festgehalten wurde. Als Musiker benutze ich heute natürlich auch die modernen Möglichkeiten, wir machen auch viele Takes von einem Song. Aber ich mag diese Ehrlichkeit von früher. Manchmal höre ich mir auch lieber Live-Aufnahmen von mir an als die Studioproduktionen.

Heute ist es zu glattpoliert?
Hamel: Ja, absolut. Auch die Verwendung von Dingen wie Autotune, Melodyne und Vocal-Processing ärgert mich. Das lässt uns, die echten Sänger, schlecht klingen. Weil die Leute sich an diese Autotuned-Lady Gaga-Stimmen gewöhnen, sie vergessen, wie eine Stimme in Wirklichkeit klingt. Eine richtige Stimme ist eben manchmal etwas zu hoch oder zu tief, sogar wenn du dir Whitney Houston anhörst, „All at once“, da kannst du die echte Stimme hören. Ja, heute ist es zu sehr poliert.

Und Sie benutzen Autotune nicht?
Hamel: Doch, bei einem Song haben wir das auch verwendet. Wir haben es mehrmals versucht, haben die Stelle aber einfach nicht richtig hinbekommen. Und dann kannst du damit eine einzelne Note korrigieren. Der Produzent mochte, wie ich das Take gesungen habe, es war aber nicht in der richtigen Stimmung, also hat er es angepasst. Ich bin auch nicht prinzipiell gegen so einen Eingriff. Ich meine nur, wenn man das Radio anmacht und fast nicht mehr erkennt, welcher Sänger da gerade singt, weil so viel an der Stimme rumprogrammiert wurde … so etwas missfällt mir. Wenn Musiker mit einer Gitarre in ein Studio gesetzt werden – und am Ende bleibt davon nichts übrig.

Liegt so etwas auch am Druck der Plattenfirmen, die einen perfekten Sound haben wollen?
Hamel: Ja. Und das ist das, was uns Sänger dann im Vergleich dazu schlecht klingen lässt.

Gab es bei Ihnen denn Druck, oder zumindest Einfluss von Seiten Ihrer Plattenfirma?
Hamel: Nicht wirklich, niemand hat mir gesagt, was ich anziehen soll – was manchmal ein Nachteil ist, weil die Fans dann sagen „Du siehst scheiße aus“ (lacht).
Die Plattenfirma hat mir einmal in London sehr viele Songwriter vorgestellt, daran erinnere ich mich. „Hallo, das ist XY, er hat diesen Hit für den und den geschrieben bla bla bla….“ – ich hatte dabei kein gutes Gefühl. Also habe ich sehr dickköpfig entschieden, dass ich alle Song selbst schreibe beziehungsweise zusammen mit meinem Pianisten.
Ich hatte auch die Befürchtung, dass die Plattenfirma zu mir sagen könnte „Hey, wir machen jetzt ein Retro-Album a la Frank Sinatra, winke in die Kamera, schneide dir die Haare…“ – aber so etwas gab es nicht. Ich bin bei „Lohengrin“ keine Kompromisse eingegangen. Nur bei einem Song hat man mich überredet, ihn ein bisschen zu kürzen – aber das war in dem Fall auch gut so.

Bei dem TV-Auftritt, den ich sah, haben Sie komplett live gespielt. Viele Kollegen nutzen im Fernsehen Playback, oder zumindest Halb-Playback. Sie nicht?
Hamel: Nein. Wir haben bei TV-Auftritten noch nie einen Track im Hintergrund laufen gehabt. Ich bin auch enttäuscht, wenn ich so etwas sehe, wie zum Beispiel Adele, als sie im holländischen Fernsehen aufgetreten ist. Sie ist eine unglaubliche Live-Sängerin, keine Frage, aber dann war sie in der Sendung mit Bassist, Gitarrist und vier weiteren Musikern. Ich glaube sie hat „Rolling in the Deep“ gesungen und beim Refrain waren viele Backing-Vocals zu hören, aber niemand hat gesungen. So etwas mag ich nicht. Entweder man hat Background-Sänger oder nicht. Sicher, es ist eine günstige Methode, eine Bigband oder ein Streichorchester zu ersetzen, aber ich würde das nicht machen. – Wobei, man soll ja niemals „nie“ sagen.
Ich schreibe und produziere jedenfalls gerne Songs, die auch in kleiner Besetzung gut klingen.

Wie ist heute ihr Verhältnis zu Jazz-Standards?
Hamel: Ich hatte mich für eine Zeit lang entscheiden, keine Standards zu singen, weil ich mich selbst ausprobieren wollte, mir vielleicht auch beweisen wollte, dass ich es mit eigenen Songs schaffen kann. Aber neulich hat mich eine japanische Sängerin, für die wir gerade ein paar Songs aufnehmen, gefragt, ob wir zusammen ein Duett singen, „All the way“ von Sinatra. Zuerst dachte ich: Nein, das mache ich nicht, ich singe nur meine eigenen Songs – aber dann habe ich eingewilligt. Es gibt bei den Standards eben so viel wunderbares Material.
Ich würde mich nur blöd fühlen, sollte ich eines Tages den internationalen Durchbruch schaffen, wenn mir das dann nur mit einem Cover-Song gelingt. Dann würde ich wahrscheinlich an meinen Songwriting-Qualitäten zweifeln. Insofern hoffe ich, das auch mit meinen eigenen Songs zu schaffen.

Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Hamel: Oh, da muss ich überlegen. Ich würde sagen, ich bin Quagmire von Family Guy, der sexsüchtige Typ. Der redet den ganzen Tag nur von Sex – manchmal ist das bei uns in der Band auch so. Hinter der Bühne, versteht sich.

Wouter Hamel wurde 1977 in Den Haag geboren. Mit 15 nahm er Gitarrenunterricht, spielte und sang in verschiedenen Rockbands und studierte schließlich Gesang am Konservatorium in Utrecht. Danach trat mit den Bands "Intrmzzo" und "The Young Sinatras" mehr

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.