Zum Goldenen Hirschen

Wir würden nicht für die AfD werben, never ever.

Vor 20 Jahren gründeten Marcel Loko und Bernd Heusinger die Werbeagentur „Zum Goldenen Hirschen“, die heute zu den wichtigsten in Deutschland gehört. Im ausführlichen Interview sprechen sie über Hirschgulasch, Katzen-Content, sinkende Margen, ihren neuen Kunden Media Markt, sexistische Werbung und eine Szene aus „Minority Report“.

Zum Goldenen Hirschen

© Zum Goldenen Hirschen

Herr Loko, Herr Heusinger, normalerweise bewerben Sie mit Ihrer Agentur „Zum Goldenen Hirschen“ Produkte Ihrer Kunden. Warum verkaufen Sie derzeit in Berlin-Mitte Produkte mit Ihrem Hirsch-Logo?

Loko: Wir feiern dieses Jahr 20. Geburtstag. Und wir dachten uns: Eine Party zum 20-jährigen, das kann jeder. Die Idee, einen eigenen Laden aufzumachen, begleitet von dem eigens dafür von unseren Mitarbeitern produzierten Song „Gibt´s das auch in Gold“ macht mehr Spaß und hinterlässt mehr Spuren.

Heusinger: Wir haben in den letzten 20 Jahren immer wieder solche Hirschen-Aktionen gemacht, zum Beispiel einen Imbiss auf der Reeperbahn oder einen Markenboxkampf, bei dem der Kinderschokoladen-Junge gegen den Marlboro-Cowboy gekämpft hat.

Muss man sich als Werbeagentur inzwischen auch selbst vermarkten?

Heusinger: Im Tagesgeschäft helfen wir ja großen Kunden, ihre Marken zu entwickeln und lebendig zu halten. Dass wir im Schnitt alle fünf Jahre auch etwas Lautstarkes für die eigene Marke machen, das gehört zur DNA von uns Hirschen – und es ist ein großer Spaßfaktor für unsere Mitarbeiter.

Und wer kauft Ihr Sortiment von Edel-Fahrrädern bis Hirschgulasch?

Heusinger: Touristen, Passanten, Mode-Shopper, aber auch unsere Agenturkunden. Es gibt darüber hinaus einige andere Agenturen im Umfeld, und wenn sich durch den Shop jemand motiviert fühlt, sich bei uns zu bewerben, haben wir auch nichts dagegen.

Der Branche scheint es gut zu gehen, oder wie erklären sich die relativ hohen Preise für Jacken und Rucksäcke?

Heusinger: Nein, gerade weil es uns schlecht geht, sind die Preise so hoch. (lacht) Aber Spaß beiseite: Das hat damit zu tun, dass alle Produkte nur in kleinen Auflagen gefertigt sind. Teilweise von Designern aus unserem Freundeskreis.

In Ihrer Agentur-Zeitung „Die Wahrheit“ liest man den Satz: „Der Wert von kreativen Ideen steigt, der Preis sinkt“.

Loko: Das ist ein weit verbreitetes Phänomen, nicht nur in unserer Branche, dass die Margen sinken und man dafür mehr leisten muss. Eine klassische Werbeagentur, die mit einem Joghurt-Werbespot die Gehälter aller Mitarbeiter sowie einen Firmenausflug in die Helikopter-Ski-Gebiete nach Kanada finanziert, die wird es nicht mehr geben.

Von der Musikindustrie hörte man schon vor zehn Jahren, dass die Zeit des Luxus vorbei ist. Gilt das jetzt auch für die Werber?

Heusinger: Vor 20 Jahren hat man als Agentur Texte, Plakate und Werbespots gemacht. Heute bieten wir, für den gleichen Etat plus Inflation, außerdem noch Digitalisierung, Social Media, Content-Marketing, PR-Arbeit machen und koordinieren das Ganze. Der Aufwand ist definitiv gestiegen, die Margen sind dadurch gesunken.

Loko: Die gute Nachricht ist aber: Derjenige, der gute Ideen, Strategien und Kampagnen entwickelt und flexibel, schlau und kreativ auf die medialen Veränderungen reagiert, wird trotzdem durchkommen.

Zum Goldenen Hirschen“ startete 1995 in Hamburg, seit 2000 haben Sie auch ein großes Büro in Kreuzberg. Hat Berlin als Werbestadt inzwischen aufgeholt?

Loko: Ja, deutlich. 1995 hatte Berlin noch Probleme bei der Rekrutierung von professionellen Leuten. Aber durch den Regierungssitz und durch die wachsende Kreativ-Szene sind ab 2000 immer mehr Agenturen nach Berlin gekommen. Zusammen mit Hamburg liegt Berlin bei den Kreativen heute weit vor anderen deutschen Städten.

Heusinger: Auch wenn große Firmen ihren Sitz in Rhein/Ruhr, Frankfurt, Hamburg oder München haben, vergeben diese häufig große Etats bewusst nach Berlin. Sie versprechen sich etwas Besonderes von diesem „Kreativitätsmoloch“.

Das heißt?

Heusinger: Die außerwerblichen Kreativeinflüsse sind in Berlin umfangreicher, breit gestreuter und vielfältiger. Mode, Musik und Kunst sind hier einfach am stärksten, das zieht viele Kreative an. Die Werbung profitiert ja von den Einflüssen anderer Disziplinen. Ich persönlich treffe mich in meiner Freizeit häufiger mit Künstlern und Musikern, als mit Werbern. Das war auch immer der Anspruch von Zum Goldenen Hirschen, dass wir nicht nur in Werber-Lokale gehen und den ganzen Tag über Werbung reden, sondern dass wir Kommunikation und Kreativität wesentlich breiter angehen.

Welches Attribut würden Sie Berlin im Moment geben?

Loko: World Creative Crossover.

Und was sagen Sie zu den aktuellen offiziellen Slogans „be Berlin“ und „the place to be“?

Heusinger: „be Berlin“ finde ich gar nicht schlecht, das hat etwas Eigenständiges und kennzeichnet das Lebensgefühl. „the place to be“ dagegen ist etwas generisch, das können auch andere sagen, z.B. London oder Paris.

Loko: Wobei es nicht doof ist, durch das „be“ den Buchstaben B zu besetzen. Weil man ja in Konkurrenz zu den 20-30 anderen Weltmetropolen steht, von denen nur ein oder zwei das B als Anfangsbuchstaben haben.

Zitiert

Als Kommunikationsprofi ist man im weitesten Sinne auch pädagogisch unterwegs.

Zum Goldenen Hirschen

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat 2014 ein Verbot von Plakatwerbung erlassen, „die Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder Identität herabwürdigt“. Was sagen Sie zu dem Verbot?

Heusinger: Herabwürdigen finden wir scheiße und offenkundig sexistische Werbung hat im Stadtbild nichts verloren. Auf der anderen Seite steht die Frage: Wer entscheidet das? Wir haben dafür keine Lösung, aber eine Zensurbehörde, die dann vielleicht so handelt wie ein paritätisch besetzter Rundfunkrat, fänden wir genauso blöd. Denn es wird immer ein, zwei Motive geben, wo es ein schmaler Grat ist, wo die meisten Leute die Ironie begreifen, andere es aber ganz ernst nehmen.

Welche Verantwortung tragen Sie denn als Agentur, um die Objektifizierung der Frau Geschichte werden zu lassen?

Loko: Wir tragen die Verantwortung gemeinsam mit unseren Kunden. Und die sind inzwischen deutlich weiter, da hat man im Grunde einen doppelten Filter. Die leicht bekleidete Dame auf der Kühlerhaube gibt es ja schlichtweg nicht mehr. Ich glaube, dass keine vernünftige Agentur noch herabwürdigende Motive haben will. Auch weltweit gibt es kaum mehr die geschmacklosen Ausbrüche, die es vor 20-25 Jahren in einer stark männlich-machistisch dominierten Werbewelt gab.

Heusinger: Wenn so etwas heute noch vorkommt, dann eher von ‚Reifen Kabuffke aus Rudow‘ – bei großen Werbetreibenden kann ich mich in den letzten Jahren an keinen offenkundigen Fall erinnern.

Wie blicken Sie zurück auf Ihre Anfangszeit? In den 90ern galt Ihre Agentur ja als ‚enfant terrible‘ der Branche…

Heusinger: Ja, wir hatten vorher bei anderen Agenturen wie Springer & Jacoby und Scholz & Friends gearbeitet und wollten es mit Zum Goldenen Hirschen anders machen. Wir wollten nicht nur Werbung für eine Doppelseite im Stern oder 30 Sekunden im TV machen, sondern andere Disziplinen mitreinbringen, die Kommunikation auf den verschiedensten Wegen betreiben. Und da ist in den letzten 20 Jahren der Trend auch hingegangen, das multidisziplinäre Arbeiten hat extrem zugenommen. Eine Kommunikationskampagne ist heute natürlich digital, es gibt eine Website, Twitter, Facebook, Performance-Marketing und große Marken haben eigene Content-Plattformen. So eine Plattform machen wir jetzt für Media Markt, wo journalistische Inhalte stark mit einfließen.

Was waren denn unübliche Werbeformen die Sie in den ersten Jahren genutzt haben?

Heusinger: Wir haben zum Beispiel in den späten 90ern eine Kampagne für Mobilcom gemacht, mit relativ aggressiver vergleichender Werbung und Guerilla-Aktionen. Mit einem Zehntel des Etats der Deutschen Telekom haben wir mindestens die gleichen Aufmerksamkeitswerte erreicht. Wir hatten die Telekom bewusst provoziert und Mobilcom als David gegen Goliath inszeniert, mit einem echten Manfred Krug aus dem Sauerland, der für Mobilcom sprach, während die Telekom mit dem Schauspieler Manfred Krug warb. Das war bewusst darauf angelegt, dass nicht nur unser Spot oder unsere Anzeige funktioniert, sondern dass die Medien auch drüber schreiben. So haben wir einen Gesprächsanlass geliefert, also nicht einfach nur für vier Millionen Fernsehspots versendet, sondern einen Dialog, ein Duell, eine Geschichte aufgebaut. Wir nennen das „Campaigning“, es funktioniert nicht nur in der politischen Kommunikation, sondern auch für Marken.

Loko: Wir haben dafür mal ein Schlagwort gesetzt, das das sehr gut beschreibt: „Agentur für neue Wege“ bzw. „Agentur für schwere Fälle“. Durch unsere andere Denke haben wir mit Kunden zusammen neue Wege in der Kommunikation ausgeforscht. Und das ist auch heute das große Thema: Change, neue Wege finden, das muss heutzutage ja jedes Unternehmen. Dieser Prozess ist seit der Gründung bei uns angelegt und er ist einer der Gründe, warum wir relativ erfolgreich durch die Jahre gekommen sind.

Heusinger und Loko bei der Eröffnugn des "Golden Store"

Bernd Heusinger (l.) und Marcel Loko bei der Eröffnung des „Golden Store“

Ist es Ihnen wichtig, progressiv zu sein?

Heusinger: „Progressiv“ ist für uns in dem Zusammenhang ein komisches Wort. Wir wollen ja populär sein und Massen ansprechen. Dafür muss es nicht immer ein neuer Weg sein, das kann auch mal gute solide PR-Arbeit mit einer klugen Kernaussage sein. Wichtiger als progressiv ist uns, variabel im Kopf zu sein. Nicht aufgrund einer Mode etwas tun, aber auch nicht aufgrund einer Gewohnheit, sondern jedes Mal scharf nachdenken: Erfinde ich etwas Neues oder nehme ich etwas, was schon mal funktioniert hat und bringe es in eine optisch, textlich neue Form? Innovative Variabilität, so würde ich das nennen.

Machen die Hirschen Werbung aus ihrem Weltbild heraus oder aus dem der Kunden?

Heusinger: Aus dem Weltbild der Zielgruppen. Ein Beispiel: Für Martin Winterkorn oder Ferndinand Piëch ist es vielleicht das Wichtigste, ob das Spaltmaß an der Autotür ein halber oder ein dreiviertel Millimeter ist. Den Kunden dagegen interessiert das höchstens, wenn da Wind reinzieht. Wir überlegen also: Was interessiert die Leute draußen auf der Straße und wie kann ich eine Verbindung zwischen deren Interesse und dem Produkt oder der Dienstleistung des Kunden herstellen. Das ist unser zentraler Punkt. Wie erreichen wir die Zielgruppe mit Themen, die sie interessieren?

Spielt das eigene Weltbild trotzdem eine Rolle?

Loko: Nein. Es ist nicht unser Job, jemandem unser eigenes Weltbild aufzudrücken, sondern zu gucken, wie ich das, was der Auftraggeber erreichen will, mit modernsten und neuesten Gedanken am besten erreichen kann. Um unser eigenes Weltbild zu präsentieren, dafür müssten wir Kunst machen.

Heusinger: Vielleicht hilft uns unser Weltbild dabei, gute Leute zu rekrutieren und diese in eine kreative Stimmung zu bringen. Sprich, nach innen ist unsere Art zu leben und unsere Denkweise hilfreich, nach außen müssten wir eine Partei gründen, wenn wir unser Weltbild verankern wollten.

Nun haben Sie keine Partei gegründet, doch Werbung für politische Parteien haben Sie schon gemacht.

Heusinger: Ja, für die SPD, für die Grünen, für CDU-geführte Ministerien…

Loko: Die erste Anzeige des Bundespresseamtes für Angela Merkel, 2005, kam aus unserem Haus.

Heusinger: Wir sind als Agentur weder SPD, noch Grüne, noch CDU, sondern es gibt in der Mitarbeiterschaft die unterschiedlichsten Farben. Es würde nicht funktionieren und auch keinen Spaß machen, wenn wir da auf eine konkrete Richtung festgelegt wären. Wir würden definitiv nicht für die AfD werben, never ever, aber im demokratischen Spektrum können wir Kampagnen mit den jeweils passenden Leuten besetzen.

Die von Ihnen gestaltete Kampagne „Raubkopierer sind Verbrecher“ sorgte ab 2005 für viel Diskussion. Welche Rolle spielte dabei, dass Sie als Kreative selbst auf den Schutz geistigen Eigentums angewiesen sind?

Loko: Natürlich ist es schon so, dass manchmal das eigene Weltbild zu dem passt, was man als Werber macht. Und tatsächlich, dem Motto „alles für umsonst“, stehe ich persönlich sehr kritisch gegenüber. Gerade kreative Leistung sollte meiner Meinung nach nicht umsonst sein. Ich habe keine Raubkopien zuhause, so etwas finde ich blöd, weil da enorm viel Arbeit und Kreativität dahinter steckt.
Zweitens bin ich auch ein bisschen dagegen, dass die Googles und Facebooks dieser Welt Geld mit Kreativität verdienen, den Kreativen aber nur wenig davon abgeben wollen. Das ist aber meine persönliche Meinung. Insofern trifft sich das mit der Kampagne gegen Raubkopien. Aber nochmal: Man ist als Kommunikationsdienstleister schlecht beraten, wenn man versucht, seinen Kunden sein eigenes Weltbild aufzudrücken.

Die Anzeigen und Werbesports waren damals sehr drastisch, wie zum Beispiel das Geburtstagsständchen dreier Kinder vor Gefängnismauern, an den inhaftierten Vater.

Heusinger: Zu der Zeit mussten wir zuspitzen, weil die Leute dachten „wenn ich privat 100 Songs runterlade, ist das nur ein Kavaliersdelikt“. Wenn wir in der Kampagne gesagt hätten, dass es eine kleine Ordnungswidrigkeit ist, dann wäre es den Leuten egal gewesen. Wir mussten zuspitzen und emotionalisieren, erst damit erreicht man etwas.
Wir haben damals in ein paar Provinzstädten auf Marktplätzen Raubkopierer-Container aufgestellt, die aussahen wie eine Gefängniszelle. Da konnten sich Jugendliche dann hinter Gittern fotografieren lassen – die Kids liebten das und machten viele Fotos mit unserer Botschaft…
Es gab auch ein Hacker-Kollektiv, das gedroht hat, den Container selbst zu rauben, was wiederum für mediale Berichterstattung gesorgt hat. Für uns war das ein spielerischer, provozierender Umgang mit dem Thema, dass es nicht legal ist, geistiges Eigentum zu klauen.

Loko: Wir haben dadurch viel erreicht, innerhalb von zwölf Monaten war den Leuten bewusst: Wenn ich es übertreibe, kann ich wirklich Ärger kriegen. Damit haben wir das Kommunikationsziel unseres Kunden erreicht.

Gibt es bestimmte Werbeetats, die Sie grundsätzlich ablehnen?

Heusinger: Für radikale Parteien und Organisationen würden wir nicht werben. Auf der anderen Seite bin ich zwar hardcore-strikter Nichtraucher, aber eine Kampagne von mir für John Player Special-Zigaretten hing mal im Museum. Produkte, die wir nicht zutiefst moralisch verachtenswert empfinden, sondern wo es auch eine gewisse Verantwortung des Benutzenden gibt, werden wir auch bewerben. Man weiß zum Beispiel, dass beim Bungee-Springen in einem von 100.000 Fällen das Seil reißt, das bedeutet, wenn ich springe, gehe ich bewusst das Risiko ein. Daher würde ich es nicht verwerflich finden, für einen Bungee-Anbieter zu werben.
Wir haben keine explizite Blacklist, wir schauen uns das von Fall zu Fall an. Haben wir damit ein Problem? Und haben wir im Team genug Leute, die das auch machen würden?

Machen Sie mit Zum Goldenen Hirschen auch Werbung pro bono?

Heusinger: Ja, wir haben das unter anderem haben für die Welthungerhilfe, für Ärzte ohne Grenzen und für Amnesty International gemacht. Wir machen das im Schnitt einmal im Jahr, was uns dann auch inhaltlich am Herzen liegt.

2015 haben Sie den Zuschlag für den Werbeetat von Media Markt bekommen, eigens für diesen Kunden entsteht nun die Agentur „Zum Roten Hirschen“.

Loko: Genau, wir stellen Media Markt die Gene von Zum Goldenen Hirschen zur Verfügung und bauen Zum Roten Hirschen in München auf.

Warum benötigt eine Firma gleich eine komplette Agentur?

Loko: Die Welt der Kommunikation ist so vielschichtig und kompliziert geworden, dass es Sinn machen kann, für einen Kunden eine maßgeschneiderte Agentur aufzumachen. Vor 15 Jahren haben Firmen oft viele verschiedene Agenturen beschäftigt, eine für Fernsehspots gemacht, eine für Events, eine für Handelswerbung usw. Heutzutage geht es darum, eine schlüssige Kommunikation vom Facebook-Posting über Plakatwerbung bis hin zur TV-Kampagne zu haben. Hinzukommt, dass der Kunde erwartet, dass ich 24/7 präsent bin, auf allen Kanälen. Ich muss schnell im Fernsehen reagieren können, genauso aber auch auf Twitter und Facebook. Um das zu gewährleisten macht es für einen großen Kunden wie Media Markt Sinn, eine eigene Agentur aufzubauen.

Heusinger: Die Lösung mit der maßgeschneiderten Agentur hat Media Markt überzeugt, das hat auch dazu beigetragen, dass wir diesen Etat, der einer der größten Kommunikationsetats in Deutschland ist, gewonnen haben.

Geht der Trend denn jetzt hin zu maßgeschneiderten Agenturen?

Heusinger: Es gibt bereits zwei, drei andere Fälle, allerdings geht so etwas natürlich erst ab einer gewissen Etatgröße.

Loko: Es geht im Grunde um Rund-um-die-Uhr-Kommunikation. Deswegen ähneln Kommunikationsagenturen heute auch News-Sendern, weil eben rund um die Uhr etwas passiert. Wenn ich als Kunde um 3 Uhr morgens ein Problem mit meinen Nike-Schuhen habe, dann erwarte ich, dass ich denen über Facebook etwas schreiben kann und dass die nicht erst übermorgen antworten.

In den Großstädten breiten sich die Bio-Märkte immer weiter aus, Themen wie Green IT und Ethical Fashion werden stärker wahrgenommen. Ist da ein Technik-Discounter wie Media Markt eigentlich noch etwas Zeitgemäßes?

Heusinger: Zum einen sind wir mit der Media Markt-Kampagne vom reinen Preis weg. Es geht jetzt um den Spaß, den man mit den Produkten hat. Ich sehe außerdem einen anderen Trend, von dem Media Markt profitiert: Für die jungen Leute werden technische Gadgets immer wichtiger. Die definieren sich eher über ihr Handy, als über den Ford Fiesta den sie zum 18. Geburtstag kriegen. Darunter leiden jetzt die Autohersteller.

Doch 16 Jahre nach „No Logo“ (Buch von Naomi Klein) ist der Konsument ja auch ein Stückweit sensibilisiert für Produktionsbedingungen in Niedriglohnländern, weshalb sich die Frage aufdrängt, ob ein Technik-Markt, der hauptsächlich in Asien gefertigte Produkte verkauft, noch zeitgemäß ist.

Loko: Warum sollten wir keine Werbung machen für ein Unternehmen, das mir hilft, günstig an Computer, an Iphones und an Waschmaschinen zu kommen? – Das macht keinen Sinn. Und wie gesagt: Unsere Kampagne setzt auf Spaß mit Technik, daher auch das Motto: Hauptsache ihr habt Spaß.

Heusinger: Wir sind keine Öko-Fundis, die jetzt nur für vegane Holzcomputer Werbung machen würden.

2015 ist der britische Werbekonzern WPP bei der Hirschen Group eingestiegen. Ist so ein Schritt für eine Agentur nach einer gewissen Zeit zwingend notwendig?

Heusinger: Wir gehören zu den fünf größten inhabergeführten deutschen Agenturen, aber es gab international gesehen noch eine Limitation. Wir sind in einigen internationalen Pitches weit gekommen, doch am Ende fehlte uns die Glaubwürdigkeit, wenn es darum geht, eine Kampagne gleichzeitig in 120 Ländern auszurollen. Da haben wir auch persönlich Lust drauf, jetzt international glaubwürdig zu sein und internationale Kampagnen machen zu können. Dabei hilft uns die Beteiligung von WPP extrem. Das ist der nächste Schritt in unserer Evolution nach 20 Jahren.
Wir sind aber auch stolz darauf, dass wir eine Minderheitsbeteiligung vereinbaren konnten, wir werden also nicht geschluckt, wie es oft bei anderen Agenturen passiert.

Man hat also das eigene Baby nicht aus der Hand geben wollen.

Loko: Richtig, wir wollten es nicht aus der Hand geben, aber WPP die Möglichkeit geben, mitzumachen. Dadurch werden wir international mehr Chancen bekommen.

Der ADC-Kongress 2016 findet unter dem Motto „Battle of Content“ statt, das Logo zeigt eine grimmig dreinblickende Katze. Muss die Werbung zukünftig mehr gegen oder mehr mit Katzen kämpfen?

Heusinger: Sie muss beides. Man muss von der Wirkung der Katze wissen aber auch von der Abnutzung der Wirkung. Man muss sich bei der veränderten Mediennutzung auch damit auseinandersetzen, dass es Menschen gibt, die ihre Zeit damit verbringen, Fashion-Channels auf Youtube anzuschauen. Da muss man überlegen: Versucht man, in den Fashion-Channel mit reinzukommen, macht man einen eigenen auf – oder macht man bewusst etwas ganz Anderes, weil die Leute ja auch nicht 24 Stunden am Tag auf Fashion-Channels sein können? Man muss sich stark damit beschäftigen, was im Netz passiert, aber es gibt nicht das Patent-Rezept.

adc kleinLoko: Das ist am Ende ja das Spannende an unserer Branche, dass sie durch so etwas, was mit den Katzen passiert und durch technische Entwicklungen völlig auf den Kopf gestellt wird. Das macht letztendlich auch den Spaß aus, mit dem wir nach 20 Jahren immer noch dabei sind. Es gibt einen ungeheuren Wandel und keiner kann sagen, wohin es geht. Aber es passiert einfach wahnsinnig viel.

Heusinger: Eine weitere Veränderung, die uns betrifft, ist Big Data, von Google-Algorithmen bis Facebook. Social Media ist ja nicht nur lustiger Content, sondern es ist eben auch datengetrieben – und die Macht von Google und Facebook hat den Werbemarkt verändert. Das ist der nicht so lustige Teil, aber heute ein wichtiger Teil des Spiels, den es vor zehn Jahren überhaupt nicht gab. Damit beschäftigen wir uns, dafür stellen wir auch Leute ein.

Vor einigen Jahren entstand die Idee, die Crowd an der Gestaltung von Werbekampagnen zu beteiligen. Wie schätzen Sie das Potential dieser Vorgehensweise ein?

Heusinger: Es gibt schon Plattformen für die sogenannte „Crowd-Creation“, wo ein Kunde dann sagen kann: „Liebe Crowd, macht mir einen neue Plakat-Kampagne“. Doch diese Plattformen haben den großen Durchbruch nicht geschafft, sondern sind maximal Mitspieler geblieben und in den letzten zwei Jahren nicht weiter gewachsen.
Man kann mit der Crowd vielleicht einen Wettbewerb für einen neuen Slogan machen, aber nicht eine komplexe Kampagne, die mehrere Disziplinen verbindet. Das Wissen darüber, wie man die ganzen Puzzle-Steine zu einer Kampagne zusammenfügt, das bekommen Sie nicht von der Crowd.

Manchmal bringt sich die Crowd auch ungefragt ein, beim sogenannten „Adbusting.“ Was ist Adbusting für Sie: Kunst, Vandalismus, Auszeichnung?

Heusinger: Alles zusammen. Es ist schon mal vorgekommen, dass auf diese Weise eine Kampagne von uns umgedreht wurde. Mich freut das, weil es zeigt: die Leute beschäftigen sich damit, entwickeln Emotionen, reagieren darauf. Und wenn der Werbetreibende clever ist, verklagt er denjenigen nicht, sondern schweigt es entweder tot, oder er spielt sogar damit.
Adbusting setzt ja auch voraus, dass sich jemand Gedanken macht und dann eine Stunde oder noch viel länger das Motiv verändert. Wenn jemand so viel Motivation hat, seine Lebenszeit da reinzustecken, ist das für mich eher eine Auszeichnung als dass ich mich darüber ärgere.

Loko: Für uns ist so etwas schön weil es zeigt, dass das, was wir tagtäglich machen, für Menschen relevant ist und Menschen berührt.

Die Werbeformen verändern sich, doch inhaltlich scheint in der Werbung Kinder/Tiere/Sex eine Art Naturgesetz zu sein, oder?

Loko: Nicht nur in der Werbung, wie man an den vielen Katzen-Videos sieht. Kinder, Tiere und Sex, das sind im weitesten Sinne die Themen, die am meisten im Netz gesucht werden. Wobei Sie noch Sport und News vergessen haben. Es ist klar, wenn ich Kommunikation für ein Unternehmen mache, dass ich dann natürlich diese Themen angehe und mich damit auseinandersetze, weil sich die Menschen für diese Themen interessieren.

Sie erwähnten vorhin Big Data. Wünscht man sich als Werber eigentlich eine Zukunft wie in jener Filmszene von „Minority Report“, wo Tom Cruise beim Gang durch die Stadt per Netzhaut-Scan mit personalisierten Werbebotschaften angesprochen wird?

Heusinger: Nein, davon träumen wir sicher nicht.

Loko: Nein, das ist schrecklich. Das will ich nicht haben, das werden wir auch nicht mehr erleben und ich hoffe, dass meine Tochter das genauso nicht erlebt. Als Kommunikationsprofi träumt man natürlich von optimalen Arbeitsbedingungen, aber sicherlich nicht von einem mechanisierten Menschen. Im Gegenteil, es gibt ja auch positive Dinge, die da draußen passieren. Es gibt einen Trend zu mehr Ehrlichkeit, zu lokalen Produkten, zu gesundem Essen, zu weniger Protz im eigenen Auto… Und als Kommunikationsprofi ist man ja im weitesten Sinne auch pädagogisch unterwegs, und träumt genauso eher von einer besseren Welt, und nicht von mechanisierten Roboter-Menschen, die das kaufen, was ich ihnen reinprogrammiere.

Heusinger: Es fragen uns andererseits auch mittlerweile schon Kunden, wie wir diese Filter-Bubble durchkreuzen können. Denn ein Effekt ist ja: Um so personalisierter die Leute von Facebook und Google bespielt werden, desto mehr sind sie nur in ihrer eigenen Welt gefangen und in ihren vermeintlichen Interessen, die sie mal irgendwo eingegeben haben. Wir müssen es dann für unsere Kunden schaffen, diese Filterbubble zu durchbrechen und mit einem Thema Interesse zu wecken, das vielleicht gar nicht in ihrem Algorithmus steckt. Das ist eine wirklich spannende Herausforderung.

Ein Kommentar zu “Wir würden nicht für die AfD werben, never ever.”

  1. Martin Scholz |

    Ups. Wirtschaft liegt euch wohl auch nicht.

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