Yello

Musik ist der Direktschuss ins Herz.

Dieter Meier von Yello über erfolgreichen Dilettantismus, den künstlerischen Nährboden Schweiz und Auseinandersetzungen mit dem Nichts

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© Ben Wolf

Herr Meier, Sie haben mit Ihrem Yello-Partner Boris Blank bereits Ende der 70er Jahre angefangen Musik zu machen. Hatten Sie damals bereits den Anspruch, Popstar zu werden?
Nein, überhaupt nicht. Wir waren lediglich zwei Dilettanten in einer alten Fabrik, die auf einem Küchentisch mit allerlei Gerätschaften völlig unprofessionell Klänge zusammengezimmert haben. Als unser Stück „Bostich“ 1980 in Amerika plötzlich zum Dance-Hit wurde, war das eine totale Überraschung. Mir ist bis heute schleierhaft, wie unsere erste Maxi-Single auf den Plattenteller einer großen schwarzen New Yorker Radiostation gekommen ist, was der Startschuss für alles Folgende war. Ein paar Leute haben ja immer gesagt: Der schlaue Meier wusste genau, dass er über die afro- und lateinamerikanischen Radio-Stationen gehen muss, wenn er in Amerika Erfolg haben will. Aber das ist totaler Blödsinn. Es gibt keinen größeren Zufall als die Tatsache, dass wir bis heute 14 Millionen CDs verkauft haben.

Vor Yello hatten Sie eine Ausbildung zum Juristen gemacht, verschiedene Kunstprojekte realisiert, eine Zeit lang Ihre Geld mit Pokern verdient und waren in einer Band mit dem schönen Namen „The Assholes“ aktiv. Haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, wie Ihr Werdegang ausgesehen hätte, wenn Sie Boris damals nicht kennengelernt hätten?
Das ist schwer zu sagen. Ich bin jedoch auch ein fanatischer Filmemacher und habe meine Soundtracks immer schon selbst auf einfachste Weise hergestellt. Wenn also die Musik nicht gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich mehr Filme gemacht. Aber wenn du plötzlich viele CDs verkaufst und in diesem Rhythmus des bekannten Elektro-Pop-Duos drin hängst, kommst du da nicht mehr so einfach heraus. Das bringt auch nicht nur positive Dinge mit sich: Plötzlich steht man permanent in der Öffentlichkeit, hat Verpflichtungen gegenüber der Plattenfirma und wird dadurch zu einem Gefangenen seines eigenen Erfolgs. Aber das ist natürlich ein Klagen auf sehr luxuriöser Ebene.

Sie haben sich selbst mal als Individual-Anarchisten und Chaos-Experten bezeichnet. Wie ist das zu verstehen?
Ich weiß, man findet diese Aussage von mir im Internet, aber das habe ich nie gesagt. Das ist erfunden. Ich bin zwar ein Anarchist, aber nicht im zerstörerischen Sinne von Bomben legen, sondern im Sinne der großen anarchistischen Philosophen, die die bestehenden Staats- und Ausbeutungsformen des Spätkapitalismus radikal ablehnen. Und das bin ich bis heute geblieben.

Hat sich das denn im Laufe der Jahre verändert?
Nicht wirklich, nein. Natürlich – wenn man ein bisschen Geld verdient, gönnt man sich auch mal was und wohnt in einem vernünftigen Haus. Aber meine geistige Haltung hat sich überhaupt nicht geändert. Man wird zwar älter und hoffentlich auch ein bisschen klüger, aber ansonsten bin ich – auch in meinen Kunstprojekten – der gleiche Anarchist geblieben, der ich immer war und hoffentlich auch immer bleiben werde.

Sie haben Ihre Aktionen als Konzeptkünstler mal als „Manifeste des Nichts“ beschrieben. Das müssen Sie genauer erklären.
Alle meine Kunstprojekte bewegen sich im Bereich des Nichts. Ich habe sogar eine Vereinigung der Meister des Nichts gegründet, wobei man sagen muss, dass es eine sehr anspruchsvolle Aufgabe ist, das Nichts darzustellen. Man betreibt das ein Leben lang, ohne es jemals erreichen zu können. Man nähert sich dem bloß an. Letztlich sind wir ja alle Nichts, kommen aus dem Nichts und gehen ins Nichts. Doch die Auseinandersetzung mit dem Nichts im philosophischen Sinne ist eine sehr anspruchsvolle Sache, der ich leider nicht immer genüge.

Aber ein reines Nichts gibt es ja eigentlich nicht. Wie hat man sich diese Annäherung an das Nichts demnach vorzustellen?
Das stimmt, es gibt kein reines Nichts. Aber es gibt einen Ansatz, bei dem man sich dem Verwertungszweck seines Daseins und Tuns widersetzt, in dem man in irgendeiner Form versucht, genau dieses Nichts darzustellen. Bei meiner ersten Aktion auf der Straße 1969 habe ich beispielsweise 100.000 Metallstücke in ein vier Quadratmeter großes Holzquadrat hineingießen lassen, das auf dem Boden lag. Innerhalb einer Woche habe ich diese Metallstücke tagtäglich acht Stunden lang in tausend Tüten abgefüllt – eine sehr schöne Annäherung an das Nichts, weil das ja etwas vollkommen Leeres und Stumpfsinniges ist. Es bedeutet nichts, außer dass dieses Nichts nur auf der Welt ist, weil ich es will. Es gibt keine andere Rechtfertigung für diesen Leerlauf, als die, dass es mein entblößter Wille ist.

Das klingt sehr, sagen wir mal, kritisch. Ist das vielleicht auch eine Kritik an der Kunst an sich?
Nein, eigentlich nicht. Ich habe an den komischen Exzessen und Vermarktungsstrategien des Kunstmarktes sogar sehr viel Freude. Man nehme nur mal Damien Hirst, der ist ein Genie. Nicht unbedingt als Künstler, da ist er eher uninteressant, aber wie er die Leute im Repressionsraum bürgerlicher Toleranz an der Nase herumführt und dafür riesiges Geldsummen kassiert, das finde ich absolut großartig. Und das ist auch das, was von ihm bleiben wird. Seine Kunst wird nicht einmal mehr eine Randnote sein in der Geschichte. Er hat ja nichts erfunden, nichts wirklich Originelles gemacht. Er ist ein unvorstellbar angepasster, kleinbürgerlicher Künstler, aber ein wunderbarer Vermarkter – und das wird von ihm bleiben.

Bei Yello verstehen Sie sich auch nicht ausschließlich als Band, sondern als Künstlerprojekt. Worin liegt der Unterschied?
Nein, so kann man das nicht sagen. Letztlich machen wir einfach bloß Klänge und sind froh, wenn das den Leuten gefällt. Aber ob das jetzt tatsächlich Kunst ist, darüber lässt sich sicherlich streiten. Uns ist das aber auch egal. Meine eigenen Projekte habe ich ja anfangs auch meist auf der Straße gemacht und nicht im Kunstraum, bis ich dann irgendwann erste Ausstellungen hatte. Das hat dann auch meine Eltern beruhigt, die sich vorher immer gefragt haben, was das für eigenartige Dinge sind, die ich da mache. Aber als ich dann in Museen gelandet bin, waren alle ganz glücklich. Denn so verrückt konnte es schließlich nicht sein, wenn es sogar im bürgerlichen Kunstraum Anklang findet.

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Es gibt keinen größeren Zufall als die Tatsache, dass wir bis heute 14 Millionen CDs verkauft haben.

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Sie sind immer schon eine Band gewesen, die man nicht in irgendwelche Schubladen stecken konnte und der stets daran gelegen zu sein schien, musikalische Grenzen zu überwinden. War das stets so etwas wie ein internes Band-Credo oder hat sich das einfach so ergeben?
Das hat sich vor allem dadurch ergeben, dass wir nichts konnten. Wir konnten ja noch nicht einmal irgendwelche Instrumente spielen, geschweige denn Noten lesen. Dadurch hat sich bei uns zwangsläufig eine ganz eigene Originalität ergeben. Man muss sich das vorstellen wie beim Zeichnen: Wenn du es nicht kannst, und ein Pferd zeichnen möchtest, erfindest du dein eigenes. Wenn du hingegen fünf Jahre auf einer Kunst-Akademie warst, erfindest du keins mehr, sondern zeichnest ein perfektes Akademie-Pferd – hast danach aber die größten Probleme, dich wieder von dem zu trennen, was du dort gelernt hast. Bei Musikern ist es ähnlich: Es gibt viele Virtuosen, die Jimi Hendrix rückwärts im Kopfstand spielen können, selbst aber total uninteressante, seelenlose Musik schreiben. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch Leute, die zwar bloß auf drei alten Konservendosen herumtrommeln, dabei aber wahnsinnig kreativ und innovativ sind.

Originalität und Innovation entstehen also stets aus einer Form von Unvermögen?
Nein, nicht notwendigerweise. Es gibt auch großartige Maler, die in Kunstakademien waren, sich aber davon gelöst haben, was sie dort gelernt haben. Für sogenannte Interpreten gilt das genauso. Wenn man eine neue Interpretation von Chopins Klaviersonate Nr. 2 erfinden will, muss man ja zuerst einmal in 10.000 Stunden Klavier spielen lernen, um sich danach selbst neu erfinden zu können. Nicht auf jedem Gebiet ist der Dilettantismus daher die Mutter der Schöpfung.

Bei Yello scheint es eine klare Aufgabenteilung zu geben: Boris ist für die Musik zuständig, du für die Vocals und die Videos, sodass ihr euch kaum in die Quere kommt. Ist das auch der Grund dafür, warum es Yello schon so lange gibt?
Zumindest einer davon, denn dadurch gehen wir uns im Studio nicht irgendwann auf die Nerven, obwohl so eine gemeinsame Studioarbeit selbstverständlich auch funktionieren kann. Aber Boris ist ein absoluter Egomane, der jede Form von Mitarbeit nicht nur ablehnt, sondern dabei regelrecht physisches Unwohlsein verspürt. Ich bin da sehr viel beweglicher, gehe irgendwann ins Studio und begebe mich dann in die Klangbildern vom Blank hinein. Wir funktionieren ein bisschen wir Fernschachspieler, und sind insofern ein gut harmonierendes artistisches Paar.

Sie haben mal gesagt, dass Sie sich innerhalb von Boris’ Soundkollagen mehr als Schauspieler denn als Sänger empfinden. Wie ist das zu verstehen?
Ich empfinde mich eben nicht als Sänger, sondern als Darsteller. Als Stimmdarsteller. Ich habe schließlich nicht nur eine einzige Identität als Sänger, so wie es bei Mick Jagger der Fall ist, der ein Leben lang Mick Jagger sein wir. Bei mir ist das anders. Je nach Drehbuch schauspielere ich, und bin daher auf jedem Musikstück ein Anderer. In den Klangbildern vom Blank nehme ich stets eine neue Rolle an.

Hatte der Umstand, dass Sie aus der Schweiz kommen, in irgendeiner Form einen Einfluss auf Ihre Musik?
Absolut. Es gibt schließlich keine Rock- und Pop-Tradition, die auf dem Nährboden der Schweiz entstanden ist. Es gibt bloß importierte Blumenknollen, die man hier in den Boden gesteckt hat, und die dann ähnliche Blüten getragen haben wie anderswo. Klar, es gibt Ausnahmen, aber eigentlich ist man in der Schweiz keinerlei heimischen Einflüssen ausgeliefert. Insofern waren wir immer schon absolute Exoten und total alleine.

Sie haben sehr früh bereits internationale Erfolge gefeiert. In einem Interview haben Sie jedoch mal gesagt, es gäbe nichts Lächerlicheres, als ein internationaler Künstler sein zu wollen.
Ich glaube, dass jede Kunstform provinziell ist. Man lebt schließlich in einem bestimmten Biotop. Und Kunst sollte in meinen Augen immer die Identität der Provinz haben, der sie entstammt und nicht Allerweltskunst sein, der man nicht mehr ansehen kann, woher sie kommt. Die einzige Möglichkeit, ein internationaler Künstler zu werden ist daher die, sich auf seine Herkunft zu beziehen. Das ist schließlich das, was einen am meisten formt. Es gibt zum Beispiel Schweizer Schriftsteller, die Bücher schreiben über den Diskurs in der Enge und dann mit fliegenden Fahnen nach Paris auswandern, um dort internationale Schriftsteller zu werden. Aber das ist natürlich total verkehrt. Die haben bloß keine Identität. Schweizer Schriftsteller, die Weltliteratur geschrieben haben wie Gottfried Keller oder Robert Walser, waren immer sehr provinziell und stets als Schweizer zu identifizieren.

So etwas wie eine Schweizer Kunstszene existiert demnach wohl auch nicht?
Nein, eigentlich nicht. Es gibt zwar kleine Szenen, aber die bestehen aus Leuten, die aus irgendwelchen Kunst-Akademien kommen und sich als Künstler wahnsinnig ernst nehmen. Das bringt in den meisten Fällen aber bloß Epigonentum hervor. Alle Schweizer, die irgendeine Bedeutung haben, waren stets absolute Individualisten, die nie irgendeiner Szene angehört haben.

Moderne Studiotechnik, Sampling, Klangarchive – das gehört mittlerweile zum Standard-Repertoire beim Erschaffen von Popmusik. Sie haben bereits vor dreißig Jahren damit begonnen, eine Art „transglobalen Studiotricksound“ zu erarbeiten. Sehen Sie sich damit als Vorreiter dessen, was heute in den Charts zu hören ist?
Das bekommen wir zumindest von anderen Leuten zu hören. Man feiert uns ja auch als „Godfathers Of Techno“, aber mir ist das völlig egal. Wir haben uns nie als Avantgardisten empfunden, sondern haben das bloß gemacht, weil wir nichts anderes konnten. Wir nehmen es natürlich mit Freude zur Kenntnis, dass wir Leute beeinflusst haben, aber das haben wir nie so beabsichtigt.

Ihre Musik ist für viele Filme und Serien verwendet worden. Empfinden Sie Ihre Musik als besonders visuell?
Ja, schon. Oder vielleicht eher als inspirativ. Emotional. Musik trifft mich viel direkter als Literatur oder Malerei. Musik ist der Direktschuss ins Herz. Musik wird eben nicht so rational und intellektuell verwaltet wie Sprache oder Malerei. Das ist etwas ganz unmittelbares, und deshalb eben auch so wunderbar.

Dieter Meier dreht Filme und Videos, entwirft Uhren, züchtet Rinder, baut Biogetreide und Wein an – und ist zusammen mit Boris Blank Teil des erfolgreichen Elektro-Pop-Duos Yello. Ihren ersten internationalen Club-Hit landeten sie 1980 mit ihrem mehr

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