[Das folgende Interview entstand im Februar 2016.]
Xatar, auf dem Cover deines Buches „Alles oder Nix: Bei uns sagt man, die Welt gehört dir“ schaust du nicht besonders freudig in die Kamera. Dabei hättest du – heute in Freiheit lebend – doch allen Grund dazu.
Xatar: Das ist durchaus ein freundlicher Gesichtsausdruck von mir. Nicht lächelnd, aber immerhin freundlicher als wenn ich sauer wäre. Ich bin generell kein Mensch, der grundlos lächelt. Dazu müsste man mir schon einen Witz erzählen.
Was hatte dich motiviert, ein Buch zu schreiben?
Xatar: Mein Ziel war es, all die Dinge die ich erlebt habe, und die ich nicht für alltäglich halte, festzuhalten und daraus ein gutes Buch zu machen – bevor ich Details vergesse.
Du kamst vor genau 30 Jahren nach Deutschland, als deine kurdischen Eltern aus dem Irak flohen. Wie willkommen hast du dich hier gefühlt?
Xatar: Damals war ich 5-6 Jahre, da habe ich nicht darauf geachtet, ob die Leute gastfreundlich waren oder nicht, das habe ich erst ein paar Jahre später gecheckt. Es gab Leute, bei denen ich sehr willkommen war und bei anderen war ich es überhaupt nicht. Ich denke, das ist heute immer noch so: Die einen heißen einen willkommen, die anderen sind absolut dagegen. Wobei ich nicht sagen würde, dass das deren eigene Meinung ist…
Sondern?
Xatar: Das ist eine Meinung, die ihnen vorgegaukelt wird von bestimmten Medien und zum Teil von der Politik, insbesondere im Wahlkampf. Selbst die Ausländer sind davon beeinflusst, manche, die hier seit mehreren Generationen leben, fangen an, sich darüber zu beklagen, dass Flüchtlinge ihnen die Jobs wegnehmen. Diesen Bullshit haben sie von den Medien.
Die Medien manipulieren also deiner Meinung nach?
Xatar: Ja klar, das ist auch nichts Neues. Wenn die Medien alle einer Meinung sind, wenn man nichts Anderes sieht – selbst wenn man über diesen Einfluss Bescheid weiß, lässt man sich beeinflussen. Wenn mich jahrelang jemand mit den gleichen Dingen zulabert, dann denke ich irgendwann auch so oder bin zumindest davon beeinflusst. Das passiert auch bei der Meinungsbildung zum Thema Flüchtlinge.
Gangster wird man nicht aus Sehnsucht nach Anerkennung.
Du beschreibst im Buch, wie du aufgewachsen bist. Dein Vater war Komponist, du hattest Interesse an Kunst, Musik, spieltest Basketball. Woran genau lag es, dass du irgendwann polizeiauffällig wurdest, Diebstähle begangen und Drogen verkauft hast?
Xatar: Für mich sind das keine Gegensätze. Wenn man Interesse an Kunst und Musik hat, heißt das nicht, dass man nicht auch Drogen verkaufen kann. Die meisten Dealer, die ich kannte, hatten Interesse an Kunst und Musik. Wo ich gewohnt habe, war es normal, Geld auf illegale Art und Weise zu machen, man hatte auch nicht viel Möglichkeiten, auf dem legalen Weg an das große Geld zu kommen.
Du hättest die Zeit ja auch in deine Hobbys investieren können, schließlich gibt es viele Menschen, die auch gutes Geld machen, ohne kriminell zu werden.
Xatar: Die Zeit habe ich ja investiert, aber Geld konnte ich damit keines machen. Wenn man in einer Siedlung lebt und das zehnte Mal mitbekommt, wie bei einer Beerdigung das Geld für einen Grabstein fehlt, und wenn man gleichzeitig jemand ist, der Dinge ändern will… Und wenn man dann noch andere im gleichen Alter sieht, die ihr Geld mit anderen Sachen verdienen – dann macht man mit oder nicht. Ich habe da mitgemacht.
Ging es auch darum, Anerkennung zu bekommen?
Xatar: Für Anerkennung habe ich so etwas nicht gemacht. Dafür hätte ich nur einen 3er auf dem Basketballplatz werfen müssen und hätte so meine Anerkennung bekommen. Es ging um Geld. Gangster wird man nicht nur aus Sehnsucht nach Anerkennung. Denn da fließt Blut. Und Blut fließen zu lassen, wegen Anerkennung, mit 14 – ich glaube nicht, dass man das macht. Sondern dafür muss man gierig nach Geld sein.
Hat man dich als 15-jährigen Drogendealer ernst genommen?
Xatar: Die 15-Jährigen auf jeden Fall! Die älteren nicht so sehr.
Du hast in London Musikmanagement studiert. Hast du dir zu der Zeit gewünscht, die kriminelle Laufbahn hinter dir zu lassen?
Xatar: Ich habe es auf jeden Fall versucht. In London gab es für mich mehr Möglichkeiten, auf legalem Wege was zu reißen.
Woran ist das gescheitert? War es zu wenig Geld, das du dort verdient hast?
Xatar: Das ist nicht gescheitert. Ich habe mein Ding dort gemacht, mein Studium gemacht, gut Geld verdient – aber dann habe ich mich entschieden, Musik in Deutschland zu machen.
Doch hier wurdest du wieder kriminell, was man an deinem Überfall auf einen Gold-Transporter sehen konnte.
Xatar: Diese Sichtweise, dass man erst scheitert und dann kriminell wird – so ist das nicht. Es kann sein, dass der Goldraub, den man mitbekommen hat, mein größter Goldraub war. Es kann auch sein, dass ich im Jahr drei Mal so ein Ding abgezogen habe und im Jahr meine 30 Millionen mache, um damit meinen teuren Lebensunterhalt zu finanzieren. Kann sein, kann aber auch nicht sein. Es kann sein, das es für mich und mein Verständnis von der Welt normal ist, dass ich solche Jobs mache, wenn ich sie angeboten bekomme.
Nach dem Überfall auf einen Gold-Transporter gelangtest du auf deiner Flucht in den Irak, wo du im Gefängnis gefoltert wurdest. Wie hast du das durchgehalten?
Xatar: Indem ich nicht sagen wollte, wo das Gold ist. Ich habe mein Gold festgehalten.
Hat sich später die Folter im Irak strafmildernd im deutschen Prozess ausgewirkt?
Xatar: Auf die Strafe hat sich das Ganze mildernd ausgewirkt. Ich habe insgesamt ein Jahr weniger absitzen müssen, weil die drei Monate im irakischen Gefängnis mit vier multipliziert und angerechnet wurden.
Warum hast du im Buch die Orte deiner Flucht geschwärzt?
Xatar: Ich wollte einfach nicht darüber sprechen. Das ist geheim.
Vorhin sagtest du noch, du wolltest das Erlebte für dich festhalten.
Xatar: Ja, andere Dinge. Aber nicht die Route.
Auch der Name von Kool Savas ist in deinem Buch geschwärzt. Warum?
Xatar: Es gibt bestimmte Namen, die man nicht erwähnen kann, weil es rechtlich sonst Probleme gibt.
Kannst du für dich ausschließen, dass du eine Straftat wie den Goldraub nochmal begehst?
Xatar: Ich habe in Zukunft auf jeden Fall vor, mit Musik mein Geld zu verdienen.
Auch nicht, wenn ein Angebot kommen würde?
Xatar: Nicht wirklich, nein.
Über die Abschreckungswirkung von Haftstrafen wird immer wieder diskutiert. Wirken die in Deutschland verhängten Strafen auf dich abschreckend?
Xatar: Die Strafen, die man für kriminelle Taten, wie ich sie begangen habe, bekommt, sind abschreckend. Viele Strafen schrecken aber überhaupt nicht ab. Wer 200 Kinder vergewaltigt, bekommt keine Strafe: zwei Jahre auf Bewährung oder höchstens sechs Monate Haft. Das schreckt nicht ab und deswegen werden die Leute damit weitermachen. Was Vergewaltigungen angeht ist auf jeden Fall noch Einiges zu tun. Aber wenn man für Dinge, die ich gemacht habe, gleich einen 10er kassiert – das ist auf jeden Fall abschreckend.
Würdest du sagen, deine Zeit im Gefängnis hat sich positiv auf deine Karriere ausgewirkt?
Xatar: Nein, am Anfang nicht, weil ich keine Karriere mehr hatte, ich habe keine Musik mehr machen können. In der Zeit haben Kollegen regelmäßig Alben rausgebracht. Das muss ich jetzt natürlich nachholen.
Andererseits hast du das Album „415“ im Gefängnis aufgenommen. Wie produziert man ein Rap-Album wenn man nur ein Diktiergerät hat?
Xatar: Ich habe es aufgenommen und die Speicherkarte rausgeschickt, so dass die Produzenten daraus ein Album machen konnten, in dem sie Instrumentals dazu gebaut haben.
Das heißt, man kann im Gefängnis ohne Weiteres ein Diktiergerät benutzen und die Daten aus dem Gefängnis schaffen?
Xatar: Nein, die Karte ist geschmuggelt gewesen.
In dem Song „§31“ singst du davon, dass du „freiwillig in den Knast“ gehen würdest, um Blutrache zu üben. Hatte die Zeile einen konkreten Hintergrund?
Xatar: Der Staat ist der Meinung, es gäbe einen konkreten Hintergrund, deswegen wurde auch mein Album verboten. Ich teile diese Meinung nicht.
Wie hast du für das Musikvideo das Oberlandesgericht als Drehort gewinnen können?
Xatar: Die Videoproduktionsfirma hat einfach eine Anfrage geschickt. Es gibt dort einen Sektor im Gebäude, in dem oft Filmaufnahmen sind, z.B. für „Alarm für Cobra 11“. Den haben die uns zur Verfügung gestellt – ohne Probleme.
In „§31“ prangerst du illoyale Mittäter als „Verräter“ an. Später hat sich deine eigene Aussage gegen Mittäter beim Goldraub strafmildernd ausgewirkt. Wie passt das zusammen?
Xatar: Nein, es hat sich keine Aussage gegen Mittäter strafmildernd ausgewirkt. Das stimmt nicht.***
Du hast Straftaten begangen, warst im Gefängnis und bist Gangster-Rapper. Ergibt es für dich Sinn, wenn jemand, der nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist, ebenfalls Gangster-Rap macht?
Xatar: Das ist dann seine Sache. Mich interessiert nicht so sehr, was die Leute tun und was sie rappen. Ich sehe mich auch nicht in der gleichen Welt mit denen. Die können machen, was sie wollen, die können auch Gangster-Rap machen ohne Leute zu ermorden.
Gibt es Straftaten, die du im Nachhinein bereust?
Xatar: Klar, einige. Viele Dinge, die ich getan habe, waren nicht cool. Ich habe viele Leute unnötig sehr krass verletzt. Oder ich habe auch Sachen gemacht, die einfach nur dumm waren, wo nicht viel Geld bei rausgekommen ist. So etwas bereue ich dann auch.
Verspürst du denn ingesamt mehr Reue aufgrund mangelnden Erfolgs oder weil du Leute verletzt hast?
Xatar: Das kann ich nicht so einfach beantworten, dazu müsste ich erstmal in meine Akte gucken.
Was zählt für dich mehr: Ehre oder Gesetz?
Xatar: Das Gesetz hat mich nie wirklich interessiert, das sieht man schon an meiner Vita. Ich kann das Gesetz nicht ernst nehmen, wenn diejenigen, die das Gesetz machen, selbst Waffen verkaufen an Saudi-Arabien oder an andere Terroristen. Wenn die mir sagen, ich solle keine Waffen verkaufen, kann ich das nicht ernst nehmen.
Ehre, das müsste man erstmal definieren, was das ist, aber das sprengt hier den Rahmen.
Dein Album „Alles oder nix“ wurde indiziert. Kannst du die Begründung verstehen, nämlich dass sieben Songtexte „verrohend wirken und zu Gewalttätigkeiten anreizen“ könnten?
Xatar: Nein, das kann ich absolut nicht verstehen, weil es Bullshit ist. Es gibt keine Menschen, die wegen Rap-Musik gewalttätig werden, das ist eine riesige Lüge. Die werden gewalttätig, weil in diesem Land irgendetwas nicht stimmt, das hat nichts mit der Musik zu tun. Deswegen ist das völliger Schwachsinn.
Außerdem: Wenn es so wäre, hätten sie mein Album direkt verboten und nicht erst drei Jahre später, als ich wegen Goldraub vor Gericht stand. Da wurde das Album dann plötzlich verboten, weil es angeblich gewaltverherrlichend ist. Das ist alles Bullshit. Die haben versucht, mich während der Verhandlung mundtot zu machen. Die hatten Angst, dass ich wegen dem Hype um den Goldraub zu viele CDs verkaufe. Deshalb wurde die CD verboten, das ist der eigentliche Grund. Sie haben auch ein 80-seitiges Gutachten erstellt, von irgendeinem Professor Schwanz aus Bremen, wo drin steht, dass ich mit „§31“ dafür sorgen würde, dass im Verfahren um dem Goldraub – das drei Jahre später war – niemand sich traut, gegen mich auszusagen. Das war die Begründung, warum der Song verboten wurde. Weil ein Mann sagt, ich hätte drei Jahre vorher in diesem Video geplant, dass ich drei Jahre später vor Gericht sein werde wegen Goldraub und dass ich drei Jahre vorher dafür sorge, dass Leute Angst haben, gegen mich auszusagen. – Wer so einen Scheiß erzählt und wer das noch glaubt – das ist doch Verarschung!
Glaubst du, dass dort die Bundesprüfstelle und das Gericht miteinander zusammenhängen?
Xatar: Ich weiß nicht, inwiefern die miteinander zusammenhängen. Aber anscheinend glauben sie ja diese Begründung, die von einem Gutachter kommt, der mich nicht kennt und meint er könnte über mein Leben und meine Aussagen urteilen. Irgendjemand hat gesagt, der heißt „Gutachter“ und was ein Gutachter sagt, ist Gesetz. Der Richter nimmt das dann an und so entstehen dann Urteile.
Findest du es richtig, dass es die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien gibt?
Xatar: Ja, die soll es geben. Was sie dann aber tun sollten, ist, „Mein Kampf“ wieder zu verbieten. Warum ist „Mein Kampf“ erlaubt und mein Album verboten? Der Typ hat sechs Millionen Juden vergast. Wie viele habe ich vergast? Ich weiß noch nicht mal, wo ich Gas herkriege.
Wie stehst du dazu, wenn Straftäter, beispielsweise ein verurteilter Totschläger in Musikvideos auftreten?
Xatar: Wenn er seine Rolle gut spielt, ist mir das egal.
Dein mehrfacher Kollabo-Partner Haftbefehl ließ im Musikvideo zu „Lass die Affen aus dem Zoo“ 2014 den Türsteher Ömer H. auftreten, welcher 2011 einen Gast des Frankfurter Clubs U60311 zu Tode prügelte. Ist das in deinen Augen legitim?
Xatar: Ich habe auch schon Totschläger in meinen Videos gehabt. So was kann ja passieren. Das sind ja gute Leute. Aber da wird jemand frech und dann hauen sie den weg. Dann kackt der ab – was willst du da machen? Veysel ist doch so einer, das ist ein Rapper, der jemand umgebracht hat. Er hat drei Jahre bekommen, er ist aber kein Mörder.
(Anmerkung: Nachdem der Prozess gegen Ömer H. 2014 neu aufgerollt wurde, wurde H. nicht wegen Todschlags verurteilt, sondern wegen Körperverletzung mit Todesfolge; das Strafmaß wurde verringert, Quelle: fnp.de)
Aber wenn man so jemanden in einem Musikvideo auftreten lässt, ist das dann nicht eine Verhöhnung des Opfers?
Xatar: Warum? Wenn ein Türsteher einen Menschen verprügelt und der dann stirbt, ist das ja nicht beabsichtigt, dass er ihn umbringt. Warum soll man diesem Menschen dann Sachen verwehren, wenn er doch seine Strafe abgesessen hat? Dann dürfte ich als verurteilter Räuber ja auch nicht mehr in die Sauna, was ist das für eine Logik?
Es gibt Rapper, die anderen Menschen das Leben genommen haben. Und die machen selber Musikvideos. Sollen die das nicht dürfen?
Die Frage war, ob du so jemandem eine Plattform bieten würdest.
Xatar: Das habe ich schon tausend mal gemacht. Das macht jeder, es gibt Köche, Ärzte, Anwälte, selbst berühmte Schauspieler. Wie heißt nochmal die Tussi aus Bayern, die Bossi als ihren Anwalt hatte? Die ihren Mann umgebracht hat? (Ingrid van Bergen) – Die sitzt in jeder Talkshow.
Hältst du das für richtig?
Xatar: Was ist denn schon richtig, was hier passiert? – Das ist das Leben. Ich halte 90 Prozent der Sachen, die hier passieren, für falsch. Aber da muss man halt mitmachen. Ich halte auch für falsch, dass Banken Zinsen von Familien nehmen, die nicht mal etwas zu essen zu hause haben. Aber so ist das. Das wird von der Regierung unterstützt, da kann man nichts machen.
Du schreibst im Buch, während deines Gefängnisaufenthalts gläubig geworden zu sein. Wie viel Raum nimmt der Islam heute in deinem Leben ein?
Xatar: Der Glaube nimmt den selben Raum ein wie vor dem Gefängnisaufenthalt, da hat sich nichts geändert.
Durch Rituale?
Xatar: Rituale eigentlich nicht, außer dem Gebet. Aber sonst ist der Glauben in meinem Denken, meinen Entscheidungen und Handlungen immer präsent.
Haftbefehl sagte uns im Interview: „Wenn ich anfangen würde, den muslimischen Glauben zu praktizieren, müsste ich definitiv mit der Musik aufhören. Das steht zu 100% fest.“ Kannst du ihn in dem Punkt verstehen?
Xatar: Jeder hat da seine persönliche Meinung. Ich sehe das nicht so, ich höre ja nicht mit der Musik auf, Glauben und Musik zu machen steht für mich in keinem Konflikt, das ist nicht verboten. Es steht nirgendwo geschrieben, dass man das nicht tun soll, das wird nur von Menschen so erzählt.
In dem ISIS-Bekennerschreiben zu den Anschlägen von Paris wird das Rockkonzert im Bataclan-Club als „perverse Feier“ oder auch als „Laster“ bezeichnet. Ist solch eine Auslegung des Koran für dich noch nachvollziehbar?
Xatar: Was hat das mit einer Auslegung des Korans zu tun, wenn jemand sagt, der Club ist pervers? Was haben die Anschläge in Paris denn mit dem Koran zu tun? Oder was hat Anders Breivik (der sich bei seinem Massenmord 2011 auch auf das Christentum berief, Anm. d. Red) mit der Bibel zu tun? Was haben diese Anschläge – wenn sie so passiert sind wie es erzählt wird – mit einem religiösen Buch aus dem 6. Jahrhundert zu tun? Wo weder etwas von einem perversen Club in Paris steht noch von Vollidioten, die Köpfe abhacken und trotzdem vom Westen bezahlt werden. Was hat das mit dem Koran zu tun, einem Buch, wo drin steht: Mach dein Gebet und chill?
Auf einem Bild, das im Internet kursiert, hältst du eine Kurdenflagge in den Händen. Zudem schreibst du, dass Politik ein allgegenwärtiges Thema in deinem Elternhaus war. Bist du heute politisch engagiert?
Xatar: Nicht wirklich, ich halte mich seit längerer Zeit aus politischen Sachen ein bisschen raus. Weil man nie weiß, für wen man da wirklich ist. Meine Eltern haben mir beigebracht, mich nicht auf eine politische Seite zu stellen, weil man nie weiß, was die Zukunft bringt. Politische Gesinnungen ändern sich nach zwei Jahren. Otto Schily, der früher Anwalt für die RAF und für Linksradikale war, der mit Turnschuhen in den Gerichtssaal gekommen ist, hat dann auf einmal Kriege im Namen des Kapitalismus befohlen. Das heißt: Wäre ich auf Otto Shilys Seite gewesen hätte ich mich irgendwann gewundert. So etwas passiert jeden Tag in der Politik, auch dort wo ich herkomme. Ein Osama Bin Laden, der vom Westen ausgebildet wurde, lässt dann auf einmal angeblich Flugzeuge in das World Trade Center krachen. Auf welche Seite soll man sich denn stellen, wenn sich jede Woche alles ändert?
In deinem Buch kommen immer wieder Banden vor, die inzwischen zur Realität in Deutschland gehören. Glaubst du, dass Deutschland es eines Tages fertig bringt, Banden- und mafiöse Strukturen zu zerschlagen?
Xatar: Nein. Die versuchen es ja auch nicht wirklich, vielleicht können sie es auch nicht. Ich denke, so etwas wird es immer geben. Und beim LKA oder BKA, da kommt ja alle paar Jahre heraus, dass es dort Korruptionsfälle gibt, wo die dann selbst mit der Mafia zusammenarbeiten, oder mit anderen Banden. In Hessen kam raus, dass eine hohe LKA-Beamtin mit den Hell’s Angels zusammengearbeitet hat. Es ist schwer. Da wo viel Geld im Spiel ist, hat man es schwer, aufgrund der Korruption.
Keine Ahnung, ob die Mafia bestehen bleibt, aktuell ist es auf jeden Fall so, dass es Millionen Banden gibt, in Deutschland, auf der ganzen Welt – das ist halt so, es ist nicht möglich alles zu 100 Prozent zu kontrollieren.
Schlussfrage: Willst du heute ein Vorbild für junge Menschen sein?
Xatar: Das überlasse ich jedem selbst, das soll jeder selber wissen. Ich weiß es nicht, ich habe mir darüber noch nicht so richtig Gedanken gemacht. Ich mache mein Ding, das war’s.
*** Zur Aussage von Xatar vor dem Stuttgarter Landgericht schrieb die Nürnberger Zeitung am 09.05.2011: „… der Gangster-Rapper Xatar hat die Tat vom Dezember 2009 gestanden. Mit drei Komplizen habe er den Transporter bei Ludwigsburg ausgeraubt (…) Als Drahtzieher des ausgeklügelten Coups bezichtigte „Xatar“ den heute 53 Jahre alten Donald S. (…) Dass sich der 29-Jährige zu dem Geständnis gestern entschloss, ist offenbar auf einen Schachzug der Großen Strafkammer am Landgericht Stuttgart zurückzuführen. Bei einem umfassenden Geständnis könne sich die Kammer auf Höchststrafen von sieben bis acht Jahren einlassen, hatte der Vorsitzende Richter angekündigt. Daraufhin kündigten drei der vier Angeklagten, gegen die zunächst verhandelt wird, Geständnisse an.“
[Das Interview entstand im Februar 2016.]